Werden Sie angemessen bezahlt? Experten erklären, wie Sie es herausfinden
Das Gehalt bildet den Marktwert ab – als ein Parameter unter vielen. Doch wann ist es stimmig? Das sagen ein Karriereberater und eine Gehaltsexpertin.
Ein faires oder bestenfalls überdurchschnittliches Gehalt ist etwas, das sich wohl jeder Berufstätige wünscht. Und das Gehalt ist einer der wichtigsten Antreiber für Jobwechsel: Laut Studien wie etwa der aktuellen „New Hiring“-Erhebung des Karrierenetzwerks Xing wechseln die meisten Menschen ihren Job noch immer in erster Linie des Geldes wegen.
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Doch wer sich zum Traumgehalt verhandeln will, braucht einen Richtwert und muss herausfinden: „Ist das, was mir geboten wird, eigentlich angemessen?“
Keine leicht zu beantwortende Frage, weiß Bernd Slaghuis, Karrierecoach aus Köln. „Ich erlebe beim Thema Gehalt eine riesige Unsicherheit, vom Berufseinsteiger bis hin zum 59-jährigen Profi mit vielen Jahren Erfahrung.“ Das Handelsblatt ist der Frage nachgegangen, was Bewerber für sich einfordern können – und wann Selbstüberschätzung zum Hindernis werden kann.
Häufig hört Slaghuis Sätze wie diesen: „Ich möchte gern einen Gehaltssprung machen, weiß aber nicht, was angemessen ist.“ Im Bewerbungscoaching plant er mittlerweile einen Extrablock für das Thema ein.
Sein erster Tipp für Kandidaten, die wissen wollen, ob sie in einem neuen Job angemessen verdienen würden: zunächst so viel Wissen wie möglich sammeln rund um die Gehaltsspanne der gewünschten Position. Das geht über Freunde und Bekannte, Berufsnetzwerke, Fachforen und aktuelle Gehaltsreports.
Ist in einer Stellenanzeige eine Ansprechperson für Rückfragen genannt, kann sich außerdem das Nachfragen lohnen: Gibt es eine Gehaltsspanne für diese Stelle?
Gehaltsvergleich: So finden Sie heraus, ob Ihr Gehalt angemessen ist
Gehaltsschätzungen oder eine individuelle Gehaltsanalyse bieten auch Vergleichsrechner im Netz, angeboten etwa von der Arbeitgeber-Bewertungsplattform Kununu, „Gehalt.de“ und „Gehaltsvergleich.com“ (Stepstone-Gruppe). Auch der Lohnspiegel der Hans-Böckler-Stiftung oder ein Gehaltsrechner des Statistischen Bundesamtes informieren.
Interessenten, die diese Rechner nutzen wollen, müssen dafür verschiedene persönliche Daten einspeisen: Tätigkeit, Alter, aktuelles Gehalt, Anzahl der Berufsjahre, Ort und Unternehmensgröße etwa. Die Daten werden gesammelt, aggregiert und als Grundlage für die Berechnung herangezogen. So fließen bei „Gehalt.de“ die anonymisiert erhobenen Daten der Nutzer in eine Datenbank ein, die auch für eigene Gehaltsstudien herangezogen wird.
Will etwa ein 34-jähriger Controller aus Duisburg wissen, wie viel Gehalt ihm zusteht, gibt der sogenannte Gehaltscheck bei „Gehalt.de“ ihm einen ersten Richtwert. Die Online-Direktbefragung erfasst die wichtigsten Daten, das Ergebnis kommt per Mail. Auf Wunsch kann der Controller daraufhin eine noch genauere Gehaltsanalyse mit auf ihn zugeschnittener Lohnempfehlung anfordern. Seinen Namen muss er in diesem Prozess nicht nennen.
Für die genauere Analyse bei „Gehalt.de“ macht der Controller weitere Angaben. Mit deren Hilfe kann die eigene Tätigkeit auf der Datenseite in einem größeren Zusammenhang verortet werden: Wie viel Berufserfahrung in Jahren ist nötig, um die stellenspezifischen Aufgaben gut zu erledigen? Auf welchem Erfahrungslevel bewegen sich kommunikative und strategische Anforderungen seiner Position? Details, die das Gehalt beeinflussen.
