Werden Sie belastbarer!
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Heute werden Manager in rascher Folge mit neuen Herausforderungen konfrontiert. Ein vierstufiges Trainingsprogramm hilft, Krisen mutig und dynamisch zu bewältigen, statt lange über deren Ursachen zu grübeln.
Von Joshua D. Margolis, Paul G. Stoltz
Eigentlich läuft alles ganz gut. Da ruft plötzlich ein wichtiger Kunde an und sagt: "Wir arbeiten ab dem nächsten Monat mit anderen Lieferanten zusammen. Ihr Unternehmen passt leider nicht mehr zu unserer Strategie." Oder drei Kollegen, die alle ungefähr zur selben Zeit in Ihrer Firma angefangen haben wie Sie, sollen jetzt befördert werden – nur Sie nicht. Oder Ihr Team verliert durch betriebsbedingte Kündigungen nun schon den dritten guten Mitarbeiter. Egal, ob die Marktlage schlecht ist oder nicht – Sie müssen Ihre Umsatzvorgaben auf jeden Fall erreichen, sind dabei aber jetzt ausgerechnet auf zwei der unkooperativsten Mitarbeiter Ihres Teams angewiesen.
Wie verhalten Sie sich in solchen Situationen? Reagieren Sie wütend und enttäuscht, schimpfen wie ein Rohrspatz und klagen allen Leuten, die es hören wollen, Ihr Leid? Sind Sie deprimiert und sehen sich als Opfer negativer Umstände? Finden Sie sich resigniert mit der grausamen Realität ab, obwohl Sie sie andererseits doch eigentlich noch gar nicht so richtig wahrhaben wollen? Oder empfinden Sie das Problem als spannende Herausforderung (auch wenn sich vielleicht ein wenig Furcht in Ihre Begeisterung mischt), weil Sie darin eine bisher ungeahnte Chance sehen, Ihre Talente und Fähigkeiten weiterzuentwickeln?
Wahrscheinlich haben Sie alle diese Reaktionen schon einmal durchlaufen, wenn Sie mit schwierigen Situationen konfrontiert waren – vielleicht erleben Sie in einer Phase, in der alles schiefzugehen scheint, sogar ein richtiges Wechselbad unterschiedlichster Gefühle.
Doch ganz egal, wie Ihre erste Reaktion auch aussieht: Die Herausforderung besteht darin, eine negative Erfahrung in eine produktive Situation umzumünzen – also in Krisensituationen belastbar zu sein. Diese sogenannte psychische Resilienz ist die Fähigkeit, rasch und konstruktiv auf Krisen zu reagieren – eine Dynamik, die hinter den meisten Überlebensgeschichten steckt. Diese Eigenschaft besaßen zum Beispiel die schwer traumatisierten Menschen und Unternehmen, die nach den Anschlägen vom 11. September 2001 oder dem verheerenden Hurrikan "Katrina" im August 2005 rasch wieder auf die Füße kamen. Doch diese seelische Widerstandskraft ist nicht immer leicht aufzubringen: Nach einem schweren Rückschlag können Angst, Zorn und Verwirrung uns manchmal förmlich lähmen. Sich in Schuldzuweisungen zu ergehen, statt Lösungsansätze zu entwickeln, ist leider eine nur allzu menschliche Neigung. Und was noch schlimmer ist: Die Menschen, die wir um Rat bitten, geben uns in so einer Situation vielleicht genau die falschen Empfehlungen.
Jahrzehntelange Forschungsarbeiten von Psychologen zu Themen wie Widerstandsfähigkeit, erlernte Hilflosigkeit, Stressbewältigung und dem Zusammenhang zwischen Denkstil und Gesundheit haben bestätigt, dass jeder Mensch ein eigenes konsistentes Denkmuster hat, mit dem er die Wechselfälle des Lebens betrachtet und verarbeitet – und den meisten Menschen ist dieses Muster kaum bewusst.
Vielleicht ist es ein unbewusster Reflex, bei traumatischen Erlebnissen in die Vergangenheit zurückzublicken und dort nach einer Erklärung zu suchen. So eine Analyse kann sicher auch ganz sinnvoll sein – aber nicht, wenn starke negative Emotionen uns daran hindern, die Krise zu überwinden und anschließend wieder ganz normal weiterzuleben.
