Jan Teunen im Interview: So denkt der Office-Experte das Büro von morgen
Nach und nach kehren viele Angestellte in ihre Büros zurück. Doch die Arbeitswelt nach Corona wird nicht dieselbe sein. Ein Gespräch mit dem Kulturphilosophen Jan Teunen über die Ursprünge des Büros, effektives Arbeiten zuhause und das Ende der Mittelmäßigkeit.
Jan Teunen ist nicht nur Professor an der Burg Giebichenstein, er berät auch Unternehmen wie die Deutsche Lufthansa oder den Drogeriemarkt dm. Wir erreichen ihn im Homeoffice. Viel hat sich an Teunens Arbeitsplatz durch Corona nicht geändert: „Bei uns ist Leben, Lieben und Arbeiten schon immer eine Einheit gewesen.“ Seit 1977 lebt er mit seiner Frau und den Kindern auf Schloss Johannisberg im Rheingau, dort befindet sich auch sein Büro, gleich neben der Wohnung.
Die meisten Büros sind Wirtschafts-, keine Lebensräume. Aber Menschen sind keine Ressourcen. Sie brauchen Poesie, Wertschätzung und Schönheit.Jan Teunen
Herr Teunen, die Corona-Krise hat zu einem rasanten Aufstieg des Homeoffice geführt. Plötzlich ist vieles möglich, was einst undenkbar schien. Wieso ging das vorher nicht?
Es geht auch jetzt nicht.
Viele Arbeitgeber haben ihren Angestellten aber doch äußerst flexible und selbstbestimmte Arbeitsmodelle für Zuhause ermöglicht?
Aber diese neue Struktur wurde aus der Not heraus geboren. Die Probleme im Homeoffice sind mannigfaltig. Das fängt bei der Ergonomie an, geht über Belichtung und Belüftung hin zum Lärmschutz; gute Türen sind Mangelware. Man sieht das ja, wenn man mit den Leuten zoomt, die sitzen dann am Küchentisch und die Kinder laufen durch, das ist kein probater Arbeitsplatz. Haltungsschäden, Bewegungsmangel – Arbeitsmediziner schlagen jetzt schon die Hände über dem Kopf zusammen.
Sind deshalb viele Menschen heilfroh, wieder zurück ins Büro zu können?
Menschen wollen glücklich sein, zumindest gelegentlich. Und Glück entsteht aus Geborgenheit, aus der Berücksichtigung individueller Wünsche und Bedürfnisse. Wir können wir es auf eine einfache Formel zurückbringen: Wir sind vierdimensionale Wesen. Körper, Ich, Geist und Seele. Sie alle haben Bedürfnisse, die werden im Home Office meistens nicht berücksichtigt.
Wie könnte es denn besser laufen?
Wir können uns das anhand der U-Theorie von Otto Scharmer verdeutlichen: Wenn man eine Leberzelle ist und möchte eine Lungenzelle werden, kann man nicht auf dem direkten Weg dorthin. Heißt: Wenn man ständig im Firmen-Office ist und plötzlich ins Homeoffice will, muss man durch das U hindurch: zurück zur Ur-Zelle. Um also effektiv zuhause zu arbeiten, muss man zum Ursprung des Büros zurück.
Der da wäre?
Das Büro wurde 1179 erfunden, im Hochmittelalter. Ein Mönch stellte einige ungehobelte Bretter auf zwei Holzblöcke und legte seine Kutte darüber, um die Pergament- und Ledereinbände nicht zu beschädigen. Die Kutte hieß übrigens „Burra“, so entstand das Wort „Büro“. Es war, wenn man so will, das erste Homeoffice, und es entstand, um das Kostbare zu schützen. Paradoxerweise ist das in den meisten Home Offices nicht der Fall. Die meisten Menschen wohnen so, als ob sie gerade Opfer einer Naturkatastrophe geworden sind.
Wieso?
Sie haben nicht gelernt, wie man seine Umgebung kulturell auflädt. Wir haben früher in der Natur gelebt, zu der wir eine funktionale wie poetische Beziehung hatten. Das Büro – egal ob in der Firma oder zu Hause – ist zur zweiten Natur des Menschen geworden. Die Funktion mag da sein, aber die Poesie fehlt: Viele Menschen haben es versäumt, die Welt in ihr Haus zu holen.
Wie in der Renaissance?
Die Menschen sind dort nicht viel rausgegangen, aber sie haben sich die Welt zu sich geholt. Sie haben Wunderkammern kreiert und konnten sich dort unendlich lang aufhalten. Mein Homeoffice ähnelt so einer Wunderkammer. Ein Rückzugsraum, an dem ich bis an mein Lebensende glücklich sein kann. Ich lade die Menschen ein, die ich sehen will, ich bin zufrieden mit meinen Räumen. In mir steckt nicht das romantische Verlangen, dass das Glück dort ist, wo ich gerade nicht bin. Und das sollte die Regel sein – nicht nur im Homeoffice, auch im Büro.