Navigation überspringen
article cover
Premium

Mutmaßliche Sabotage: Sind die Nord-Stream-Pipelines noch zu retten?

Die drei Lecks an Nord Stream 1 und 2 lassen viele Fragen offen. Erste Aussagen über Chancen auf eine Reparatur und die Folgen für die Energieversorgung lassen sich aber treffen.

Noch immer sind viele Fragen offen, nachdem drei Lecks an den Pipelines Nord Stream 1 und 2 entdeckt worden sind: Was ist passiert? Wie war die Sabotage möglich? Welche Auswirkungen sind auf den Krieg in der Ukraine zu erwarten? Die Antworten auf die wichtigsten Fragen im Überblick.

Jetzt Handelsblatt Premium zum Vorteilspreis sichern - Zum Angebot

Lecks in Nord-Stream-Pipelines: Was ist passiert?

In den beiden Gasleitungen Nord Stream 1 und Nord Stream 2, die von Russland nach Deutschland führen, wurden mindestens drei Lecks entdeckt, wie die Betreibergesellschaft am Dienstag mitteilte. Sie treten in der Nähe der Ostseeinsel Bornholm teils in dänischen und teils in schwedischen Gewässern auf.

Bei Nord Stream 1 sollen beide Röhren betroffen sein, bei Nord Stream 2 eine oder beide, erfuhr das Handelsblatt aus russischen Branchenkreisen. Zuvor, in der Nacht auf Montag, war in einer der Pipelines ein ungewöhnlich starker Druckabfall festgestellt worden. Seismologen hatten da bereits Erderschütterungen in der Nähe der festgestellten Lecks registriert.

Wie war die Sabotage möglich?

Fest steht, dass es nach Aussage aus Schweden und Dänemark mehrere Explosionen gab, bei denen Teile der Pipelines zerstört wurden. Die Ursache wird nun untersucht. Nach Angaben von Militärs sind im Kern drei Angriffsszenarien denkbar: unter oder über Wasser oder über die Luft.

Zum Einsatz können sowohl bemannte wie auch unbemannte Militärfahrzeuge gekommen sein. „Weitgehend ausgeschlossen ist der Einsatz von Tauchern, da die Pipelines 70 bis 80 Meter tief unter der Meeresoberfläche liegen“, sagte ein Militär.

Was bleibt, sind U-Boote, Überwasserschiffe oder Flugzeuge und fliegende Drohnen. Russland operiert mit entsprechendem Gerät in der Ostsee. Das Meer wird zwar durch die Nato-Staaten intensiv überwacht, gerade nach dem Ausbruch des Ukrainekriegs.

Allerdings sei die Ostsee groß genug, um unerkannt größere Strecken zurücklegen zu können, sagte ein ranghoher Militär. Gerade U-Boote sind für diese Einsätze in der Ostsee mit ihrer vergleichsweise geringen Tiefe geeignet. Aber auch Flugobjekte können bei niedriger Höhe und entsprechender technischer Ausstattung den Nato-Spähern entgehen.

Nord Stream: Wer könnte die Pipelines sabotiert haben?

Westliche Sicherheitspolitiker wie Roderich Kiesewetter (CDU), Vize-Vorsitzender des Geheimdienstgremiums des Bundestags, machen mehr oder weniger Russland für die Explosionen verantwortlich. Ein mögliches Ziel könnte für ihn die Verunsicherung der Bevölkerung sein, um die Unterstützung für die Ukraine zu schwächen, wie er dem Handelsblatt sagte.

In Kreisen der Sicherheitsdienste wird die Sabotage als „stringent für die russische Kriegsführung“ bezeichnet. Bereits in Zeiten des Kalten Kriegs habe Moskau gezielte Angriffe auf westliche Infrastruktur trainiert, sagte ein Vertreter aus den Diensten. Auch in Polen, den USA und der Ukraine wird die Verantwortung bei Russland verortet.

Gegen Russland als Urheber spricht indes, dass drei von vier Rohren auf unbestimmte Zeit erst einmal unbrauchbar sind und als möglicher Transportweg von Gas nach Europa ausscheiden. Im Moment ruht der Transport zwar, allerdings hätte bei einem Friedensschluss der Export von Gas über Nord Stream wieder aufgenommen werden können. Dies hätte eine Option Moskaus für Europa sein können, eine Annäherung zu unterstützen, sagte ein Militär. „Die ist nun aber vom Tisch.“

Russland selbst hält eine mutwillige Sabotage für denkbar, schließt aber keine Variante – und damit auch einen Unfall – bisher aus. Laut russischen Kreisen geht Gazprom selbst von einem Anschlag auf die Röhren aus, da drei von vier Röhren innerhalb kurzer Zeit sabotiert wurden.