Wir glauben, dass Manager bei sich und in ihren Teams ein hohes Maß an Resilienz aufbauen können, indem sie hinterfragen, wie sie mit Krisen umgehen. Resiliente Manager gehen von der Analyse der Krise sehr rasch zur Entwicklung eines Aktions- (und Reaktions-)Plans über. In Krisensituationen schalten sie von ursachenorientiertem auf reaktionsorientiertes Denken um und blicken stets nach vorn. Bei unserer Arbeit mit Führungskräften unterschiedlichster Unternehmen und Branchen haben wir vier verschiedene Denkmuster identifiziert, mit denen ein Manager Krisen effizient bewältigen kann.
Kontrolle: Überlegen Sie sich in einer Krisensituation, was Sie in diesem Augenblick daran verbessern können, oder analysieren Sie erst einmal sämtliche Ursachen der Krise?
Einfluss: Können Sie der Versuchung widerstehen, die Gründe für das Problem bei sich oder anderen Menschen zu suchen, und sich stattdessen ausschließlich auf die positiven Auswirkungen konzentrieren, die Ihr Handeln auf die aktuelle Krisensituation haben könnte?
Tragweite: Gehen Sie davon aus, dass die Krise eine ganz bestimmte Ursache hat, die man in den Griff bekommen kann, oder machen Sie sich Sorgen, dass sie Ihr ganzes Leben überschatten könnte?
Dauer: Wie lange werden die Krise und deren Nachwirkungen Ihrer Meinung nach dauern?
Bei den ersten beiden Fragen geht es um die persönliche Reaktion eines Individuums auf Krisensituationen; in den beiden letzten Fragen spiegelt sich wider, wie ein Mensch die Tragweite der Krise einschätzt. Manager, die in einer problematischen Situation stecken, sollten alle vier Fragen ehrlich beantworten, um ihre instinktive Reaktion auf persönliche und berufliche Herausforderungen, Rückschläge oder Misserfolge einschätzen zu können.
Auf den folgenden Seiten möchten wir Ihnen anstelle reflexartiger Reaktionen einen bewussten Umgang mit Missgeschicken empfehlen, dem diese vier Denkmuster zugrunde liegen und der die Fähigkeit der Resilienz fördern kann. Anhand einer Reihe gezielter Fragen können Manager ihre Denkgewohnheiten und die ihrer Mitarbeiter beurteilen und negative Ereignisse aus einer konstruktiven Perspektive betrachten.
Wer diese vier Fragen als Orientierungshilfe benutzt, kann lernen, sich in Krisensituationen nicht mehr wie gelähmt zu fühlen, sondern mit Kreativität und innerer Stärke darauf reagieren – und auch seinen Mitarbeitern den Weg zu einer konstruktiveren Krisenbewältigung zeigen.
Die meisten Menschen reagieren bei negativen Ereignissen spontan, also aus dem Bauch heraus. Tief verwurzelte Gewohnheiten und Überzeugungen untergraben unsere Energie und hindern uns daran, konstruktiv zu handeln. Es gibt zwei emotionale Fallen, in die wir in solchen Situationen häufig tappen. Die erste besteht darin, uns von dem Problem unterkriegen zu lassen. Wer sich in der Vergangenheit in einer unaufhaltsamen Aufwärtsspirale von Erfolg zu Erfolg bewegt hat, gerät leicht in die Versuchung, sich als unbesiegbarer Held zu fühlen, der jedes Problem im Alleingang bewältigen kann. Ein traumatisches Ereignis kann so einen Menschen mit einem Schlag auf den harten Boden der Realität zurückholen. Selbst bei weniger heroisch veranlagten Menschen kann eine Krisensituation starke negative Emotionen hervorrufen – als hätte sich das Gemüt durch eine schwarze Wolke verdunkelt, wie ein Manager es einmal treffend beschrieben hat. Vielleicht sind wir dann enttäuscht von uns selbst oder von anderen Menschen, fühlen uns mutlos und ungerecht behandelt oder haben vielleicht sogar das Gefühl, in einer Zwickmühle zu stecken, aus der es kein Entrinnen gibt.
