Die Allianz bietet aus ihrer Sicht sehr flexible Möglichkeiten zum mobilen Arbeiten. - Foto: dpa
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Streit um Homeoffice wird zum Nachteil für Mitarbeiter

Der Münchener Versicherer hat eine besonders flexible Regelung für mobiles Arbeiten. Doch in einer Einheit fordert der Betriebsrat mehr Freiraum – und erreicht das Gegenteil.

Köln, Frankfurt. Wer als Managerin oder Mitarbeiter Wert auf mobiles Arbeiten legt, ist beim Versicherer Allianz eigentlich gut aufgehoben. Die rund 160.000 Beschäftigten in mehr als 200 Ländern können mindestens 40 Prozent ihrer Arbeitszeit außerhalb des Büros arbeiten.

Bei der Allianz Deutschland mit 20.000 Mitarbeitenden gilt sogar eine flexiblere Lösung. Per Betriebsvereinbarung sind vier Präsenztage pro Monat festgelegt. „Weitere Anlässe für Präsenz definiert jedes Team eigenverantwortlich für sich selbst wie beispielsweise die Einarbeitung neuer Kolleg:innen“, ergänzt eine Konzernsprecherin.

Die Arbeitsregelungen bei dem Dax-Konzern kommen auch außerhalb gut an. Beim diesjährigen Wettbewerb „Deutschlands beste Arbeitgeber“ belegt Allianz Deutschland in der Kategorie der Unternehmen mit mehr als 5000 Mitarbeitern Platz eins.

Doch der Arbeitnehmervertretung der Einheit Allianz Re mit ihren etwa 120 Mitarbeitenden reicht das nicht. Der Betriebsrat hat diese Vereinbarung nie unterschrieben – und will die Gerichte entscheiden lassen, wie der Begriff „Arbeitsplatz“ heutzutage interpretiert werden soll.

Die Allianz Re ist ein eigenständiger Betrieb innerhalb des Gesamtkonzerns Allianz SE mit eigener Geschäftsleitung und Personalfunktion. Daher hat die Allianz Re einen eigenen Betriebsrat und eigene Betriebsvereinbarungen.

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Homeoffice: Versicherer sind bei flexiblen Arbeitsmodellen sehr weit

Der Streit wirkt bizarr. Den Betriebsrat stört, dass die Vereinbarung schwammig formuliert sei und deshalb eine Führungskraft individuell Vollpräsenz fordern könnte. Stattdessen fordert die Vertretung 100 Prozent Homeoffice.

Doch weil die Arbeitnehmervertreter mangels Einigung die Unterschrift für die aktuelle Vereinbarung verweigern, hat sich für die Mitarbeitenden die Situation stattdessen vorübergehend verschlechtert – und beschäftigt nun die Gerichte in München, wo die Gesellschaft ihren Sitz hat.

Wie es dazu kommen konnte, zeigen Dokumente, die das Handelsblatt einsehen konnte, als auch Aussagen aus dem Unternehmen.

Eine Sprecherin der Einheit erklärt, dass das Management nach dem Ende der Coronapandemie ab April 2023 die aktuelle Regelung eingeführt hatte. „Im Verständnis der Allianz Re stellte dies eine flexiblere Interpretation einer seit 2016 bestehenden Betriebsvereinbarung zum mobilen Arbeiten dar“, erklärt die Unternehmenssprecherin.

In der Tat scheint der Trend im Rest der Wirtschaft gegenläufig. Laut einer Umfrage des Wirtschaftsprüfers KPMG gehen zwei Drittel der deutschen Vorstände davon aus, dass ihre Angestellten innerhalb der nächsten drei Jahre wieder Vollzeit ins Büro zurückkehren. Lediglich 25 Prozent glauben an hybride Modelle, nur drei Prozent schwören auf das Homeoffice.