Das sei eine Katastrophe, hieß es. Als mögliche Urheber verweisen die Kreise auf die Ukraine, die mithilfe von Polen die Explosionen hervorgerufen haben könnte. Selbst wenn man diesen Ländern einen solchen Akt zutrauen würde, spricht gegen diese These, dass westliche Militärs weder Polen noch die Ukraine in der Lage sehen, solche Aktionen durchzuführen.

Russische Blogger verweisen zudem auf die USA. Am vergangenen Donnerstag hatte ein Flottenverband der US-Navy den Fehmarnbelt passiert. Die USA waren immer erklärte Gegner von Nord Stream. Wie es ihnen nutzen sollte, auf diese Weise die verbündeten Europäer zu verunsichern, ist aber völlig unklar.

An einer weiteren Eskalation mit Russland haben die USA kein Interesse. Dies gilt auch für Deutschland.

Wie groß ist der Schaden an Nord Stream und ist er reparabel?

Für den Bau der Unterwasser-Pipelines wurden hunderttausende Rohre mit Beton ummantelt. Die Stärke des Betonmantels variiert dabei zwischen 60 und 110 Millimetern. Mit der Ummantelung kommt jedes Rohr auf ein Gewicht von durchschnittlich 24 Tonnen. Das soll die Pipeline sicher auf den Meeresboden halten und vor äußeren Einwirkungen schützen. Auch der Einfluss von Salzwasser auf die Rohre wurde mit bedacht.

Bevor das erste Mal Erdgas durch die Verbindungen geflossen ist, wurden die Rohre einer sogenannten „Hydroprüfung“ unterzogen. Dafür ist die Pipeline einmal komplett mit Salzwasser geflutet worden. Anschließend wurde das Wasser mithilfe von Druck wieder aus den Rohren gepresst.

„Salzwasser kann den Rohren nichts anhaben, dafür sind sie ausgelegt“, bestätigt ein Sprecher des Stahlherstellers Salzgitter dem Handelsblatt. Der niedersächsische Industriekonzern war über seine Tochterfirma Europipe an der Herstellung der Rohre beteiligt.

Der dänische Verteidigungsminister Morten Bødskov sagte in Brüssel, da so viel Gas in den Leitungen sei, könne es eine oder zwei Wochen dauern, bis ausreichend Ruhe in dem Gebiet eingekehrt sei, um die Lecks in etwa 80 Metern Tiefe untersuchen zu können.

Ob die großen Löcher aber repariert werden können oder ein Austausch der entsprechenden Pipeline-Abschnitte nötig wäre, darüber ließe sich aktuell noch keine klare Aussage treffen. „Der gleichzeitige Zusammenbruch der drei Offshore-Pipelines des Nord-Stream-Systems an einem einzigen Tag ist ein beispielloser Vorgang“, teilte die Betreibergesellschaft Nord Stream am Dienstag mit.

„Es ist noch nicht möglich, einen Zeitrahmen für die Wiederherstellung der Gasinfrastruktur abzuschätzen.“ Eins steht allerdings fest: Irreparabel scheint der Schaden an den Nord-Stream-Rohren nicht zu sein.

Was bedeutet die Zerstörung für die Energieversorgung?

Die Bundesnetzagentur schätzt die Folgen des Ausfalls der beiden Pipelines für die deutsche Energieversorgung als vernachlässigbar ein. Denn bereits Anfang September hatte Russland seine Gaslieferungen über die Nord-Stream-Leitungen eingestellt.

Der russische Staatskonzern Gazprom stoppte seine Lieferungen durch die Röhre bereits mit dem Verweis auf einen Ölaustritt in der Kompressorstation Portowaja. „Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit sehen wir nicht“, stellte die Behörde klar.

Die Schadensmeldungen setzen allerdings den europäischen Erdgasmarkt unter Druck. Der europäische Future stieg am Mittwoch auf 211 Euro pro Megawattstunde (MWh) Erdgas.

Vor zwei Tagen hatte der Kurs noch bei 170 gelegen. Obwohl keine der beiden Pipelines derzeit Gas nach Europa liefert, wecken die Vorfälle anscheinend Bedenken hinsichtlich der Sicherheit der Gasinfrastruktur in der EU.

Gibt es Folgen für die Umwelt?