Genau das passierte einer Managerin (wir nennen sie Andrea), die eine große Filiale eines amerikanischen Automobilzulieferers leitete. Andrea hatte jahrelang mit internen Streitigkeiten und den verhärteten Kostenstrukturen des Unternehmens gekämpft. Doch im Laufe der Zeit war es ihr gelungen, die verfeindeten Fraktionen – Gewerkschaften, Unternehmensleitung, Ingenieure und Marketingleute – zusammenzubringen. Ihr Plan, alte Produktionsstätten abzubauen und überbordende Kosten zu reduzieren, hatte breite Zustimmung gefunden: Statt weiterhin alle Fabrikate zu führen und sämtliche Hersteller zu beliefern, sollte das Unternehmen sich künftig ganz auf den Lkw-Markt konzentrieren. Und was noch wichtiger war: Andrea hatte alle ihre Mitarbeiter auf eine neue Produktlinie und ein eindeutiges Wertversprechen für die Kunden eingeschworen, durch die sich die Marke des Unternehmens verjüngen sollte. Sie schritt einer glänzenden Zukunft entgegen.
Doch dann passierte das Unvorstellbare: Die Benzinpreise stiegen plötzlich in schwindelerregende Höhen, die Wirtschaft kam zum Erliegen, und die Nachfrage aus allen Segmenten des Lkw-Marktes löste sich fast über Nacht in nichts auf. Andreas vielversprechende Pläne schienen von einem Tag auf den anderen zum Scheitern verurteilt zu sein. Die Rezession stellte das Unternehmen vor gewaltige Herausforderungen – und das so plötzlich, dass Andrea sich fühlte, als hätte sie einen Fausthieb in den Magen bekommen. Nach all der harten Arbeit, den schwierigen Verhandlungsgesprächen und all den Strategien, die sie mühsam entwickelt hatte, um die einstigen Probleme zu lösen, fühlte sie sich jetzt zum ersten Mal in ihrer Karriere wie gelähmt. Die erfolgsverwöhnte Managerin Andrea hatte nie die Fähigkeit der Resilienz entwickelt, weil sie bisher immer auf der Gewinnerseite gewesen war.
Die zweite emotionale Falle ist die Opferrolle. Viele Menschen nehmen bei negativen Ereignissen automatisch die Perspektive des hilflosen Zuschauers ein. "Die anderen" haben uns in eine ungünstige Position gebracht, reden wir uns (und unseren Mitmenschen) immer wieder ein. Wir lehnen sowohl Kritik als auch hilfreiche Vorschläge aus unserem beruflichen Umfeld ab und geben uns große Mühe klarzustellen, dass wir recht haben, dass alle anderen im Unrecht sind und niemand uns versteht. Und irgendwann schleichen sich dann vielleicht auch noch Selbstzweifel ein, und wir fühlen uns als hilfloses Opfer unglücklicher Umstände.
Genauso empfand Greg seine Situation. Greg arbeitete als Business Development Manager in einem Unternehmen, das elektronisches Zubehör herstellte. In den ersten drei Jahren seiner Karriere war alles fantastisch gelaufen; er war mehrfach befördert worden, und sein Kompetenzbereich hatte sich kontinuierlich erweitert. Zunächst sollte er die Marke seines Unternehmens in der Zielgruppe der jungen Konsumenten bekannt machen; dann war ihm der Aufbau neuer Beziehungen (und die Eroberung größerer Regalflächen) bei Einzelhändlern in den USA und Kanada anvertraut worden. Doch als der globale Wettbewerb sich immer mehr verschärfte, forderten Gregs Kollegen und Vorgesetzte ihn auf, seine Strategie zu überdenken, und bezweifelten, ob die Einzelhandelsgeschäfte immer noch einen rentablen Vertriebskanal darstellten. Die Discountmärkte drückten die Preise, sodass sich die Gewinnmargen des Unternehmens immer mehr verringerten; und alle Kunden persönlich zu bedienen schien im Vergleich zu Online-Optionen unnötig kostspielig zu sein. Angesichts der Forderungen seiner Kollegen zog sich Greg grollend und aggressiv immer mehr in die Defensive zurück.
