Inflation in der Schweiz: Das Ende der Teuerungsinsel
Jetzt steigen die Preise auch in der Schweiz ungemütlich stark an. Warum das so ist und was SNB-Chef Thomas Jordan dagegen tun kann.
Die Teuerung war ein Problem, aber nur im Ausland. So erschien es zumindest noch bis vor kurzem. In den USA lag sie im Mai im Jahresvergleich immerhin auf 8,3 Prozent und in der Euro-Zone auf 8,1 Prozent. Die in der letzten Woche publizierten Zahlen des Bundesamts für Statistik wecken jetzt allerdings Zweifel am Sonderfall Schweiz. Im Jahresvergleich ist sie im Mai um 2,9 Prozent gestiegen. Das Ende der Tiefpreisinsel Schweiz naht.
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Im Vergleich zum Ausland ist das zwar noch immer wenig. Aber der Anstieg ist dennoch beachtlich und stärker als erwartet. Im Mai 2020 waren die Preise im Jahresvergleich noch um 1,3 Prozent gesunken. In nur zwei Jahren hat die Teuerung in der Schweiz also um 4,2 Prozentpunkte zugenommen, innert Jahresfrist um 2,9 Prozente.
Und wie im Ausland liegt sie damit jetzt auch in der Schweiz über den 2 Prozent, welche Geldpolitikerinnen und Notenbanker – auch in der Schweiz – als Obergrenze akzeptieren.
Während andere Notenbanken mit der Schubumkehr ihrer Geldpolitik bereits begonnen haben, bleibt die Schweizerische Nationalbank (SNB) bisher ihrer Politik mit rekordtiefem Leitzins von minus 0,75 Prozent treu. In den USA hat die Fed den eigenen Leitzins 2022 in zwei Schritten bereits um 0,75 Prozent angehoben, weitere Zinsschritte werden erwartet. Zudem will die Fed ihre auf mittlerweile 9 Billionen Dollar angewachsene Bilanz reduzieren.
Die Nationalbank wartet auf Europa
Mit dem Depositensatz für Bankeinlagen ist auch ein entscheidender Leitsatz der Europäischen Zentralbank (EZB) noch immer tief im negativen Bereich, konkret bei minus 0,5 Prozent. Doch schon im Juli wird eine erste Anhebung dieses Satzes erwartet, und im September sollen Negativzinsen Geschichte sein, so die von EZB-Vertreterinnen und -Vertretern befeuerte Erwartung.
Ein negativer Leitzins der EZB war seit seiner Einführung im Jahr 2014 der wichtigste Grund für die SNB, den Leitzins ebenfalls in den negativen Bereich und erst noch unterhalb der EZB zu senken. Angesichts der historischen Attraktivität des Frankens hält man einen tieferen Zinssatz als in Europa für notwendig, um eine schädliche Aufwertung des Frankens zu verhindern.
Nimmt die EZB nun Abschied vom Negativzinsregime, erlaubt dies SNB-Chef Thomas Jordan, den eigenen Satz ebenfalls anzuheben. Die meisten rechnen damit, dass das bereits laufendes Jahr erfolgt. In den positiven Bereich dürfte der Leitzins der SNB aber erst 2023 vorstossen.
Kein Verlass auf bisherige Zinspläne
Der steile Anstieg der Inflation auch in der Schweiz könnte allerdings die Pläne Jordans durcheinanderbringen. Gemäss SNB-Prognose sollte sich die Inflation im dritten Quartal auf 2,2 Prozent belaufen und damit deutlich tiefer bleiben als die für den Mai gemessenen 2,9 Prozent. Auch die Fed und die EZB haben noch vor wenigen Monaten nicht im Geringsten damit gerechnet, dass sie die Zinsen so bald so deutlich anheben müssen.
Schaut man sich die Treiber der Inflation in der Schweiz genauer an, so sind es – wie im übrigen Europa – vorab die Energiepreise, welche die Teuerung befeuern. Allein die Preise für Erdölprodukte sind im Jahresvergleich um 40,6 Prozent angestiegen. Der Einfluss der Energiepreise zeigt sich auch an der Kerninflation, bei der diese galoppierenden Preise und jene der ebenfalls volatilen Nahrungsmittel nicht mit einbezogen werden. Die Kerninflation ist bloss um 1,7 Prozent angestiegen. Ein Aufwärtstrend ist aber auch hier zu beobachten.
Was die Preise treibt
Errechnet wird die Inflation aufgrund der Preisentwicklung von 12 Hauptkategorien. Seit Januar 2020 haben insbesondere Verkehr, Bekleidung, Haushaltsführung und Wohnen/Energie stark zugenommen. Hier wirkt sich die importierte Teuerung insbesondere bei den Heiz- und Kraftstoffen aus.
Bis Ende 2020 sanken diese Preise teilweise noch, seither steigen sie jedoch steil nordwärts. Und so zog auch der Gesamtteuerungs-Index zuletzt deutlich an, nachdem die Preise bis Ende 2020 noch zurückgegangen waren.
Dagegen haben andere Preise wie jene für Kommunikation (Post, Telekom) oder für die Gesundheit sogar abgenommen. Im Durchschnitt liegen die Preise heute rund 3,4 Prozent über jenen von Januar 2020.
Etwas anders sieht das Bild auf lange Frist aus: Hier wird deutlich, dass sich vor allem die Gastwirtschaft (Restaurants, Hotels) und der Bereich Unterricht stark verteuert haben. Dahinter folgen ebenfalls die von den Energiepreisen geprägten Kategorien Wohnen und Energie sowie Verkehr.
Der Blick auf die Entwicklung im Zeitverlauf zeigt, dass es teilweise saisonale Effekte gibt, die das Bild etwas verzerren. Dass die Preise für Bekleidung seit Januar 2020 so stark zugenommen haben, liegt daran, dass Kleider im Frühling und im Herbst jeweils teurer sind als im Winter und im Sommer, auch wenn dieser Effekt im Moment etwas ausgeprägter scheint als in den Vorjahren.
