Foto: Mercedes-Benz AG
Premium

Warum Mercedes Benz trotz Rekordgewinn sparen muss

Der traditionsreiche Hersteller ist so profitabel wie nie, doch nun wird das Geschäft härter. Konzernchef Ola Källenius forciert Luxuskurs und Spardoktrin.

Stuttgart. Volle Kassen sind gefährlich, zumindest bei Mercedes-Benz. Wann immer der schwäbische Autobauer in seiner mehr als 135 Jahre währenden Historie finanziell glänzte, folgten oft Kostenexzesse, Trägheit oder übermütige Manöver wie die Chrysler-Fusion. Insofern ist die Marke mit dem Stern aktuell in einer heiklen Phase.

Der Gewinn schoss im Vorjahr um über ein Drittel in die Höhe und erreichte mit 14,8 Milliarden Euro einen neuen Bestwert. Auch 2023 lief gut an. Im ersten Quartal lag die operative Umsatzrendite in der dominanten Autosparte weiter bei fast 15 Prozent.

Doch nun wird der Wettbewerb „härter“, warnt Konzernchef Ola Källenius intern seit Wochen. „Ohne die konsequente Arbeit an unseren Kostenstrukturen stünden wir heute nicht da, wo wir stehen“, schrieb der Manager jüngst in einer E-Mail an seine wichtigsten Führungskräfte. „Und mit Blick nach vorne wird diese Aufgabe noch wichtiger.“ Sein Appell: „Jetzt nicht nachlassen.“

Jetzt Handelsblatt Premium zum Vorteilspreis sichern - Zum Angebot

Källenius will unbedingt verhindern, dass der Konzern in seinen obligatorischen Schlendrian zurückfällt. Zumal die globale Autoindustrie dieses Jahr auf Überkapazitäten von bis zu fünf Millionen Fahrzeugen zusteuert. „Pkw sind keine Mangelware mehr“, sagt ein Investmentbanker.

Der Chipengpass löst sich auf. Für Mercedes wird es dadurch schwieriger, hohe Preise für seine Neuwagen und Gebrauchten durchzusetzen. Darüber hinaus dämpfen die steigenden Zinsen und die hohe Inflation die Nachfrage. In Europa schwächelt bereits der Auftragseingang.

Analysten sehen Mercedes am Zenit der Marge

Die meisten Analysten erwarten zwar, dass Mercedes weiter zweistellige Umsatzrenditen erwirtschaftet. Aber bei der Gewinnspanne sei der Konzern schon „sehr weit oben“ angekommen und habe nun ein „Plateau erreicht“, glaubt Jürgen Pieper vom Bankhaus Metzler.

Im Schnitt rechnen Börsianer dieses Jahr mit einem Rückgang der operativen Marge bei Mercedes um eineinhalb bis zwei Prozentpunkte. Infolge des steigenden Anteils an Elektroautos am Gesamtabsatz drohen künftig sogar strukturell niedrigere Gewinnspannen, da Stromer zunächst deutlich geringere Deckungsbeiträge abwerfen als Verbrenner. Gleichzeitig kann Mercedes bei der Antriebswende aus dem Vollen schöpfen, wie ein vertiefter Blick in die Bilanz zeigt.

1. Mercedes: Üppige Dividende und viel Eigenkapital

Nahezu alle wesentlichen finanziellen Kennwerte von Mercedes lagen zuletzt im Plus. So konnte der Premiumhersteller etwa seinen Umsatz im Vorjahr um zwölf Prozent steigern auf 150 Milliarden Euro. Das Ergebnis vor Zinsen und Steuern (Ebit) zog sogar überproportional um über ein Viertel an auf 20,5 Milliarden Euro. Im Industriegeschäft erwirtschaftete Mercedes obendrein einen starken Free Cashflow von 8,1 Milliarden Euro.

Infolge der guten Ergebnisentwicklung kletterte das Eigenkapital von 73 auf fast 87 Milliarden Euro. Die Nettoverschuldung des Konzerns reduzierte sich parallel von 95 auf 88 Milliarden Euro. Weil die Bilanzsumme von Mercedes stagnierte, legte die Eigenkapitalquote um satte fünf Punkte zu auf 31,1 Prozent. Selbst die hohen Pensionsverpflichtungen – lange ein großer Kritikpunkt von Investoren – sind mittlerweile keine Last mehr, sondern ausfinanziert. Der gestiegene Rechnungszins führte zu einem Finanzierungsgrad von über hundert Prozent. Mercedes strotzt vor Kraft.

Während die Rückstellungen deutlich zurückgingen, schoss die Nettoliquidität von Mercedes im Vorjahr von 21 auf 26,6 Milliarden Euro in die Höhe. Im ersten Quartal 2023 verzeichneten die Schwaben einen weiteren Anstieg. Aktuell verfügt das Unternehmen über liquide Mittel von fast 29 Milliarden Euro.

