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Krach bei Fresenius – Warum FMC-Chefin Carla Kriwet wirklich geht

Nach nur zwei Monaten im Amt wird Carla Kriwet abgelöst. Der abrupte Abgang der Managerin legt die Probleme des Gesundheitskonzerns erneut offen.

Der im Dax notierte Dialysekonzern Fresenius Medical Care (FMC) steht nach dem überraschenden Abgang von Vorstandschefin Carla Kriwet vor unruhigen Zeiten. Kriwet hatte in der Nacht zu Dienstag nach nur zwei Monaten ihren Rückzug verkündet. Vorausgegangen war Unternehmenskreisen zufolge ein Streit um die Neuausrichtung des Dialysekonzerns.

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Nachfolgerin wird mit sofortiger Wirkung Finanzchefin Helen Giza. Offiziell nennt Fresenius „strategische Differenzen“ für den Führungswechsel. Der Abgang ist der vorläufige Höhepunkt eines turbulenten Jahres für den Dialysekonzern und dessen Mutter Fresenius. Beide sind nach mehreren Gewinnwarnungen stark unter Druck.

Für Fresenius hat sich Fresenius Medical Care als Sorgenkind erwiesen, vor allem wegen Problemen in den USA. Kriwet hatte nach Informationen von Insidern vor, insbesondere das Geschäft der Dialysekliniken in den USA zu restrukturieren. Bereits von Helen Giza getroffene Entscheidungen, etwa die Verlagerung der IT in die USA, hatte sie gestoppt. Darüber sei es zum Eklat gekommen. Kriwet sei, sagten mehrere Insider dem Handelsblatt, zu vielen auf die Füße getreten.

Fresenius Medical Care wie auch Fresenius sind hochverschuldet und brauchen Kapital. Während Kriwet umfassende Änderungen wollte, drängte Fresenius-Chef Michael Sen auf mehr Rentabilität.

An den Märkten kam das Chaos nicht gut an. FMC war mit einem Minus von 3,7 Prozent Tagesverlierer im Dax. Auch wenn mit Giza wieder die bisherige Linie verfolgt wird: Von Ruhe ist der Konzern weit entfernt. Die desolaten Neun-Monats-Zahlen lassen bereits weitere Einschnitte erahnen.

Der Doppelwechsel bei Fresenius ging schief

Eigentlich sollte dieses Jahr ein doppelter Führungswechsel die Dauerkrise bei Fresenius und der Tochter FMC beenden. Denn neben Kriwet bei FMC trat auch bei Fresenius ein neuer Chef an. Im Oktober übernahm der ehemalige Siemens-Manager Michael Sen, 54, den Chefposten von Vorgänger Stephan Sturm, der zuletzt glücklos agiert hatte.

Seit Monaten verfehlen beide Unternehmen finanziell ihre Ziele. Zuletzt ist der Druck auf Sen noch gestiegen – durch den Einstieg des Hedgefonds Elliott, der auf eine Abspaltung der Dialysetochter Fresenius Medical Care drängt. „In einer fundamental gesunden Branche muss sich Fresenius Medical Care noch stärker auf den operativen Turnaround fokussieren, die Unternehmensperformance weiter verbessern und sich auf seinen Kern konzentrieren“, wird Sen in der Mitteilung zum Managementwechsel bei Fresenius Medical Care zitiert.

Kriwet hatte einen Dreijahresvertrag. Da sie selbst gekündigt hat, dürften keine großen Abfindungen anstehen.

Auch wenn die Märkte die Nachrichten nicht goutierten, die Analysten von UBS bewerteten die Nominierung von Helen Giza positiv. Sie sei bei Investoren sehr angesehen und habe bereits als geeignete Nachfolgerin von Rice Powell für den Chefposten von Fresenius Medical Care gegolten, schreiben sie. Es bleibe für Giza noch viel Arbeit zu tun, aber ihre Berufung würde eine gewisse Kontinuität in der Strategie bedeuten.

Lange Jahre galten die Dax-Konzerne Fresenius und Fresenius Medical Care als Erfolgsstorys an der Börse, als Unternehmen, die in wachsenden Märkten mit soliden Geschäftsmodellen Jahr um Jahr steigende Gewinne ablieferten. Der 1912 aus einer Apotheke entstandene Gesundheitskonzern Fresenius kontrolliert die Dialysetochter Fresenius Medical Care über die Konstruktion einer Kommanditgesellschaft auf Aktien, hält aber nur 32 Prozent der Anteile.

Fresenius Medical Care wurde 1996 Teil von Fresenius. Die Bad Homburger hatten in den USA den Dialyseklinikbetreiber National Medical Care erworben und mit ihren Dialysetätigkeiten zusammengefasst. Zur Finanzierung der Transaktion wurde Fresenius Medical Care als Tochtergesellschaft an die Börse gebracht.

In den folgenden Jahren wuchs Fresenius auch durch eine ehrgeizige Akquisitionsstrategie. Viele milliardenschwere Investitionen wie der Kauf der Klinikgruppe Helios, des Pharmaunternehmens APP Pharmaceutical, aber auch eines Großteils der Rhön-Kliniken formten die heutige Fresenius-Gruppe mit zuletzt 37,5 Milliarden Euro Jahresumsatz und 1,8 Milliarden Euro Nettoergebnis.

