Manager mit ADHS: „Ich erledige Aufgaben erst fünf Minuten vor der Frist“
Oft arbeiten Menschen mit Aufmerksamkeitsstörung in Hochleistungsjobs mit Führungsverantwortung. Drei betroffene Manager berichten, wie Mitarbeiter am besten mit ihnen umgehen können.
Düsseldorf. Bis zu fünf Prozent der erwachsenen Menschen haben ADHS. Viele dieser Menschen mit der Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) arbeiten in Hochleistungsjobs und Führungspositionen. Eine Studie der Technischen Universität München zeigt, dass ADHS-Symptome auch die Gründung eines Unternehmens begünstigen.
Doch während ADHS einerseits dafür sorgt, dass Betroffene schnell neue Ideen entwickeln können, stellt die Entwicklungsstörung viele Manager auch vor Herausforderungen: Ihre Spontanität, Emotionalität und Probleme mit Struktur können die Zusammenarbeit mit ihren Teams empfindlich stören.
Das kommt Ihnen bekannt vor – weil auch Sie das Gefühl haben, Ihr Chef könnte betroffen sein? Das Handelsblatt hat mit drei Managerinnen und Managern gesprochen, die ADHS haben, um Tipps aus ihrer alltäglichen Erfahrung zu sammeln: Wie gehen Mitarbeiter am besten mit Vorgesetzten um, die Symptome von ADHS zeigen?
Hier erklären die Führungskräfte, warum sie auf einen bestimmten Typ Mitarbeiter angewiesen sind, wie Teammitglieder dafür sorgen, dass wichtiges Feedback bei ihnen wirklich ankommt und warum jedes Anliegen eine Frist braucht.
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Tipp 1: Bringen Sie zu jedem Thema eine klare Arbeitsanweisung für Ihren Chef mit
Kim Körber gründete mehrere Unternehmen. Er sagt: „Wenn Mitarbeiter nur mit dem Problem zu mir kommen, fange ich direkt an, Lösungen zu suchen. Ich will unbedingt helfen, aber übergehe dabei womöglich Lösungsvorschläge meines Mitarbeiters.“
Seine ADHS-Diagnose hat er Ende letzten Jahres bekommen. Er teilt sie offen mit seinen Mitarbeitern und ist Teil mehrerer Organisationen, die Menschen mit ADHS unterstützen.
Besonders schwer falle es ihm, „einen Gang runter zu schalten“. Er sei entweder bei 100 Prozent Energie oder bei 0. Die größte Herausforderung sei es deshalb, diese Energie im Umgang mit Mitarbeitern optimal zu nutzen – also weder zu überfordern noch zu wenig Unterstützung zu geben. Je konkreter die Anliegen von Mitarbeitern, desto einfacher sei das für ihn.
Am liebsten sei es ihm, wenn Mitarbeiter statt eines Problems gleich drei Ideen präsentierten. Denn als ADHS-Betroffener falle es ihm leicht, aus vorhandenen Lösungen zu identifizieren, was funktioniere und was nicht. Kommunikation mit einem klaren Handlungsauftrag helfe ihm, sich zu fokussieren. „Ich habe Vorschlag A und B. Was würden Sie an meiner Stelle tun?“ Ansonsten passiere es leicht, dass er vom Thema abkomme und den Mitarbeiter hilflos stehen lasse.
Susanne Fitzgerald (Name von der Redaktion geändert), Führungskraft in einem mittelständischen Unternehmen, bekam die Diagnose erst vor Kurzem. In ihrem Team habe sie den Befund offen geteilt, darüber hinaus allerdings nicht. ADHS drücke sich bei ihr vor allem darin aus, dass sie Aufgaben zwar schnell erledigen könne, aber gleichzeitig von sich wiederholenden Tätigkeiten schnell gelangweilt sei. Trotzdem seien ihr als Führungskraft Routinen extrem wichtig. Nur dann könne sie sich an Strukturen gut halten.
Deshalb erwarte sie, dass sich alle an die festgelegten Routinen halten. Das gelte insbesondere für Meetings: „Jede Unterhaltung sollte ein klares Ziel haben – im Idealfall sagt mir der Mitarbeiter schon vorher, was er oder sie braucht. Bei mir gibt es keine Meetings ohne Agenda.“ Wer es Managern mit ADHS also einfacher machen will, schickt immer eine Agenda mit.
Tipp 2: Kritisieren Sie Ihre Chefin nicht für Dinge, die sie nicht ändern kann
Ellen Wagner leitet ein mehrköpfiges Team. Sie erhielt ihre ADHS-Diagnose auch erst vor Kurzem und spricht darüber offen in ihrem Team. Die Diagnose erkläre für sie, warum sie sich auf einige Tätigkeiten sehr gut konzentrieren könne – und auf andere gar nicht. In der Vergangenheit musste sie deshalb häufiger mit negativem Feedback umgehen. Menschen mit ADHS seien häufig auch hochsensibel. Daher sei der Umgang mit Feedback nicht immer einfach für sie, insbesondere wenn sie es nicht gewohnt seien.
Damit Feedback ihr weiterhelfe, sollte es keine persönlichen Eigenschaften kritisieren, die sie nicht ändern könne. Sinnvoller wäre es, Änderungen an der Struktur vorzuschlagen. Wer kann beispielsweise eine Aufgabe erledigen, die die Chefin nicht gut erfüllen kann?
