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Alles, was Sie zu Leadership und Aufstieg wissen müssen

Warum dieser Mittelständler die Boni abschaffte – und plötzlich vieles einfach wurde

© bernardbodo/Getty Images
Zugehörigkeit im Team ist einer der Topmotivatoren

Bei System.de setzte man ganz auf Zielvereinbarungen – aber die entpuppten sich als Motivationsbremse. Mithilfe einer Coachin kam der radikale Kurswechsel. 

Ein Beitrag von Kristina Appel 

Als Peter Schulte und Wilhelm Boeddinghaus 2018 die Geschäftsführung übernahmen, befand sich der IT-Dienstleister System.de in einer Art Totalumbau. „Wir haben komplett umstrukturiert“, erinnert sich Schulte, „und die Marke neu aufgestellt. Für mich war damals klar, dass ich ein Bonusmodell mit variablen Gehaltsbestandteilen einführen würde.“ Schulte hatte über 20 Jahre nach diesem Modell Teams und Bereiche in der IT-Branche aufgebaut – und das ausgesprochen erfolgreich. „Wir hatten Jahre, da hatten wir eine Zielerreichung von 230 Prozent – und dann auch 230 Prozent des ausgelobten variablen Gehaltsanteils ausgezahlt.“

Variable Gehälter brauchen Zielvorgaben

Dass Mitarbeitende am Betriebsergebnis beteiligt sind, hat Schulte immer als konstruktiv empfunden. Alle wussten schließlich: Geld, das der Betrieb einspart, landet zu einem Teil im eigenen Geldbeutel. Auch bei den persönlichen Zielvereinbarungen sah der CEO vor allem Vorteile, schließlich wurden diese im Gespräch zwischen Mitarbeitenden und Vorgesetzten verhandelt und festgelegt – Verkäufe, Projekte oder Weiterbildungen und Zertifizierungen. „Ich empfand das Feedback immer sehr positiv. Wir haben Mitarbeitenden Zeit zum Lernen gegeben und sie darüber hinaus für ihre Weiterbildung belohnt“, sagt Schulte.

Das System bröckelt

Bei den Angestellten in der Verwaltung stieß das System aber von Anbeginn an seine Grenzen. Hier war es für die Beteiligten schwieriger, konkrete Ziele zu definieren und den individuellen Fortschritt zu bewerten. Das hatte Konsequenzen: Immer öfter blieben die gesteckten Ziele unerreicht und Bonuszahlungen aus.

Sie betrachten den variablen Teil ihres Gehalts nicht als Bestandteil dessen, was sie verdienen können, sondern eher als „funny money“.
Wilhelm Boeddinghaus

Damit geriet das etablierte Modell ins Wanken: „Ein Teil der Belegschaft betrachtete den variablen Teil ihres Gehalts nicht als festen Bestandteil dessen, was sie verdienen können, sondern eher als „funny money“, sagt Chief Technology Officer Wilhelm Boeddinghaus. Und nicht erhaltene Boni wurden eher als Sanktion und Gehaltsreduktion empfunden. Was als Motivationsanreiz gedacht war, kehrte sich in der der Wahrnehmung vieler Mitarbeitenden ins Gegenteil. 

Als Wachstum und Gewinne stagnierten, holten sich die Gesellschafter externe Beratung bei Susanne Ringen. Die Coachin für Leadership und Organisationsdesign erkannte die Fehler im System: Während sich ein kleiner Teil der Mitarbeitenden hundertprozentig mit dem klassischen Bonisystem identifizierte, verfolgten andere die Zielvereinbarungen mit weniger Verve und verhinderten so den Teamerfolg. Ringen bringt zudem eine neue These ins Spiel: Geld ist gar kein guter Motivator.

Boni abschaffen? Auf keinen Fall!

CEO Schulte will zunächst nichts davon wissen, das variable Gehalt abzuschaffen, auch wenn Ringen handfeste Argumente vorweist: wissenschaftliche Ergebnisse, die belegen, dass Menschen in kreativen, kognitiven Berufen keinen zusätzlichen Antrieb durch erfolgsabhängige Vergütung erleben – sogar ganz im Gegenteil.

Bei CTO Boeddinghaus schleichen sich schneller Zweifel ein: „Gehen wir das alles falsch an?“ Die Inhaber teilen ihre Bedenken mit dem Management, das Susanne Ringens These bestätigt: Das variable Gehalt motiviert das Team nicht. Was ihnen viel wichtiger ist: die Möglichkeit eigenständiger Arbeit, die Sinnhaftigkeit ihrer Aufgaben und die Chance, sich weiterzuentwickeln.

Motivation kann man nicht fördern, man kann ihr nur im Weg stehen.
Susanne Ringen

Grundsätzlich unterscheidet die Psychologie zwischen extrinsischer und intrinsischer Motivation. Und während Geld – extrinsisch – bis zu einem gewissen Punkt ein Motivator sein kann, verfliegt die Motivation danach ziemlich schnell. „Intrinsische Motivation dagegen heißt: Ich empfinde das, was ich tue, als sinnvoll“, erläutert Ringen. „Ich fühle mich einer Gruppe zugehörig und darf mich in meinem Umfeld weiterentwickeln, besser werden. Dabei möchte ich mich autonom fühlen, ohne zwanghaft kontrolliert zu werden.“

Motivation ist für Ringen nichts, das man fördern kann, sondern vielmehr etwas, dem Vorgesetzte oder Unternehmen durch auferlegte Rahmenbedingungen im Weg stehen können. Und das – da waren sie sich einig – wollten Wilhelm Boeddinghaus und Peter Schulte auf keinen Fall tun.

Ein neues System, ein neues Mindset

Weil die Gehälter der Mitarbeitenden schon immer inklusive der Boni budgetiert waren, entschieden die Geschäftsführer sich dafür, die neuen Fixgehälter dem anzupassen. 100 Prozent, 12 Gehälter im Jahr, auf Branchenniveau. Der zusätzliche Vorteil: für das Unternehmen einfacher in der Abrechnung und für die Angestellten gut planbar, verlässlich und transparent.

Die Abschaffung der Boni ist der erste Schritt eines Veränderungsprozesses. Jetzt müssen Schulte, Boeddinghaus und ihre Belegschaft sich auch emotional von alten Glaubenssätzen verabschieden – und neue etablieren. Bleibt die Frage: Gibt es einen Weg zurück? Nein, sagen Peter Schulte und Wilhelm Boeddinghaus, diese Entscheidung sei ein „point of no return“. Sie starten positiv ins neue Geschäftsjahr.

Arbeitet Ihr mit variablen Gehältern? Was motiviert Euch?

Unsere Gesprächspartner:

© System.de
Peter Schulte, CEO (links), und Wilhelm Boeddinghaus, CTO

Peter Schulte und Wilhelm Boeddinghaus übernahmen 2018 den IT-Dienstleister system.de und stellten das Unternehmen komplett neu auf. 2022 schafften sie das etablierte Bonisystem ab. system.de ist ein IT-Traditionsunternehmen und berät rund um die Themen Netzwerkmanagement und Systemintegration neuer Technologien in der DACH Region.

@SilvieGagelmann

Susanne Ringen ist Trainerin für Führungskräfte und Organisationsdesignerin. Sie unterstützt Führungskräfte und Unternehmen aus dem digitalen Agentur- und Start-up Umfeld, sozialen Einrichtungen bis hin zum Mittelstand und Konzernen.

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