So planen Sie das unplanbare 2021
Gerade in unsicheren Zeiten helfen Ziele, voranzukommen und stärker zu werden. Wer selbst steuert, ist zufriedener und weniger stressanfällig. Die wirksamsten Methoden erinnern nicht zufällig an Design Thinking.
Von Ingmar Höhmann
Gemma D'Auria, Senior Partner bei McKinsey, war in den vergangenen Jahren meist im Halbstundentakt verplant. Sie reiste viel, betreute große Projekte. Berufliche Ziele legte sie für die kommenden drei Monate fest. In der Corona-Zeit verdoppelte sie diesen Zeitraum auf ein halbes Jahr. "Die Unsicherheit ist enorm", sagt sie. Das gilt auch für ihren anstehenden Umzug von Dubai zurück in ihre Heimat Italien. "Ich gehe auch Worst-Case-Szenarien durch", sagt D'Auria. "Was, wenn die Schulen geschlossen sind und meine Kinder keinen Anschluss finden?"
Die Beraterin ist vierfache Mutter. Job und Familie unter einen Hut zu bringen ist schon ohne Umzug und Pandemie herausfordernd. Sie plane derzeit kaum Details, berichtet sie. "Ich konzentriere mich auf den nächsten Schritt – und halte mir immer wieder vor Augen, warum ich mich dafür entschieden habe."
2020 hat das Coronavirus viele Pläne zunichte gemacht. Wir teilen die Erfahrung, uns von Unsicherheit und Risiken bedroht und gestresst zu fühlen. 2021 – das zeichnet sich ab – wird ähnlich turbulent, selbst wenn der Impfstoff kommt. Dem Gefühl von Kontrollverlust und Hilflosigkeit folgt oft der Impuls, sich am besten gar nichts mehr vorzunehmen. Genau das wäre jedoch falsch.
Nicht nur für unsere Leistungsfähigkeit, auch für unsere mentale Gesundheit ist es wichtig, Ziele zu verfolgen, die für uns Bedeutung haben. Wenn wir diese Ziele erreichen, fühlen wir uns zufriedener und weniger gestresst, wie psychologische Studien zeigen.
Unser Gehirn sei nicht für die große Unsicherheit geschaffen, die wir in der Corona-Krise erlebten, sagt Heidi Grant. Es sei im Grunde noch das Gehirn von Steinzeitmenschen und brauche ein stabiles Umfeld, in dem es einfache Vorhersagen über die nahe Zukunft treffen könne. Grant ist Associate Director des Motivation Science Center an der Columbia Business School in New York und hat mehrere Bestseller über Ziele geschrieben, etwa: "Succeed: How We Can Reach Our Goals" – auf Deutsch: "Erfolg: Wie wir unsere Ziele erreichen können". Dauerhafte Unsicherheit überfordere uns mental, die Folgen seien Ängste und Depressionen, erklärt Grant.
Ziele wirken in die Gegenrichtung. Sie geben Sicherheit und das Gefühl, das eigene Leben in der Hand zu haben. Wenn wir unsere Ziele erreichen, sorgen wir für einen Effekt, der in der Forschung als "Selbstwirksamkeitserwartung" beschrieben wird: die Überzeugung, auch herausfordernde Situationen erfolgreich bewältigen zu können.
Kurz gesagt: Durch Ziele können wir uns mental stärken – und sogar unter schwierigen Umständen Erfolge erreichen. Wie aber bereitet man sich also optimal vor auf ein Jahr, das nicht planbar scheint?
1. Planen Sie kurzfristig
Intuitiv hat Beraterin D'Auria genau das Richtige getan. Sie konzentriert sich stärker auf das Hier und Jetzt. Das empfiehlt auch Wissenschaftlerin Grant. Kurze Zeiträume erhöhen die Wahrscheinlichkeit, richtig vorherzusagen, was geschehen wird. Umso wichtiger wird eine sorgfältige Planung, die Sie regelmäßig überprüfen und anpassen. "Wenn Sie nur einen einzigen Ratschlag von mir annehmen, dann würde ich Ihnen diesen geben: Machen Sie einen Plan, wie Sie Ihr Ziel erreichen wollen", sagt Grant.
