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Neue Studie sagt Absturz des Elektroauto-Markts voraus

Deutschland ist zum größten Absatzmarkt für neue E-Autos nach China aufgestiegen. Doch demnächst könnten sich die Verkäufe halbieren, weil Berlin die Regeln ändert.

Der Boom von Elektroautos in Deutschland könnte bald enden. Schon jetzt ebbt das Wachstum von reinen Stromern (BEV) und Plug-in-Hybriden (PHEV) merklich ab. Die Zuwachsrate liegt aktuell bei 4,5 Prozent – nach 73 Prozent im Vorjahr. 2023 und 2024 dürfte der Markt sogar deutlich schrumpfen. Das prognostiziert das Center Automotive Research (CAR) in einer neuen Studie, die dem Handelsblatt exklusiv vorliegt.

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Demnach werden sich die Verkäufe von reinen Elektroautos und Plug-in-Hybriden in den kommenden beiden Jahren halbieren. Statt 720.000 Neuwagen mit Akku werde die Industrie 2023 nur noch 484.000 Fahrzeuge ausliefern können und 2024 lediglich 363.000 Einheiten. Der Marktanteil von Stromern, gemessen an den Neuzulassungen, könnte von derzeit 27 auf zwölf Prozent abstürzen.

„In Deutschland kündigt sich für das Elektroauto eine Dürrezeit an“, konstatiert CAR-Direktor Ferdinand Dudenhöffer. Ursächlich dafür dürften vor allem die reduzierten Zuschüsse vom Bund sein, die ab nächstem Jahr gelten. Stefan Penthin, Automotive-Chef von Bearing Point, rechnet in diesem Zusammenhang mit einem „Rückgang in den Bestellungen von 20 bis 30 Prozent“.

Bisher nur 600.000 reine Elektroautos in Deutschland

Damit gerät ein Ziel in Gefahr, das die Ampelkoalition sich im Koalitionsvertrag gesetzt hat: Bis zum Jahr 2030 sollen 15 Millionen Elektroautos über Deutschlands Straßen rollen. Im aktuellen Bestand weist das Kraftfahrtbundesamt gerade mal 618.500 reine Elektroautos und 566.000 Plug-in-Hybride aus. Um das Ziel zu erreichen, müsste der elektrische Anteil in den kommenden Jahren eigentlich massiv steigen.

Doch nun kappt Berlin die bisher üppige Förderung – und alarmiert die Branche. „Die Bundesregierung sendet völlig widersprüchliche Signale“, sagte Hildegard Müller, Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie (VDA), dem Handelsblatt. Sicher ist: Der Hochlauf von Elektroautos ist „ganz eng“ mit der Förderung, dem Umweltbonus, verknüpft, heißt es bei der Deutschen Automobil Treuhand (DAT).

Elektroautos in Deutschland: Plug-in-Hybride im freien Fall

Seit 3. Juni 2020 wird der Erwerb von reinen Stromern mit bis zu 9000 Euro gefördert und jener von Plug-in-Hybriden mit bis zu 6000 Euro. Die Autohersteller übernehmen anteilsmäßig maximal 3000 Euro bei diesen Kaufprämien.

Vor allem dank der üppigen Förderung hatten sich die Verkäufe von elektrischen und teilelektrischen Modellen hierzulande seit 2019 mehr als versechsfacht. Die Fördermaßnahmen von Bund und Industrie haben dazu geführt, dass Deutschland nach China zum größten Absatzmarkt für Neuwagen mit Akkuantrieben aufgestiegen ist. Auf den Boom dürfte nun allerdings der Einbruch folgen.

Am 9. Dezember will die Bundesregierung aber eine neue Richtlinie für die Kaufprämie veröffentlichen, bei der die staatlichen Zuschüsse deutlich sinken dürften. Der staatliche Anteil für reine Elektroautos wird ab dem kommenden Jahr voraussichtlich auf maximal 4500 Euro sinken und ein Jahr später auf maximal 3000 Euro. Die Förderung für Plug-in-Hybride wird komplett gestrichen.