Mit so viel Kapital sollte die Sternentruppe ihr Ziel, in den kommenden Jahren zum global führenden Hersteller von luxuriösen Elektroautos mit herausragender Fahrzeugsoftware zu werden, aus eigener Kraft stemmen können.

Es bleibt derzeit auch genügend Geld übrig, um Aktionäre und Mitarbeitende ordentlich am wirtschaftlichen Erfolg zu beteiligen. Wenn Aufsichtsratschef Bernd Pischetsrieder am Mittwoch gegen zehn Uhr die virtuelle Hauptversammlung eröffnet, wird er den Eigentümern eine Dividende von 5,20 Euro je Anteilsschein zur Abstimmung vorlegen. Das sind 20 Cent mehr als im Vorjahr. In Summe will Mercedes 5,6 Milliarden Euro ausschütten – das ist der absolute Spitzenwert unter den 40 im Börsenindex Dax notierten Konzernen. Die Beschäftigten von Mercedes erhalten derweil eine Prämie von jeweils bis zu 7300 Euro. Anspruchsberechtigt sind rund 93.000 Mitarbeiter.

2. Luxusrausch statt Absatzfetisch bei Mercedes

Im Gegensatz zu seinen Vorgängern sind Absatzrekorde für Mercedes-Chef Källenius wertlos. Das Mantra des Schweden lautet: Marge vor Menge. Daher lenkt er alle verfügbaren Halbleiter priorisiert in besonders edle Limousinen und SUVs wie S-Klasse oder GLS, die hohe Renditen einbringen.

Mit derlei Top-End-Fahrzeugen will Källenius kräftig wachsen. Allein die Nobelsubmarke Maybach konnte ihre Auslieferungen seit 2020 auf über 23.000 Fahrzeuge mehr als verdoppeln. Auch die Tuningtochter AMG meldet neue Bestwerte. Begehrt sind zudem die Geländewagen der G-Klasse. In Deutschland sind die 2,5 Tonnen schweren Kolosse zu Einstiegspreisen von 118.256 Euro sogar ausverkauft.

3.Teuer, noch teurer, Mercedes!

Insgesamt verschiebt Källenius den Produktmix deutlich. Die Modellpalette von Mercedes, die in der vergangenen Dekade auf über 40 Fabrikate und Derivate angewachsen ist, dünnt der Manager sukzessive wieder aus. Kleine und kaum rentable Baureihen wie A-Klasse und B-Klasse werden Mitte der Dekade eingestellt. Auch die Anzahl der Cabrios und Coupés wird eingedampft. Dafür ist eine kleine Version der G-Klasse in Vorbereitung und eine komplett neue Fahrzeugklasse für den chinesischen Markt.

Alle Autos mit Stern sollen zudem aufgewertet werden, etwa mit Riesendisplays. Für Verbraucher wird es damit noch teurer, einen Mercedes zu fahren. Seit 2019 ist der durchschnittliche Verkaufspreis eines Neuwagens der Marke bereits um 43 Prozent angestiegen auf 72.900 Euro. Bilanziell zahlt sich dieser Luxuskurs für Mercedes aus. Die Netto-Umsatzrendite hat sich in den vergangenen beiden Jahren von 3,3 auf 9,9 Prozent verdreifacht.

4. Van-Sparte von Mercedes überraschend stark

Im Zuge des Dieselskandals stürzte die Van-Sparte von Mercedes in eine schwere Krise. Die meisten Kleintransporter, die von kühl kalkulierenden Handwerkern und Lieferdiensten genutzt werden, sind Selbstzünder. Entsprechend groß waren die Rückrufe bei der Division. 2019 häufte sich ein Verlust von mehr als drei Milliarden Euro an. Der Turnaround gelang wenig später, aber bei der Profitabilität hinkte der Bereich der Pkw-Einheit deutlich hinterher. Bis jetzt.

Im ersten Quartal 2023 schoss die Rendite auf 16,5 Prozent in die Höhe. Bereits im Vorjahr legte der operative Gewinn des Van-Geschäfts um 66 Prozent zu auf 1,9 Milliarden Euro. Auch der Umsatz stieg merklich. Die Marge lag mit elf Prozent auf einem überraschend hohen Niveau. Ausschlaggebend dafür war und ist der starke Absatz des Kastenwagens Sprinter, der Großraumlimousine V-Klasse und der kleinen T-Klasse. Noch ist die Division sehr europalastig. Aber Van-Chef Mathias Geisen baut allmählich auch das Geschäft in den USA und China aus.

5. Wenig E-Autos = schlechte CO2-Bilanz

Seine Erträge generiert Mercedes bis jetzt nahezu ausschließlich aus dem traditionellen Geschäft mit Diesel und Benzinern, bevorzugt mit acht oder zwölf Zylindern. In den nächsten Jahren treten weltweit allerdings immer schärfere Abgasvorschriften in Kraft und zwingen Mercedes zum Elektroschwenk. Konzernchef Källenius will dabei schneller sein als die Konkurrenz und bis 2030 möglichst nur noch Stromer verkaufen.

