Städteranking: Wo es sich in Deutschland am besten leben lässt – 71 Großstädte im Zukunftscheck
Günstig wohnen, gute Jobs, genug Ärzte: 28 Parameter sind in ein exklusives Ranking der deutschen Städte nach Lebensqualität eingeflossen. Und nein, auf Platz eins liegt diesmal nicht München.
Wie zukunftstauglich sind deutsche Städte? Diese Frage beantwortet das Wirtschaftsinstitut Prognos in fünf Kategorien: Ökologie, Mobilität, Soziales, Digitalisierung und Arbeit. Untersucht wurden 68 kreisfreie Städte und drei Stadtregionen. Eine große interaktive Deutschland-Karte zeigt die Ergebnisse der im Juli veröffentlichten Studie.
Der Gesamtsieger hat sich mit schwäbischem Fleiß nach oben gearbeitet. Ortsbesuch in einer einstigen Industrie-Hochburg, die nun mit Start-ups punktet.
Salzgitter ist Sieger im Bereich Ökologie. Lesen Sie in diesem Stadtporträt, wie der Oberbürgermeister die Industrieregion in eine grüne Zukunft führen möchte.
Chemnitz schafft es in die Top 10 des Rankings. Obwohl dort nicht einmal ein ICE hält und die AfD bei der Europawahl stärkste Kraft wurde, steigt das mittlere Gehalt stärker als in anderen Städten. Das könnte auch an den Hidden Champions vor Ort liegen.
Was macht eine lebenswerte Stadt aus? Die Antworten auf diese Frage dürften so vielfältig ausfallen, wie es Bürgerinnen und Bürger sind. Der eine sehnt sich nach einer möglichst bunten Kulturszene, die andere nach genug Stadtgrün zum Joggen.
Aber ein paar Kriterien gibt es, auf die sich wahrscheinlich die meisten Menschen einigen können: Gut bezahlte Jobs sind wichtig, aber auch günstige Wohnungen. Eine Gleichung, die im teuren München schon mal nicht aufgeht. Aber es gibt ja noch andere Kriterien, wie Ärztedichte oder Kitaplätze, die untersucht werden können.
„Wie schnell reagieren die Städte auf aktuelle Herausforderungen, um gutes Leben heute und in Zukunft zu ermöglichen? Das ist der Fokus unserer Untersuchung“, sagt Bernhard Wankmüller vom Forschungsinstitut Prognos.
Prognos-Städteranking 2024: 71 Städte untersucht
Zusammen mit seiner Kollegin Kathleen Freitag und seinen Kollegen Olaf Arndt und Lukas Röbke hat er 68 kreisfreie Großstädte in Deutschland untersucht. Hinzu kommen die drei Stadtregionen Hannover, Aachen und Saarbrücken, in denen die Großstadt zusammen mit dem Umland eine Verwaltungseinheit bildet. In den untersuchten Städten leben rund 30 Prozent der deutschen Bevölkerung.
Das Ergebnis: Ein Städteranking der etwas anderen Art. In der im Juli veröffentlichten Untersuchung geht diesmal nicht darum, wo die Immobilienpreise am schnellsten steigen oder die Wirtschaftsleitung pro Kopf am höchsten ist. Sondern um insgesamt 28 Kriterien aufgeteilt in die fünf Kategorien Ökologie, Mobilität, Soziales, Arbeit und Digitalisierung.
Wie schneiden die Städte im Detail ab?
An diesen Kategorien lässt sich ablesen, wie viel Lebensqualität eine Stadt ihren Bewohnern schon heute bietet und wie gut sie auf die Herausforderungen der Zukunft eingestellt ist – ob sie ihre Lebensqualität also auch in Zukunft voraussichtlich halten oder sogar steigern kann oder ob ein Abstieg droht (eine Erläuterung zur Methodik der Untersuchung finden sie am Ende des Textes).
Diese Stadt ist ganz oben auf dem Städtethron
Der Gesamtsieger heißt anders als in vielen anderen Standortrankings nicht München. Die bayerische Boomtown landet nur auf Rang zwei. Verdrängt wird sie vom Gesamtsieger Ulm.
