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Vom Klimakiller zum Rohstoff: Welche Produkte jetzt aus CO2 hergestellt werden

Unternehmen stellen mittlerweile zahlreiche Produkte mit dem Treibhausgas als Basis her. Die Methode ist revolutionär – aber bis sie dem Klima hilft, ist es noch ein weiter Weg.

Das Labor ist unscheinbar. Es wirkt wie ein herkömmliches Biolabor der Universität Wien. Zwei junge Männer in weißen Kitteln stehen vor durchsichtigen, runden Behältern. Hinter diesen eine Wand voller Kabel, Stecker und Schläuche. Eine Flüssigkeit bewegt sich im Strudel in den Behältern, in einem schäumt es.

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Ihr Chef steht auch im Raum, und würde er es nicht sagen, man würde es nicht wissen: Hier entstehen Lebensmittel. Gregor Tegl, CEO des Biotechnologie-Start-ups Arkeon, ist Teil einer innovativen Art der Kreislaufwirtschaft, mit der das Klima gerettet werden soll. Er verwendet CO2, welches von Industrien bei ihren Produktionen ausgestoßen wird, als Rohstoff.

Arkeon füttert Bakterien mit dem klimaschädlichen Treibhausgas CO2, aus dem diese Proteine für die Lebensmittelhersteller produzieren – Ausgangspunkt sind die Behälter mit Flüssigkeit, hier wachsen die Mikroorganismen. „Sogar wir sind erstaunt, was diese Lebewesen schaffen können“, sagt Tegl. „Wir haben ein Bakterium entdeckt, welches sich nur von CO2 ernähren kann.“

Was auf den ersten Blick klein wirkt, könnte am Ende etwas Großes werden. Denn die Idee, die dahintersteckt, ist ganz groß: Es geht darum, CO2 wiederzuverwerten, statt es in die Atmosphäre zu blasen. Es geht um einen wichtigen Beitrag im Kampf gegen den Klimawandel. Konzerne wie Unilever, Coca-Cola, L'Oréal und das Modeunternehmen Zara verwenden ausgestoßenes CO2 bereits als Grundlage für ihre Produkte, denn mit chemischen Verfahren oder mit Biotechnologie lässt sich das Klimagas in andere Stoffe umwandeln.

Man spricht dabei von Carbon Capture and Utilization (CCU), sprich, aus der Atmosphäre entnommenes CO2 neu zu verwerten. Viele Experten halten diese Klimaschutzmethode für zukunftsträchtig. „CO2 ist nicht als Abfallprodukt zu verstehen, sondern ist Teil einer Kreislaufwirtschaft“, sagt Sabine Fuss, Gruppenleiterin Nachhaltiges Ressourcenmanagement und Globaler Wandel des Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change in Berlin. „Das ist ein sehr attraktives Narrativ im Moment.“

CO2 muss aus der Atmosphäre gezogen werden

Auch der kürzlich veröffentlichte Klimabericht IPCC besagt: Um den Klimawandel wirksam einzudämmen, müssen Menschen CO2-Emissionen nicht nur stoppen und reduzieren, sondern auch aktiv aus der Atmosphäre ziehen und speichern.

An der Universität Michigan in den USA arbeiten Forscher etwa an Technologien, mit denen CO2 aus der Luft gezogen und „recycelt“ wird. Die Forscher schätzen, dass kommerzialisierte Technologien für CCU die globalen CO2-Emissionen um bis zu zehn Prozent pro Jahr reduzieren können.

Vor allem für die Baumaterialien Zement, Beton und Asphalt als auch für Kraftstoffe, Kunststoffe wie Polymere, Kleidung mit Kohlenstofffasern oder Lebensmittel mit Proteinen sei CCU vielversprechend.

Walter Leitner, Chemiker an der RWTH Aachen, betreut Projekte mit CCU. Es müsse darauf geachtet werden, „den Kohlenstoff, den man einmal ins System gebracht hat, immer wieder im Kreis zu fahren“, sagt er.

