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Nach Auswertung von 600.000 Kassenbons: So stark belasten teure Lebensmittel die Deutschen

Die gestiegenen Preise übersteigen das Lebensmittelbudget vieler Haushalte um einen dreistelligen Betrag. Das Ausweichen auf Discounter bringt keine Entlastung.

Düsseldorf. Angesichts der deutlich gestiegenen Preise in den Supermärkten können sich viele Verbraucher in Deutschland den Lebensmitteleinkauf kaum noch leisten. Das zeigt eine Untersuchung von mehr als 600.000 Kassenbons, die das Marktforschungsunternehmen Smhaggle exklusiv für das Handelsblatt ausgewertet hat.

Nach diesen Zahlen lagen die durchschnittlichen Ausgaben für Lebensmittel eines Haushalts im Juni bereits 103 Euro über dem Budget, das ihm nach Angaben des Statistischen Bundesamts eigentlich für Lebensmitteleinkäufe zur Verfügung stand. Damit ist der Fehlbetrag fast doppelt so hoch wie im April, als die Ausgaben bereits 59 Euro über dem Budget lagen.

In Relation gesetzt werden die Ausgaben für Lebensmittel zum verfügbaren Einkommen. Laut Statistischem Bundesamt liegt das durchschnittliche Haushaltsnettoeinkommen bei 3661 Euro pro Monat. Davon werden 15,4 Prozent, also 556,25 Euro, für Lebensmittel, Getränke und Tabakwaren ausgegeben.

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Inflation in Deutschland belastet Menschen mit niedrigem Einkommenn

Besonders dramatisch wird dadurch die Situation für die unteren Einkommensklassen, deren verfügbares Budget zum Teil deutlich unter diesem Durchschnitt liegt. „Die Zahlen zeigen, dass bereits Haushalten mit durchschnittlichem Einkommen gegen Ende des Monats kein Geld mehr für Lebensmitteleinkäufe zur Verfügung steht. In der Regel können sie aufgrund der allgemein angestiegenen Kosten kaum noch Budgets umlenken“, sagt Sven Reuter, Vorstandschef von Smhaggle.

Entsprechende Umfragen unter Konsumentinnen und Konsumenten hatten bereits deutlich gemacht, dass Familien in hohem Maße durch die steigenden Lebensmittelpreise belastet sind. So sagten in einer Umfrage des Marktforschers Mintel 71 Prozent der Familien mit Kindern in Deutschland, dass sie von steigenden Lebensmittelpreisen betroffen sind. Im Konsummonitor des Handelsverbands HDE gaben viele Verbraucher an, dass sie deswegen gezielt nach Sonderangeboten schauen oder bei einigen Produkte auf den Kauf verzichten.

Quelle: smhaggle
Quelle: smhaggle

Doch wie hart die Belastung für viele Haushalte wirklich ist, belegen nun erstmals die Zahlen von Smhaggle. Die Untersuchung stützt sich auf Kassenbons, die die Verbraucher abfotografiert haben, und bildet damit die tatsächlich bezahlten Preise ab.

Aldi und Lidl: Einkauf beim Discounter nicht billiger

Der Preisanstieg bei Lebensmitteln hatte schon Ende vergangenen Jahres begonnen, doch erst in diesem Jahr richtig Fahrt aufgenommen. So lagen die Ausgaben für Lebensmittel in November 2021 nach den Zahlen von Smhaggle noch deutlich unter dem verfügbaren Budget. Im März lagen sie dann erstmals darüber und steigen seitdem weiter stark.

„Rund 50 Prozent der Deutschen haben seit Monaten massive Probleme, sich ihre Lebensmittel leisten zu können“, erklärt Smhaggle-Chef Reuter. Im Juni sei im Schnitt das zur Verfügung stehende Budget bereits am 25. des Monats ausgegeben gewesen.

Auch ein Ausweichen auf Discounter hilft den Verbrauchern nicht, denn sie sind nach den Auswertungen von Smhaggle bei den vergleichbaren Produkten nicht billiger. „Viele Konsumenten haben den Eindruck, dass sie lediglich bei Discountern günstiger einkaufen können“, sagt Reuter. „Doch das ist eine Fehleinschätzung.“ Die Zahlen von Smhaggle könnten das nicht bestätigen.

Bei Supermärkten sei nur die Auswahl an Markenprodukten größer, erklärt Reuter, was zu zusätzlichen Ausgaben verführe. Denn die Markenprodukte seien in der Regel mehr als ein Drittel teurer als vergleichbare Eigenmarkenartikel.

