„Nicht zu ersetzen“ – So abhängig ist die deutsche Wirtschaft von russischem Erdöl

Die USA stoppen den Kauf von russischem Öl und Gas. Sollte Europa nachziehen, drohen etwa Raffinerien oder Chemiekonzernen große Probleme.

In deutschen Energieunternehmen laufen die Überlegungen auf Hochtouren: Wie lässt sich Erdöl aus Russland ersetzen? Von heute auf morgen gar nicht, ist die einhellige Antwort. Trotzdem müssen sich die Firmen genau auf diesen Fall einstellen.

Am Dienstag haben die USA angekündigt, den Import russischer Energielieferungen zu stoppen. Auch die Ölkonzerne Shell und BP werden künftig weder Gas noch Öl aus Russland kaufen. Dabei könne es in einigen Raffinerien zu reduzierter Produktion kommen, warnte Shell.

Jetzt Handelsblatt Premium zum Vorteilspreis sichern - Zum Angebot

Weil Russland jedoch einer der größten Erdölproduzenten der Welt ist, schränkt diese Entscheidung die Konzerne in ihrem Geschäft massiv ein. Zusätzliche Produkte bietet Shell in Deutschland deswegen bereits seit Montag nicht mehr im Großhandel an. Von jetzt an wird nur noch beliefert, wer einen festen Vertrag hat. Die Versorgung sei jedoch weiterhin sichergestellt, betont Shell.

Sollte sich der russische Präsident Wladimir Putin aber entscheiden, die Lieferungen von heute auf morgen einzustellen, oder sollte die Europäische Union ihrerseits die Einfuhr stoppen, stehen Raffinerien, Chemiekonzerne und Energieunternehmen vor einem großen Problem. Erdöl ist der mit Abstand wichtigste Primärenergieträger in Deutschland. Zugleich ist das Land einer der zehn größten Verbraucher von Mineralöl weltweit.

Der Großteil des Öls wird im Transportsektor als Treibstoff verwendet, zum Heizen oder als Grundstoff in der Industrie. Während die Heizsaison ihrem Ende zugeht, sind Verbraucher und Unternehmen das ganze Jahr auf Benzin, Diesel und Rohöl angewiesen.

Unternehmen reduzieren Öl-Importe aus Russland bereits

Dabei hängt die deutsche Wirtschaft derzeit von Russland ab. 36 Prozent aller Öl-Importe kommen aus Sibirien, der Rest aus Norwegen, Großbritannien und einem Dutzend anderer Länder. Zwar ist die Abhängigkeit damit nicht so hoch wie beim Erdgas. Aber auch russisches Öl lässt sich nicht ohne Weiteres ersetzen.

Schon vor dem Krieg sei das Angebot auf dem Weltmarkt knapp gewesen, heißt es aus Industriekreisen. Die Zurückhaltung vieler Händler beim Kauf von russischem Öl sorgt nun dafür, dass sich die Situation weiter zuspitzt. Raffinerien würden ihren Durchsatz teilweise schon drosseln, berichtet ein Branchen-Insider. Es gebe einfach nicht genug Öl.

Seit Wochen versuchen Unternehmen, die Mengen aus Russland zu reduzieren. So hat die Mineralölwirtschaft die Einfuhren von russischem Diesel heruntergefahren. Vier Millionen Tonnen und damit insgesamt fast zwölf Prozent des hierzulande verbrauchten Diesel-Kraftstoffes hatte Deutschland noch im vergangenen Jahr aus Russland eingeführt.

Die kurzfristige Beschaffung ist zwar weitgehend machbar, aber teuer. Der Preise für ein Barrel (159 Liter) der Nordseesorte Brent lag am Dienstag bei fast 130 US-Dollar. Das Ergebnis bekommen Autofahrer jetzt zu spüren: Mehr als zwei Euro kostet der Liter Diesel an der Tankstelle und ist damit sogar teurer als Benzin.

Während Verbraucher tiefer in die Tasche greifen müssen, stehen einige Unternehmen vor einer noch größeren Herausforderung, etwa die beiden Raffinerien von PCK im brandenburgischen Schwedt und die von Total in Leuna in Sachsen-Anhalt. Beide zählen mit zu den größten Ölverarbeitungsstätten hierzulande.

