Privat telefonieren, krank gekündigt, Arbeitszeugnis? So kommst Du im Job garantiert zu Deinem Recht
Das Arbeitsrecht kennt viele Tücken, aber kennst Du Sie auch? Fachanwältin Julia Oesterling sagt Dir, was Du über die gängigsten Vorschriften wissen musst - und welche Fehler Du vermeiden solltest.
Ein Interview von Anika Gottschalk
Was sind die häufigsten Themen im Jobleben, mit denen Arbeitnehmende auf Sie zukommen?
Julia Oesterling: Kündigungen, ausstehender Lohn, Beratung zu Arbeitszeugnissen und Aufhebungsverträgen und Möglichkeiten der Arbeit in Teilzeit sind typische Anfragen im Arbeitsrecht. Ich habe auch viele Fälle zum Schutz vor Diskriminierung am Arbeitsplatz. Da geht es um Diskriminierung aus rassistischen Gründen oder von Frauen und Transpersonen aufgrund ihres Geschlechts. Bei den Betriebsräten geht es oft um Betriebsvereinbarungen zum Thema Arbeitszeit, Homeoffice und Digitalisierung.
In welchen Fällen und für wen ist es ratsam, eine Rechtsschutzversicherung abzuschließen?
Julia Oesterling: Wer Rechtsrat im Arbeitsrecht braucht, muss die Beratung und Vertretung durch Rechtsanwält•innen selbst bezahlen. Zudem gibt es vor dem Arbeitsgericht die Besonderheit, dass jede Partei die Kosten ihrer Rechtsanwält•in selbst tragen muss, auch wenn man den Prozess gewinnt oder sich vor dem Gericht einigt. Bei einem Kündigungsschutzprozess können das je nach Bruttomonatseinkommen mehrere Tausend Euro sein. Dafür kann es sinnvoll sein, eine Versicherung abzuschließen oder zumindest Geld beiseitezulegen. Bei den Rechtsschutzversicherungen gibt es immer eine Wartezeit von mehreren Monaten. Die Versicherung muss also vor einem Rechtsfall wie dem Erhalt einer Kündigung abgeschlossen werden.
Lohn es sich, in eine Gewerkschaft einzutreten?
Julia Oesterling: Mitglieder einer Gewerkschaft erhalten in der Regel kostenlosen Rechtsschutz im Arbeitsrecht und im Sozialrecht. Sozialrecht umfasst z.B. auch Fragen und Auseinandersetzungen mit dem Arbeitsamt oder mit Krankenkassen oder der Rentenversicherung. Die Mitglieder können sich bei ihrer Gewerkschaft beraten lassen und werden bei Erfolgsaussichten vor Gericht vertreten.
Neben diesen persönlichen Vorteilen handeln Gewerkschaften Tarifverträge und damit höhere Löhne aus und setzen sich für bessere Arbeitsbedingungen ein. Sie machen die Lobbyarbeit für Arbeitnehmer•innen. Je mehr Mitglieder Gewerkschaften haben, desto besser können sie die Interessen der Beschäftigten durchsetzen. Aus diesen Gründen lohnt es sich, in eine Gewerkschaft einzutreten.
Muss ich meinem künftigen Arbeitgeber im Bewerbungsgespräch sagen, wenn ich schwanger bin oder unter chronischen Krankheiten leide?
Julia Oesterling: Eine Schwangerschaft müssen Sie nicht mitteilen und sollten dies auch nicht tun. Bei einer chronischen Krankheit besteht nur eine Verpflichtung zur Offenlegung, wenn deshalb nicht gearbeitet werden kann.
Eine Schwangerschaft müssen Sie im Bewerbungsgespräch nicht mitteilen und sollten dies auch nicht tun.Julia Oesterling
Kann mir mein Arbeitgeber kündigen, weil ich sehr häufig über längere Zeiträume hinweg krankgeschrieben bin?
Julia Oesterling: Hier muss man beachten: Der Arbeitgeber kann kündigen, aber das heißt noch lange nicht, dass die Kündigung auch rechtmäßig ist. Auch während einer Krankschreibung kann eine Kündigung ins Haus kommen. Ob diese Kündigung rechtmäßig ist, wird nur geklärt, wenn die Beschäftigten innerhalb von drei Wochen ab Erhalt der Kündigung eine Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht erheben. Die Richter•innen beurteilen dann, ob die Kündigung rechtmäßig war. Falls während der Krankschreibung eine Kündigung kommt, sollten Beschäftigte sich unbedingt schnell rechtlich beraten lassen. Die Kündigung wird in der Regel nur als rechtmäßig angesehen, wenn auch in Zukunft zu erwarten ist, dass die Person weiterhin krankheitsbedingt ausfällt.
Darf ich mich in meinen privaten Social-Media-Kanälen posten, was ich möchte, auch wenn ich eine andere Meinung zu manchen Dingen habe als meine Vorgesetzten?
Julia Oesterling: Ja, die Meinungsfreiheit gilt auch für Arbeitnehmer•innen. Der Meinungsfreiheit werden jedoch Grenzen gesetzt, wenn in den Postings andere Menschen beleidigt werden oder andere Straftatbestände erfüllt werden. So etwas kann ein Arbeitgeber zum Anlass für eine Kündigung nehmen.
