Bürogebäude von EY: Gegen die Gesellschaft liegen Klagen von Tausenden früheren Wirecard-Aktionären in Milliardenhöhe vo
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Schadenersatz im Fall Wirecard: Kläger fordern von EY Sicherheiten über 350 Millionen Euro

Die rechtliche Umwandlung der Prüfungsgesellschaft alarmiert die Wirecard-Kläger. Sie fürchten um mögliche Schadenersatzansprüche und setzen EY eine Frist bis zum Wochenende.

Düsseldorf. Die Prüfungsgesellschaft EY soll für mögliche Schadenersatzzahlungen im Fall Wirecard Bürgschaften und andere Sicherheiten in Millionenhöhe hinterlegen. Einen entsprechenden Antrag hat die Berliner Kanzlei Schirp für rund 3400 von ihr vertretene Kläger eingereicht. Das Dokument liegt dem Handelsblatt vor.

Damit reagieren die Kläger auf die im Frühjahr vollzogene Umwandlung von EY in Deutschland. Die Prüfungsgesellschaft hat ihre rechtliche Struktur komplett verändert und ihr Vermögen auf neue Gesellschaften verteilt. Wirecard-Kläger werfen EY vor, sich mit diesem Schritt der Zahlung möglicher Ansprüche entziehen zu wollen, was die Prüfungsgesellschaft zurückweist.

Die Sicherheitsforderungen belaufen sich auf 350 Millionen Euro, wie es in Kreisen von Beteiligten heißt. In dem Antrag wurde EY eine Frist bis zum kommenden Samstag, 31. August, gestellt. Die Prüfungsgesellschaf teilte auf Anfrage mit, dass sie der Forderung nicht nachkommen wolle.

Für diesen Fall empfiehlt die auf Kapitalmarktrecht spezialisierte Kanzlei Schirp ihren Mandaten den Rechtsweg. Ob und wann sie die Sicherheiten einklagen werden, ist den Kreisen zufolge offen. Die Durchsetzung gilt unter Rechtsexperten als schwierig, aber nicht aussichtslos.

Mehrere Tausend frühere Wirecard-Aktionäre werfen EY schwerwiegende Fehler bei der Prüfung der Wirecard-Bilanzen vor. EY hatte die Abschlüsse stets ohne Bedenken testiert. Die Testate von Wirtschaftsprüfern sollen Investoren und Gläubigern hinreichende Sicherheit gebe, dass die Zahlen von Unternehmen der Realität entsprechen.

Bei Wirecard war dies nicht der Fall. Im Juni 2020 stellte sich heraus, dass große Teile des Vermögens des Zahlungsdienstleisters nicht existierten. Das Unternehmen rutschte in die Insolvenz und die Aktie wurde wertlos.

Da bei Wirecard selbst nichts mehr zu holen ist, richten sich die Schadenersatzforderungen seither gegen den Abschlussprüfer EY. Die früheren Aktionäre machen vor Gericht ihren Verlust bei dem Wirecard-Investment geltend. Es liegen Klagen in Milliardenhöhe vor.

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Was der EY-Umbau bewirkt

In bisherigen Prozessen gegen EY hatten sie dabei keinen Erfolg. Doch die Hauptphase der Auseinandersetzung steht noch bevor. Im November soll das Musterverfahren eines einzelnen Klägers vor dem Bayerischen Obersten Landesgericht starten. Dessen Ergebnis könnte dann stellvertretend für die Tausende andere Klagen gelten.

Noch vor Beginn hat EY neue gesellschaftsrechtliche Fakten geschaffen. Die langjährige EY GmbH wurde zum 1. Februar 2024 in eine Kommanditgesellschaft (KG) umgewandelt. Damit veränderten sich auch die Haftungsregelungen:

  • Mit dem Formwechsel trennt EY die Geschäfte mit Steuerberatung, Strategieberatung und Consulting rechtlich stärker von der Wirtschaftsprüfung.

  • Die vier Einheiten wurden zu operativ eigenständigen Firmen und haften als Kommanditisten nur mit einem vergleichsweise kleinen Betrag.

