Wie das Start-up-Idol vom Börsenanwärter zur 30-Millionen-Bewertung abstieg
Vor drei Jahren hieß es, MyMuesli bereite sich auf einen Börsengang vor. Nun hat Investor Katjes das Unternehmen offenbar vor der Insolvenz bewahrt.
EM-Held Florian Wirtz hat seinen eigenen Müsli-Mix, DFB-Torwart Manuel Neuer auch und sogar Toni Kroos. Zur Fußball-Europameisterschaft brachte der Müslihersteller MyMuesli Mischungen der Nationalmannschaft auf den Markt. Sammlerstücke sollten die Dosen werden. Sogar auf Ebay werden die Produkte seit der EM gehandelt. Nur: Einen Preisaufschlag erhalten die Händler nicht – falls sie die Ware überhaupt loswerden. Zudem läuft das Mindesthaltbarkeitsdatum der Müslis in wenigen Tagen ab. Die Tage sind gezählt. Und auch MyMuesli kämpft ums Überleben.
In der Gründerszene war das Passauer Unternehmen lange Zeit eine Vorbildgeschichte. Die drei Gründer Max Wittrock, Hubertus Bessau und Philipp Kraiss wagten sich 2007 in einen eingestaubten Markt, der keine Innovationen zuließ. Und dennoch schaffte MyMuesli es: Das Start-up verkaufte über den Onlineshop Cerealien, die sich die Kunden selbst zusammenmischen konnten. Bio, nachhaltig, modern. Customizing lautete das Stichwort, ein Marketingtrend der 2000er-Jahre.
MyMuesli holte sich mit Genui einen strategischen Investor an Bord und wuchs. Im Jahr 2021 machten sich Gerüchte über einen anstehenden Börsengang breit. Damals lief bereits für mehrere Tech-Firmen der Börsen-Countdown. Die kolportierte Bewertung lag Insidern zufolge bei 250 Millionen Euro, MyMuesli selbst kommentierte einen möglichen IPO nicht. Mehrere Indizien wie eine nötige Umfirmierung wiesen aber darauf hin. Passiert ist schlussendlich nichts. Wohl auch wegen des Einbruchs der Aktienmärkte Ende des Jahres.
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„Das ist kein Exit“
MyMuesli stagnierte in den folgenden Jahren – bis sich das Unternehmen im vorigen Jahr eine Finanzspritze von Katjes Greenfood holte, dem Investmentvehikel des Süßwarenherstellers Katjes. Die Summe nannte man nicht, zehn Prozent verteilte MyMuesli. Laut eines Konzernberichts des Kapitalgebers kostete die Beteiligung schätzungsweise etwa drei Millionen Euro. Bedeutet: Katjes hat MyMuesli im Herbst 2023 mit rund 30 Millionen Euro bewertet. Ein kräftiges Downgrade für die Firma.
Und ein weiteres sollte folgen. Im Juli erwarb der Katjes-Fonds die Mehrheit des Unternehmens und kaufte Investor Genui heraus. Die drei Gründer hatten ihr Cerealien-Unternehmen vorher bereits verlassen, Bessau und Kraiss investierten im Zuge des Mehrheitsverkaufs aber weiteres Geld. Sie halten die verbleibenden 44 Prozent. „Das ist kein Exit, sondern ein wichtiger Meilenstein“, ließ sich Bessau in einer Pressemitteilung zitieren. Wie viel Geld in dieser Runde geflossen ist, wurde nicht kommuniziert.
Aus öffentlichen Dokumenten geht jedoch hervor, dass Katjes Greenfood eine neue 13 Millionen Euro schwere Anleihe „weitgehend“ für den Deal aufgebracht hat. Sollten die neu erworbenen 46 Prozent bis zu 13 Millionen Euro Wert sein, liegt der aktuelle Firmenwert von MyMuesli sogar unter dem Betrag des Vorjahrs.
Von 250 Millionen Euro auf nicht einmal 30 Millionen Euro binnen drei Jahren. Wie konnte MyMuesli vom einstigen Start-up-Sternchen zum Regalhüter verkommen?
Sowohl MyMuesli als auch Katjes ließen einen Fragenkatalog der WirtschaftsWoche unbeantwortet. „Man hat es nicht geschafft, aus Erstkunden Bestandskunden zu machen“, weiß hingegen Mike Schwanke, Handelsexperte und Direktor bei der Managementberatung Atreus. Die Coronapandemie und der Boom der E-Commerce-Portale haben dem Müsli-Unternehmen ein Hoch beschert, das es allerdings nicht halten konnte.
Verluste im Millionenbereich
Die Gründer sind nacheinander ausgeschieden, Kraiss als letzter im Herbst 2023 – wenige Tage vor dem Katjes-Einstieg. Die neue Geschäftsführung hat MyMuesli danach einmal kräftig umgekrempelt. Angefangen von einem neuen Markenauftritt bis hin zur Vertriebsstrategie. Das Geschäft in Österreich und die restlichen Filialen, die die Bayern noch besaßen, hat CEO Henrik Haenecke schließen lassen. Infolge der Coronapandemie hatte MyMuesli Anfang 2021 bereits verkündet, 20 von seinen 23 Geschäften einstellen zu wollen. Die Kündigungen zogen sich über ein Jahr. Durch die Lockdowns sind die Umsätze in den Filialen enorm eingebrochen, die Firma schrieb nach einem profitablen Erfolgsjahr wieder rote Zahlen.