Diese Geschichten illustrieren die zwei Gesichter von Krisensituationen in unserem Wirtschaftsleben. Heutzutage werden gestandene Manager in rascher Folge mit Herausforderungen konfrontiert, die sie noch nie zuvor erlebt haben – einer weltweiten Wirtschaftskrise, der Globalisierung des Geschäftslebens, dem Aufkommen neuer Technologien, tief greifenden demografischen Veränderungen. Hilflos und entmutigt wenden sie sich von dem Problem und leider oft auch von den Menschen ab, die ihnen vielleicht bei der Suche nach einer Lösung helfen könnten.
Und selbst wenn diese Manager ihre Chefs um Rat fragen würden, bekämen sie von ihnen höchstwahrscheinlich nicht das richtige Coaching. Denn die meisten Vorgesetzten haben selbst eine lange Serie hart erkämpfter Erfolge hinter sich und besitzen nicht das nötige Einfühlungsvermögen, um effektiv intervenieren zu können. Vielleicht wissen sie nicht, wie man Mitarbeiter coacht, die es ihrem Dafürhalten nach nicht so gut wie sie selbst geschafft haben, einer drohenden Niederlage zu entrinnen. Und möglicherweise haben sie sich inzwischen auch schon gewisse Strategien angeeignet, mit kritischen Situationen so umzugehen, dass sie ihnen möglichst wenig psychischen Stress bereiten, und sind dadurch blind für ihre eigenen negativen Angewohnheiten geworden.
Unabhängige psychologische Untersuchungen und unsere eigenen Beobachtungen deuten darauf hin, dass die Fähigkeit, unbeschadet aus einer Krise hervorzugehen, davon abhängt, wie gut man seine eigenen unausgesprochenen Vorstellungen von Krisensituationen kritisch prüfen und seine Reaktion auf negative Ereignisse verändern kann.
Die meisten Menschen sind in schwierigen Situationen schnell mit Vermutungen bei der Hand, wie das betreffende Problem entstanden sein könnte, welche Tragweite und welche Auswirkungen es haben und wie lange die Krise wohl dauern wird. Blitzschnell entscheiden wir, ob die Situation unvermeidbar war – ein Ergebnis von Einflüssen, die sich unserer Kontrolle entziehen – oder ob wir sie irgendwie hätten verhindern können. Dieses reflexartige Denken müssen Manager sich abgewöhnen und sich stattdessen lieber um eine handlungsorientierte Denkweise bemühen: Sie sollten sich fragen, wie man in der betreffenden Lage am besten reagiert, welche Aspekte der Situation sie unter Kontrolle haben, was sie bewirken können und wie Ausmaß und Dauer der Krise sich möglichst gering halten lassen. Drei Typen von Fragen können ihnen bei diesem Umdenkprozess helfen.
Präzisierende Fragen helfen bei der Suche nach Interventionsmöglichkeiten; je spezifischer die Antworten darauf sind, umso besser. Imaginationsfragen lenken die Aufmerksamkeit weg von dem negativen Ereignis und auf ein positiveres Ergebnis hin. Kooperationsfragen motivieren Manager dazu, sich an andere Menschen zu wenden – nicht auf der Suche nach Mitleid oder Bestätigung, sondern um gemeinsam eine Lösung zu finden. Jeder dieser drei Fragetypen kann Ihnen eine klarere Sicht der Situation vermitteln und resilientes Denken fördern.
Insgesamt bilden die vier weiter oben beschriebenen Denkweisen das, was wir als Resilienz-Trainingsprogramm bezeichnen – eine wirksame Übung in selbstkritischem Denken, die ein Manager praktizieren kann, sobald er in eine Krisensituation gerät. Die ersten beiden Punkte dieses Programms zielen darauf ab, was für Beiträge zur Verbesserung der Situation ein Manager selbst unter ungünstigsten Umständen leisten kann; die letzten zwei Punkte motivieren zur Suche nach Wegen, wie er die Situation so gestalten kann, dass sie ihn nicht zu sehr überwältigt. Wir wollen diese vier Aspekte nun einmal etwas genauer unter die Lupe nehmen.