Ja, ausgerechnet Ulm, die überschaubare 130.000-Einwohner-Stadt in Schwaben. Wie es sich für die Region gehört, macht Ulm nicht viel Aufhebens um sich, ragt in keinem Kriterium wirklich heraus, fällt aber auch nirgendwo dramatisch zurück. Ulms Spitzenplatz beruht auf typisch schwäbischer Fleißarbeit.
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Dank einiger kluger Entscheidungen wandelte sich die Stadt in den vergangenen Jahrzehnten von einem Industriestandort im Niedergang zu einem Hightech- und Medizinmetropölchen. In dem die Wohnungen übrigens durch einige kommunalpolitischer Kniffe immer noch vergleichsweise bezahlbar sind. Unser Städteporträt finden Sie hierH+.
Zwei ostdeutsche Städte entwickeln sich besser
Ulm triumphiert vor allem beim Status quo. Im Dynamikranking hingegen, das anhand der 28 Kriterien misst, wie schnell sich eine Stadt entwickelt, werden Ulm und München von zwei ostdeutschen Städten verdrängt: Jena und Chemnitz.
Jena, klar, das leuchtet ein. Die Hightech- und Wissenschaftsstadt in der Mitte Deutschlands schneidet in vielen Rankings gut ab. Chemnitz verblüfft da schon eher. In der Stadt mit immerhin einer Viertelmillion Einwohner hält nicht einmal ein ICE. Und das überregionale Image von Chemnitz ist spätestens seit einem Großaufmarsch von Rechtsradikalen im Jahr 2018 ... problematisch.
Zu Unrecht, finden viele Bewohnerinnen und Bewohner. Das Prognos-Ranking ist für sie eine Bestätigung, dass sich in ihrer Heimat vieles zum Guten entwickelt.
Zum Beispiel: In Chemnitz stieg das mittlere Gehalt im Zeitraum von 2014 bis 2022 um 30 Prozent auf 3144 Euro. Deutlich stärker als in anderen Städten. Da ist auch die Bevölkerungsentwicklung. Zwar verlor Chemnitz nach dem Mauerfall ein Viertel seiner Einwohner. Im Jahr 2010 aber zogen erstmals seit der Einheit mehr Menschen nach Chemnitz als von dort weg. Von 2012 bis 2022 stieg die Bevölkerungszahl um drei Prozent. Was Chemnitz sonst noch zunehmend lebenswert macht, lesen Sie hierH+.
Die Verliererstadt, die aber in einer Kategorie andere Städte überholt
Und dann gibt es noch Städte, die zwar im Gesamtranking nicht besonders gut abschneiden, aber bei einem bestimmten Kriterium ganz vorn liegen. Zum Beispiel Salzgitter. Ausgerechnet die Stahl- und Autostadt im Südosten Niedersachsens, im Gesamtranking nur auf Platz 62, ist laut der Prognos-Kriterien die ökologischste kreisfreie Großstadt Deutschlands.
Das liegt auch an den vielen unversiegelten landwirtschaftlichen Flächen in der Stadt. Schließlich entstand Salzgitter erst 1942 aus zahlreichen bis dahin selbstständigen Gemeinden. Aber auch vorausschauende Stadtpolitik trägt dazu bei, dass Salzgitter als grünste deutsche Stadt aus dem Ranking hervorgeht. Mehr über Salzgitter finden Sie hierH+.
Generell gilt laut Prognos-Forscher Wankmüller: „Kleine Großstädte schneiden überraschend gut ab.“ Größe hingegen kann bestimmte Probleme bedingen, etwa hohe und rasch steigende Mieten. So folgen auf Ulm und München mit Ingolstadt, Erlangen und Regensburg gleich drei kleinere bayerische Großstädte, bevor mit Leipzig auf Rang sechs eine Stadt mit mehr als 500.000 Einwohnerinnen und Einwohnern folgt.
Die zweite grundsätzliche Erkenntnis: Städte im Süden und Osten Deutschlands schneiden im Schnitt besser ab als jene im Norden und Nordwesten. Während der Süden vor allem beim Status quo stark ist, punkten ostdeutsche Städte mit ihrer positiven Entwicklung.