Coronapandemie hat dem Dialysegeschäft bei FMC schwer geschadet

Seit 2017 aber haben beide Unternehmen an der Börse weit mehr als die Hälfte ihres Werts verloren. Zuerst verlor das operative Geschäft an Dynamik, und dann kam die Coronapandemie, die beiden Unternehmen massiv zusetzte. Bei FMC, die rund die Hälfte zum Umsatz des Mutterkonzerns beiträgt, starben überproportional viele Dialysepatienten an einer Covidinfektion. Hinzu kamen steigende Kosten für Hygienemaßnahmen und pandemiebedingte Personalausfälle.

Es folgten Gewinnwarnungen für FMC und Fresenius, die letztlich zu einer Ablösung der Managementspitze führten. Wie desolat die Situation war, zeigen die Geschäftszahlen 2021: Fresenius Medical Care hatte das Geschäftsjahr mit einem Konzernumsatz von 17,6 Milliarden Euro und einem um 25 Prozent auf eine Milliarde Euro gesunkenen Gewinn abgeschlossen.

Nach zwei Gewinnwarnungen in diesem Jahr zeigt sich allerdings, dass das Problem von Fresenius Medical Care nicht mehr die Übersterblichkeit der Dialysepatienten ist. „Das Unternehmen hat eine so hohe Fluktuation beim Personal in den USA, dass es nicht genug Mitarbeiter bekommt, um neue Dialysepatienten behandeln zu können“, heißt es bei FMC. Ein Grund mehr für Kriwet, grundlegende Änderungen anzugehen.

Kriwet hat Erfahrung mit umfassenden Transformationen. Bei Linde stellte sie einst die wichtige Sparte Homecare neu auf, bei Philipps baute sie den Bereich Connected Care für vernetzte Gesundheitslösungen um. Dass sie mit komplexen Strukturen umzugehen weiß, hatte sie in ihrem letzten Führungsjob bewiesen, als CEO von Bosch Siemens Hausgeräte.

Diese Erfahrungen, noch dazu ihre Expertise in der Gesundheitsbranche hatten sie für den Job bei FMC eigentlich prädestiniert. „FMC und Kriwet, das war eigentlich ,the perfect match‘“, heißt es aus unternehmensnahen Kreisen. Dass diese Konstellation nun wieder auseinandergehe, sei vor allem auch schade für das Unternehmen. Kriwet hätte aus dem „kranken Konzern FMC“ einen echten Gesundheitskonzern machen können.

Carla Kriwet galt als Idealkandidatin für FMC

Gescheitert ist sie Beobachtern zufolge an ihrem mangelnden politischen Geschick. Schon in ihrer bisherigen Karriere sprach sie Missstände immer klar an und ging deren Beseitigung auch offensiv und umfassend an. Das führte, wie zuletzt bei BSH, zu Erfolgen oder endete, bei mangelnder Unterstützung, im vorzeitigen Abgang. Und manchmal auch mit einem Beigeschmack – ob ihre Abgänge bei BSH, trotz Erfolgen, und Philips so harmonisch verliefen, darüber gibt es unterschiedliche Versionen. Und 2011 hatte Kriwet schon einmal nach nur wenigen Monaten den Vorstand des Familienunternehmens Drägerwerk auf eigenen Wunsch verlassen.

Das Ende bei FMC dürfte sie, so ein Insider, sehr treffen. „Carla Kriwet ist diesen Job mit sehr viel Leidenschaft, schon Herzblut, angegangen. Sie kam von BSH aus einer Position der Stärke und wollte sich nun in ihrem Bereich, dem Gesundheitsmarkt, beweisen.“

Aber auch FMC steht vor schwierigen Zeiten. Für das Gesamtjahr rechnet das Unternehmen erneut mit bis zu 25 Prozent weniger Gewinn. Organisch ist FMC in den USA im dritten Quartal sogar um zwei Prozent geschrumpft.

Und der Mutterkonzern Fresenius geht von einem Rückgang des Konzernergebnisses von um die zehn Prozent aus, nachdem bisher ein Minus im niedrigen bis mittleren einstelligen Prozentbereich in Aussicht gestellt worden ist. Auch die Verschuldung des Konzerns ist weiter angestiegen: Die Nettoverschuldung von Fresenius lag Ende September bei 26,8 Milliarden Euro, der Verschuldungsgrad betrug das 3,74-Fache des Operativen Gewinns (Ebitda). Fresenius Medical Care hatte per Ende September 12,7 Milliarden Euro Schulden. Der Verschuldungsgrad erreicht das 3,6-Fache des Ebitda.

Als Befreiungsschlag für Fresenius wird von vielen Investoren eine Trennung von FMC gefordert. Denkbar ist, dass Fresenius seine Beteiligung an Fresenius Medical Care auf unter 25 Prozent reduziert und die Dialysetochter dann aus der Bilanz nehmen könnte.

So oder so bleibt die große Herausforderung für das Fresenius-Management um Sen, das Unternehmen wieder zu profitablerem Wachstum zu führen und die Verschuldung zu senken. Die Zeit drängt. 2024 müssen große Kreditlinien refinanziert werden, und die Zinsen steigen.

Sen selbst ist derzeit noch dabei, die Lage im Konzern sorgfältig zu analysieren. Wie schon bei der Ernährungssparte Fresenius Kabi, die er seit April 2021 führt, macht er sich ein detailliertes Bild vom Konzern. „Wir haben begonnen, alle Geschäftsaktivitäten auf den Prüfstand zu stellen, und schauen uns dabei das gesamte Portfolio an. Der Schwerpunkt liegt auf Rentabilität“, hatte er die Neuausrichtung angekündigt. Die mehr als 300.000 Beschäftigten dürfen sich auf weitere Kostensenkungen einstellen.

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