Unzählige Menschen scheitern jedes Jahr mit gut gemeinten Vorhaben wie abzunehmen, mehr Sport zu treiben oder weniger Alkohol zu trinken (siehe "Populäre Irrtümer" unten). Das Problem: Einen wolkigen Vorsatz zu fassen ist kein Plan. Das Geheimnis liegt darin, sich realistische Ziele zu setzen und diese auf Etappenziele sowie regelmäßige, planbare Erfolge herunterzubrechen. Dabei helfen Methoden wie oder , die wir auf den Seiten 30 und 34 vorstellen. Sie können auch die SMART-Formel nutzen: Ihre Zielvorhaben sollten spezifisch, messbar, attraktiv, realistisch und terminiert sein.
Wichtig ist: Wollen Sie ein Ziel wirklich erreichen, ist weniger mehr. Zum Verständnis lohnt es, tiefer in die Motivationspsychologie einzusteigen. Karl E. Weick von der University of Michigan ist einer der großen Organisationsforscher unserer Zeit. Er hat Konzepte wie "Achtsamkeit" und "Sensemaking" in den akademischen Diskurs eingebracht. Sein vielleicht größtes Verdienst ist aber seine Arbeit zu "Small Wins" – den "kleinen Erfolgen". Schon vor mehr als 30 Jahren zeigte er, dass Menschen "soziale Probleme oft so definieren, dass es ihre Fähigkeit übersteigt, etwas gegen sie zu tun". Paradoxerweise mit der Folge, dass "sie nur dann Probleme lösen können, wenn sie denken, dass es keine Probleme sind".
Je einfacher das Ziel, desto höher ist die Erfolgswahrscheinlichkeit. Und je größer der Erfolg, desto stärker die Motivation, am Ball zu bleiben und auch langfristige, größere Ambitionen in Angriff zu nehmen. Weick empfiehlt deshalb, in kleinen Schritten vorzugehen, dynamisch, und sich immer wieder neu auszurichten. Das dauert länger und widerstrebt vielen Managern, die an schnellen Ergebnissen interessiert sind. Aber es ist die richtige Methode, um voranzukommen, vor allem in einer Phase, in der sich die Umstände dauernd ändern und große Ziele sich nicht zuverlässig planen lassen.
Setzen Sie Prioritäten, nehmen Sie sich Zeit, um zu planen. Und formulieren Sie Ihre Ziele schriftlich. Die Psychologieprofessorin Gail Matthews von der Dominican University in Kalifornien hat 2007 in einer Studie herausgefunden, dass die Wahrscheinlichkeit, ein Ziel zu erreichen, um 42 Prozent steigt, wenn es aufgeschrieben wird.
Steven Baert kann sich noch lebhaft an den Tag erinnern, als er sich ein neues Ziel für 2020 setzte. Es war die Zeit, als das Coronavirus sich erstmals in Europa ausbreitete und niemand wusste, wie schlimm die Pandemie werden würde. Baert, Chief People & Organization Officer beim Schweizer Pharmakonzern Novartis, hatte gerade seinen Wagen in der Garage abgestellt. "Während ich die Treppe zu meinem Haus hochging, wurde mir plötzlich eines schlagartig klar: Jetzt war der Moment gekommen, an dem ich meinen Job neu definieren musste. Meine Aufgabe war, Menschen das Gefühl von Sicherheit zu geben – den 110.000 Mitarbeitern, für die ich verantwortlich war", sagt er. "Sobald ich diesen höheren Wert erkannt hatte, konnte ich meinen Fokus neu setzen. Das hat mir ungemein geholfen, meine Zeit und Energie in der Krise effizient einzusetzen."
