Bei der Entscheidung für einen Jobwechsel hilft es, die Perspektive zu verändern. © Getty Images

Jobwechsel in unsicheren Zeiten? Drei Perspektiven helfen Dir bei der Entscheidung

Das neue Jobangebot ist reizvoll. Bist Du bereit für den nächsten Schritt? Gehen oder bleiben ist nicht nur eine Frage der Rahmenbedingungen.

Frage der Woche

Ich bekomme viele Anrufe von Headhuntern und es reizt mich, zu wechseln. Allerdings mache ich mir Gedanken wegen der drohenden Rezession. Aus meinem Bekanntenkreis höre ich zum Beispiel immer öfter von geplatzten Arbeitsverträgen etc., weil das Unternehmen in spe etwa keine Finanzierung mehr einsammeln konnte. Soll ich trotzdem einen Jobwechsel so kurz vor einer heraufziehenden Wirtschaftskrise wagen?

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Ingo Hamm ist Professor für Wirtschaftspsychologie und XING Insider für Job & Karriere.
Ingo Hamm ist Professor für Wirtschaftspsychologie und XING Insider für Job & Karriere.

Liebe Stefanie,

Das Thema Jobwechsel ist immer wieder eine große Frage, da sie auch ungeachtet der momentanen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen individuell mit viel Unsicherheit behaftet ist. Es gibt meines Erachtens drei Perspektiven auf die Entscheidungsfindung: eine psychologische Sicht, eine ökonomische Sicht und die Karriere-Sicht.

Die Psychologie: Leben zwischen Stabilität und Entwicklung

Psychologisch gesehen deutet die Frage auf ein großes Spannungsfeld hin. Auf der einen Seite suchen Sie Veränderung, auf der anderen Seite Stabilität. Das ist ein im Menschen fest verankertes, normales Lebens- und Überlebensmuster, denn man kennt die zwei gegenläufigen Basismotive Sicherheit und Selbstentfaltung.

Vor diesen menschlichen Basismotiven bleibt niemand verschont, schon als Baby wirken diese beiden biologischen Programme auf das Verhalten, damit man auf der einen Seite keine zu großen (Lebens)Risiken eingeht, also schlichtweg überlebt, aber auf der anderen Seite lernt, sich weiterentwickelt, die Umwelt erkundet.

Obwohl diese beiden Motive scheinbar ein Widerspruch sind, können sie quasi gleichzeitig im Leben eine Rolle spielen. Sie wirken bei ein und derselben Person immer wieder – und sind unproblematisch und dienlich, wenn sie sich über die Zeit hinweg die Waage halten.

In Ihrem Fall deutet vieles auf ein aktuell höheres Sicherheitsbedürfnis hin. Das ist heutzutage nachvollziehbar, wollen und müssen doch die meisten Menschen eine Familie ernähren, einen Kredit fürs Haus abbezahlen, für etwas Schönes sparen, usw.

Vor diesem Hintergrund kann ein Arbeitgeber in stabilen Verhältnissen Sicherheit geben. Ganz nebenbei spielt hierbei nicht nur die finanzielle Kraft eines Unternehmens eine Rolle, sondern auch die psychologische Verlässlichkeit: Werden Zusagen eingehalten? Kann man sich auf informelle Absprachen verlassen? Verhalten sich Führungskräfte konsistent und berechenbar – und moralisch ohne Zweifel?

Gleichzeitig erhöht ein Sicherheitsverhalten, ein Festhalten am Arbeitgeber aber auch die Gefahr der materiellen Abhängigkeit und nachlassenden Motivation. Man spricht hier in der Psychologie vom sogenannten Korrumpierungseffekt:

  • In einer Studie sollten Kinder Aufgaben erledigen, die ihnen Spaß machen, zum Beispiel ein Bild malen. Dann wurden die Kinder in zwei Gruppen eingeteilt. Beide Gruppen sollten weiter Bilder malen. Doch die eine Gruppe bekam nun für jedes fertige Bild etwas Geld, die andere nicht. Und was passierte? Die Kinder, die belohnt und damit „von außen motiviert“ wurden, wollten nicht mehr Bilder malen, ohne Geld dafür zu bekommen.

