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Schwacher Euro treibt Gewinne: Die Dax-Konzerne sind schon wieder auf Rekordkurs

Trotz zahlreicher Krisen werden die Unternehmen wohl auch in diesem Jahr prächtig verdienen. Viele profitieren sogar von steigenden Preisen und Materialmangel.

Der Krieg in der Ukraine, teure Rohstoffe, brüchige Lieferketten und steigende Zinsen: Die Belastungen für die Unternehmen werden weltweit immer größer. Doch geht es nach den Analysten, dann werden die 40 größten deutschen börsennotierten Konzerne im Dax im laufenden Jahr 130 Milliarden Euro netto verdienen. Das wäre eine Milliarde Euro mehr als im vergangenen Jahr – und das war bereits das beste Jahr in der deutschen Wirtschaftsgeschichte.

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Bei Schwergewichten wie BMW, Volkswagen, Siemens, Linde oder Bayer dürften die Gewinne trotz der weltweiten Krisen steigen. Darauf weisen ein starker Jahresauftakt und unerwartete Gewinntreiber hin, wie eine Handelsblatt-Analyse zeigt.

Besonders positiv wirkt der schwache Euro. Aktuell kostet ein Euro nur noch 1,05 Dollar. Bei diesem Kurs, der um zwölf Prozent niedriger liegt als vor einem Jahr, ergeben sich zusätzliche Vorsteuergewinne in zweistelliger Milliardenhöhe – allein weil die Firmen ihre im Dollar-Raum erzielten Erträge in Euro umrechnen und bilanzieren.

Hinzu kommen Wettbewerbsvorteile gegenüber Konkurrenten aus Ländern mit einer härteren Währung wie den USA oder der Schweiz, der finanziell nicht zu beziffern ist.

„Der schwache Euro verhilft in den nächsten Quartalsbilanzen vielen Unternehmen, die substanzielle Umsatzanteile in den USA haben, zu höheren Erträgen, was ein willkommener Ausgleich zu den rasant steigenden Öl- und Gaspreisen sein wird“, prognostiziert Michael Ausfelder von der unabhängigen Anlageberatung VZ Vermögenszentrum.

Dazu kommt: Die rasant steigenden Preise und knapp gewordene Materialien sind nicht für alle Unternehmen problematisch, sondern lassen die Erträge oftmals sogar steigen – etwa bei Halbleiterherstellern wie Infineon oder den Autobauern.

Zwölf Cent mehr Gewinn als vor einem Jahr

Auf den ersten Blick überrascht der Trend. Als die US-Notenbank in der vergangenen Woche den Leitzins um 0,75 Prozentpunkte anhob und weitere Zinsschritte ankündigte, gingen die Börsen auf Talfahrt. Investoren fürchten angesichts der stark steigenden Zinsen in Kombination mit den Lieferkettenproblemen infolge des Ukrainekriegs und westlicher Sanktionen schon eine Rezession in Europa und den USA.

Doch die steigenden Zinsen in den USA haben für die im Ausland starken deutschen Unternehmen auch ihre Vorteile. Weltweit flüchten Investoren derzeit in Dollar-Anlagen, weil sie eine höhere Rendite versprechen. Dadurch wird der Euro abgewertet: Seit Anfang vergangenen Jahres hat die Gemeinschaftswährung 15 Prozent an Wert verloren, allein seit Februar rund sieben Prozent. Aktuell nähert sich Europas Währung erstmals seit 2002 der Parität zum Dollar.

Die Einbußen des Euros sind das stärkste Konjunkturprogramm für deutsche Unternehmen, die viele Geschäfte mit Dollar machen. Ein schwacher Euro verbilligt schließlich die Ausfuhren, sodass europäische Produkte und Dienstleistungen im Dollar-Raum und damit in weiten Teilen Amerikas und Asiens preiswerter und konkurrenzfähiger werden.