Wenn Ihr Ziel eine Bedeutung für Sie hat und mit Ihren persönlichen Werten übereinstimmt, steigt die Wahrscheinlichkeit sprunghaft an, dass Sie es erreichen. Eine US-Studie zeigte 2013, dass Psychologiestudenten bessere Noten erreichten, wenn sie die Arbeit an ihren Zielen mit einem Onlinetraining kombinierten, bei dem sie sich mit ihren persönlichen Werten auseinandersetzten. Zu den Studienautoren gehört der amerikanische Psychologe Steven C. Hayes, der in den 80er Jahren mit der Akzeptanz- und Commitment-Therapie eine fortschrittliche Verhaltenstherapie entwickelte. Eines ihrer Merkmale besteht darin, unbewusste Blockaden aufzulösen, indem Menschen ihr Leben an dem ausrichten, was ihnen wichtig ist.
Es hilft gerade in unruhigen Zeiten, wenn Sie einen Fixstern haben, an dem Sie sich orientieren können. Machen Sie sich bewusst, welche Werte Ihnen wichtig sind. Eine Methode ist, sich die zehn wichtigsten Werte zu notieren und die unwichtigeren dann einen nach dem anderen wegzustreichen, bis nur noch ein Wert übrig bleibt. Schreiben Sie dann Ihre Ziele für die nächsten vier Wochen oder drei Monate auf – und hinterfragen Sie alle, die nichts mit Ihrem höchsten Wert zu tun haben (mehr zu wertebasierter Karriere- und Lebensplanung lesen Sie in auf Seite 40).
In schweren Zeiten können uns Werte nicht nur Orientierung geben. Sie motivieren auch, weil wir uns eher für etwas einsetzen, dass für uns Bedeutung hat. Im Gegenzug sind wir dann auch bereit, an anderer Stelle Abstriche zu machen. Eine Untersuchung ergab, dass über 90 Prozent der Angestellten in den USA auf einen Teil ihres Gehalts verzichten würden, wenn sie dafür auf Dauer mehr Sinn in ihrer Arbeit fänden. Die Befragten würden dafür im Durchschnitt 23 Prozent ihres Lebenseinkommens aufgeben – das ist mehr, als Menschen in der Regel für den Kauf eines Eigenheims bezahlen.
Werte lassen sich zudem auf alle Lebensbereiche anwenden. Für manche Menschen sind ihre beruflichen Ziele in der Pandemie gar nicht mehr zu erreichen – für Piloten beispielsweise, die in der Krise froh sein können, wenn ihr Arbeitgeber nicht insolvent wird. Lässt sich beruflich gerade wenig bewegen, sollten wir uns eher auf private Ziele konzentrieren, die wir stärker beeinflussen können, rät Forscherin Grant.
Der Schweizer Innovationsberater Alexander Osterwalder nutzte eine Methode namens "Rad der Veränderung" des Managementcoachs Marshall Goldsmith, um vor drei Jahren seine Ziele zu überprüfen. Das Rad unterteilt alle Handlungsoptionen in unserem Leben in vier Bereiche. Zwei von ihnen betreffen positive Elemente – wir bewahren etwas oder schaffen etwas Neues. Die anderen beiden behandeln Negatives – wir beseitigen etwas oder, wenn das nicht geht, akzeptieren es.
"Ich fragte mich: Was ist für mich Erfolg? Und kam zu dem Ergebnis, dass es sicher nicht das Geschäftliche ist", sagt Osterwalder. Für ihn fühlte es sich zudem befreiend an, unveränderliche Bedingungen in seinem Leben bewusst zu akzeptieren. "Wir sind oft gestresst von Sachen, die wir nicht verändern können", findet er. "Das Coronavirus beispielsweise ist da, egal wie viel wir uns darüber ärgern. Es hört sich trivial an, aber die wenigsten Menschen machen sich bewusst die Mühe, mit Dingen Frieden zu schließen, auf die sie keinen Einfluss nehmen können."