Foto: IMAGO/AFLO
Foto: IMAGO/AFLO

In der Versicherungsbranche sind dagegen flexible Lösungen üblich – schließlich haben Versicherer keine Fabriken für die Produktion und keine Schichtarbeit. Außerdem hat die Branche zuletzt viel verdient. An der Performance der Unternehmen scheint das mobile Arbeiten also nicht zu nagen.

Generali hat genaue Vorgaben für mobiles Arbeiten

Auch die Deutschlandtochter des italienischen Versicherers Generali ist bei dem Thema sehr weit. Wie Deutschland-Chef Stefan Lehmann dem Handelsblatt sagt, sei es wichtig, die richtige Balance zwischen allen Abteilungen und Interessengruppen zu finden und insbesondere auch das Serviceversprechen gegenüber Kunden und Vertrieb sicherzustellen.

Mit dem Konzernbetriebsrat sei bei Generali in Deutschland vereinbart, dass Mitarbeitende bei Vollzeit pro Quartal mindestens 18 Tage im Büro sein sollten – also durchschnittlich sechs Tage pro Monat, zwei mehr als bei der Allianz Deutschland.

In den Teams werde abgesprochen, ob und wann eine Präsenz erwünscht oder weniger erforderlich sei, erläutert Lehmann. Das obere Management halte sich aus diesen Absprachen heraus. Die Belegschaft unterstütze das Modell in der Breite nicht nur. „In vielen Teams kommen die Mitarbeitenden deutlich häufiger ins Büro als 18 Tage pro Quartal.“

Auch im großen Konzerngeflecht der Allianz hat die ähnlich flexible Konzernvereinbarung bisher keine Probleme geschaffen – außer bei der Tochterfirma Allianz Re.

Dort hatte der Betriebsrat beim Arbeitsgericht München einen Antrag auf einstweilige Verfügung gestellt, um die Flexibilisierung wieder zu stoppen. Er sah hierin einen Verstoß gegen Mitbestimmungsrechte. In erster Instanz wurde im April 2023 der Betriebsratsantrag abgewiesen.

Betriebsrat will konkretere Vorgaben für die Arbeit im Homeoffice

In zweiter Instanz entschied dann jedoch das Landesarbeitsgericht München im August 2023, dass die Interpretation zum mobilen Arbeiten seit April 2023 zu ungenau war.

Einen Erfolg aus Arbeitnehmersicht kann man das nicht nennen. Nun gilt für Allianz Re vorerst weiterhin die Betriebsvereinbarung von 2016. Und darin ist vom „regelmäßigen Arbeitsplatz“ die Rede und davon, dass die „Mehrheit der Arbeitszeit“ im Büro verbracht werden soll.

Auch das ist nicht im Sinne der Arbeitnehmervertreter. Nun hat der Betriebsrat die Allianz verklagt, weil ein Mitarbeiter wieder mehr als 50 Prozent ins Büro kommen sollte. Der Betriebsrat meint, das sei nicht gerechtfertigt. Die Allianz Re argumentiert: Dies entspreche der aktuell gültigen Betriebsvereinbarung von 2016 – ohne die Unterschrift des Betriebsrats gibt es ja noch keine neue.

Inzwischen ist das Hauptsacheverfahren eröffnet worden. Eine Entscheidung wird für Ende April erwartet. Gut möglich, dass die Richter dem Landesarbeitsgericht folgen und der Fall dann weiter vor das Bundesarbeitsgericht geht.

Knackpunkt scheint das Wort „Arbeitsplatz“ in der Vereinbarung von 2016 zu sein. Meint dies den Arbeitsplatz im Büro, so wie es die Geschäftsleitung interpretiert – oder irgendeinen Arbeitsplatz, also auch den im Homeoffice? Eine konkrete Entscheidung der Richter hätte große Auswirkungen für die 120 Mitarbeitenden der Allianz-Tochter – und vermutlich für tausende Arbeitnehmer in Deutschland.

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