Unbegrenzt Urlaub: Warum Bitpanda seine Mitarbeitenden selbst entscheiden lässt, wie viel Urlaub sie nehmen
Beim Fintech Bitpanda darf jede·r selbst über die Anzahl der Urlaubstage entscheiden. Was sich das Start-up davon verspricht, erklärt eine Top-Managerin.
Ein Interview von Kristina Appel
Kristina Appel: Warum stellt ihr eurer Belegschaft frei, wie viele Tage Urlaub jeder nehmen kann?
Magdalena Hoerhager: Wir wollten Danke sagen. Wir haben trotz Pandemie weiter Erfolge gefeiert und gelernt, dass wir unserem Team voll vertrauen können. Und wir suchen momentan nach wie vor 300 Mitarbeitende. Wir bieten ja zudem viel mehr an als unbegrenzten Urlaub wie zum Beispiel die Möglichkeit, an 60 Arbeitstagen von überall her auf der Welt zu arbeiten, recharge breaks oder eine geschlechtsneutrale Elternzeit von 20 Wochen. Das hilft uns hoffentlich, innerhalb Europas als einzigartiger Arbeitgeber aufzufallen.
Es gab zuletzt aber auch Kritik an Bitpanda. Es heißt, das schnelle Wachstum habe die Kultur zum Negativen verändert. Ist der Image-Kratzer auch ein Grund für die neuen Initiativen?
Wir sind in den letzten Jahren sehr schnell gewachsen. Unser kununu Score liegt aber immer noch weit über dem Industrie-Durchschnitt. Darauf sind wir stolz. Aber es stimmt – wir haben uns die offene Fehlerkultur, die wir predigen, zu Herzen genommen und wollen sie als Motivation nutzen, uns in jeglicher Hinsicht zu verbessern.
Wie seid ihr auf die Idee gekommen, unbegrenzten Urlaub zu gewähren?
Als Tech-Unternehmen haben wir natürlich nach Silicon Valley geschaut und große Start-ups aus dem europäischen Raum analysiert. Eventbrite aus San Francisco bieten dieses Modell zum Beispiel schon länger an. Und wir haben mit unseren Mitarbeitenden über ihre Bedürfnisse gesprochen.
Wir wollen durch diese neuen Incentives die Produktivität steigern – mit gesunden, ausgeruhten und kreativen Mitarbeitern.Magdalena Hoerhager, Vice President Growth bei Bitpanda
In Unternehmen, die das Modell unbegrenzter Urlaub anbieten, etwa betterplace.org, haben die Mitarbeitende am Ende eher weniger Urlaub genommen als davor. Ist das Modell nicht eine Mogelpackung?
Wir haben ja noch gar keine Erfahrungswerte, also lasst uns die erst einmal sammeln. Klar ist: Niemand sollte wegen zu viel Urlaub seine Zielvereinbarungen verpassen. Genauso wenig sollen Kolleg·innen plötzlich nur noch sieben Tage Urlaub im Jahr nehmen. Das gewährleisten wir dadurch, dass der unlimitierte Urlaub zusätzlich zu dem gesetzlich vereinbarten Urlaub von 25 Tagen in Österreich z.B. hinzu kommt. Wir wollen durch diese neuen Incentives die Produktivität steigern – mit gesunden, ausgeruhten und kreativen Mitarbeitern. Darum gibt es auch unsere „Recharge Breaks“ – zusätzlich zum unbegrenzten Urlaub.
Was genau sind Recharge Breaks?
Eine Art Betriebsferien. Zwei Mal im Jahr geht das ganze Team, alle Bitpandas, zeitgleich für eine Woche in den Urlaub. Wir haben eine festgelegte Notbesetzung für die wichtigen Systeme, aber grundsätzlich sollen alle die Chance haben, wirklich auszuschalten und abzuschalten – ohne das Gefühl zu haben, etwas zu verpassen oder erreichbar sein zu müssen.
Wer so viel Freiheit hat, hat auch viel Verantwortung. Können eure Mitarbeitenden damit umgehen?