Viele wissenschaftliche Untersuchungen – zum Beispiel Studien von Bernard Weiner (University of California, Los Angeles) und James Amirkhan (California State University, Long Beach) sowie die klassische Führungskräfte-Studie, die Suzanne Ouellette und Salvatore Maddi von der University of Chicago durchgeführt haben – zeigen, dass unsere Reaktion auf Stresssituationen davon abhängt, wie viel Kontrolle wir unserer Meinung nach über die Situation ausüben können. Andrea fand keine Antwort auf die Frage, ob sie immer noch einen sinnvollen Beitrag zum Erfolg ihres Unternehmens leisten konnte oder ob durch die plötzliche Veränderung der Wirtschaftslage eine Situation entstanden war, die außerhalb ihrer Kontrolle lag. Und wenn Greg die Kritik an seiner Einzelhandelsstrategie weiterhin als "Ränkespiele intriganter Kollegen" abtat, würde er vielleicht nie herausfinden, was er persönlich tun konnte, um die langfristige Strategie seines Unternehmens oder wenigstens sein eigenes Geschick positiv zu beeinflussen.
Die folgenden Fragen zeigen Managern Wege, wie sie die unmittelbare Zukunft unter Kontrolle bekommen können.
Präzisierung: Welche Aspekte dieser Situation kann ich direkt beeinflussen, um der Krise eine positive Wendung zu geben?
Imagination: Was würde der Manager, den ich am meisten bewundere, in dieser Situation tun?
Kooperation: Wer in meinem Team kann mir helfen, und wie kann ich diese Person(en) am besten für mein Vorhaben gewinnen?
Ziel dieser Fragen ist nicht, gleich einen endgültigen Aktionsplan aufzustellen oder sich sofort darüber klarzuwerden, wie das Team auf die Krisensituation reagieren sollte. Das Ziel besteht vielmehr darin, Lösungsmöglichkeiten zu finden; auf disziplinierte, konkrete Weise ein Inventar an Maßnahmen zu entwickeln, die ergriffen werden könnten. (Die drei Fragen im nächsten Abschnitt können Managern bei der Entscheidung helfen, was getan werden muss.)
Wenn Andrea sich diese drei Fragen gestellt hätte, wäre sie vielleicht auf eine Möglichkeit gekommen, die Aktivitäten ihres Unternehmens auf neue Sicherheits- und Kraftstoffsparstrategien in der Lkw-Branche zu konzentrieren; oder sie hätte die Konjunkturflaute nutzen können, um in engerer Zusammenarbeit mit wichtigen Kunden die neueren, nach wie vor Erfolg versprechenden Produkte der Firma zu perfektionieren. Und wenn Greg diese Übung gemacht hätte, dann hätte er daraus vielleicht gelernt, eine Denkweise zu praktizieren, die sein Mentor ihm einmal empfohlen hat: "Es geht nicht darum, ob ich recht oder unrecht habe, sondern darum, was für mein Unternehmen das Beste ist." Mit dieser Idee im Hinterkopf hätte Greg vielleicht begriffen, dass es in seiner Situation von Vorteil gewesen wäre, sich gemeinsam mit Kollegen und Teammitarbeitern andere sinnvolle Zugänge zum Markt zu überlegen. Die Erfindungsgabe und Arbeitsmoral, mit der er das Einzelhandelsgeschäft aufgebaut hatte, hätte er dazu nutzen können, seine nächste großartige Strategie zu entwickeln.
Unsere Einschätzung, ob wir eine Situation zum Positiven wenden können oder nicht, hängt eng mit unseren Vorstellungen davon zusammen, wie es zu dem negativen Ereignis gekommen ist. Vielen Studien zufolge wird unsere Reaktion auf eine Stresssituation davon bestimmt, ob das Problem unserer Meinung nach durch uns persönlich entstanden ist oder ob es irgendeine andere Ursache hat. Greg schrieb die Kritik an seiner Vertriebsstrategie seinen "von Konkurrenzdenken getriebenen, machthungrigen Kollegen" zu und nicht etwa möglichen Denkfehlern und Schwächen seiner Vorgehensweise. Er hatte sich zu sehr in seiner defensiven Haltung festgefahren und stand sich selbst im Weg. Andrea fühlte sich gegenüber Herausforderungen, mit denen sie vorher noch nie zu tun gehabt hatte, und Einflüssen, die sich ihren individuellen Bemühungen entzogen, machtlos. Statt zu resignieren und sich als hilfloses Opfer unglücklicher Umstände zu fühlen, sollten Manager sich lieber darauf konzentrieren, wie sie den Ausgang eines negativen Ereignisses beeinflussen können.