Als neues Ziel legte Osterwalder damals für sich fest, mehr wertvolle Zeit mit seinen Kindern zu verbringen. Im Gespräch mit ihnen kam er auf die Idee, ein Comicbuch über Unternehmertum zu schreiben. Er nannte das Projekt "Biz4Kids" und sammelte auf der Crowdfunding-Plattform Kickstarter Geld ein. "Wir fuhren nach Berlin und drehten ein Werbevideo für die Kampagne. Wir gründeten ein Unternehmen. Wir erfuhren, wie langweilig ein Notartermin sein kann." Die Kampagne warb mehr als 50.000 Schweizer Franken ein und ging über zwei Jahre. Osterwalder verbrachte nicht nur Zeit mit seinen Kindern, er gab ihnen auch etwas mit, dass ihm wichtig ist: Unternehmergeist.
Nathan Furr, Strategieprofessor an der französischen Wirtschaftshochschule Insead, hat in den vergangenen Jahren viel über das Thema Unsicherheit geforscht und Menschen interviewt, die in turbulenten Zeiten über sich hinauswachsen. Furr sagt: In einem solchen Umfeld Chancen wahrzunehmen – statt wie die meisten Menschen in Panik zu verfallen und Risiken komplett zu vermeiden – sei eine Fähigkeit, die sich erlernen lässt.
Furr identifizierte vier mentale Strategien, die erfolgreiche Krisenbewältiger einschlagen: Sie fragen sich, was sie aus einem Problem lernen können; sie nehmen Frustration als Teil des Spiels wahr, bei dem auf eine Niederlage ein Sieg folgt; sie sind dankbar für das, was sie haben; und sie akzeptieren, dass vieles im Leben Zufall ist. Das zeigt: Rückschläge gut wegstecken zu können hat vor allem mit der eigenen Haltung zu tun.
Eine besonders krisentaugliche Haltung schreibt Furr seinem Interviewpartner Benjamin Gilmour zu – Furr nennt sie "Heldenhaltung". Gilmour ist ein australischer Filmregisseur und früherer Sanitäter. Er befand sich häufig in Situationen, bei denen es um Leben und Tod ging. "Die meisten Menschen sehen in einem Hindernis ein Stoppzeichen", erzählte Gilmour. "Für mich ist es ein Zeichen, dass ich in die richtige Richtung laufe." Jede beliebte Abenteuergeschichte, so der Regisseur, beschreibe schließlich, wie der Held auf Widerstände trifft, sei es nun Luke Skywalker oder Harry Potter. "Jeder liebt den Helden. Aber die Hindernisse sind es, die ihn zum Helden machen", sagt Gilmour. "Der einzige Weg, zum Helden zu werden, ist deshalb, die Hindernisse zu überwinden!"
Suchen Sie sich Verbündete, einen Sparringspartner, der Ihnen nahesteht und bereit ist, mit Ihnen Hürden zu überwinden. Machen Sie sich bewusst, welche Hindernisse Sie aufhalten könnten. Klopfen Sie dann gemeinsam Ihr Vorhaben auf mögliche Hindernisse ab – und entwickeln Sie Strategien für den Fall, dass sie Ihnen in die Quere kommen.
Managerinnen und Managern ist oft nicht klar, welch große Bedeutung Erfolgserlebnisse für ihre Mitarbeiter haben – aber auch für sich selbst. Dabei ist dieser Effekt gut belegt. Die Harvard-Professorin Teresa M. Amabile und der Psychologe Steven Kramer fanden heraus: Am zufriedensten und motiviertesten sind Menschen bei der Arbeit, wenn sie das Gefühl haben, etwas geschafft zu haben. Das Geschaffte muss nicht einmal etwas Besonderes sein. Im Artikel "Kleine Fortschritte, große Wirkung" schreiben sie: "Die gute Nachricht ist, dass auch kleine Fortschritte immensen Auftrieb geben können. Viele der Fortschrittserfahrungen, die unsere Probanden schilderten, waren nur kleine Teilerfolge. Und trotzdem lösten sie oft starke positive Reaktionen aus."