  • Die andere Gruppe, die keine materielle Verlockung serviert bekam, malte munter weiter, ganz ohne Anreiz von außen, wie zu Beginn bei Kindern üblich: mit Lust am Malen an sich.

Übertragen auf die Berufswelt sieht man Korrumpierungseffekte nahezu überall: Man macht seinen Job nicht aus sich selbst heraus, weil man motiviert ist, an der Tätigkeit an sich Freude findet, sondern weil man (nur noch) auf externe Reize bei diesem Job anspricht, vor allem materiell – und die innere Motivation an der Sache an sich in den Hintergrund tritt.

❗️Meine eindeutige Empfehlung: Absicherung ist gut und auch völlig normal, aber lassen Sie sich nicht korrumpieren, bleiben Sie mental-motivatorisch bei dem, was Sie wirklich gerne machen, und bleiben Sie bei einem Job, weil Sie den Job mögen und nicht wegen eines sagenhaften Gehalts, eines fetten Dienstwagens oder einer hippen Café-Lounge.

Die Ökonomie: Was ist denn schon sicher?

Neben der Psychologie gibt es aber auch die Ökonomie, und hier ist eine pauschale Antwort, ob und wann und wieweit in welcher Branche eine Krisenlage herrscht, nicht seriös. Selbst die sogenannten Wirtschaftsweisen – alles bestens gebildete Leute vom ökonomischen Fach – liegen mit ihren Schätzungen im Dienst der Bundesrepublik häufig daneben.

Und wenn schon das Gesamtbild der wirtschaftlichen Entwicklung äußerst fragil und unberechenbar erscheint, wie mag es denn erst in speziellen Branchen oder gar bestimmten Unternehmen sein?

Selbst wenn Sie, umgekehrt, in eine vermeintlich starke Branche gehen, die voll auf Zukunftstrends setzt, kann Ihnen als Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer niemand die Sicherheit geben, dass nicht nach einigen Monaten das Geschäftsmodell einer aktuell noch erfolgreichen Firma zusammenbricht.

Oder dass die Gründer Kasse machen und den Betrieb verkaufen. Oder dass der Patriarch abdankt und der neunmalkluge Nachfolger den Laden an die Wand fährt. Oder dass der einst so lukrative Kontrakt mit einem Schurkenstaat plötzlich vom Schurken nicht mehr eingehalten wird.

Selbst in gestandenen Vorzeige-Konzernen, die auch noch in Krisenzeiten bestens verdienen – moralisch integer, juristisch sauber – ist Sicherheit auch nicht automatisch gegeben.

Auch wenn hier vielleicht eine betriebsbedingte Kündigung eher unwahrscheinlich ist, sind doch interne Umstrukturierungen an der Tagesordnung – in Zeiten, wo jeder von Agilität und Transformation spricht. Hier sind ungewollte Veränderungen, neue Chefs, neue Kolleginnen und Kollegen – mit denen man sich versteht oder auch nicht – das tägliche Spiel in der Unternehmenspolitik. Salopp gesagt: Das Gehalt ist dabei genauso sicher wie die Magengeschwüre.

❗️ Größe scheint vordergründig vorteilhaft, aber großes Unternehmen heißt auch oft: großer Veränderungsbedarf. Ein juristisch sicherer Arbeitsplatz bietet noch lange nicht „Peace of Mind“. Und die Erfolgreichen von heute sind die Herausgeforderten von morgen, die dann um so mehr ihre Teams auf Trab halten – oder vor die Tür setzen müssen.

Die Karriere: Wie verkauf ich es später? Und was will ich eigentlich wirklich?