Präzisierung: Wie kann ich die Situation möglichst sofort positiv beeinflussen?
Imagination: Welche positiven Auswirkungen könnten meine Bemühungen auf die Menschen in meinem Umfeld haben?
Kooperation: Wie kann ich andere Kollegen und Mitarbeiter mobilisieren, die momentan noch zu ängstlich oder zögerlich sind?
Wenn Greg sich auf diese Fragen konzentriert hätte, wäre ihm vielleicht klar geworden, dass die anderen ihn nicht einfach nur aufforderten, sich von seinen bisherigen Kunden zu verabschieden und sich einzugestehen, dass seine Strategie falsch war – im Gegenteil: Sie sahen in ihm einen potenziellen Mitspieler bei den Bemühungen des Unternehmens um eine Umstrukturierung. Und dann hätte Greg womöglich auch erkannt, dass es einen positiven Einfluss auf seine Kollegen und Mitarbeiter hätte haben können, wenn er seine Business-Development-Strategie einer ehrlichen, rigorosen Prüfung unterzog – egal, ob das Ergebnis dieser Prüfung ihn in seinem Status quo bestätigen oder zu einer ganz neuen Lösung führen würde, an die bisher noch niemand gedacht hatte. Und vielleicht hätte er die Unternehmenskultur, die ihm bei seinem Eintritt in die Firma so gefallen hatte, wiederaufleben lassen können, indem er seine Kollegen um Input zu seiner Marketingstrategie bat.
Andrea wiederum wusste nur zu gut, dass das Geschick ihrer Firma von den wirtschaftlichen Bedingungen abhing – aber sie konnte sich nicht vorstellen, wie sie dem Unternehmen mit ihrer Reaktion auf das Marktversagen neue Impulse geben konnte. Die obigen Fragen hätten ihr dabei vielleicht weitergeholfen.
Meist gehen wir bei einem Rückschlag davon aus, dass die Ursachen entweder nur diese eine Situation betreffen oder aber weitere Kreise ziehen – so wie ein Gift, das mit seiner tödlichen Wirkung alles verdirbt, was wir in die Hand nehmen. Um Resilienz aufbauen zu können, müssen Manager aufhören, sich Gedanken über die Reichweite der Ursachen zu machen. Stattdessen sollten sie sich lieber darauf konzentrieren, wie man den Schaden begrenzen kann. Solche Fragen zeigen einem manchmal mitten im Chaos ganz neue Chancen.
Präzisierung: Wie kann ich die potenziellen Nachteile dieser Situation reduzieren – und wenn auch nur um 10 Prozent? Was kann ich tun, um die potenziellen Vorteile der Situation zu maximieren – und wenn auch nur um 10 Prozent?
Imagination: Welche neuen Stärken und Ressourcen werden mein Team und ich durch die Bewältigung dieses Ereignisses entwickeln?
Kooperation: Was kann jeder von uns jetzt für sich allein tun, und was können wir gemeinsam tun, um den Schaden zu begrenzen und aus der Krise eine Chance zu machen?
Diese Fragen hätten Andrea vielleicht helfen können, zwei wichtige Ziele zu erreichen. Statt in ihren Gedanken immer nur um die Auswirkungen des schrumpfenden Lkw-Marktes zu kreisen, hätte sie über größere und kleinere Chancen der Wirtschaftskrise nachdenken können, die sich nutzen ließen, die Produktionsverfahren der Firma umzugestalten. Und statt sich darauf zu fixieren, wie verheerend der Schaden für ihr Unternehmen war, hätte sie eine neue Strategie für die Zeit nach der Rezession entwickeln und sich dabei auf folgende Frage konzentrieren können: Wie können wir trotz knapper werdender finanzieller Ressourcen, anspruchsvollerer Kunden und strengerer Kontrollen seitens der Regierung weiter wachsen? Und Greg hätte mithilfe der oben beschriebenen Fragen vielleicht erkannt, dass seine Situation für ihn eine einmalige Chance barg, wertvolle Führungseigenschaften zu entwickeln und wichtige Erkenntnisse über die Marketingstrategien der Konkurrenz zu gewinnen, indem er gemeinsam mit seinen Kollegen und Teammitarbeitern die Einzelhandelsstrategie neu überdachte.