Gefahr für die Umwelt besteht nach Ansicht der Deutschen Umwelthilfe (DUH) nicht. Erdgas besteht zu großen Teilen aus Methan, einem stark klimaschädlichen Treibhausgas. Das Gros des nun austretenden Methans dürfte aber vom Meerwasser aufgenommen werden, sagte ein DUH-Sprecher. Selbst eine Gas-Explosion unter Wasser hätte allenfalls lokale Auswirkungen.

Welchen Einfluss hat die Sabotage auf den Ukrainekrieg?

Militärisch hat der Vorfall zunächst keine Auswirkung auf den Fortgang des Ukrainekriegs. Die ukrainischen Streitkräfte führen ihre Gegenoffensive unverändert fort und erobern weitere Teile ihres Landes zurück.

Sollte Russland aber für die Sabotage der Pipelines verantwortlich sein, dann dürfte die Ukraine noch stärker vom Westen unterstützt werden. Einige Außenpolitiker und Sicherheitsexperten sehen durch die Angriffe auf die Pipelines allerdings eine neue Eskalationsstufe im Krieg erreicht.

„Es scheint, dass wir in eine neue Phase des hybriden Krieges eintreten.“ Nato und EU sollten dies ernst nehmen und „entsprechend reagieren“, schrieb Lettlands Außenminister Edgars Rinkevics auf Twitter nach einem Telefonat mit seinem dänischen Amtskollegen Jeppe Kofod.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Dadurch können personenbezogene Daten an Drittanbieter weitergeleitet werden. Mehr Informationen dazu finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

Lecks in Nord-Stream-Pipelines: Wie reagieren Nachbarstaaten, EU und Nato?

Besonders besorgt zeigen sich die umliegenden Staaten mit Zugang zur Ostsee, darunter das Baltikum und Skandinavien. In allen nordeuropäischen Ländern sind mittlerweile Krisenstäbe einberufen worden.

Dänemarks Regierungschefin Mette Frederiksen geht von einem „Sabotageakt“ aus. Auch ihre schwedische Amtskollegin Magdalena Andersson spricht von „Sabotage“. Beide Länder haben die Sicherheitsvorkehrungen für wichtige Infrastruktur verstärkt.

Vor allem in Norwegen ist die Regierung äußerst beunruhigt. Als zweitgrößter europäischer Gas- und Ölexporteur besitzt das Land im Nordatlantik ein weitverzweigtes Pipelinenetz und unzählige Ölplattformen. „Wir befinden uns in einem großen Krieg“, erklärte Geir Hågen Karlsen von der Militärhochschule in Oslo.

Auch die Europäische Union und die Nato halten Sabotage als Ursache für wahrscheinlich und haben mit Gegenmaßnahmen gedroht. „Alle verfügbaren Informationen deuten darauf hin, dass diese Lecks das Ergebnis einer vorsätzlichen Handlung sind“, erklärte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am Mittwoch im Namen der 27 Mitgliedstaaten.

Jede vorsätzliche Störung der europäischen Energieinfrastruktur sei völlig inakzeptabel und werde „mit einer robusten und gemeinsamen Reaktion beantwortet werden“. Borrell nannte in der Erklärung keinen Verdacht, wer hinter einem möglichen Sabotageakt stecken könnte.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Dadurch können personenbezogene Daten an Drittanbieter weitergeleitet werden. Mehr Informationen dazu finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg schrieb in einem Beitrag auf Twitter ebenfalls von Sabotage. Dieses Thema habe er bei einem Treffen mit dem dänischen Verteidigungsminister Bødskov besprochen. Bei dem Gespräch sei es auch generell um den Schutz der kritischen Infrastruktur der Nato-Staaten gegangen.

Mutmaßliche Sabotage: Sind die Nord-Stream-Pipelines noch zu retten?

Premium

Diese Inhalte sind für Premium-Mitglieder inklusive

Der Zugang zu diesem Artikel und zu vielen weiteren exklusiven Reportagen, ausführlichen Hintergrundberichten und E-Learning-Angeboten von ausgewählten Herausgebern ist Teil der Premium-Mitgliedschaft.

Premium freischalten

Handelsblatt - das Beste der Woche schreibt über Substanz entscheidet

Das Handelsblatt ist das führende Wirtschaftsmedium in Deutschland. NEU: Diese Seite bietet Premium-Mitgliedern eine Auswahl der besten Artikel vom Handelsblatt direkt hier und als wöchentliche Zusammenfassung per Mail. Rund 200 Redakteure und Korrespondenten sorgen rund um den Globus für eine aktuelle, umfassende und fundierte Berichterstattung. Über Print, Online und Digital kommunizieren wir täglich mit rund einer Million Leserinnen und Lesern.

Artikelsammlung ansehen