Aktuell sind die Schwaben von diesem Ziel kilometerweit entfernt. Von den mehr als zwei Millionen Pkw, die das Unternehmen im Vorjahr auslieferte, waren gerade einmal 118.000 Einheiten batterieelektrisch unterwegs. Der Anteil der Elektrofahrzeuge am Gesamtabsatz liegt bei 5,8 Prozent. Zum Vergleich: Der Rivale BMW kommt auf einen Stromanteil von 8,2 Prozent.

Insbesondere in China stockt die Elektro-Offensive. Der EQC, der erste Strom-SUV der Marke, wird im Mai sogar wieder eingestellt. Die Emissionswerte der Sternenflotte sind schlecht. In Europa konnten die Schwaben den Zielwert beim Ausstoß von klimaschädlichem Kohlendioxid von maximal 124 Gramm pro Kilometer zwar unterbieten. Aber Wettbewerber wie Volvo sind viel weiter. Und in China und den USA hat Mercedes die Verbrauchsvorgaben klar verfehlt. Der Konzern musste Verschmutzungsrechte zukaufen, um Strafen zu entgehen.

6. Mercedes: Stramme Kostendisziplin

Früher oder später werden Elektroautos auch bei Mercedes das dominante Verbrennergeschäft ablösen. Damit geht jedoch eine „strukturelle Herausforderung“ einher, konstatiert Mercedes-Frontmann Källenius. „Denn die variablen Kosten der Elektroautos liegen bis auf Weiteres substanziell über denen der Verbrenner.“

Allein dieses Jahr dürfte der Zuwachs an Batterieautos den Konzern einen halben Prozentpunkt Marge kosten. Folglich müsse Mercedes „weiter gegensteuern“, bläut Källenius seinen Managern ein. Der gesamte Geschäftsapparat müsse transformiert werden. „Deshalb gibt es keine Pause.“ Zumal auch Mercedes mehr Geld für Strom, Gas, Stahl, Leichtmetalle und Batterierohstoffe bezahlen muss.

Das Unternehmen reagiert und drückt etwa seine Personalkosten. So hat Mercedes seit 2019 in seiner Autosparte fast 7000 Jobs abgebaut. Gleichzeitig forciert der Konzern den Online- und Direktvertrieb, um Einheitspreise durchzusetzen und Rabattschlachten zwischen Händlern zu unterbinden. Zudem drosselt das Unternehmen seine Investitionen für Forschung und Entwicklung sowie in Sachanlagen. Letztere wurden im Vorjahr um fast ein Viertel zurückgefahren auf nur noch 3,5 Milliarden Euro. Rückläufig sind auch die allgemeinen Verwaltungskosten.

7. Börse misstraut Erfolgen von Mercedes

Trotz der guten Ergebnisse blicken viele Anleger skeptisch auf Mercedes. Der Konzern konnte seine Marktkapitalisierung in den vergangenen Jahren zwar steigern. Mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 5,7 werden die Schwaben aber immer noch bewertet, als gingen alsbald die Lichter aus.

Das alarmiert Investoren. „Porsche zeigt Mercedes bei der Börsenbewertung die Rücklichter“, moniert Ingo Speich. Der Leiter Nachhaltigkeit und Corporate Governance bei der Sparkassentochter Deka Investment fragt: „Glänzt der Stern wirklich so hell, dass er langfristig Preiserhöhungen rechtfertigt?“ Vor allem die heftige Preiskürzung der E-Limousine EQS in China beunruhigt. Das dürfe sich Mercedes „nicht noch einmal erlauben“, meint Speich. Das beschädige die Marke.

Jetzt Handelsblatt Premium zum Vorteilspreis sichern - Zum Angebot

Jetzt Handelsblatt Premium zum Vorteilspreis sichern - Zum Angebot

Warum Mercedes Benz trotz Rekordgewinn sparen muss

Premium

Diese Inhalte sind für Premium-Mitglieder inklusive

Der Zugang zu diesem Artikel und zu vielen weiteren exklusiven Reportagen, ausführlichen Hintergrundberichten und E-Learning-Angeboten von ausgewählten Herausgebern ist Teil der Premium-Mitgliedschaft.

Premium freischalten

Handelsblatt - das Beste der Woche schreibt über Substanz entscheidet

Das Handelsblatt ist das führende Wirtschaftsmedium in Deutschland. NEU: Diese Seite bietet Premium-Mitgliedern eine Auswahl der besten Artikel vom Handelsblatt direkt hier und als wöchentliche Zusammenfassung per Mail. Rund 200 Redakteure und Korrespondenten sorgen rund um den Globus für eine aktuelle, umfassende und fundierte Berichterstattung. Über Print, Online und Digital kommunizieren wir täglich mit rund einer Million Leserinnen und Lesern.

Artikelsammlung ansehen