Im Dynamikranking befinden sich gleich sieben ostdeutsche Großstädte unter den Top Ten. Wankmüller: „Ostdeutsche Städte punkten vor allem mit günstigen Mieten und vielen Kita-Plätzen.“ Zudem nimmt die Bevölkerung in den ostdeutschen Großstädten zu, anders als in vielen ländlichen Regionen in Ostdeutschland.
Probleme sind laut Wankmüller in manchen Industriestädten in Westdeutschland erkennbar, was sich sowohl beim Status quo als auch an der Dynamik zeigt. So landen zum Beispiel Saarbrücken und Wuppertal in beiden Kategorien auf den Plätzen 60 und dahinter. 14 der 20 Städte mit der geringsten Platzierung im Gesamtranking liegen in Nordrhein-Westfalen.
Prognos-Städteranking 2024: Lesen Sie hier mehr zur Methodik
Grundlage der Prognos-Untersuchung sind die 68 kreisfreien Städte mit mehr als 100.000 Einwohnern in Deutschland. Hinzu kommen drei Stadtregionen, in denen Stadt und Umland eine Verwaltungseinheit bilden. Anhand von Datenbanken und öffentlich zugänglichen Datenquellen hat das Prognos-Team 28 Parameter erhoben, anhand derer die Städte in fünf Kategorien im Zeitverlauf bewertet wurden. Konkret:
Kategorie Ökologie:
Feinstaubbelastung 2013 – 2022
Bodenversiegelungsgrad 2012 – 2018
Wasserverbrauch der Privathaushalte 2013 – 2019
Anteil erneuerbare Heizenergie im Wohnungsneubau 2017 – 2022
Ausbaustand erneuerbarer Energien 2019 – 2023
Kategorie Mobilität:
ÖPNV-Abfahrten 2018 – 2020
Abfahrten im Regional- und Fernverkehr 2018 – 2020
E-Auto-Dichte 2020 – 2023
E-Ladesäulen-Infrastruktur 2020 – 2023
Verkehrstote 2013 – 2022
Kategorie Soziales:
Angebotsmieten 2012 – 2022
Medianentgelt 2014 – 2022
Bauüberhänge (Zahl der genehmigten, aber noch nicht fertiggestellten Wohnungen) 2018 – 2022
Plätze in Kindertagesstätten 2013 – 2022
Plätze in integrativen Kitas 2013 – 2022
Frauenanteil in Gremien 2013 – 2024
Kinderarmut 2016 – 2022
Kategorie Arbeit
Auszubildendenquote 2013 – 2022
Studierendenquote 2012 – 2021
Bevölkerungsentwicklung 2017 – 2022
Beschäftigtenquote der ausländischen Bevölkerung 2013 – 2022
Arbeitsplätze für die Umsetzung der Umweltziele der EU 2013 – 2023
Ärztedichte 2015 – 2022
Gründungsintensität 2014 – 2022
Kategorie Digitalisierung
Gigabit-Anbindung der Haushalte 2020 – 2023
5G-Mobilfunkversorgung 2022 – 2023
Digitale Impulsgeber (Berufsgruppen, die Digitalisierung vorantreiben oder umsetzen) 2013 – 2023
Umsetzungsstand beim Online-Zugangsgesetz OZG (Zugang zu digitalen Verwaltungsleistungen (2017-2024)
Die Berechnung des Rankings berücksichtigt sowohl den Status quo (die aktuellsten verfügbaren Daten) als auch die Dynamik der Indikatoren. Die Dynamik wird als prozentuale Veränderung des Indikators zwischen dem ersten und dem aktuellsten erhobenen Zeitpunkt berechnet.
Die Stadt mit dem jeweils besten Indikatorwert erhält den Wert 1, die Stadt mit dem schlechtesten Wert den Wert 0, alle anderen liegen dazwischen. Die Indikatoren „Digitale Impulsgeber“ und „Berufe zur Umsetzung der EU-Umweltziele“ gehen nur mit halbem Gewicht in das Ranking ein, um in Summe einen Indikator zu zukunftsweisenden Berufen in den Feldern Digitalisierung und Nachhaltigkeit zu bilden.
Das Gesamtranking ergibt sich aus dem Mittelwert von Dynamik- und Status-quo-Ranking. Dabei wird der Status quo doppelt gewichtet.