Sie könne sachlich mit Feedback umgehen, empfiehlt aber, die Bedürfnisse des Gegenübers mitzudenken. Das kann bedeuten, den Ort und die Zeit für Feedback gezielt auszuwählen, damit sich niemand verletzt fühlt. In der Regel sei es empfehlenswert, Feedback immer im direkten Austausch zu geben und nicht in größeren Konferenzen.
Tipp 3: Bremsen Sie Ihren Chef, wenn es nötig ist
Auch Gründer Kim Körber beschreibt, dass es wichtig sei, Führungskräfte mit ADHS zu bremsen, wenn sie zu schnell seien. Menschen mit ADHS verlören häufiger die großen Ideen aus dem Blick, sagt Körber. Nicht alle von ihnen hätten das Gespür, wann es Zeit sei, innezuhalten.
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Körber empfiehlt, zu Beginn jedes Meetings mit dem Chef einmal zu fragen: „Was erwarte ich von unserem Meeting?“ und das auch vom Chef einzufordern. Damit würde eine gute Basis für einen produktiven Austausch gesetzt. Mitarbeiter sollten mit einer klaren Botschaft zum Chef gehen. Die könne lauten: „Ich brauche Unterstützung bei etwas“ oder „Ich habe das noch nicht ganz verstanden“ – und darauf zurückzukommen, wenn die Führungskraft abschweift.
Um gegenseitig zu lernen, wie das Team besser zusammenarbeiten kann, könnten Mitarbeiter auch Workshops bei der Führungskraft oder der Personalabteilung einfordern, in denen die Werte des Teams identifiziert würden und in denen ein Team gemeinsame Ziele festlegen könne. „In Konzernen geht es oft um Performance, Leistung und Effizienz. Da ist wenig Raum für Persönlichkeit. Aber sich damit auseinanderzusetzen, wer wir sind und wo wir hinwollen, kann die Leistung eines Teams fördern“, sagt Ellen Wagner.
Tipp 4: Halten Sie alle Abmachungen schriftlich fest – mit einer Frist
Da Strukturen vielen Menschen mit ADHS schwer fallen würden, plädiert Susanne Fitzgerald dafür, dass Mitarbeiter sich auf jeden Fall an Zeitpläne halten sollten. „Menschen mit ADHS lieben Routinen, wenn sie dann erstmal etabliert sind“, sagt sie. Was für sie besonders wichtig sei, ist, dass Mitarbeiter jedes Anliegen, dass sie an sie haben, immer mit einer Deadline versehen. „Ich brauche den Druck, deshalb erledige ich Aufgaben erst fünf Minuten vor der Frist. Aber ohne Frist erledige ich es nie.“
Körber erklärt, er brauche Fristen und Absprachen auch immer schriftlich: „Ich sage manchmal Ja und nehme gewisse Rahmenbedingungen einfach als gegeben bei meinem Gegenüber an. Das passiert, wenn in meinem Kopf schon wieder die Gedanken kreisen und ich bereits zehn Schritte weiter bin. Deshalb sollten Anliegen und Abmachungen immer auch schriftlich bei mir landen.“
Ellen Wagner plädiert neben klaren Strukturen auch für Spontanität. Manchmal kämen ihr Ideen, die erfordern, dass das Team die Strategie ändere. Sie schaffe sich deshalb im Team auch immer den Raum, unkonventionelle Strategien umzusetzen – und erwartet von ihrem Team, sich darauf einzulassen.
Das sei gerade für durchstrukturierte Menschen manchmal schwierig – deshalb sei Vertrauen im Team umso wichtiger. Mitarbeiter sollten deshalb auf den Chef zugehen, wenn sie bestimmte Strukturen bräuchten.
Tipp 5: Machen Sie aus Ihrer Führungskraft keinen Superhelden
Körber erwartet von seinen Mitarbeitern vor allem eines: Eine „Anpack-Mentalität“ und Selbstverantwortung. Die Mitarbeiter könnten nur das aus der Zusammenarbeit gewinnen, was sie auch bereit seien, hineinzugeben. Er wünscht sich deshalb vor allem offene Kommunikation.
Ellen Wagner sagt, sie kommuniziere ihrem Team, wenn ihr etwas schwerfalle. Sie erwarte von ihrem Team Rücksichtnahme auf ihre ADHS, im Gegenzug akzeptiere sie allerdings auch, dass ihre Mitarbeiter Stärken und Schwächen hätten.
Aufgaben, die niemand übernehmen will, verhandle sie im Team. Manchmal mit dem Ergebnis, dass eine Tätigkeit komplett ausgelagert werde. Deshalb ermuntere sie Mitarbeiter, genauso ehrlich zu kommunizieren, wenn ihnen eine Tätigkeit keinen Spaß mache.
Die Zusammenarbeit mit einer Führungskraft mit ADHS bedeute gleichzeitig immer, dass das Team Eigenverantwortung und -initiative mitbringen müsse. Mitarbeiter, die von ihrem Chef dauerhaft frustriert seien, sollten sich fragen: Wo ist meine Grenze? Denn nicht jeder Mitarbeiter könne unter einer Führungskraft mit ADHS wachsen.
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