  • Das unbeschränkte Haftungsrisiko in einer KG liegt beim Komplementär. EY hat dazu eine neue Verwaltungsgesellschaft gegründet, die über kein operatives Geschäft verfügt.

  • Direkt nach der Umwandlung sind drei Einheiten schon wieder aus der KG ausgetreten: Steuerberatung, Strategieberatung und Consulting. Ihnen wurden die entsprechenden Vermögensgegenstände mitgegeben. Der Austritt hat zur Folge, dass sie nur noch fünf weitere Jahre haften müssen.

EY begründet die Umwandlung so: Sie sei Teil des Projekts „Accelerate“, mit der sich die deutsche Landesgesellschaft an die internationale Struktur anpasse. Die Firma bereitet sich damit auch für einen möglichen erneuten Anlauf zu einer Aufspaltung von EY Global vor.

Prüfungs- und Rechtsexperten sehen in dem Schritt aber auch eine geschickte Vorbereitung auf mögliche Folgen der rechtlichen Auseinandersetzungen im Fall Wirecard. „Im Erfolgsfall stehen Klägern zukünftig nur noch das Vermögen und die Erträge des Wirtschaftsprüfungsgeschäfts von EY zur Befriedigung zur Verfügung“, resümiert Hansrudi Lenz, früherer Professor an der Universität Würzburg. Diese Einheit ist als einzige in der KG verblieben.

Laut dem Prüfungsexperten ist es absehbar, dass die Schadenersatzprozesse zwischen EY und den Wirecard-Klägern länger als fünf Jahre dauern werden – allein beim Musterverfahren rechnen Experten mit Blick auf bisherige Fälle mit mehr als zehn Jahren. Die drei Beratungseinheiten des Unternehmens wären dann komplett von der Haftung befreit.

Schutz von Gläubigern hat Grenzen

Die Klägerkanzleien wollen nun erreichen, dass alle aus der Umwandlung entstandenen EY-Gesellschaften mit ihrem Vermögen unbegrenzt in der Haftung bleiben. Darauf zielt auch der nun eingereichte Antrag von Schirp auf Sicherheiten ab, der sich gegen alle vier operativen Einheiten von EY richtet.

Grundsätzlich sieht das deutsche Recht den Schutz von Gläubigern vor, wenn sich ein Unternehmen umwandelt oder aufspaltet. Sie müssen aber überzeugend darlegen, dass die Durchsetzung ihrer Ansprüche tatsächlich gefährdet ist.

Problematischer dürfte für die Wirecard-Kläger aber ein anderes Detail sein: Das Gesetz schließt Sicherheitsverlangen aus, wenn die Ansprüche bereits vor Gericht geltend gemacht wurden. So argumentiert auch EY. „Die vermeintlichen Ansprüche der Wirecard-Anleger gegen EY sind bereits fällig und in Milliardenhöhe eingeklagt. Ein Anspruch auf Sicherheitsleistung scheidet daher aus“, teilte das Unternehmen mit.

Ehemalige Wirecard-Zentrale in Aschheim bei München: Bei dem insolventen Unternehmen können Kläger nichts mehr holen. - Foto: dpa
Ehemalige Wirecard-Zentrale in Aschheim bei München: Bei dem insolventen Unternehmen können Kläger nichts mehr holen. - Foto: dpa

Rechtsexperte Lenz sagt dazu: „Betrachtet man formal allein die formwechselnde Umwandlung ohne das nachfolgende Ausscheiden von drei der vier Komman­ditisten, dann wäre eine Gläubigergefährdung nicht gegeben.“ Er hält die Erfolgsaussichten einer Klage wegen Gläubigerschutz prinzipiell für gering.

Allerdings ist der EY-Fall speziell: Denn der Austritt war eng mit der Umwandlung ver­knüpft und kam direkt nach der KG-Gründung. Das könnte bei der Beurteilung einer Gläubigergefährdung berücksichtigt werden.

Darauf zielt auch der Vorstoß der Kanzlei Schirp ab. Sie hält viele Rechtsfragen in dem Zusammenhang für ungeklärt. Kommt es zur Klage, stünde den Beteiligten ein weiterer Prozess mit höchst ungewissem Ausgang bevor.

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