Kraftstoffe, die direkt wieder emittiert werden, müsse man mit Technologien aus der Atmosphäre abziehen. Kunststoff wiederum vom Nutzer am Ende wieder eingesammelt werden und in den Kreislauf zurückgeführt werden.

Plastik aus CO2

Die Chemieindustrie arbeitet daran, Kohlendioxid als Rohstoff im industriellen Maßstab nutzen zu können. Das Prinzip klingt einfach: Im Grunde braucht man nur das Kohlenstoff-Molekül, auf dem letztlich alle Chemikalien und Kunststoffe in veredelter Form basieren. „Wir wollen Kohlendioxid als alternativen Rohstoff in der chemischen Industrie breit einsetzen“, sagt Sucheta Govil, Chief Commercial Officer im Covestro-Vorstand. Der Weg dahin ist aber lang. Aktuell basieren noch mehr als 90 Prozent der Covestro-Produkte auf fossilen Rohstoffen. Die Vision ist es, die komplette Produktion auf erneuerbare Rohstoffe und damit auf die Kreislaufwirtschaft umzustellen.

Neben pflanzlichen Rohstoffen spielt CO2 dabei eine Schlüsselrolle. Die Gewinnung des Kohlenstoffs aus dem Treibhausgas ist nicht einfach: CO2 gilt als sehr träges Molekül, das sich nur unter hohem Energieaufwand spaltet. Damit stellt sich die Frage, ob die Ökobilanz im Vergleich zu fossilen Rohstoffen besser ist.

Mit Chemikern der RWTH Aachen hat Covestro einen Katalysator entwickelt, der das Verfahren energieärmer macht. Damit hat der Konzern die Grundlage für alle CO2-Anwendungen geschaffen: In weichen Schäumen für Matratzen, die Covestro zuliefert, ersetzt Kohlendioxid schon mehr als 20 Prozent des Erdöls.

Der aus dem Treibhausgas gewonnene Kohlenstoff taucht in immer mehr Produkten und Projekten auf: Schaumstoffe für Autos, Hartschaumplatten für die Fassadendämmung, Schmutzlöser in Waschmitteln. Aktuell hat Covestro 45 Produkte auf Basis alternativer Rohstoffe im kommerziellen Einsatz, deren Produktion in den nächsten Jahren für den Einsatz im industriellen Maßstab skaliert werden soll.

Treibstoff aus CO2

Eine wichtige Rolle für CCU spielt auch die Stahlindustrie, die erst in einigen Jahrzehnten damit rechnet, komplett von Kohle auf Wasserstoff wechseln zu können – aber ihre Emissionen bis 2030 um mindestens 30 Prozent senken muss.

So forscht etwa Deutschlands größter Stahlproduzent Thyssen-Krupp schon seit einigen Jahren daran, das CO2, das im Werk in Duisburg anfällt, abzufangen und zu Methanol weiterzuverarbeiten. Erforscht wird die komplette Prozesskette: vom Abfangen des CO2 über die Umwandlung in andere Vorprodukte mithilfe von Wasserstoff bis hin zur Nutzung in der Kunststoff- und Düngemittelindustrie. Bis 2025 soll sogar ein Fahrzeug entstehen, das mit Methanol betrieben wird. Der avisierte Neupreis soll bei gerade einmal 21.000 Euro pro Auto liegen.

In Zukunft könnte durch CCU deutlich mehr Methanol zur Verfügung stehen, als tatsächlich benötigt wird. So könnte die chemische Industrie etwa fünf Prozent der globalen CO2-Emissionen in Form von Methanol verarbeiten. Bei Kraftstoffen sind es schätzungsweise 20 Prozent.

Das Schweizer Start-up Synhelion arbeitet an einer kommerziellen Testanlage, um mithilfe von Sonnenlicht und CO2 Kerosin herzustellen. Ein großes Spiegelfeld und ein Solarturm, in dem der Prozess stattfindet, sind die Grundlage.