In ihrem Beitrag zitieren die Forscher den Eintrag einer Programmiererin, die schrieb: "Ich habe herausgefunden, warum etwas nicht richtig funktioniert hatte. Ich fühlte mich erleichtert und glücklich, weil das für mich ein kleiner Meilenstein war." Ein anderer Programmierer äußerte sich so: "Ich habe diesen blöden Bug gekillt, der mich fast eine Woche lang frustriert hat. Für Sie ist das vielleicht kein großes Ding, aber ich friste ein ziemlich freudloses Dasein, da sorgt so etwas für Euphorie."
Machen Sie sich Ihre Fortschritte bewusst. Notieren Sie sich für jeden Freitag einen Termin in den Kalender und überprüfen Sie dann, welche Ziele Sie in der Woche erreicht haben. Feiern Sie dabei auch Ihre kleinen Erfolge. Beginnen Sie am besten gleich damit, und zelebrieren Sie den Startschuss für Ihr Zieleprojekt. Allein die Tatsache, dass Sie überhaupt damit angefangen haben, ist schon ein Erfolg an sich. Denken Sie immer daran: Die meisten Menschen scheitern schon daran, überhaupt ihre Ziele aufzuschreiben – geschweige denn sich im Alltag aktiv danach zu richten.
Das Charmante am Erfolg ist, dass er oft zu weiterem Erfolg führt. In der Soziologie ist dies als Matthäus-Effekt bekannt – in Anspielung auf das Zitat im Matthäusevangelium: "Wer da hat, dem wird gegeben." Die Analogie stammt vom US-Soziologen Robert Merton. Er fand heraus, dass bekannte wissenschaftliche Autoren häufiger zitiert werden als unbekannte – und dadurch noch bekannter werden. Das Phänomen wird auch "Success breeds success" genannt und wurde in unterschiedlichen Kontexten nachgewiesen: in der Wissenschaft, im Management, der Politik. Es ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor beim Selbstmanagement.
Menschen verändern sich, wenn sie Signale empfangen, die sie auf ihrem neuen Pfad bestätigen – positives Feedback von außen, von einem Coach, Freund oder einer Kollegin, oder positives Feedback von innen, etwa regelmäßige Glücksgefühle. Kleine Erfolge haben diesen Effekt. Sie treiben einen immer wieder aufs Neue an. Organisationsforscher Weick definierte sie als "konkrete, vollständige, umgesetzte Ergebnisse mit mäßiger Bedeutung". Jedes für sich allein sei unwichtig. Aber wenn sie ein Muster ergäben, "ziehen sie Verbündete an, schrecken Gegner ab und verringern den Widerstand für weitergehende Vorschläge".
Was noch wichtiger ist: Eine Erfolgsserie hilft dabei, dass einem ein neues Verhalten in Fleisch und Blut übergeht. "Viele Methoden versuchen zunächst Einstellungen oder Überzeugungen zu verändern, Anreize zu erhöhen oder die Inhalte von Zielen zu verändern", sagt die Psychologieprofessorin Gabriele Oettingen von der New York University. Ihre Motivationsmethode WOOP setze hingegen direkt bei der Verhaltensänderung an. "Es geht darum, Automatismen zu entwickeln", sagt sie. Und diese verankern sich schneller im Gedächtnis, wenn sie häufig abgespult werden und wenig Aufwand verursachen.
Sabina Nawaz, Beraterin und Coach von CEOs in den USA, geht das Wort "klein" nicht weit genug. Sie empfiehlt, "Mikrogewohnheiten" zu entwickeln. Wer sich zum Beispiel vornehme, künftig mehr zu lesen, solle sich für den Anfang nicht eine Stunde Lesezeit, nicht zehn Minuten und auch nicht ein Kapitel pro Abend als Ziel setzen. Das Maximum sei: ein Absatz. "Sie werden wissen, dass Sie das Niveau einer Mikrogewohnheit erreicht haben, wenn Sie sagen: 'Das ist so lächerlich wenig, dass es sich nicht lohnt, damit anzufangen'", schreibt sie in ihrem Beitrag auf Seite 38. Doch selbst eine derart "winzige Veränderung unserer Routine ist schwieriger, als die meisten von uns wahrhaben wollen".