Eine weitere Facette ist die der Karriereorientierung, quasi die Sicht auf einen Lebenslauf. Und hier ist die Schlüsselfrage: Wie wirkt ein – der eigenen Absicherung wegen – ausbleibender Wechsel später nach?

Nehmen wir an, Sie bleiben aus Gründen der Stabilität, aber richtig glücklich sind Sie nicht, und folglich werden Sie in dem Job auch nicht mehr Bäume ausreißen, denn eigentlich wollen Sie ja weg. Und nehmen wir weiter an, die Krise zieht sich noch 2-3 Jahre, wobei mit Sicherheit dann auch nicht plötzlich, um Schlag 24:00 an Sylvester 2025, die goldenen Zeiten vor der Tür stehen.

Kurz: Zeiten des Wandels und der Unsicherheit können lange dauern, was sie ja bereits tun (und eigentlich immer irgendwie taten), und oft merken Sie nicht einmal, wann es deutlich besser wird.

Am Ende stehen in Ihrem mentalen und echten Lebenslauf ganz schnell noch nochmal weitere 3-4 Jahre bei der Stelle, die Sie jetzt schon gerne aufgeben wollten. Dann machen Sie mal den Test und denken sich Ihre „Nachspielzeit“ von der anderen Seite des Schreibtisches aus:

  • Wie wird das wirken?

  • Wie werden Sie das sinnvoll erklären?

  • Was werden Sie daraus ziehen, wenn Sie genau danach gefragt werden?

Man wird es nicht schwer haben, Ihren Wunsch nach Stabilität aus Ihrem Werdegang herauszulesen. Und man wird bei jedem späteren Wechselwunsch ganz genau hinterfragen, ob Sie wirklich bereit sind, mit Überzeugung und Schwung etwas Neues anzufangen – oder einfach nur ein noch bequemeres Nest zu suchen.

❗️Fazit: Ein Job ist kein Geldautomat, sondern eine Tätigkeit, die man am besten gut und gerne macht.

Bei all den verschiedenen Betrachtungsweisen und Abwägungen ist schließlich meine zentrale Empfehlung, nicht so sehr an die Rahmenbedingungen zu denken, sondern die Tätigkeit an sich im absoluten Fokus zu haben.

Folgen Sie Ihren inneren Motiven, und wenn es Ihnen um Sicherheit geht. Wenn Ihnen Unsicherheit mental weh tut, dann ist es so, aber bauen Sie dann auch Ihre Karriere konsequent um ein kompatibles Lebensmodell der Absicherung und Berechenbarkeit – mit dem ein oder anderen notwendigen Verzicht auf „Vorankommen“.

Erkunden Sie zunächst einmal das, was Sie inhaltlich, von der Tätigkeit an sich, wirklich erfüllt, und was die dafür passenden Rahmenbedingungen sind. Und suchen Sie entsprechend eine Arbeit, einen Arbeitgeber, der es Ihnen erlaubt, diese inhaltliche Erfüllung in zu den ihnen passenden Rahmenbedingungen zu leben.

Das kann ein neuer Job sein, das kann aber auch im eigenen Unternehmen eine Veränderung sein, die Sie aktiv anstoßen können. Wechseln Sie aus Ihrer inneren Überzeugung wegen der Tätigkeit, denn Sie werden nur erfolgreich sein, wenn Sie etwas gut machen, und Sie werden es nur gut machen, wenn Sie es wirklich inhaltlich gerne machen wollen.

Viele Grüße,

Ingo Hamm

Millionen Deutsche wünschen sich einen Jobwechsel. Gehörst Du dazu? Welche Gründe halten Dich zurück?

Wer schreibt hier?

Ingo Hamm ist Professor für Wirtschaftspsychologie and der h_da Hochschule Darmstadt, war McKinsey-Berater, arbeitete auf Konzernseite und folgte schließlich seinem forscherischen Freiheitsdrang. Er hat seitdem zahlreiche Bücher publiziert und unterstützt als Speaker, Moderator und Berater den stetigen Wandel in Organisationen.

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