Teurer Dünger, Ukraine-Krieg, Trockenheit – Nahrungsmittel stehen vor einem Preissprung
Die Lage auf den weltweiten Agrarmärkten verschärft sich. Ein Ende der Preisspirale ist noch längst nicht erreicht, fürchten Experten – und warnen vor einem Gaslieferstopp.
Die Preise für Nahrungsmittel könnten in den kommenden Monaten noch weiter steigen. Davon gehen Agrarökonomen und Konsumexperten aus. Denn die Situation auf den weltweiten Agrarmärkten verschärft sich. Die Kosten für Dünger, Pflanzenschutzmittel und Treibstoff steigen rasant. Hinzu kommen Trockenheit in wichtigen Anbauregionen und die ausbleibenden Weizenlieferungen aus der Ukraine und Russland.
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In den westlichen Ländern ist kein Versorgungsengpass zu befürchten, doch an der Supermarktkasse bekommen die Verbraucher die angespannte Lage längst zu spüren. Vor wenigen Wochen hat Aldi als Taktgeber der Branche die Preise für Hunderte Produkte erhöht. Die anderen Händler folgten. Im April hatten sich die Verbraucherpreise für Nahrungsmittel in Deutschland um 8,5 Prozent zum Vorjahr verteuert.
Doch das ist nicht das Ende der Preisspirale. „Wir erleben einen inflationären Schock im Lebensmitteleinzelhandel“, beobachtet Chehab Wahby, Konsumexperte der Beratung EY-Parthenon. Noch längst seien nicht alle höheren Kosten der Erzeuger im Supermarkt angekommen.
„Die Verbraucher hat erst ein Teil der Preiserhöhungen erreicht“, sagt auch Eckhard Heuser, Hauptgeschäftsführer des Milchindustrie-Verbands. Der Preisvergleich Smhaggle hat exklusiv für das Handelsblatt Regalpreise ausgewertet: Ein Liter frische Vollmilch (3,5 Prozent) kostet als Handelsmarke derzeit fast elf Prozent mehr als zu Jahresanfang. Ein halbes Pfund Butter (Handelsmarke) ist um 40 Prozent teurer, ein Kilo Marken-Weizenmehl 20 Prozent.
Der von der Welternährungsorganisation FAO erhobene Preisindex zeigt die Dramatik: Danach sind Nahrungsmittelpreise weltweit binnen eines Jahres um 33 Indexpunkte auf den höchsten Wert seit 15 Jahren gestiegen. Bei Getreide und pflanzlichen Ölen ist der Anstieg besonders hoch. Weizen kostet aktuell an der Pariser Terminbörse Matif 398 Dollar pro Tonne – zu Jahresbeginn waren es noch 279 Dollar.
„Die Lage auf den Weltagrarmärkten wird sehr angespannt bleiben“, sagt der führende Agrarökonom Matin Quaim, Direktor am Zentrum für Entwicklungsforschung der Universität Bonn. Vor allem für arme Menschen sei dies ein großes Problem, weil sie sich nicht mehr ausreichend Lebensmittel leisten können. „Der Hunger in Afrika und Asien ist dieses Jahr bereits deutlich angestiegen“, beobachtet er.
Es ist eine gefährliche Mischung aus Faktoren, die derzeit dem globalen Agrarangebot zusetzen und für die Preisanstiege sorgen:
1. Teure Düngemittel
Zwar gibt es in Deutschland aktuell keine Düngemittelknappheit, wie der Industrieverband Agrar unterstreicht. Doch die Bauern müssen für die zur Verfügung stehenden Pflanzennährstoffe drei- bis viermal so viel bezahlen wie noch vor drei Jahren.
Das ist einer der Treiber für die aktuellen Kostensteigerungen in der Landwirtschaft, denn Dünger ist für die Bauern wichtig, um die Ernteerträge hoch zu halten. Entsprechend hart würde die Landwirtschaft ein Ausfall von Düngelieferungen treffen.
Der Deutsche Bauernverband und der Industrieverband Agrar warnen vor den Folgen eines Gaslieferstopps aus Russland. Für die Herstellung des wichtigen Stickstoffdüngers ist Gas entscheidend: Es wird als Energielieferant und als Rohstoff zugleich eingesetzt und macht damit 80 Prozent der Herstellungskosten aus.
Johann Meierhöfer, Referatsleiter Ackerbau & Nachwachsende Rohstoffe beim Deutschen Bauernverband, geht von zwei Szenarien aus: Bleiben die russischen Gaslieferungen auf dem jetzigen Niveau, sollte es weiterhin keine Versorgungsengpässe mit Dünger in Deutschland geben. „Der Preis wird jedoch hoch bleiben“, erwartet er.
Kommt kein russisches Gas mehr in die EU, würde Dünger hierzulande im Frühjahr 2023 knapp – mit spürbaren Auswirkungen auf die deutsche Ernte im folgenden Sommer: „Es ist mit deutlichen Ertragsausfällen zu rechnen, nicht nur bei Getreide und Ölsaaten, sondern auch bei der Gemüseproduktion“, sagt Meierhöfer.
Die Düngemittelhersteller haben sich als Teil der Nahrungsmittel-Produktionskette bereits gegenüber der Bundesregierung für systemrelevant erklärt, wenn es um eine mögliche Zuteilung von Gaslieferungen bei einem Russlandembargo geht.
Der Bauernverband hatte zudem gefordert, einen nationalen Vorrat von Dünger für das Frühjahr 2023 aufzubauen. Doch die Regierung wiegelt ab. „Der Aufbau einer Düngemittelreserve wäre zum jetzigen Zeitpunkt schwierig, da bereits eine Knappheit besteht und sich weiter verschärfen würde, wenn Düngemittel vom Markt genommen würden“, sagte eine Sprecherin des Bundeslandwirtschaftsministeriums.
