Mittagsschlaf im Büro? Japanern gelingt das viel besser als den Deutschen. Diese Kissen sollen dabei angeblich helfen. - (Bild: Presse)
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Powernapping: Nicht länger als 20 Minuten – und kurz zuvor einen Kaffee

Dass der Mittagsschlaf Aufmerksamkeit und Konzentration erhöht, ist längst erwiesen. Trotzdem tun sich die Deutschen schwer mit dem Powernap. Ein Blick nach Japan könnte helfen.

Eigentlich passen Kaffee und Schlaf nicht zusammen. Aber in Japan hat der Nestlé-Konzern aus dieser Kombination ein erfolgreiches Geschäftskonzept geschmiedet. Im Tokioter Trendviertel Harajuku können ermattete Menschen im „Nescafé Suimin Café“ – Suimin bedeutet Schlaf – auf einem Liegestuhl oder Sofa in einer gedämmten Kabine für umgerechnet sechs Euro ein halbstündiges „Kaffee-Nickerchen“ machen.

Zunächst trinken die Kunden einen Kaffee aus der bereitgestellten Maschine, dann machen sie für 15 bis 20 Minuten die Augen zu. „Das Koffein erreicht nach 20 bis 30 Minuten den höchsten Wert im Blut“, erläutert der Schlafforscher Mitsuo Hayashi von der Universität Hiroshima. „Durch diese Verzögerung kann der Kaffee nach dem Aufwachen die Schlaftrunkenheit vertreiben.“

Der japanische Experte empfiehlt für eine schnelle körperliche und geistige Erholung besonders einen kurzen Mittagsschlaf. „Der Mensch ist mittags physisch und psychisch weniger leistungsfähig, die Körpertemperatur ist niedriger, und er schläft schnell ein“, bestätigt Deutschlands bekanntester Schlafforscher Jürgen Zulley. Der Tagschlaf überbrücke nicht nur diese müde Zeit, sondern steigere anschließend auch die Leistung. „Nach einem Nickerchen wird schneller reagiert, aufmerksamer und konzentrierter gearbeitet und die Betreffenden sind besser gelaunt als die Kollegen ohne Mittagsschlaf“, erläutert Zulley.

Und doch ist der Mittagsschlaf in deutschen Büros verpönt. Die Meldung eines indischen Start-ups, da seinen knapp 700 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ein Nickerchen zwischen 14 und 14.30 Uhr verordnet, weckt bei den meisten Menschen zwischen Kiel und Kempten dann auch Neid – und Interesse: Warum wird der Mittagsschlaf anderswo so sehr geschätzt? Was gewinnen die Menschen dadurch? Und wie schaffen sie es, in aller Öffentlichkeit fast wie auf Knopfdruck einzunicken, aber auch rechtzeitig wieder aufzuwachen?

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In den Schlaf massiert

Nirgendwo lassen sich diese Fragen besser beantworten als in Japan. Dort schämen sich die Menschen kein bisschen, in der Öffentlichkeit einzuschlafen. In den S- und U-Bahnen kippen beim Einnicken immer wieder Köpfe auf die Schultern der Sitznachbarn, mit denen man sonst kein Wort wechselt. In den Büros legen Angestellte ihr müdes Haupt auf dem Schreibtisch ab oder dösen nach dem Kantinenessen auf ihrem Stuhl ein. Schüler und Studenten dämmern auf ihren Pulten weg, Abgeordnete schlummern in Parlamentsdebatten vor sich hin, Manager schließen in Konferenzen die Augen. Ein verblüffendes Bild zeigt sich in den großen Kaufhausabteilungen mit Schlafhilfen wie bananenförmigen Umarmungskissen, Augenmasken mit kühlendem Gel und zahlreichen Massagesesseln. Darin sitzen mittags viele Angestellte und lassen sich sanft in ein kleines Schläfchen massieren.

