Skandal bei Axel Springer: Wie ein Ex-Manager des Medienkonzerns offenbar Millionen veruntreute
Das Berliner Verfahren um „schwarze Kassen“ offenbarte fragwürdige Zustände bei Europas größtem Medienkonzern Axel Springer. Auch für Vorstandschef Döpfner wurde es unangenehm.
Es ging um teure Hotelsuiten, „schwarze Kassen“ oder Luxuswohnungen am Potsdamer Platz: Zeitweise bot der Prozess gegen einen Manager und bis zu sechs Logistikunternehmer, die den Axel-Springer-Verlag mit getürkten Rechnungen um ein Vermögen brachten, mitreißenden Stoff wie eine Netflix-Serie. Das Verfahren war eine Zeitreise in die Anfangsjahre des Vorstandsvorsitzenden Mathias Döpfner, der darin ebenso eine Rolle spielte wie sein ehemaliger Stellvertreter, Ex-Springer-Vorstand und -Aufsichtsrat Rudolf Knepper.
Dabei stach vor allem ins Auge, wie die Kriminellen über Jahre weitestgehend ungestört Millionen Euro aus dem Konzern saugen konnten. Mitarbeiter, die skeptisch wurden, fügten sich, statt ihre Bedenken nach oben zu tragen. Erst 2013 setzte der Tipp eines Whistleblowers dem Treiben ein jähes Ende.
Das Berliner Landgericht hat nun am vergangenen Donnerstag die ersten Urteile gefällt: Drei Mitglieder der Bande, deren Kopf seinerzeit Springers Ex-Logistikchef Markus Günther gewesen sein soll, wurden wegen Beihilfe zur Untreue zu Bewährungsstrafen zwischen elf und 22 Monaten verurteilt. Die Urteile sind bereits rechtskräftig.
Axel Springer: „Bauchschmerzen“ – aber gezahlt wurde trotzdem
Günther selbst ist seit mehreren Monaten verhandlungsunfähig. Derzeit klären die Beteiligten, wann ihm eine Fortsetzung seines nunmehr abgetrennten Verfahrens wieder zuzumuten ist. Zwei weitere Angeklagte kamen mit einer Zahlungsauflage davon. Ein Beschuldigter verstarb noch vor der Anklageerhebung.
Die Verteidiger konnten zufrieden sein. Das Gericht habe „zutreffend festgestellt“, dass die Verurteilten „eher kleine Rädchen im System waren“, sagt Jan-Philippe von Hagen, der den Hamburger Ex-Unternehmer H. vertrat.
Die Staatsanwaltschaft hatte ursprünglich auf den Vorwurf des gewerbs- wie bandenmäßigen Betrugs gepocht. Laut Anklageschrift hatten die Spediteure etwa Auslieferungsfahrten für die Zeitungen „Bild“ oder „Die Welt“ abgerechnet, die sie niemals gefahren haben. Das eingenommene Geld teilten sie mit Günther oder führten dafür andere Dienste aus.
Doch je tiefer die Richter bohrten, desto klarer wurde, dass es einer Täuschung gar nicht bedurfte. Günther konnte sich offenbar darauf verlassen, dass seine Abteilung die Scheinrechnungen durchwinkte, sofern er unterschrieb und ab und an versicherte, dass der Vorstand einverstanden sei. Manche Springer-Leute hatten dabei zwar „Bauchschmerzen“, zahlten letztlich aber selbst dann, als das Unternehmen im Briefkopf gar nichts mit Logistik zu tun hatte. So konnten bis 2013 über elf Millionen Euro abfließen.
Springer weist jegliche Kenntnis oder Beteiligung von Vorstandsmitgliedern zurück
Günther hatte bereits bei seiner ersten Einlassung Ende April seine Schuld weitestgehend eingestanden. Er behauptet jedoch bis heute, ein bestehendes Betrugssystem lediglich weiterentwickelt und es auch auf Geheiß und zum Vorteil von Springer-Führungskräften genutzt zu haben. Günther zufolge habe das Scheinrechnungssystem bereits unter seinem Vorgänger Karsten Böhrs Bestand gehabt.
Springer hat jegliche Kenntnis oder Beteiligung von Vorstandsmitgliedern in der Vergangenheit zurückgewiesen. Heute teilt ein Sprecher mit, dass mit „aberwitzigen Behauptungen“ versucht worden sei, Axel Springer „zum Täter zu stilisieren“. Dies stehe „im klaren Widerspruch zur Faktenlage“.
Bemerkenswert ist, dass die Kammer am Ende mehrfach durchscheinen ließ, dass sie Günther in einem Punkt offenbar für glaubwürdig hält: Nicht er sei der Hauptverantwortliche und Schöpfer des Scheinrechnungssystems, sondern Böhrs. Eine Gerichtssprecherin hat diese Interpretation auf Anfrage des Handelsblatts nochmals bestätigt.