Von alleine wird das nicht funktionieren, dessen sind wir uns bewusst. Nach dem anfänglichen glücklichen Schockzustand kommt oft die Ernüchterung. Denn Hierarchien sind im europäischen Umfeld noch die Norm, genauso wie das Erfassen von Arbeitsstunden. Wir müssen also alle gemeinsam lernen, wie die neu gewonnene Freiheit für alle am besten funktioniert.
Was bedeutet das für Eure Führungskräfte?
Sie müssen verstärkt ein Auge auf ihre Teammitglieder haben und genau beobachten, wie die mit ihren neu gewonnen Freiheiten umgehen. Wir schulen unsere Manager·innen darin, eine Vertrauenskultur zu etablieren und vorzuleben. Natürlich werden verschiedene Teams unterschiedlich mit den Regeln umgehen. Das bedarf anfangs etwas mehr Aufwand, aber irgendwann wird es hoffentlich zur Routine.
Ich könnte also meinen Mann und meinen Sohn einpacken und zwei Monate von Lissabon aus arbeiten.Magdalena Hoerhager, Vice President Growth bei Bitpanda
Recharge Breaks, Work from Anywhere, unbegrenzter Urlaub - wann sollen Teams bei so viel individueller Flexibilität überhaupt noch miteinander ins Arbeiten kommen?
Grundsätzlich haben wir eine 50:50 Regel. Das heißt, 50 Prozent der Zeit wünschen wir uns Anwesenheit in einem unserer zehn Büros in ganz Europa. Dazu gibt es die Möglichkeit, 60 Tage im Jahr von überall auf der Welt zu arbeiten, da entfällt 50:50. Aber wir verlangen, dass sich mindestens 80 Prozent der Arbeitszeit mit den Zeiten der Kollegen überschneidet, damit die Teamarbeit gewährleistet ist. Ich könnte also meinen Mann und meinen Sohn einpacken und zwei Monate von Lissabon aus arbeiten.
Das setzt voraus, dass dein Mann auch dafür frei bekommt, du keine Eltern pflegst oder schulpflichtige Kinder hast. Entstehen so nicht auch Konflikte im Team?
Natürlich ist nicht jede·r gleich flexibel und die Chancen, unsere Angebote zu nutzen, verändern sich mit den Lebensabschnitten. Nur wenige werden 100 Prozent unserer Angebote annehmen können. Aber genau darum geht es uns: Wir bieten maximale Möglichkeiten, damit jeder und jede sich bestmöglich individuell organisieren kann.
Bei all diesen Incentives – zahlt ihr dafür weniger Gehalt?
Absolut nicht! Ganz im Gegenteil: Wir bieten international kompetitive Gehälter an, weil wir nur so die besten internationalen Talente bekommen.
Können Unternehmen, die traditionell organisiert sind, mit euch beim Buhlen um Talente mithalten?
Alle Unternehmen müssen sich die Frage stellen, was für Mitarbeiter sie haben wollen. Und junge, ambitionierte, internationale Talente wünschen sich nunmal mehr Zusatzleistungen und mehr Flexibilität. Die Pandemie hat diesen Trend noch verstärkt. Wer um diese Talente buhlen will, kann die Uhr nicht mehr zurückdrehen.
Seit Januar 2022 ist Magdalena Hoerhager zurück aus dem Mutterschutz und nun in neuer Position als Bitpandas Vice President Growth tätig. In dieser Rolle setzt sie ihre Expertise in den Bereichen Kundenerfahrung, Geschäftsbetrieb und Skalierung internationaler Teams ein, um die regionalen Growth-Teams zu leiten sowie Bitpandas internationale Expansion voranzutreiben. Magdalena kam 2019 zu Bitpanda und verantwortete zuvor Global Growth & Business Development. Bitpanda wurde 2014 gegründet und ist in rasanter Geschwindigkeit zu einem der bedeutendsten Scale-ups im österreichischen Raum und darüber hinaus geworden. Knapp 1000 Mitarbeitende mit 57 Nationalitäten arbeiten an zehn europäischen Standorten und das Fintech wächst weiter.