Bei manchen Krisen am Arbeitsplatz scheint kein Ende absehbar zu sein – in keinem Quartal werden die Zielvorgaben erreicht, es kommt immer wieder zu Konflikten zwischen Mitarbeitern auf verschiedenen Ebenen der Unternehmenshierarchie und in unterschiedlichen Bereichen der Firma, und die Wirtschaft stagniert. Natürlich ist es wichtig, nach der Dauer der Krise zu fragen, um zumindest eine gewisse Kontrolle über einen solchen Albtraum zu gewinnen. Dabei kommt es jedoch darauf an, sich zunächst einmal den gewünschten Ausgang der Situation vorzustellen.
Präzisierung: Was kann ich in den nächsten fünf Minuten oder Stunden tun, um mich in diese Richtung zu bewegen?
Imagination: Wie soll das Leben jenseits dieser Krise aussehen?
Kooperation: Welchen Aktionsplan können wir als Team gemeinsam aufstellen, und welche Prozesse können wir entwickeln und einführen, um dieses Problem zu überwinden?
Wie bereits erwähnt, war Greg überzeugt davon, dass die Kritik an seiner Business-DevelopmentStrategie für ihn der Anfang vom Ende war: keine Beförderungen mehr, keine Anerkennung seitens der Vorgesetzten für seine harte Arbeit und die greifbaren Resultate, die er erzielt hatte – nichts mehr, worauf er sich freuen konnte. In Zukunft würde ihm nichts anderes übrig bleiben, als alles zu tun, was die anderen von ihm verlangten – und das in einem Unternehmen, das ohnehin den Boden für seinen eigenen Niedergang bereitete.
Die genannten drei Fragen hätten seine düsteren Gedanken vielleicht etwas aufgehellt. Mit dieser neuen Perspektive hätte er möglicherweise begriffen, dass es in seiner Situation sinnvoll war, rasch Besprechungen mit seinem Mentor (zur persönlichen Beratung) und mit seinem Team zu organisieren (um professionellen Input zu seiner Marketingstrategie zu bekommen). Die Fragen hätten ihm als Katalysator zur Auflistung der Daten dienen können, die er als Argumente für oder gegen eine Änderung seiner Strategie benötigte. Außerdem hätte er daraus ableiten können, welche Analysen sein Team durchführen musste und welche Fragen zu verschiedenen Vertriebskanälen und -methoden beantwortet werden mussten.
Diese Übung hätte Greg am Ende vielleicht geholfen, einen Weg zur Bewältigung der Herausforderung zu erkennen, mit der er konfrontiert war. Sicherlich hätte er dann mit mehr Zuversicht in die Zukunft geschaut und darauf vertraut, dass er und sein Team der Firma ihre Position an vorderster Front der Dienstleistungsunternehmen bewahren konnten.
Obwohl die oben skizzierten Fragen ein hilfreicher Rahmen zur Umstrukturierung der Denkprozesse von Managern sind, reicht es natürlich noch lange nicht aus, einfach nur zu wissen, wonach man fragen muss. Die bisherige Lektüre dieses Beitrags allein macht Sie noch nicht zu einem resilienteren Manager – auch dann nicht, wenn Sie sich vorgenommen haben, in der nächsten Krisensituation, bei der Sie den Boden unter den Füßen zu verlieren drohen, Ihren Zettel mit diesen Fragen hervorzuholen. Um Ihre Resilienz zu stärken, müssen Sie die Fragen verinnerlichen, indem Sie zwei wichtige Prinzipien befolgen:
Verschiedene wissenschaftliche Untersuchungen zu den Themen Stress und Bewältigung traumatischer Erlebnisse haben gezeigt, dass allein das Niederschreiben schwieriger Lebensereignisse unser emotionales und physisches Wohlbefinden verbessern kann. Das Aufschreiben gibt uns eine ganz andere Möglichkeit, negative Situationen zu kontrollieren, als es das bloße Nachdenken darüber könnte. Es ist am besten, dieses Resilienz-Trainingsprogramm als zeitlich limitierte Übung zu absolvieren: Nehmen Sie sich mindestens eine Viertelstunde Zeit (ohne Unterbrechungen), um Ihre Antworten auf die zwölf Fragen niederzuschreiben.