Falls während der Krankschreibung eine Kündigung kommt, sollten Beschäftigte sich unbedingt schnell rechtlich beraten lassen.Julia Oesterling
Ist es erlaubt, dass ich während der Arbeitszeit privat telefoniere und im Internet surfe?
Julia Oesterling: Nein, das müssen Beschäftigte in den Pausen machen.
Darf mein Arbeitgeber digital nachvollziehen, wie lange ich am Rechner aktiv bin und auf welchen Seiten ich im Netz surfe?
Julia Oesterling: Datenschützer•innen kritisieren eine komplette digitale Überwachung von Beschäftigten, wie sie etwa durch Software wie Microsoft 365 möglich ist. Wenn der Arbeitgeber jedoch einen konkreten Verdacht auf Arbeitszeitbetrug hat, wie z.B. bei privatem Surfen im Netz während der Arbeitszeit, kann eine gezielte Überwachung gerechtfertigt sein.
Was sind die rechtlichen Schritte, die ich als Arbeitnehmer unternehmen kann, wenn ich von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz betroffen bin?
Julia Oesterling: Arbeitgeber müssen alle Beschäftigten vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz schützen. Ansprechpartner•innen sind deshalb die Vorgesetzten. In einigen Unternehmen gibt es auch eine Beschwerdestelle für den Schutz vor Diskriminierung am Arbeitsplatz. Diese Stellen müssen Maßnahmen zum Schutz ergreifen. Das kann eine Abmahnung, Versetzung oder auch Kündigung der Person sein, die sexuell belästigt. Betroffene haben zudem ein Leistungsverweigerungsrecht, wenn der Arbeitgeber die sexuelle Belästigung nicht unterbindet. Sie müssen dann nicht zur Arbeit gehen, haben aber weiterhin Anspruch auf ihr Gehalt. Bevor sie dieses Recht ausüben, sollten sich Betroffene rechtlich beraten lassen.
Für Betroffene kann es schwierig sein, sich an eine Person aus dem Unternehmen zu wenden. In diesem Fall können sie sich von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes eine Einschätzung ihrer Situation einholen. Unter www.antidiskriminierungsstelle.de bekommen Betroffene kostenlose Beratung per E-Mail oder telefonisch.
Wie ist es, wenn ein•e Kolleg•in nicht mit "Herr" oder "Frau" angesprochen werden möchte, müssen die anderen sich daran halten?
Julia Oesterling: Alle Menschen haben ein Recht auf geschlechtergerechte Anrede. Das ergibt sich aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, dass durch das Grundgesetz geschützt wird. Dieses Recht gilt auch am Arbeitsplatz. Beschäftigte haben ein Recht darauf, nach dem von ihnen empfundenen Geschlecht angesprochen zu werden. Wenn sie sich weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zugehörig fühlen, können sie die althergebrachte Anrede von „Herr“ oder „Frau“ ablehnen.
Sie können selbst bestimmen, wie sie angeredet werden möchte, z.B. mit dem Vor- und Nachnamen. Die Kolleg•innen haben diesen Wunsch zu respektieren. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, seine Beschäftigten vor Eingriffen in das allgemeine Persönlichkeitsrecht zu schützen. Deshalb muss er seine Mitarbeitenden darauf hinweisen, sich an die gewünschte Anrede zu halten.
Beschäftigte haben ein Recht darauf, nach dem von ihnen empfundenen Geschlecht angesprochen zu werden.Julia Oesterling
Habe ich ein Recht darauf, flexible Arbeitszeiten zu vereinbaren?
Julia Oesterling: Es gibt kein Recht auf flexible Arbeitszeiten, aber man kann alles verhandeln. In Zeiten des Fachkräftemangels ist es auch im Interesse der Arbeitgeber flexible Arbeitszeiten anzubieten, wenn die Art der Arbeit es zulässt. Beschäftigte sollten daher unbedingt anfragen, ob es möglich ist. In Betrieben mit einem Betriebsrat kann dieser in Betriebsvereinbarungen, die für alle Beschäftigten gelten, auch die Einführung von flexiblen Arbeitszeiten regeln.
Wie kann ich mich bei Mobbing am Arbeitsplatz rechtlich wehren und welche Unterstützung gibt es von externen Stellen?
Julia Oesterling: Wer am Arbeitsplatz schlecht behandelt wird, sollte sich bei Rechtsanwält•innen oder der Gewerkschaft rechtlich beraten lassen. Auch Mitglieder des Betriebsrats können Ansprechpartner sein. In einigen Städten gibt es auch Beratungsstellen zu Mobbing am Arbeitsplatz. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, Beschäftigte vor Mobbing am Arbeitsplatz zu schützen. Er ist also der erste Ansprechpartner, wenn es um die Unterbindung von Mobbing geht. In jedem Fall sollten Betroffene die Probleme am Arbeitsplatz genau dokumentieren, etwa in einem Mobbing-Tagebuch.
