Wie ein deutscher Ingenieur den Autobau neu gedacht hat
Richard Oberle hat ein Verfahren namens Gigacasting entwickelt, das den Metallguss revolutioniert – vor allem Tesla setzt darauf. Dafür wird dem 84-Jährigen nun eine besondere Ehre zuteil.
Düsseldorf. 84 Jahre sind ein Alter, in dem die Karrierehöhepunkte der meisten Menschen bereits in der Vergangenheit liegen. Für den Ingenieur Richard Oberle gilt das nicht: Der 84-Jährige könnte in diesem Jahr den Europäischen Erfinderpreis gewinnen.
Oberle und sein Kollege Fiorenzo Dioni stehen im Finale in der Kategorie Industrie, wie das Handelsblatt vorab erfuhr. „Das macht mich sehr glücklich“, sagt Oberle, „und natürlich werden wir gewinnen.“
Nominiert ist der deutsche Ingenieur für ein patentiertes Verfahren, das er im Alter von 76 Jahren mitentwickelt hat und heute aus der Autoindustrie nicht mehr wegzudenken ist: das Gigacasting.
Dahinter steckt die Technik, extrem große Autobauteile mit Aluminium zu drucken. Das spart Energie und beschleunigt die Produktion. Pionier ist Tesla, andere Hersteller wie Volvo setzen es ebenfalls ein.
Gigantische Pressen mit gigantischen Problemen
Das Duo tritt am 9. Juni im Finale gegen den Isländer Fertram Sigurjonsson und sein Team an, die ein Wundheilungsprodukt auf Basis von Biotechnologie entwickelt haben. „Innovation hat in Europa einen viel zu geringen Stellenwert“, sagt das Europäische Patentamt, das den Preis vergibt. „Wir wollen zeigen, dass Europa in vielen Bereichen führend ist.“
Die Idee des Gigacastings beschäftigte Oberle schon Jahrzehnte. Lange Zeit arbeitete der Deutsche beim italienischen Maschinenhersteller Idra, der heute riesige Gussdruckmaschinen baut, auch für Autobauer wie Tesla.
Zusammen mit Dioni, technischer Leiter bei Idra, lösten sie das sogenannte Kavitationsproblem bei den elf Meter hohen und 120 Tonnen schweren Pressen. Kavitation kann Schockwellen auslösen, die Oberle und Dioni mit einem neuen Systemdesign ausschalten.
Jetzt Handelsblatt Premium zum Vorteilspreis sichern - Zum Angebot
„Bis zu fünfzig Prozent Ausschuss“
Sein Gigacasting hat Vorteile: Im Vergleich zu herkömmlichen Verfahren, bei denen der Unterboden eines Fahrzeugs aus bis zu 70 separaten Gussteilen besteht, produziert die Giga Press dafür lediglich zwei bis drei große Teile. Das beschleunigt die Produktion und verringert nach Schätzungen von Idra den Energieverbrauch um 54 Prozent.
Eine Einschätzung, die auch Tesla-Chef Elon Musk vor wenigen Wochen öffentlich teilte: „Die Teile sind leichter, preiswerter, verursachen weniger Lärm, Vibration und sind weniger steif. Dazu sind sie viel einfacher herzustellen. Deswegen machen es so viele Hersteller uns nach.“
Allerdings gibt es auch Kritiker. Die Reparatur von Gigacasting-Bauteilen ist laut Timo Kronen, Partner der Branchenberatung Berylls, nach Unfällen problematisch, bisweilen unmöglich: „Guss ist spröde und hat eine Tendenz zu brechen.“ Auch habe Gigacasting in der Praxis sehr hohe Ausschusswerte. „Ich höre vom Markt, dass je nach Maschine und Bauteil bis zu fünfzig Prozent Ausschuss auftreten.“
Einen Teil der Kritik adressierte Lars Moravy, verantwortlich bei Tesla für Fahrzeugentwicklung, in der jüngsten Analystenkonferenz des Autobauers: „Es herrscht der Irrglaube, dass herkömmliche Karosserien einfacher zu reparieren sind.“ Das stimme nicht, weil dort viele Materialien, Schrauben oder Kleber verwendet werden, die bei einer Reparatur „herausgehämmert“ werden müssten. Laut Moravy sei das mit Gigacasting hergestellte Hinterteil beim Model Y zehnmal preiswerter und dreimal schneller zu ersetzen als das vom Model 3, dessen Hinterteil auf herkömmliche Weise hergestellt wurde.
Für Oberle ist klar: Er wird weiterarbeiten
Wie immer auch diese Frage richtig zu beantworten ist: Den Leistungen von Oberle tut das keinen Abbruch. Seine Idee des Hydraulikkissens löst ein grundsätzliches Problem von Industriepressen. Und der Deutsche sagt: „Die Maschinen können immer weiter verbessert werden.“
Genug Erfahrung, um das einzuschätzen, hat der 1939 geborene Unterfranke: Sein Leben lang arbeitete er an Hydraulikpressen. Oberle machte seinen Ingenieurabschluss auf dem zweiten Bildungsweg und fing bei einem Unternehmen in der Nähe von Aschaffenburg an. Dort arbeitete er zehn Jahre, bis er 1974 ein Angebot von Idra annahm. „Mich hat das Abenteuer gelockt“, sagt Oberle, „Italien war das Land, wo der Honig fließt.“
Um das Jahr 2000 kam ihm die Idee, wie er das Kavitationsproblem mit einem hydraulischen Kissen lösen kann. 2015 ging er in Rente, machte aber als Berater für Idra weiter. 2019 war der erste Prototyp fertig, 2022 baute er die Idra-Pressen im Tesla-Werk in Grünheide ein: „Das war noch eine Baustelle.“
Wie es weitergeht? Oberle will mit 84 Jahren nun etwas kürzertreten, auch weil es seine Frau so will. „Aber sie weiß auch, wie viel Freude mir das Arbeiten macht – daher höre ich nicht auf.“
Jetzt Handelsblatt Premium zum Vorteilspreis sichern - Zum Angebot
Jetzt Handelsblatt Premium zum Vorteilspreis sichern - Zum Angebot