Ein weiterer Vorteil von Minizielen: Wer sie verfehlt, für den geht nicht gleich die Welt unter. Sim B. Sitkin, Managementprofessor an der Duke University, hat diese Strategie deshalb umbenannt – in die "Strategie der kleinen Verluste". Im Artikel "Das Stretch-Goal-Paradoxon" schreiben er und seine Co-Autoren C. Chet Miller und Kelly E. See: "Man führt schnelle, kleine Experimente mit geringem Risiko durch – immer in dem Bewusstsein, dass viele davon scheitern werden. Aber die ein oder zwei erfolgreichen Versuche legen den Grundstein für längerfristige Erfolge."
Die Forscher zitieren Soichiro Honda, den Gründer des gleichnamigen japanischen Autobauers: "Erfolg lässt sich nur durch wiederholte Fehlschläge und Selbstbeobachtung erreichen. Im Grunde ist Erfolg das eine Prozent Ihrer Arbeit, das aus den 99 Prozent resultiert, die als Fehlschläge bezeichnet werden."
Experimente machen, Fehler zulassen, hinzulernen – man könnte auch sagen: Wer in unsicheren Zeiten Ziele erreichen will, sollte einen Design-Thinking-Workshop durchlaufen. Die Ähnlichkeit ist kein Zufall. Unsichere Lebensumstände erfordern ähnliche Strategien wie unsichere Marktumfelder. Wenn sich alte Gewissheiten auflösen, müssen wir herausfinden, was funktioniert und was nicht – für uns selbst und die Menschen, mit denen wir zusammenarbeiten.
McKinsey-Beraterin Gemma D'Auria hat sich vor einiger Zeit einen Zettel an ihren Laptop geklebt. Darauf steht: "Wem kann ich heute Mut machen?" Damit stellt sie sich die Aufgabe, jeden Tag jemanden anzurufen und zu fragen, wie es ihm oder ihr geht. "In der Krise habe ich festgestellt, dass ich mich dadurch auch selbst besser fühle." Neugier und Mitgefühl seien die Voraussetzungen dafür, dass Menschen anpassungsfähig blieben, sagt sie – und das werde in einer unsicheren Welt immer mehr zur entscheidenden Eigenschaft. © HBm 2021
Das Problem Im Jahr 2020 hat das Coronavirus viele Pläne zunichte gemacht. 2021 droht ähnlich turbulent zu werden. Dem Gefühl von Kontrollverlust folgt oft der Impuls, sich am besten gar nichts mehr vorzunehmen. Genau das wäre jedoch falsch. Für unsere Leistungsfähigkeit und mentale Gesundheit ist es wichtig, Ziele zu verfolgen, die für uns Bedeutung haben.
Die Lösung Managerinnen und Manager sollten sich gerade in unsicheren Zeiten Ziele setzen. Die Forschung zeigt, dass dies die Zufriedenheit erhöht und den Stress verringert. Wichtig ist dabei, kurzfristig zu planen, Werte als Anker zu nutzen, Hindernisse zu bedenken, sich Fortschritte bewusst zu machen und neue Gewohnheiten zu entwickeln. Und loszulassen, was wir selbst nicht ändern können.
Populäre Irrtümer
Die Selbsthilfeliteratur quillt über von Ratschlägen, wie Menschen Ziele erreichen. Nicht alle davon sind sinnvoll. Hier ein paar verbreitete Tipps, die Sie getrost vergessen können.