Das wird Ihnen auf den ersten Blick vielleicht zu lang und gleichzeitig auch zu kurz vorkommen – zu lang, weil Manager selten so viel Zeit für eine Aktivität übrig haben, schon gar nicht für eine, die persönliches Nachdenken erfordert. Doch im Endeffekt sparen Sie dadurch Zeit. Statt über die Ereignisse nachzugrübeln und sich dadurch von Ihrer Arbeit ablenken zu lassen, sind Sie dann nämlich dabei, Lösungen zu entwickeln.
Und wenn Sie den Wert dieser Übung erst einmal richtig zu schätzen wissen und sich bei Ihren beruflichen Entscheidungen und Strategien darauf stützen, werden Ihnen 15 Minuten vielleicht eher zu kurz erscheinen. Doch selbst in diesem begrenzten Zeitraum werden Sie mithilfe der Übung eine neue Denkweise entwickeln und die Energie tanken können, die Sie brauchen, um gegen die Krise ankämpfen zu können.
Beim Erlernen einer neuen Fähigkeit ist Wiederholung von entscheidender Bedeutung. Das Resilienz-Trainingsprogramm ist ein Langzeit-Fitnessplan und keine Crashdiät. Sie müssen sich diese Fragen tagtäglich stellen und beantworten, damit sie Ihnen zur zweiten Natur werden. Aber das geht nur, wenn Sie nicht zulassen, dass die Fragen von Ihren negativen Angewohnheiten verdrängt werden. Sie brauchen nicht erst ein größeres Trauma zu erleben, um diese Übung zu absolvieren; Sie können sich die Fragen auch bei den alltäglichen Ärgernissen stellen, die an Ihrer Energie zehren – zum Beispiel bei einem verspäteten Flug, einem zu langsamen Computer oder einem unkooperativen Kollegen.
Man kann die vier Fragen praktisch in jeder beliebigen Reihenfolge durcharbeiten; aber es ist wichtig, dabei mit Ihrer größten Schwäche zu beginnen. Wenn Sie dazu neigen, die Schuld immer nur bei anderen Menschen zu suchen, und den Beitrag übersehen, den Sie selbst zur Verbesserung der Situation leisten könnten, sollten Sie mit den Fragen zum Einfluss beginnen. Machen Sie sich immer wieder Sorgen darüber, dass das negative Ereignis alles zunichte machen könnte, beginnen Sie mit den Fragen zur Tragweite.
Wenn man unter ständigem Zugzwang steht, ist die Fähigkeit der Resilienz für den Erhalt der geistigen und körperlichen Gesundheit von entscheidender Bedeutung. Paradoxerweise können wir diese Fähigkeit gerade in schwierigen Zeiten am besten entwickeln – nämlich dann, wenn wir mit den größten Umwälzungen konfrontiert sind, wenn wir am ehesten Gefahr laufen, falsch zu reagieren und die Chancen, die sich uns bieten, zu übersehen. Das ist ein Grund mehr, mithilfe des Resilienz-Trainingsprogramms unproduktive Reaktionen zu unterdrücken, negatives Denken durch Kreativität und Erfindungsreichtum zu ersetzen und trotz realer oder vielleicht auch nur in Ihrer Fantasie vorhandener Hindernisse etwas zu bewegen. 
© HBP 2019
Dieser Beitrag erschien erstmals im Harvard Business Manager März 2010.
Die Autoren
Joshua D. Margolis ist Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Harvard Business School in Boston. Paul G. Stoltz ist Begründer und CEO von Peak Learning, einem globalen Forschungs- und Beratungsunternehmen mit Firmensitz in San Luis Obispo (Kalifornien).