Böhrs, der schon 2008 bei Springer ausschied, bestreitet das energisch: Er habe das Scheinrechnungssystem weder installiert noch davon gewusst, teilt er auf Anfrage mit. Günther habe das System zwar „geschickt“ aufgebaut, seine Behauptungen entzögen sich jedoch „jeder Grundlage“. Vor Gericht hatte Böhrs sich als Zeuge auf sein Aussageverweigerungsrecht berufen.
Zwielichtige Vergabe von WM-Tickets bei Axel Springer
Knepper trat erst Ende November im Beisein seines Verteidigers Gerhard Strate als Zeuge auf. Den ersten Aussagetermin hatte er verstreichen lassen, was ihn ein Ordnungsgeld in Höhe von 600 Euro kostete.
Knepper wies die Anschuldigungen Günthers von sich: Der Vorstand habe „schwarze Kassen“ weder in Auftrag gegeben noch davon gewusst. Interessant waren seine Einlassungen zum Scheitern der Pin Mail, mit der man damals die Deutsche Post angreifen wollte. Springer verlor dabei Millionen. Böhrs – damals noch in Springers Diensten – und der Unternehmer Günther Thiel waren an dem Projekt maßgeblich beteiligt. Später arbeiteten die beiden im Rahmen des Energydrink-Projekts „schwarze Dose“ (28 Black) zusammen. Die Verbitterung über diese Vorgänge sitzt bei Knepper offenbar tief.
Der Prozess, der bereits im März begonnen hatte, bot tiefe Einblicke in Springer-Interna. Auch deshalb ließ der Konzern den Fortgang genau überwachen. Episoden wie die zwielichtige Beschaffung und Vergabe von 48 Fußballtickets für die Weltmeisterschaft 2006, werfen bis heute Fragen auf.
Internen Listen zufolge sollen unter anderem Knepper und Böhrs, der das Finale mit seiner Ehefrau besuchte, von den Karten profitiert haben. Das Handelsblatt hatte im Mai detailliert über die Posse berichtet. Knepper äußerte sich dazu auf Anfrage nicht; vor Gericht wies er Kenntnis wie Verantwortung von sich. Böhrs teilte mit, dass er von dem Geschäft gewusst, aber nicht den Auftrag dazu erteilt habe.
Im Zuge des Prozesses stellte sich heraus, dass Springer-Mitarbeiter offenbar über 110.000 Euro in die klandestine Besorgung von WM-Tickets investiert hatten, die später mithilfe von Scheinrechnungen der Hamburger S+K GmbH weitestgehend verrechnet worden waren. S+K-Chef John Pöhlmann teilte mit, dass man damals von Springer „quasi genötigt“ worden sei „zu helfen“. Über Herkunft und Verwendung der Tickets sei man nicht informiert worden.
Vorwürfe gegen Axel-Springer-Vorstandschef Döpfner: Zeitungslieferungen für 450 Euro am Tag
Auch die Usancen von Vorstandschef Döpfner waren zwischendurch Thema. So berichtete eine Mitarbeiterin, dass eine Rechnung für den Transport von Kaminholz in der Buchhaltung aufgefallen sei, weil sie an die Logistikabteilung des Konzerns gerichtet war. Dabei sei es um eine private Lieferung an ein Haus Döpfners in Potsdam gegangen. Bezahlt wurde sie demnach nicht.
Der Richter bezeichnete es später trocken als „bemerkenswert“, dass eine privat beauftragte Leistung offenbar gegenüber dem Unternehmen abgerechnet werden sollte. Springer oder Döpfner äußerten sich zu diesem und weiteren Punkten auf Anfrage nicht.
Auffällig waren auch Zeitungen („Bild“, „Welt“, „Berliner Morgenpost“ und andere), die sich Döpfner 2005 von der Logistik in den Urlaub auf ein Chateaux in Westfrankreich hat liefern lassen. Während so ein Luxus für den Chef eines Medienkonzerns nicht allzu ungewöhnlich ist, werfen die Begleitumstände Fragen auf. Das Handelsblatt konnte den Vorgang anhand von internen Dokumenten nachvollziehen.
So kostete der Transport via Fahrer von Paris aus demnach 450 Euro am Tag; die Blätter sollten nicht abgelegt, sondern übergeben werden („bitte auf keinen Fall vor 9 Uhr klingeln!!!!!“). Intern sei dem Gericht zufolge später die Weisung erteilt worden, die Aufwendungen auf eine andere Kostenstelle umzubuchen. Weshalb bleibt unklar. Springer äußert sich nicht.
Rudolf Knepper, im Konzern damals verantwortlich für die Logistik, sagte vor Gericht, dass er von dem Vorgang nichts gewusst habe und sich solche Lieferungen an Vorstände auch nicht vorstellen könne. „Mir hat man keine Zeitungen nachgeflogen.“
Mehr: Ex-Logistikchef wirft Springer-Vorstand vor, von „schwarzen Kassen“ gewusst und profitiert zu haben