Sehr ehrgeizige Ziele setzen Besonders ehrgeizige Ziele motivieren besonders stark, weil das Ziel besonders attraktiv scheint, richtig? Das stimmt – aber leider nur kurzfristig. Denken Sie an Neujahrsvorsätze. Viele Menschen nehmen sich Jahr für Jahr vor, ihr Leben umzukrempeln – und scheitern immer wieder aufs Neue. Da uns selbst kleine Verhaltensänderungen in der Regel überfordern, ist es noch unwahrscheinlicher, dass wir mit ehrgeizigen Zielen Erfolg haben. Vielleicht mag der ehrgeizige Plan eine Zeit lang motivieren. Doch sobald Sie der Alltag wieder in den Fängen hat, verlieren Sie Ihre Ziele aus dem Blick. Außerdem werden Sie mit hoher Wahrscheinlichkeit Rückschläge erleiden, was Sie nach und nach entmutigen wird. Fangen Sie lieber klein an, und vergrößern Sie Ihre Ziele Schritt für Schritt.
Erfolgreiche Vorbilder nachahmen
Steve Jobs, Elon Musk und Michelle Obama mögen für viele Menschen inspirierende Vorbilder sein. Für Kölner vielleicht auch Lukas Podolski (der mit dem Fußball). Aber machen Sie sich nichts vor: Sie werden nie so erfolgreich sein wie Ihre Helden. Das ist das eine. Das andere ist, dass wir die wahre Leistung dieser Vorbilder weit überschätzen. Außergewöhnliche Erfolge sind fast immer auf außergewöhnliches Glück zurückzuführen – und das lässt sich nicht planen. Statistisch gesehen folgt auf einen außergewöhnlichen Erfolg so gut wie immer eine recht gewöhnliche Leistung – so lässt sich auch das Phänomen der vielen One-Hit-Wonder im Musikgeschäft erklären. Das Problem am menschlichen Bedürfnis nach Vorbildern ist, dass sie uns zu riskantem Verhalten verleiten. Viele der erfolgreichsten Menschen des Planeten sind unangemessen große Risiken eingegangen – genau wie viele andere, die gescheitert sind und von denen keiner je gehört hat.
Positives Denken üben
Sich Erfolge in allen Details auszumalen macht Spaß: Es versetzt uns in eine positive Stimmung. Darum ist diese Technik fester Bestand-teil vieler Coachingsitzungen. Geschäftstüchtige Coaches wissen: Gut gestimmte Kunden zahlen gern und empfehlen einen weiter. Leider erreichen wir auf diese Weise unsere Ziele seltener. Psychologische Untersuchungen zeigen: Wenn wir uns intensiv und lebhaft vorstellen, wie wir unsere Ziele erreicht haben, entspannen wir, und unsere Energie lässt nach. Wir sind weniger bereit, uns für diese Ziele tatsächlich ins Zeug zu legen. Warum auch – in unserem Kopf haben wir sie ja schon erreicht. Auf eine solche Träumerei sollte zwingend die sogenannte "mentale Kontrastierung" folgen: Stellen Sie sich ebenso intensiv die Hindernisse vor, die Sie vom Erreichen Ihrer Ziele abhalten könnten. Das bringt Sie ins Handeln.
Wünsche ans Universum senden
Manche Menschen schreiben ihre Ziele auf einen Zettel, schieben ihn in eine Flasche und lassen sie aufs Meer hinausschwimmen. Andere machen ihren Wunschzettel an einem Ballon fest und lassen ihn in den Himmel entschweben. Bärbel Mohr macht es einem noch einfacher: In ihrem populären Buch "Bestellungen beim Universum" schreibt sie, dass man sich den Traumpartner, den Traumjob oder die Traumwohnung einfach "herbeidenken" könne. Es reiche schon, die Bestellung aufzuschreiben und sie dem Universum nachts am Fenster vorzulesen (Zitat: "Wenn du Vollmond gut findest, tu es bei Vollmond"). Vielleicht haben Sie es vermutet: All das bringt Sie Ihren Zielen keinen Schritt näher.
Autor
Ingmar Höhmann ist leitender Redakteur des Harvard Business managers.
Dieser Beitrag erschien in der Januar-Ausgabe 2021 des Harvard Business managers.