Womit kann ich mein Recht auf Schutz vor Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, Alter, ethnischer Herkunft oder sexueller Orientierung am Arbeitsplatz durchsetzen?
Julia Oesterling: Der Arbeitgeber muss alle Mitarbeitenden vor Diskriminierung am Arbeitsplatz schützen. Betroffene haben ein Recht sich über Diskriminierungen durch Kolleg•innen, Vorgesetzte oder auch Dritten wie z.B. Kund•innen zu beschweren. Der Arbeitgeber muss die Beschwerde prüfen und ggf. Maßnahmen zur Unterbindung treffen. Das kann eine Abmahnung, Versetzung oder Kündigung der Person sein, die diskriminiert.
Dazu haben Betroffene unter Umständen das Recht auf eine Entschädigung oder Schadensersatz. Weil hier kurze Fristen gelten, sollten sie sich immer umgehend beraten lassen.
Eine kostenlose Einschätzung der Situation bekommen Betroffene von Diskriminierungen bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Unter www.antidiskriminierungsstelle.de können sie sich telefonisch oder per E-Mail beraten lassen.
Wie viele Überstunden dürfen meine Vorgesetzten von mir verlangen?
Julia Oesterling: Das kommt auf die Regelung im Arbeitsvertrag an. Wenn dort nichts von Überstunden steht, müssen Beschäftigte auch keine ableisten. Wenn es im Arbeitsvertrag eine Regelung zu Überstunden gibt, muss diese auch wirksam sein. Eine Klausel, nach der eine unbegrenzte Anzahl von Überstunden abzuleisten sind, wäre z.B. unwirksam.
Wenn es im Arbeitsvertrag eine Regelung zu Überstunden gibt, muss diese auch wirksam sein.Julia Oesterling
Dürfen meine Chefs mich einfach versetzen, wenn dies aufgrund von neuen Anfordernissen oder betriebsbedingt erforderlich ist?
Julia Oesterling: Auch hier kommt es auf die Regelungen im Arbeitsvertrag an. Wenn dort keine Versetzungsklausel steht, kann der Arbeitgeber nicht einfach versetzen. Wenn dort eine Versetzungsklausel steht, sollte man diese rechtlich prüfen lassen bevor man eine ungewünschte Versetzung akzeptiert. Zur Not kann man auch im Wege der Klage gegen eine Versetzung vorgehen. Es kommt nicht selten vor, dass die Versetzungsklausel unwirksam formuliert ist. Auch muss der Arbeitgeber bei einer Versetzung die berechtigten Interessen der Beschäftigten berücksichtigen. Eine Versetzung ins Ausland während der Teilzeitarbeit in Elternzeit kann z.B. unwirksam sein.
Wie kann ich mich gegen eine Kündigung des Arbeitgebers wehren? Habe ich ein Recht auf eine Abfindung?
Julia Oesterling: Bei einer Kündigung ist die Erhebung einer Kündigungsschutzklage in vielen Fällen sinnvoll. Diese Klage kann man nur innerhalb von drei Wochen nach Erhalt der Kündigung erheben. Deshalb sollte man sich bei einer Kündigung sofort juristisch beraten lassen.
Mit der Klage können verschiedene Ziele verfolgt werden. Entweder streitet man für die Unwirksamkeit der Kündigung und hat den alten Job zurück oder man einigt sich in einem sogenannten gerichtlichen Vergleich auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses unter bestimmten Bedingungen. In einem solchen Vergleich kann man zum Beispiel eine Abfindung und ein Arbeitszeugnis mit der Note „sehr gut“ aushandeln. Denn einfach so gibt es kein Recht auf eine Abfindung. Der Arbeitgeber ist nur bereit eine Abfindung zu zahlen, wenn er ansonsten damit rechnen muss, dass die gekündigte Person wieder zurück an den Arbeitsplatz kommt.
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Wie kann ich eine angemessene Entlohnung und eine faire Bezahlung bei der Arbeit sicherstellen, und welche rechtlichen Instrumente gibt es, um dies durchzusetzen?
Julia Oesterling: Für einzelne Beschäftigte ist es meistens schwierig eine angemessene Entlohnung zu erreichen. Das beste Instrument dafür sind Tarifverträge, die von Gewerkschaften für alle Beschäftigten ausgehandelt werden. Wenn es keine Tarifverträge gibt, bleibt den Beschäftigten das Einzelgespräch über eine Lohnerhöhung. Gibt es Anzeichen für eine geringere Bezahlung wegen des Geschlechts kann das Entgelttransparenzgesetz ein Instrument zur Durchsetzung von einer fairen Bezahlung sein. Das Gesetz sieht aber nur einen Anspruch auf Auskunft über vergleichbare Gehälter vor, damit geht nicht automatisch eine angepasste Entlohnung einher. Dazu sind die Voraussetzungen für den Auskunftsanspruch sehr hoch, so dass es nicht wirksam schützt.
Die Berliner Fachanwältin für Arbeitsrecht, Julia Oesterling, liefert in ihrem Buch "Arbeitsrecht für Arbeitnehmer•innen" Antworten auf die wichtigsten Fragen rund um das Thema Arbeit.
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