Noch stärker wirkt der bilanzielle Effekt, sobald die Unternehmen ihre im Dollar-Raum erzielten Erträge umrechnen. Mit jedem erlösten Dollar gibt es momentan zwölf Euro-Cent mehr als noch vor einem Jahr. So verbuchte Bayer wegen des schwachen Euros im ersten Quartal laut Firmenbilanz einen zusätzlichen Umsatz von 529 Millionen Euro. Der Pharma- und Agrarkonzern profitierte vom starken Amerikageschäft.

„Die Nachfrage hat sich in den Vereinigten Staaten zuletzt sehr stark entwickelt – viele deutsche Unternehmen investieren derzeit auf dem amerikanischen Markt, um an dieser Dynamik partizipieren zu können“, sagt Mathieu Meyer, Mitglied der Geschäftsführung bei der Unternehmensberatung EY.

Konzerne mit starkem US-Geschäft profitieren

Die größten Währungsprofiteure sind hochglobalisierte Unternehmen mit starkem US-Geschäft und Umsatzanteilen von 80 und mehr Prozent im Ausland. Neben Bayer zählt dazu das Dax-Schwergewicht Airbus. Die Flugzeuge baut das europäische Gemeinschaftsunternehmen hauptsächlich in Deutschland und Frankreich, doch sie werden weltweit zu Dollar-Preisen verkauft.

Nach früheren Konzernangaben steigt der Gewinn von Airbus mit jedem Cent, um den der Euro gegenüber dem US-Dollar abwertet, um 100 Millionen Euro. Angenommen, der Euro-Kurs wird 2022 im Durchschnitt zehn Prozent niedriger notieren als 2021, was derzeit sehr konservativ prognostiziert ist, ergibt sich für Airbus einen Zusatzgewinn von einer Milliarde Euro.

Notiert der Euro-Kurs 2022 im Durchschnitt zehn Prozent niedriger als 2021, ergibt sich für den Flugzeugbauer ein Zusatzgewinn von einer Milliarde Euro. Quelle: imago images/Jochen Eckel

Im MDax und SDax, also in der zweiten und dritten Börsenliga, haben der Rüstungshersteller Rheinmetall, der Anlagenbauer Krones und der Spezialchemiekonzern Wacker Chemie besonders große Vorteile, wenn der Euro abwertet.

Deutschlands Schlüsselbranche, die Automobilindustrie, profitiert ebenfalls stark vom schwachen Euro. Sie produziert viele Luxusfahrzeuge in Deutschland, verkauft sie aber weltweit, vor allem in den USA und China. Im abgelaufenen Jahr standen die drei großen Hersteller BMW, Mercedes und VW für knapp 40 Prozent des Gesamtgewinns aller 40 Dax-Konzerne.

Nennenswerte Einbußen bei den Gewinnen zeichnen sich 2022 trotz großer Lieferkettenprobleme mit knappen Halbleitern und sinkender Absätze nicht ab. Das liegt eben auch am schwachen Euro. Viele Unternehmen beziffern diesen Gewinneffekt nicht exakt in ihren Zwischenberichten, einige aber schon. So trug beim Zulieferer Continental die Währungsumrechnung allein im ersten Quartal 5,3 Millionen Euro zum Gewinn vor Steuern und Zinsen (Ebit) bei.

Beim Spezialchemiekonzern Covestro verbesserte sich der Gewinn vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen (Ebitda) in den ersten drei Monaten um 8,5 Prozent auf 806 Millionen Euro – „im Wesentlichen bedingt durch positive Währungseffekte und gestiegene Gesamtabsatzmengen“.

Was die Prognosen fürs Gesamtjahr im Zusammenhang mit der Euro-Schwäche angeht, bleiben die meisten Unternehmen zwar vorsichtig, schließlich vermag niemand Wechselkurse sicher vorherzusagen. SAP traut sich aber: Unter der Annahme, dass die Wechselkurse von März bis zum Rest des Jahres in etwa so bleiben, rechnet der Softwarehersteller mit einem zusätzlichen Plus beim Betriebsergebnis zwischen drei und fünf Prozentpunkten.

