Wie Hormone unsere Produktivität beeinflussen und wie Du sie zu Deinem Vorteil nutzt!

Hormone beeinträchtigen unsere Produktivität. Erfahre, wie Du die Macht der Botenstoffe nutzen kannst – und warum Unternehmen in auf Zyklen abgestimmte Angebote investieren sollten.
Ein Beitrag von Kristina Appel
Wer sich mit seinen hormonellen Zyklen auskennt, hat die Chance, effektiver zu arbeiten - das gilt für Frauen wie für Männer gleichermaßen. Im Sport ist diese Erkenntnis längst angekommen, Frauenfußballteams in den USA und in Großbritannien etwa haben mit zyklusorientiertem Training ihre Leistung optimiert. So zahlt sich Kraft- und Ausdauertraining bei Frauen laut AOK besonders in der ersten Zyklushälfte aus und das Verletzungsrisiko steigt in der zweiten.
Und was geht das jetzt die Männer an?
Viel! Denn Männer bestimmen die Strukturen mit, in denen wir leben. (Viel zu) oft sind Führungsrigen noch vorwiegend männlich besetzt. Zu moderner Führung gehört das Bewusstsein für verschiedene Lebensrealitäten, das heißt, die Bedürfnisse und Sorgen seiner Mitarbeitenden zu kennen und zu verstehen. Männer werden so automatisch zu wichtigen Multiplikatoren für zukünftige Generationen. Außerdem profitieren alle – auch Männer! – von inklusiven Arbeitsumgebungen. Und – Überraschung – auch Männer haben einen hormonellen Zyklus.
♂️ Wie sieht er aus, der männliche Zyklus?
Der männliche Zyklus wird maßgeblich vom Testosteron bestimmt und dauert nur einen Tag. Als Faustregel gilt: im Laufe des Tages sinkt der Testosteronspiegel und je weniger Testosteron, desto weniger Muskelkraft und Motivation. Für Ihr Buch "28 Days - What your Cycle revelas about your mood, health and potential" hat die Medizinjournalistin Gabrielle Lichterman tausende endokrinologische Studien ausgewertet und die Zyklen von Mann und Frau analysiert. Das sind ihre Erkenntnisse:
Der Morgen: Let’s go!
Der Testosteron-Akku ist bei Männern morgens voll geladen, das gibt Energie und Tatkraft. Männer fühlen sich zu diese Zeit selbstbewusst. Manchmal sind sie durch so viel Rückenwind allerdings nur wenig einfühlsam. Zeit für kreativen Austausch, aber Feedbackgespräche sollten sie lieber auf später verlegen.
Der Mittag: Alles im Lot
Der Testosteronspiegel ist jetzt gesunken und ausgeglichener. Das Einfühlungsvermögen steigt, Mann wird ruhiger, hat aber noch genügend kreative und körperliche Reserven. Teamarbeit und Brainstorming laufen jetzt besonders gut, auch eine sportliche Mittagspause ist angesagt.
Der Abend: Rückzug
Der männliche Testosteronvorrat ist gesunken, das Oxytocin ist angestiegen, das für Harmoniebedürfnis sorgt. Vielleicht jetzt noch einen netten Austausch mit Kolleg·innen? Oder doch noch die Inbox leeren und dann auf's Sofa?
Bei Frauen gestaltet sich der Zyklus komplizierter und auch sehr viel individueller. Er streckt sich über vier Wochen und vier Phasen. Britta Wiebe, zertifizierte Zyklusberaterin und Gründerin des Beratungsunternehmens "Vulvani, unterteilt den weiblichen Zyklus und Produktivität in folgende Phasen:
♀️ Wie sieht er aus, der weibliche Zyklus?
Phase 1: Bitte Ruhe
Die erste Zyklusphase nennt sich auch „Winter“ und beginnt mit dem ersten Tag der Blutung. Britta Wiebe erklärt: "Die Menstruation eignet sich, um zur Ruhe zu kommen, zu planen und Entscheidungen zu treffen." Sie ist die Zeit zum Ausruhen und Entspannen. Jetzt wird aufgeladen. Diese Tage sind für Low-Stress-Aufgaben am besten geeignet.
Phase 2: Let’s do this!
Wenn der Östrogenspiegel wieder steigt, hat der weibliche Körper auch wieder mehr Energie. Die Follikelphase geht laut Wiebe einher mit mehr Fokus und Selbstvertrauen. Der sogenannte „Frühling“ kann zwölf bis 14 Tage dauern und ist die längste Phase des Zyklus – und das ist auch gut so. Britta Wiebe weiß: "Diese Phase eignet sich perfekt, um produktiv zu sein und Herausforderungen erfolgreich zu meistern." Vorstellungsgespräche, ein Konferenzbesuch, ein Projekt-Pitch? Genau jetzt ist der richtige Zeitpunkt dafür.
Phase 3: Kreativmeetings
Der Hormonschub, der mit dem Eisprung einher geht, setzt noch einen drauf. Resultat sind Energie und Kreativität und ein Tatendrang, wie ihn der „Sommer“ eben mit sich bringt. Das ist die Powerphase – in der es sich lohnt, in (Arbeits-)Beziehungen zu investieren und Kreativsessions abzuhalten. Allerdings dauert die Ovulationsphase nur 16-32 Stunden.