Besonders der Absatz von Plug-in-Hybriden könnte so in den kommenden zwei Jahren weitgehend zum Erliegen kommen. Die Fabrikate, deren Hauptmerkmal zwei Motoren unter der Haube sind, wurden von deutschen Autobauern wie Audi, BMW oder Mercedes-Benz lange Zeit stark forciert.

Nun scheint diese Technik ihren Zenit überschritten zu haben. „Das Thema ist durch“, heißt es in Branchenkreisen. Schon 2023 dürften die Neuwagenverkäufe der teilelektrischen Modelle um 71 Prozent einbrechen – auf 94.000 Fahrzeuge. Und 2024 rechnet das CAR-Institut mit einem weiteren Absatzminus von über einem Drittel.

Gedrosselt: 1500 Euro weniger Prämie zahlt der Staat voraussichtlich vom kommenden Jahr an für ein reines Elektroauto. Die Förderung für Plug-in-Hybride wird komplett gestrichen.

Bei rein elektrischen Baureihen wird der Einbruch zwar voraussichtlich nicht ganz so heftig ausfallen. In einem ersten Schritt dürften die Verkäufe im kommenden Jahr stagnieren. 2024 könnten dann aber auch die Neuzulassungen von reinen Stromern um fast ein Viertel zurückgehen. In absoluten Zahlen wären das rund 90.000 Fahrzeuge weniger als noch 2021 und 2022.

Schließlich sollen auch die Anforderungen für die Prämie härter werden: Die Mindesthaltedauer soll von sechs auf zwölf Monate verlängert werden, um Exporte unattraktiver zu machen. In großer Zahl hatten Käufer die Prämie kassiert, die Elektroautos dann aber nach einem halben Jahr ins Ausland verkauft. Die Absatzzahlen gelten deshalb schon jetzt als verzerrt – viele verkaufte Elektroautos tauchen im Bestand nicht mehr auf.

Elektroautos: Auszahlung des Umweltbonus wird beschränkt

Ab September 2023 wird die Auszahlung des Umweltbonus zudem auf Privatpersonen beschränkt; Autovermieter beispielsweise gehen dann leer aus. Der Prämientopf ist darüber hinaus mit 2,5 Milliarden Euro gedeckelt. Doch dieses Budget könnte bereits Ende 2023 aufgebraucht sein. Dann dürfte ein Elektroauto den Kostenvergleich mit dem Verbrenner verlieren.

Ohne den Umweltbonus rechne sich die Anschaffung eines Elektroautos kaum noch, heißt es in der Branche. Das gelte insbesondere bei kleineren Modellen. So kostet beispielsweise der günstigste Fiat 500 als Benziner aktuell 16.990 Euro. Der Einstiegspreis für die batterieelektrische Version des Klassikers liegt dagegen bei stolzen 30.990 Euro. Selbst mit Kaufprämie unterscheiden sich die Preise der beiden Antriebe beim Fiat 500 um 5000 Euro, ohne Förderung klafft sogar eine Lücke von 14.000 Euro.

Die Autohersteller bemühen sich zwar, günstigere Elektroautos auf den Markt zu bringen, entsprechende Modelle lassen aber auf sich warten. So kündigte Skoda-Chef Klaus Zellmer im Interview mit dem Handelsblatt an, die Investitionen zu erhöhen und die Elektrowende zu beschleunigen. „Unsere Zielsetzung ist ambitionierter geworden“, sagte Zellmer. So soll die Einführung eines elektrischen Kleinwagens, der voraussichtlich für weniger als 25.000 Euro angeboten werden soll, von 2030 um vier Jahre vorgezogen werden – er wird aber auch so erst 2026 zu kaufen sein.