Schwacher Euro könnte zusätzliche Milliarden einbringen

Daraus errechnet sich für das gesamte Geschäftsjahr ein Zusatzgewinn von 234 bis 390 Millionen Euro, allein bedingt durch den schwachen Euro. Basis dafür sind die für SAP von Analysten prognostizierten 7,8 Milliarden Euro beim Gewinn vor Steuern und Zinsen.

Hochgerechnet auf das laufende Gesamtjahr dürften die 40 Dax-Konzerne zwischen zehn und 30 Milliarden Euro zusätzlich an Gewinnen vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen (Ebitda) erzielen, wenn der Euro gegenüber dem Dollar zehn Prozent an Wert verliert. Darauf deuten frühere Bilanz- und Wechselkursstudien hin, etwa die der Commerzbank. Bei einem derzeit prognostizierten Ebitda-Gewinn von 300 Milliarden Euro für die 40 Dax-Konzerne entspricht das einem Sondergewinn zwischen drei und zehn Prozent.

Bei den derzeitigen Wechselkursen ergeben sich für die Unternehmen zusätzliche Vorsteuergewinne in zweistelliger Milliardenhöhe. Quelle: Reuters

Exaktere Berechnungen sind kaum möglich. Niemand kennt die Wechselkurse im zweiten Halbjahr. Zudem beziffern nicht alle Konzerne den Währungseffekt, viele nehmen zudem unterschiedliche Kennziffern wie Umsatz, Ebit oder Ebitda als Grundlage.

Auch sichern sich viele Firmen zeitweise gegen Währungsschwankungen ab (Hedging), weil sie negative Auswirkungen bei einem steigenden Euro verhindern wollen. Dieses Hedging wirkt natürlich auch umgekehrt und mindert somit Währungsgewinne.

Schließlich sind die Wechselkurseffekte umso komplexer, je globaler ein Unternehmen agiert. Konzerne wie VW, Bayer und die Deutsche Post sind in 100 und mehr Ländern aktiv. Dadurch ergeben sich allein schon durch die Beschaffung von Materialien und Rohstoffen aus verschiedenen Ländern neben Kursgewinnen auch -verluste. Öl und andere Rohstoffe werden in Dollar abgerechnet, was zu höheren Kosten führt, wenn der Euro abwertet.

Krisen treiben Gewinne

Nicht nur die Gemeinschaftswährung, auch der Materialmangel, die Inflation und die Folgen des Kriegs treiben die Gewinne. Siemens berichtete nach dem abgelaufenen Geschäftsquartal von einem massiven Auftragsboom. Angesichts der Lieferengpässe und in Erwartung steigender Preise würden viele Kunden ihre Bestellungen vorziehen.

Der Konzern hat gerade den größten Auftrag seiner 175-jährigen Unternehmensgeschichte bekommen. Zusammen mit zwei Partnern unterzeichneten die Münchener einen Vertrag mit einem Volumen von 8,1 Milliarden Euro für den Bau eines 2000 Kilometer langen Hochgeschwindigkeits-Zugnetzes in Ägypten.

Bayer berichtete, dass nach Ausbruch des Kriegs in der Ukraine weltweit die Sorge um die Lebensmittelversorgung gestiegen ist. Deshalb fragten Landwirte vor allem in den USA das Pflanzenschutzmittel Glyphosat in großen Mengen nach.

Weil dessen Herstellung aufgrund knapp gewordener Rohstoffe schwieriger geworden ist, hat sich der Preis für Glyphosat innerhalb eines Jahres verdoppelt. In der Folge stieg Bayers Umsatz in der Agrarsparte mit Herbiziden im ersten Quartal um 60 Prozent.

Mercedes setzte im ersten Quartal knapp eine halbe Million Autos ab und damit zehn Prozent weniger als im Jahr davor. Hauptgrund waren, wie bei anderen Herstellern auch, fehlende Halbleiter. Doch der Umsatz stieg um sechs Prozent, und Mercedes verdiente trotz der Knappheit mehr als vorher, weil sich der Konzern auf hochpreisige Fahrzeuge konzentriert und dank hoher Nachfrage auf Rabatte verzichtet. Im Fokus stehen Luxuskarosserien wie der Maybach, wo sich der Absatz verdreifacht hat.