Aldi setzt die Preise im Markt

Experten zufolge setzt Aldi die Preise. Die Preissteigerungswelle im Markt in diesem Jahr war erst richtig gestartet, nachdem Aldi die Preise erhöht hatte. Und das dürfte so weitergehen. „Der Discount ist der Impulsgeber für die Preise im Markt“, sagt Chehab Wahby, Konsumgüterexperte der Unternehmensberatung EY Parthenon. „Die Discounter werden kontinuierlich Preise anheben im Eigenmarkenbereich und bei Markenartikeln“, prognostiziert er.

Eine Umfrage des Wirtschaftsforschungsinstituts Ifo bestätigt das. Danach will fast jeder Händler für Nahrungs- und Genussmittel seine Preise erhöhen. Die sogenannten Preiserwartungen liegen demnach bei 98,9 Punkten und damit nur knapp unter dem theoretischen Maximalwert von 100.

Sowohl bei Markenartikeln wie auch bei den Eigenmarken der Lebensmittelhändler sind die Preise gestiegen. - (Foto: IMAGO/Wolfgang Maria Weber)
Sowohl bei Markenartikeln wie auch bei den Eigenmarken der Lebensmittelhändler sind die Preise gestiegen. - (Foto: IMAGO/Wolfgang Maria Weber)

Dass solche Einigkeit unter den Händlern herrscht, ist keine Überraschung. Auch Rewe-Chef Lionel Souque hatte im Frühjahr klar gesagt, dass sich die Supermarktkette bei den 400 Produkten ihrer Eigenmarke „ja“ eins zu eins an den Preisen von Aldi orientiert. Auch bei Markenprodukten, die der Discounter ebenfalls im Sortiment hat, sei Aldi die Messlatte für die Preise.

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Preise von Eigenmarken steigen stark

Die Preissteigerungen schlagen sich auch schon deutlich in den Zahlen des Statistischen Bundesamts nieder. Danach lag die Teuerung im Juni bei Nahrungsmitteln im Vergleich zum Vorjahresmonat bereits bei 12,7 Prozent.

Um die Kundinnen und Kunden weiter in den Laden zu locken, werben die Supermarktketten stark mit Sonderangeboten bei einzelnen Artikeln und betonen, dass ihre Eigenmarken so günstig wie bei Aldi und Lidl seien. Edeka etwa wirbt in seiner aktuellen Kampagne mit dem Slogan: „In jedem Edeka steckt ein Discounter.“ Über das ganze Sortiment hinweg gebe es 7000 Artikel zum Discountpreis.

Die Wahrheit ist jedoch auch, dass gerade bei Eigenmarken die Preise häufig besonders stark gestiegen sind. Schließlich stehen die Eigenmarken-Produzenten unter dem gleichen Kostendruck.

Und manch ein Händler holt sich durch Preiserhöhungen bei Eigenmarken etwas von der Marge zurück, auf die er bei Markenprodukten wegen der harten Konkurrenz verzichten muss.

Auch das zeigen stichprobenartige Erhebungen von Regalpreisen beliebter Produkte durch Smhaggle. So kosteten beispielsweise 500 Gramm Hackfleisch unter Eigenmarke im Juli 2021 im Schnitt 2,99 Euro. Im Juli 2022 liegt der Preis schon bei 4,59 Euro, was eine Preissteigerung von 53,5 Prozent bedeutet.

Kerrygold-Butter und Leibniz-Butterkeks: Inflation trifft auch Markenartikel

Aber auch viele Markenartikel sind im selben Zeitraum im Schnitt deutlich teurer geworden:

  • So stieg etwa der Preis für ein Pfund Kerrygold-Butter im Schnitt um 40,2 Prozent auf 3,49 Euro.

  • Eine 150-Gramm-Packung Leibniz Butterkeks legte um 20,2 Prozent auf 1,19 Euro zu.

  • H-Milch von Weihenstephan mit 3,5 Prozent Fettanteil um 15,5 Prozent auf 1,49 Euro.

Das Problem: Während Kunden, die bislang eher Markenartikel gekauft haben, durch den Umstieg auf Eigenmarken ihre Ausgaben erheblich reduzieren können, haben die einkommensschwachen Haushalte keine Alternative. „Wer bisher schon auf Preiseinstiegsartikel angewiesen war, den treffen die Preiserhöhungen mit voller Wucht“, so Smhaggle-Chef Reuter. „Ein preisliches Ausweichen auf eine günstigere Alternative ist hier nicht weiter möglich.“

Offenbar dämmert jetzt auch den Händlern, dass sie viele ihrer Kunden mit den jüngsten Preissprüngen überfordert haben. So hat Aldi in dieser Woche die Preise für Frischfleisch wieder etwas gesenkt. Als Erster hat Edeka sofort angekündigt nachzuziehen.

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