Auf den Absatz von elektrischen Premiumlimousinen und SUVs haben die gekappten Subventionen wohl keine Auswirkungen. Modelle wie der Porsche Taycan, der Mercedes EQS oder der BMW i7 erfüllen die Kriterien für die Gewährung von Zuschüssen schon heute nicht. Diese Baureihen stehen allerdings auch nur für einen Bruchteil der gesamten Verkäufe von batterieelektrischen Pkw.

Nicht nur in Deutschland ist der Ausblick für Elektroautos verhalten

Geringere Subventionen sind ohnedies längst nicht der einzige Faktor, der das Wachstum von Elektroautos ausbremst. Hohe Strompreise, steigende Zinsen und erhebliche Preissteigerungen bei wichtigen Batteriematerialien wie Lithium, Nickel, Kobalt, Mangan oder Phosphor sind in geringerem Maße ebenso für die Entwicklung verantwortlich.

Hinzu kommt, dass selbst die Produktion von Lithium-Ionen-Akkus gerade wieder teurer wird, etwa infolge der energieintensiven Trocknungsprozesse bei der Herstellung von Elektroden.

Nicht nur in Deutschland ist der Ausblick für Elektroautos verhalten. Auch global zeichnet sich eine „Verlangsamung“ des Wachstums bei den Neuzulassungen im kommenden Jahr ab, erklärt Phoebe O’Hara, Autoexpertin bei Fitch Solutions. „Dies ist mehrheitlich auf den wirtschaftlichen Gegenwind, den Inflationsdruck und die hohen Zinsen zurückzuführen, die das Interesse der Verbraucher in allen Branchen sinken lassen.“

Die Analystin geht zudem davon aus, dass die Förderung von Elektroautos in China Anfang Dezember 2023 ausläuft. Da die Volksrepublik der größte Absatzmarkt für Pkw weltweit ist, dürften sich die Verkäufe von Elektroautos folglich auch global gesehen etwas verlangsamen. Langfristig ist O’Hara aber optimistisch, dass der Absatz von Stromern wieder spürbar anziehen wird – nicht zuletzt weil immer mehr Städte Verbrenner mit einem Einfahrverbot belegen wollen.

Darüber hinaus sind die Autobauer gerade in der EU gezwungen, in den kommenden Jahren mehr und mehr Elektroautos zu verkaufen, um die immer strengeren Flottenziele zum Ausstoß von klimaschädlichem Kohlendioxid einhalten zu können. Die Hersteller weiten daher sukzessive ihre Palette an Modellen mit elektrischen Antrieben aus. Parallel wird die Anzahl der Verbrenner reduziert.

Geboostert: 7500 Dollar sollen Elektroautokäufer in den USA ab 2023 kassieren.

CAR-Direktor Dudenhöffer rechnet allerdings zunächst mit „Jahren des Stillstands“ bei der Antriebswende. Frühestens 2025 sei wieder mit steigenden Auslieferungen von Elektroautos in Deutschland zu rechnen. Erst dann kämen nämlich neue Kapazitäten für die Herstellung von Lithium-Ionen-Zellen in Europa ans Netz. Und erst dann könnten in der Fertigung von Elektroautos größere Skaleneffekte geltend gemacht werden.

Autoindustrie: Boom bei Elektroautos in den USA

Anders sieht die Situation in den USA aus. Dort zeichnet sich ein Boom bei Elektroautos ab. Nicht zuletzt, weil die Batteriefahrzeuge mit 7500 Dollar über Steuergutschriften bezuschusst werden, sofern die Endmontage und die Produktion wichtiger Vorprodukte in den Vereinigten Staaten erfolgt. So sieht es der Inflation Reduction Act (IRA) vor, mit dem US-Präsident Joe Biden nachhaltige Technologien fördern will.

„Ein Blick über die Landesgrenzen zeigt: Andere Länder beweisen mehr Weitsicht bei der Transformation und halten an der Förderung fest“, mahnt VDA-Präsidentin Müller. „Frankreich zum Beispiel hat die Förderung für E-Autos zuletzt sogar erhöht.“

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