Als Premiumhersteller profitiert Mercedes von seiner Preismacht, firmenintern „Preisdurchsetzung“ genannt. Höhere Rohstoff- und Energiepreise werden mehr als nur aufgefangen. Der bereinigte Betriebsgewinn stieg im ersten Quartal um knapp 20 Prozent auf 5,3 Milliarden Euro. Die Profitabilität der Autosparte stieg um weitere 1,5 Prozentpunkte auf 16,4 Prozent.

Auffällig ist, dass viele Unternehmen trotz starker Zahlen und Aufträge vorsichtig nach vorn blicken. Eine Eskalation des Ukrainekriegs „könnte erhebliche negative Konsequenzen für die Geschäftstätigkeit“ haben, hieß es bei Mercedes nach dem ersten Quartal. Die Stuttgarter verweisen zudem auf die schwierige Coronalage in China. Das Land ist für die Stuttgarter der mit Abstand wichtigste Markt.

Starker Jahresauftakt

Bislang lässt das laufende Jahr aber so gut wie keine Schwächen erkennen. Mit einem Umsatzwachstum von 14 Prozent und einem operativen Gewinnplus von 21 Prozent haben die Dax-Konzerne das erste Quartal auf Rekordniveau abgeschlossen.

Obwohl gestörte Lieferketten und Engpässe bei der Versorgung mit Halbleitern, Rohstoffen und Zulieferprodukten viele Unternehmen vor erhebliche Herausforderungen stellten, übertrafen die Unternehmen damit sogar das Niveau des letzten Vorkrisenjahres 2019: beim Umsatz um 27 Prozent, beim Gewinn sogar um 85 Prozent, wie Berechnungen der Unternehmensberatung EY zeigen.

Dabei war die Ausgangslage eigentlich schlecht. Globale Lieferketten sind durch die Coronapandemie gestört, vor allem in China, weil hier die Regierung im rigorosen Kampf gegen das Coronavirus fortgesetzt weite Teile der Wirtschaft herunterfährt.

Dennoch gelang es den meisten Unternehmen, sich durch diese schwierigen Zeiten zu navigieren. „Lieferketten wurden umgestellt, gestiegene Preise konnten an die Kunden weitergegeben werden“, sagt EY-Partner Meyer.

Darüber hinaus profitieren die deutschen Unternehmen von ihrer breiten Präsenz im Ausland. Das Engagement in allen großen Märkten gleicht Schwächen in einzelnen Regionen aus. So stiegen im ersten Quartal in Nordamerika die Umsätze der Dax-Konzerne um durchschnittlich 19 Prozent. Damit hat die größte Volkswirtschaft den bisherigen Umsatzmotor Asien abgelöst. Hier lag das Plus nur noch bei acht Prozent.

Zwar haben sich die Aussichten seit Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine am 24. Februar verschlechtert, weil die Öl- und Gaspreise kräftig gestiegen sind und sich die Lieferkettenprobleme angesichts der Sanktionen und zerstörter Produktionsanlagen zuspitzten.

Etliche Analysten sind deshalb skeptisch, ob die hohen Gewinnerwartungen zu halten sind. Nach einer Analyse der DZ Bank stellt sich nicht die Frage, ob, sondern, wann und wie stark die vielen Krisen die Unternehmensgewinne belasten könnten.

Der Commerzbank-Analyst Andreas Hürkamp hält das derzeit prognostizierte leichte Gewinnwachstum bei den Dax-Konzernen seiner Fachkollegen für zu optimistisch und rechnet stattdessen angesichts sich eintrübender globaler Wirtschaftserwartungen mit einem Rückgang um fünf Prozent. Doch selbst damit würden die Unternehmen das zweitbeste Ergebnis in der Geschichte einfahren.

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