Sie beziehen ihr Rohöl ausschließlich aus Russland über die Tausende von Kilometern lange Druschba-Pipeline. Bislang fließe hier das Öl wie gewohnt weiter, sagt eine Sprecherin der PCK-Raffinerie. Sollten Embargos aber tatsächlich kommen, ist das russische Öl nicht komplett zu ersetzen. Auf dem Schiffsweg aus Rostock könne nur die Hälfte des Öls in die Raffinerie transportiert werden, heißt es aus Industriekreisen. Das sei schlicht ein Mengenproblem. Bei Total in Leuna sieht es ähnlich aus.

Selbst Raffinerien, die nur 15 Prozent ihres Öls aus Russland beziehen, machen sich mittlerweile Sorgen. Man habe zwar noch Lieferverträge, aber „wenn wir die bestellten Mengen aus irgendwelchen Gründen nicht kriegen, stellt uns das vor Probleme“, berichtet ein Mittelständler, der nicht genannt werden möchte. Die Probleme seien vor allem finanzieller Art.

Russisches Erdöl ist nicht vollständig zu ersetzen

„Eine derartig große Energiemenge in kurzer Zeit zu ersetzen ist extrem anspruchsvoll und nicht vollständig realisierbar“, erklärt auch der Mineralölverband Fuels und Energie.

Vom russischen Importrohöl kommen zwei Drittel über die Druschba-Pipeline nach Ostdeutschland. Ein Drittel gelangt über den Seeweg, etwa über Rotterdam, ins Land und wird über Pipelines zu den Raffinerien im Westen und Süden verteilt. Hier ist eine Umstellung auf Ölimporte aus anderen Ländern vergleichsweise einfach möglich, nimmt aber Zeit in Anspruch. Shell rechnet mit Problemen in seiner Lieferkette, die mehrere Wochen dauern könnten.

Wirkliche Engpässe sehen Abnehmer wie der Chemieriese BASF zurzeit aber noch nicht. Für die Chemieindustrie ist Öl der mit Abstand wichtigste Rohstoff: Daraus wird in Raffinerien das Rohbenzin Naphtha gewonnen, das wiederum Ausgangsstoff für die meisten Chemikalien und Kunststoffe ist. Annähernd 13 Millionen Tonnen Rohbenzin verbraucht die deutsche Chemie jährlich.

Europaweit stammt gut die Hälfte der Naphtha-Importe aus russischen Ölquellen, schätzt der Marktforscher ICIS. Zahlen für Deutschland gibt es nicht, doch kann hier BASF als Maßstab gelten. Der Konzern kauft sein Öl am internationalen Markt ein. Zwischen 20 und 30 Prozent der gesamten Naphtha-Menge komme aus Russland, erklärt das Unternehmen.

Sollte es zu Engpässen kommen, werden man mit „den Lieferanten alle notwendigen Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Versorgung ergreifen“. Soll heißen: BASF ist zuversichtlich, den Ausfall russischer Lieferungen kompensieren zu können. So hat sich der Konzern auch bereits gegenüber Analysten geäußert.

Doch selbst wenn die Versorgung gesichert bleibt: Die Schockwellen durch das teure Öl werden sich durch die gesamte Chemiekette ziehen. Schon vor Kriegsbeginn war der Preis für Naphtha seit Mitte 2021 um rund 40 Prozent gestiegen. Die Furcht vor dem Wegfall russischer Lieferungen hat den chemischen Grundstoff weiter verteuert – aktuell ist er 82 Prozent teurer als Mitte 2021. Mit dem US-Embargo dürften die Preise nun weiter anziehen.

Schließlich ist Russland der drittgrößte Ölproduzent der Welt und der zweitgrößte Exporteur. Ohne russisches Öl und zusätzliche Mengen von den Erdöl fördernden Staaten (Opec) verknappt sich das Angebot weiter. Russlands Vize-Ministerpräsident Alexander Nowak warnte am Montagabend vor einem Ölpreis von mehr als 300 Dollar je Barrel.

Handelsblatt - das Beste der Woche schreibt über Substanz entscheidet

Das Handelsblatt ist das führende Wirtschaftsmedium in Deutschland. NEU: Diese Seite bietet Premium-Mitgliedern eine Auswahl der besten Artikel vom Handelsblatt direkt hier und als wöchentliche Zusammenfassung per Mail. Rund 200 Redakteure und Korrespondenten sorgen rund um den Globus für eine aktuelle, umfassende und fundierte Berichterstattung. Über Print, Online und Digital kommunizieren wir täglich mit rund einer Million Leserinnen und Lesern.

Artikelsammlung ansehen