„Sich bei Vergleichsrechnern zu verorten ist herausfordernd“
Aber: „Die Ergebnisse der Analyse sind eine Näherung“, sagt Karriereberater Slaghuis. „Es wird nie dabei herauskommen: ,Als Referent bei der Firma XY stehen Ihnen 55.000 Euro zu'.“ Große Portale wie etwa „Gehalt.de“ generierten dennoch eine Menge aktueller Datensätzen, sodass ihnen in der Regel verlässliche Angaben zuzutrauen seien.
Entscheidend ist, auf welcher Basis bei einem Portal die Daten erhoben werden und wie aktuell sie sind. „Die Gehaltsspanne für einen einzelnen Beruf kann von einem Vergleichsrechner zum anderen sehr unterschiedlich sein“, sagt Birgit Horak, Managing Partner des HR-Beratungsunternehmens Lurse. „Sich da zu verorten ist herausfordernd.“
Lurse konzipiert Vergütungssysteme für Unternehmen und verfügt dadurch selbst über eine der größten Gehaltsdatenbanken in Deutschland. „Seriöse Anbieter arbeiten in der Regel mit einem sogenannten Karrierepfad-Modell“, sagt Gehaltsexpertin Horak.
Die Erfahrung etwa eines Buchhalters oder eines Ingenieurs werde dabei in Stufen vom Einstiegslevel bis zum erfahrenen eingeteilt. „Viele andere Gehaltsrechner im Netz sind aber tendenziell intransparent“, sagt Horak.
Wer sich klein macht, darf sich nicht über schlechtes Gehalt wundern
Wie Bernd Slaghuis rät auch Horak daher, eher große Anbieter wie „Gehalt.de“ zu nutzen. „Sie haben eine gute Datenbasis.“ Andere Anbieter wie „Lohnspiegel.de“ oder der Gehaltsrechner des Statistischen Bundesamts sieht Horak eher nachgeordnet. „Ihnen traue ich da weniger zu.“ Sie hätten womöglich eine andere Zielsetzung, seien eher auf die reine Dokumentation von Gehaltsentwicklungen ausgerichtet als darauf, valide Leitplanken für die Gehaltspolitik von Unternehmen zu bieten.
Ob es nun darum geht, das eigene Gehalt einzuordnen oder neu zu verhandeln: Beides erfordert den Mut, für sich einzustehen. „Ich bin oft von Lebensläufen beeindruckt, doch die Menschen dahinter haben das Gefühl für ihre Leistungen verloren“, sagt Karriereberater Slaghuis. „'Ist doch alles ganz normal', höre ich dann.“ Wer sich selbst klein mache, dürfe sich nicht wundern, wenn es schwerfalle, sich ein gutes Gehalt zuzuschreiben und es selbstbewusst einzufordern.
Ein Gehaltsvergleich birgt die Gefahr der Selbstüberschätzung
Andererseits könnten Portale und Vergleichsrechner manche Menschen auch in eine andere Richtung beeinflussen, sagt Lurse-Expertin Birgit Horak. Sie vergleichen sich auf der Basis solcher Gehaltsdaten womöglich mit Personen aus ihrer Berufsgruppe, deren Gehälter eine andere Erfahrung beinhalten – was aber im Vergleichsprozess nicht zwingend ersichtlich ist. Mögliche Folge: Man stuft sich zu hoch ein, verspielt Jobchancen.
Birgit Horak erinnert sich an eine Bewerberin für eine Consulting-Position. „Sie hatte eine hohe Formalqualifikation und gerade den Doktor in Betriebswirtschaft gemacht, verfügte aber über keine operative Erfahrung“, so Horak. Dennoch habe sie ein Einstiegsgehalt von 80.000 Euro verlangt. „Das war nicht angemessen.“