Auch hier ist die Idee, den CO2-Kreislauf zu schließen, erklärt die Sprecherin von Synhelion, Carmen Murer. „Wir machen den Verbrennungsprozess für einen Treibstoff rückgängig“, sagt sie. „Mit Solarwärme treiben wir chemische Reaktionen an, um Kohlenstoff und Wasserstoff in flüssigen Treibstoff zurückzuverwandeln.“ Würden diese dann von einem Flugzeug wieder verbrannt werden, entstehe nur so viel CO2, wie vorher zur Umwandlung genutzt wurde. „Wir planen bereits die erste kommerzielle Anlage an einem sonnigeren Standort in Spanien“, so Murer.

Um eine positive Wirkung auf das Klima zu haben, müsste das CO2, was direkt wieder vom Flugzeug verbraucht wird, wieder eingefangen werden, sagt Klimaexpertin Fuss. „Doch auch dies ist ein energiereicher Prozess.“

Baumaterialien aus CO2

Heute wird bereits Zement mit dem Rohstoff CO2 hergestellt, genauso wie Carbonfasern. Für Zementwerke sollen die beim Projekt Carbon2Chem entwickelten Technologien von Thyssen-Krupp eines Tages zur Verfügung stehen. Denn der Zementbranche fehlt es noch völlig an alternativen Verfahren – die Hersteller sind wahrscheinlich auch langfristig auf CCU angewiesen.

So arbeitet etwa Heidelberg Cement daran, das derzeit bei der Klinkerproduktion anfallende CO2 in recyceltem Beton zu binden, der bei der Produktion von Betonfertigteilen anfällt. Das dabei entstehende Material soll später wieder selbst als klimaneutrales Ausgangsprodukt für die Herstellung von Klinker dienen.

Aber manche Industrien lassen sich nicht vollständig dekarbonisieren, erklärt Sebastian Beblawy, Projektleiter Umwelttechnik der Landesagentur für Umwelttechnik und Ressourceneffizienz Baden-Württemberg. Bei der Zementherstellung kämen 60 Prozent der Emissionen aus den Prozessen selbst, dann gäbe es noch die Müllverbrennung von nicht recycelbaren Abfällen, die ebenfalls nicht vermieden werden können. „Die Technologien für CO2 als Rohstoff sind also alternativlos“, sagt Beblawy.

Kleidung aus CO2

Zwei Wissenschaftler des Instituts für Textiltechnik an der RWTH Aachen haben mit Covestro zusammen aus CO2 Kunststofffasern hergestellt, aus denen Kleidung produziert werden kann. Der Kunststoff namens Polyol, mithilfe von CO2 hergestellt, ersetzt hier einen Teil fossiler Rohmaterialien.

Die elastische Faser, die auf einem Schmelzspinngerät an der Universität hergestellt wird, wird bereits von Sportartikel- und Textilherstellern für einige Produkte getestet, darunter die Marke lululemon.

Auch Modekonzern Inditex, zu dem die Bekleidungskette Zara gehört, brachte bereits Kleidung aus CO2-Emissionen heraus. Dafür arbeitete Zara mit dem US-Start-up Lanzatech zusammen, welches Kunststoffe, Methanol und Ethanol aus recyceltem CO2 herstellt.

Zusammen entwickelten sie eine Kollektion aus Kleidern, die aus Kunststoff hergestellt wurden, der zum Teil aus Kohlenstoffemissionen besteht. In China fängt Lanzatech die Emissionen der Stahlindustrie ein und wandelt diese in Ethanol um. Über einen Fermentationsprozess wird aus dem Ethanol dann weiterer Alkohol, welcher dann in Garn umgewandelt wird - woraus dann Kleidung gemacht wird.

Essen aus CO2

Für Nahrung aus CO2 werden Lebewesen benötigt. So wie beim Biotech-Start-up Arkeon: Ein Bakterium, welches CO2 frisst, kann Aminosäuren herstellen. „Unsere Organismen brauchen keinen Zucker oder andere Stoffe als Futter, sie können sich rein von CO2 ernähren“, sagt der CEO von Arkeon, Tegl: „Und da werden wir auch nie das Problem haben, zu wenig davon zu bekommen.“ Letztlich landen die Aminosäuren dann in Getränken oder als Pulver in Lebensmitteln: vegane Eiweißshakes oder Proteinwasser etwa.