Wie sich die Konzernergebnisse seit 2021 entwickelt haben, ist nicht öffentlich bekannt. In dem genannten Berichtsjahr schrieb MyMuesli 84 Millionen Euro Umsatz bei einem Verlust von 1,3 Millionen Euro. Mehrere Jahre in Folge hatte die Firma unter ihren Gewinnerwartungen gelegen. Für 2022 ging man noch von Umsatzeinbußen und einem Minus „im niedrigen einstelligen Millionenbereich“ aus.
Wie also finanziert sich ein Unternehmen, das mehr Geld verbrennt als es verdient? Mit externen Mitteln.
Laut jüngstem Finanzbericht nahm MyMuesli kontinuierlich Darlehen bei Kreditinstituten auf. In der Start-up-Szene nicht ungewöhnlich. Kann eine Firma die Verluste nicht mit Darlehen oder Investments deckeln, muss es nach deutschem Recht Insolvenz anmelden. Einen Weg, den jedes Unternehmen vermeiden möchte. Nach Informationen von WirtschaftsWoche stand MyMuesli dennoch im vorigen Jahr bereits kurz davor.
Anteilseigner Genui war seit 2016 an dem Unternehmen beteiligt und sah sich aufgrund der bald endenden Fondslaufzeit 2023 gezwungen, die Beteiligung zu Geld zu machen. Üblicherweise haben Wagniskapitalgeber etwa zehn Jahre Zeit, bis sie ihre Investoren auszahlen müssen. Das war Branchenkennern zufolge auch bei Genui und MyMuesli der Fall. Entsprechend wollte die Hamburger Investmentgesellschaft die anstehenden Verluste nicht mehr ausgleichen, sondern suchte einen Abnehmer für ihre MyMuesli-Anteile. Katjes sagte schließlich zu und rettete die Passauer vor dem Gang zum Amtsgericht.
Wie es um das Unternehmen bestellt ist, war dem Süßwarenkonzern vermutlich klar. Auch, dass Katjes in absehbarer Zeit noch einmal Geld nachschießen muss. MyMuesli benötigt frische Liquidität, um voranzukommen. Und die liefert Katjes jetzt.
Katjes im MyMuesli-Vorstand
Im September dieses Jahres, zwei Monate nach dem Deal, setzte der neue Eigentümer eigene Leute an die Spitze des Müsliherstellers. Jesko Thron, Marketingchef des Investmentvehikels und Treiber des Deals, wurde zum CEO von MyMuesli ernannt. Philipp Kögler wechselte ebenfalls vom Fonds in die Beteiligung. Er übernahm den CFO-Posten des langjährigen Vorstandsmitglieds Franky Das. COO Markus Laub ist der einzige Alteingesessene in der neuen MyMuesli-Führung.
„Das Unternehmen braucht eine Restrukturierung, wenn es seine Kosten in den Griff bekommen will“, erklärt Handelsexperte Schwanke die Sachlage. Da es um die Firma nicht gut bestellt war, müsse sie einmal saniert werden. Was sind die größten Kostentreiber im Unternehmen? Sollte die Logistik lieber von Dienstleistern übernommen werden? Ist die Zahl der Mitarbeiter zu hoch? Ergeben andere Preismodelle wie Abos mehr Sinn? „Ich würde nicht behaupten, dass das Produkt von MyMuesli veraltet ist. Aber vielleicht sollte es weiterentwickelt werden“, sagt Schwanke. Der Berater ist sich sicher, dass Katjes bei ebendiesen Fragen genügend Expertise hat.
Hafermilch, Orangensaft, Tee
Die MyMuesli-Gründer haben in den vergangenen Jahren immer wieder mit neuen Produkten experimentiert. 2017 wurde Nilk ausgegründet, eine Marke für Hafermilch. Sie hielt immerhin fünf Jahre. Auch an Orangensaft versuchten sich die Passauer. Einzig die Produktlinie Tea of Tree ist noch übrig, eine Marke für Bio-Tees.
Die Preise sind für Onlineprodukte zu gering, um neben dem logistischen Aufwand wirklich lukrativ zu sein. Eine Packung Müsli kostet im Schnitt 9,95 Euro und reicht für bis zu 20 Mahlzeiten. Kaufen Kunden ein Großpaket, ist der Bedarf für mindestens ein halbes Jahr gedeckt. So schnell kommen Kunden also nicht wieder in den Onlineshop zurück. Warenkorbhöhe: weniger als 55 Euro.
In Supermärkten konkurriert MyMuesli mit weitaus günstigeren Herstellern. Mischungen des Bio-Anbieters Seitenbacher beispielsweise kosten nicht einmal halb so viel. Der hohe Preis schreckt die Kunden ab. Aus diesem Grund haben zahlreiche Rewe- und Edeka-Märkte die MyMuesli-Dosen reduziert oder komplett aus dem Sortiment entfernt, wie die „Lebensmittel Zeitung“ kürzlich schrieb.
Das alles sind Aufgaben für den neuen CEO Thron. Seine Rolle im Investmentvehikel hat der Katjes-Fondsmanager bereits aufgegeben. Bei anderen Mehrheitsbeteiligungen wie Joko Winterscheidts Jokolade hat Katjes die Verantwortung ebenfalls komplett übernommen, die Strategie und den Markenauftritt geändert. Zumindest der MyMuesli-Aufsichtsrat ist noch paritätisch besetzt. Mit den beiden Gründern Bessau und Kraiss behält die Firma so zumindest noch einen Restfunken seiner Start-up-DNA.
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