Viele Unternehmen erlauben dann auch das Nickerchen direkt am Arbeitsplatz. Beim App-Entwickler Gaiax zum Beispiel können die Angestellten in einem separaten Ruhezimmer mit Matratzen auf dem Boden ihre Augen schließen. Beim Internetkonzern GMO steht ein Raum voller Sofas für Powernapping bereit. In der Zentrale des Getränkekonzerns Dydo in Osaka zelebrieren die Mitarbeiter nach dem Mittagessen ein „Koffein-Schläfchen“ mit dem hauseigenen Dosenkaffee. Die Großstadt Fukuoka verteilte Tausende kostenloser Decken mit der Aufschrift „Jetzt aufladen“ an Unternehmen, die ihren Mitarbeitern einen Mittagsschlaf gönnen wollen. Die Hilfe beim Einschlafen wird auch als Dienstleistung angeboten. In den Salons der Kette Raffine zum Beispiel lassen sich die Kunden auf atmungsaktiven Matratzen in den Schlaf kneten. Beim „Sommer-Tiefschlaf-Plan“ kosten die ersten 20 Minuten umgerechnet 16 Euro. Das Studio Recovery O4 im Einkaufsviertel Ginza in Tokio erzeugt durch blaues Licht und Nanonebel eine ähnlich entspannende Atmosphäre wie beim Waldspaziergang. Die Kunden entspannen sich in speziellen Liegesesseln.

Viele Ausländer wundern sich über diese Kultur des öffentlichen Kurzschlafens. Dabei herrscht – einerseits – auch in Japan die Überzeugung, dass wenig Schlafen ein Zeichen von persönlicher Härte gegen sich selbst ist. Der japanische Ausdruck „kein Schlaf und keine Pause“ bedeutet, dass man mit vollem Einsatz und ohne Rücksicht auf die eigene Gesundheit arbeitet. Das Nichtstun ist also ähnlich verpönt wie in Deutschland mit seinem protestantischen Leistungsdenken.

Auf der anderen Seite aber bekommen die Japaner während der Nacht einfach nicht genug Schlaf. Laut einer Umfrage des Gesundheitsministeriums unter 1400 Japanern schlief etwa 2020 jeder Dritte weniger als sechs Stunden täglich, bei einem weiteren Drittel dauert die Nacht nur zwischen sechs und sieben Stunden. Laut einer früheren Untersuchung der amerikanischen National Sleep Foundation begeben sich die Japaner im Schnitt nachts nur für sechs Stunden und 22 Minuten ins Reich der Träume. Und einer dritten Umfrage zufolge geht die Mehrheit der Bevölkerung erst nach ein Uhr ins Bett, zwei Stunden später als vor dem Zweiten Weltkrieg. Zugleich müssen viele Erwerbstätige wegen der weiten Entfernungen zum Arbeitsplatz ziemlich früh wieder raus. Die ganze Nation leidet also unter chronischem Schlafmangel.

Japanischer Kurzschlaf: Nur nicht schnarchen!

In der Folge holen die Menschen in Japan bei jeder sich bietenden Gelegenheit eine Mütze des speziellen Kurzschlafes nach, den sie inemuri nennen. Die drei Schriftzeichen bedeuten „anwesend sein“ und „Schlaf“. Gemeint ist: Solange jemand nicht aus seiner sozialen Rolle fällt, darf er oder sie öffentlich einnicken. Dösen und Dämmern in der normalen Sitzposition oder im Stehen an der Halteschlaufe der S-Bahn sind erlaubt, das Hochlegen der Füße auf den Schreibtisch oder Schnarchen dagegen nicht. Aber inemuri wird geduldet, weil es der Gesundheit dient.

Das Gesundheitsministerium empfiehlt ganz offiziell ein Schläfchen am frühen Nachmittag von 30 Minuten. Der Experte Hayashi rät sogar nur zu 20 Minuten, um einen Eintritt in die Tiefschlafphase mit hoher Hirnaktivität und Träumen zu vermeiden. „In den ersten fünf bis sechs Minuten wechselt man vom Wachen zum Schlafen, dann folgen sieben bis acht Minuten leichter Schlaf, für die Rückkehr braucht man weitere drei Minuten“, erläutert Hayashi.

Allerdings stören sich selbst einige Japanerinnen und Japanern am propagierten Mittagsschlaf am Arbeitsplatz, wie sich in den Kommentaren in sozialen Medien zu Schlafinitiativen nachlesen lässt. Letztlich gehe es dabei doch nur darum, die Leistungskraft der Mitarbeiter zu erhöhen, maulen einige da.

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