Die Firmen, die Stickstoff-Düngemittel produzieren, sollten ausreichend Gas zur Verfügung haben, sagte sie. Man stehe wegen des Notfallplans in engem Austausch mit dem Bundeswirtschaftsministerium.
2. Abgeschottete Agrarmärkte
Tatsächlich würde die deutsche Landwirtschaft bei einem Gas-Lieferstopp ihre Autarkie bei Düngemitteln aufs Spiel setzen, erläutert Marco Fleischmann vom Düngerhersteller Yara. Sie wäre dann auf Lieferungen aus Russland angewiesen, dem weltweit wichtigsten Lieferanten des Stickstoffdünger-Ausgangprodukts Ammoniak.
Doch die Russen haben ihrerseits den Export von Düngerstoffen heruntergefahren – als Folge von Sanktionen, aber auch, um die Versorgung der eigenen Landwirtschaft zu sichern. Moskau setzt dies auch als strategisches Mittel ein: Führende Agrarländer wie Brasilien sind auf Dünger aus Russland angewiesen und positionieren sich deswegen nicht frontal gegen die Russen.
Die Knappheit wird auch bei anderen Düngersorten wie etwa Kali bestehen bleiben, erwarten Hersteller wie der kanadische Marktführer Nutrien. Die Kaliexporte aus Russland und Weißrussland machen in Normalzeiten gut 40 Prozent der weltweiten Menge aus. Im ersten Quartal sind sie um 20 Prozent zurückgegangen.
Bereits im vorigen Jahr hatten die Preise für den Grunddünger Kaliumchlorid wegen einer weltweit steigenden Nachfrage und niedriger Vorratsbestände deutlich zugelegt. Kostete die Tonne Anfang 2021 noch 245 Dollar, stieg der Preis bis Jahresende auf 795 Dollar, zeigen die Daten des Marktforschers Argus Potash. Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine ist der Preis auf mehr als 1100 Dollar geschnellt.
Die Folgen des Krieges zeigen sich auch in der direkten Versorgung mit Nahrungsmitteln. So fallen Russland und vor allem die Ukraine als Exporteur von Weizen weitgehend aus. Beide zusammen stellen sonst gut 30 Prozent des weltweiten Weizenexports.
In der Ukraine sind die Felder im Frühjahr von den Bauern zwar noch bestellt worden. Doch die Verschiffung des Getreides über die Schwarzmeerhäfen ist wegen der russischen Einnahme der dortigen Regionen kaum möglich. Russland selbst hält Weizen für die eigene Bevölkerung zurück und liefert nur an „befreundete Staaten“.
Abgeschottet haben sich nicht nur die Russen. „Andere Länder wie Indonesien und Ungarn haben Exportbeschränkungen für Getreide und Pflanzenöle erlassen, um die Preise im eigenen Land niedrig zu halten“, erläutert der Bonner Agrarökonom Quaim. „Aber auf dem Weltmarkt führt das zu einer weiteren Verknappung.“
3. Teure Pflanzenschutzmittel
Für die Düngerhersteller ist die Knappheit einträglich. Nutrien wie auch der US-Konkurrent Mosaic haben im ersten Quartal einen kräftigen Gewinnsprung gemacht, was wohl auch für den deutschen Kali-Lieferanten K+S gilt, der am Mittwoch Ergebnisse vorlegt.
Bei den Herstellern von Pflanzenschutzmitteln ist dieser Effekt ebenfalls zu sehen. Chemikalien gegen Unkraut, Pilze und Insektenbefall sind für die Bauern neben Dünger Mittel der Wahl, um die Ernteerträge auf ihren Feldern hoch zu halten. Auch Pflanzenschutzmittel sind massiv teurer geworden, wie die am Dienstag vorgelegten Ergebnisse der Bayer AG zeigen.
Der Konzern hat im ersten Quartal einen Umsatzzuwachs von 14 Prozent auf 14,6 Milliarden erzielt und den bereinigten Gewinn um 28 Prozent auf 5,3 Milliarden Euro gesteigert. Getrieben wurde dies überwiegend vom Agrargeschäft, dessen Gewinn um 50 Prozent hochschnellte und das eine Rendite von 43 Prozent erzielte.
Bayer profitierte massiv von den Engpässen beim Unkrautvernichter Glyphosat, der noch immer globaler Standard bei der Unkrautbekämpfung in der Großlandwirtschaft ist. Der Preis des Herbizids hat sich binnen Jahresfrist verdoppelt. Ein Grund für die Engpässe sind fehlende Lieferungen von chinesischen Glyphosat-Herstellern, die wegen der hohen Energiepreise und logistischer Probleme weniger exportieren.
4. Trockenheit bedroht die Ernten
Zusammengenommen ist die Kostenbelastung für die Landwirte extrem gestiegen. „Noch nie gab es solch eine Steigerung für die Landwirtschaft bei Dünger, Diesel und auch Strom“, konstatiert Meierhöfer vom Bauernverband.
Das wird sich weiter auf die Lebensmittelpreise auswirken. Dazu kommt eine neue Entwicklung, die die Verfügbarkeit von Nahrung global weiter einschränken könnte: Die anhaltende Trockenheit bedroht die Ernteerträge. „Indien und Pakistan erleben momentan extreme Hitzewellen, was sich auf die dortige Weizenernte negativ auswirken wird“, erläutert Agrarökonom Quaim.
In Europa ist die kommende Ernte noch nicht genau absehbar, aber auch hier haben einige Regionen bereits mit Trockenheit zu kämpfen. Für das aktuelle Jahr erwarten deutsche Bauern inzwischen nur noch eine durchschnittliche Ernte.