Vier Patente hat es auf die Prozesse gelegt und hat das Ziel, Umwandlungsanlagen direkt neben Konzerne zu bauen, die eine große Menge CO2 emittieren. „Wir wollen das CO2 für unsere Nahrungsmittel gleich dort einfangen, wo es produziert wird.“

Das finnische Start-up Solarfoods stellt ebenfalls Essen mithilfe von CO2 her. Mitarbeiter füttern die Organismen in Reaktoren mit CO2 und Wasserstoff, diese bilden daraus ebenfalls ein Proteingemisch, welches Fleischersatzprodukte oder verschiedene andere vegane Eiweißprodukte anreichern kann. Bis 2023 soll in Finnland die erste Produktionsanlage stehen, die für etwa vier Millionen Portionen Essen ausreichen soll, später für 40 Millionen.

Kosmetik aus CO2

Ein Start-up in Kanada verwandelt hingegen CO2 in Seife. CleanO2 erfand ein Gerät, welches das Treibhausgas aus Gebäudeheizungen abspeist und in Kaliumcarbonat, sogenannte Perlasche, umwandelt. Aus Boilern, Warmwasserbereitern und Öfen, welche Erdgas verwenden, zieht CleanO2 Rauchgas ab und stellt in einem Umwandlungsgerät Kaliumcarbonat her. Dieser Stoff kann für die Herstellung von Seifen und Waschmitteln dienen. Nach eigenen Angaben reduziert ein Gerät das atmosphärische Kohlendioxid um sechs bis acht Tonnen pro Jahr, was ungefähr der Wirkung von 300 Bäumen entsprechen soll.

Auch Lanzatech ist in diesem Bereich tätig. Das Unternehmen arbeitet mit Mibelle und Migros in der Schweiz zusammen bei der Verwendung zum Beispiel von Ethanol in Haushaltsreinigungsprodukten und bei der Produktion von Waschmitteln mit Unilever für die Marken Omo und Coral. Außerdem arbeitet Lanzatech auch mit L’Oréal und Total Energies zusammen, um mithilfe eines Kunststoffs aus emittiertem CO2 Kosmetikflaschen herzustellen.

Der weltweit erste Prototyp einer Shampooflasche aus recycelten Kohlenstoffemissionen wurde 2020 hergestellt. „Wir skalieren diesen Prozess jetzt, damit diese Verpackung in Zukunft in den Geschäften erhältlich ist“, erklärt dazu die Nachhaltigkeitschefin von Lanzatech, Freya Burton. Man habe bis heute mehr als 200 Millionen Liter Ethanol produziert und damit rund 190.000 Tonnen CO2 eingedämmt.

Noch ein weiter Weg zur richtigen Klimawirksamkeit

In Produkten aus CO2 sehen Experten den großen Hebel für das Klima jedoch noch nicht. „Für das Gesamtsystem ist das noch ein kleiner Ausschnitt“, sagt Leitner. Jeden Tag brauche die Industrie weltweit Hunderte Millionen Barrel Erdöl, also sei es noch ein weiter Weg für das Klimaschutzproblem.

Für die technische Umwandlung von CO2 in einen neuen Ausgangsstoff benötigt man meist auch große Mengen erneuerbaren Strom, um den Prozess nicht noch einmal klimaschädlich zu machen. „Wir müssen hier global denken und Partnerschaften mit Ländern eingehen, wo erneuerbare Energie günstig ist und in großen Mengen zur Verfügung steht.“

Viele Experten plädieren für die komplette Vermeidung von CO2-Emissionen. Wissenschaftler Beblawy sieht die Zukunft des CCU optimistisch: Je teurer Rohstoffe werden, desto mehr würden Technologien lukrativ, die CO2 recyceln, meint er.

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