Phase 4: Rückzug! Rückzug!
Die vierte Phase, der Herbst, ist eine sensible Zeit. "In der letzten Phase dominiert das Hormon Progesteron den Zyklus. Frauen fühlen sich in dieser Zeit etwas sensibler, möchten sich lieber zurückziehen und denken viel nach", erklärt Wiebe. Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt für Personalgespräche, denn Du bist gerade kritisch mit Dir selbst und vielleicht auch mit anderen. Es ist gut, sich jetzt zurückzuziehen, Netzwerkveranstaltung sind in dieser Phase möglicherweise keine gute Idee. Diese so genannte Lutealphase dauert bis zu 14 Tagen und endet mit dem ersten Tag der Periode.
Natürlich kann sich nicht jede•r seinen Arbeitsalltag nach Zyklus-Phasen einteilen. Für alle, die jeden Monat starke hormonelle Schwankungen erfahren*, kann es aber Sinn machen, die Aktivitäten im Job gemäß den Zyklusphasen bewusster zu planen.
Die Menopause: Willkommen im Schambereich
Männer wie Frauen durchlaufen hormonell im Laufe der Jahre zudem Veränderungen. Während bei Männern der Testosteronspiegel ab der Lebensmitte langsam sinkt, erleben Frauen eine weitere, signifikante Veränderung in ihrem hormonellen Haushalt: Die Perimenopause.
Untersuchungen aus Großbritannien zeigen, dass jede vierte Frau erwägt, aufgrund ihrer Beschwerden während dieser Zeit zu kündigen. Denn das Gespräch über Symptome wie Hitzewallungen, schwere letzte Blutungen, Abgeschlagenheit, Blasenschwäche, Schwindel und Brainfog ist zu unangenehm, die Scham zu groß. Dabei hat nur ein Drittel aller Frauen kaum Beschwerden in den Wechseljahren, 17 Prozent dagegen erleben starke Beschwerden.
♀️Wachsender Markt, großes Potenzial
Frauen zwischen 40 und 54 sind die am stärksten wachsende Gruppe am Arbeitsmarkt. Sie haben außerdem ein riesiges Potenzial: Diese Frauen sind gut ausgebildet, haben viele Jahre Arbeits- und Lebenserfahrung, werden zum größten Teil nicht mehr schwanger und haben oft bereits erwachsene Kinder. Diese Frauen müssen und wollen oft noch 20+ Jahre arbeiten und haben nun das ideale Umfeld, um noch einmal beruflich durchzustarten. Es ist personaltechnisch und finanziell unklug, diese Frauen aufgrund eines Stigmas als Arbeitskräfte zu verlieren.
Das erkennen auch Unternehmen in Deutschland langsam an: So hat der Softwarekonzern SAP bereits eine Menopausen-Policy im Rahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements gestartet und spricht sich für zyklusorientiertes Arbeiten aus. Dr. Natalie Lotzmann, Chief Medical Officer bei SAP, ist der Meinung, dass jedes Unternehmen eine gesundheitlichen Beratung zum Thema Menopause braucht. Bei SAP gab es dabei bereits individuelle Gesundheitsberatungen für Frauen – diese werden jetzt durch regelmäßige Veranstaltungen und interne Kommunikation über zyklusorientiertes Arbeiten und Menopause-Awareness erweitert. Das Ziel ist im ersten Schritt, Wissen und Bewusstsein in Teams und Management zu vermitteln. Im zweiten Schritt stehen Expert·innen und Ärzt·innen zur individuellen Beratung und Behandlung zur Verfügung. Übrigens: Zur ersten Informationsveranstaltung diese Jahr kamen zu einem Drittel Männer – weil sie entweder ein Team voller Frauen leiten oder auch Partnerinnen im entsprechenden Alter haben.
❤️ Gute Gründe, für ein zyklusfreundliches Arbeitsumfeld
- Frauen sind eine der naheliegendsten Lösungen für den Fachkräftemangel. Wir müssen Umfelder und Strukturen schaffen, die möglichst vielen Frauen Zugang zu Arbeit ermöglichen.
- 80 Prozent aller Frauen mit Menstruationsbeschwerden sagen, dass sie in dieser Zeit weniger produktiv sind. Zyklusgerechtes Arbeiten steigert dagegen die Leistung.
- 24 Prozent aller Krankentage bei Frauen sind menstruationsbedingt.
- Geschätzte 14 Millionen Arbeitstage gehen in Großbritannien jedes Jahr aufgrund von Wechseljahresbeschwerden verloren. Das ist teuer!
- Zyklusorientiertes Arbeiten, Menopausen-Policies und ein inklusives Umfeld sind Employer Branding-Maßnahmen.
❤️ Wirksame erste Schritte für ein zyklusinklusives Arbeitsumfeld
- Gratis Menstruationsprodukte: Stehen die in den Waschräumen, bleibt das Thema präsent und animiert offene Gespräche
- Gleitzeit, damit jede·r zu seinen stärksten Tageszeiten aktiv sein kann.
- Eine gelockerte Kleiderordnung und atmungsaktive Uniformen oder Berufskleidung
- Flexibles Reduzieren und Aufstocken von Arbeitszeiten für die Dauer der Wechseljahresbeschwerden
- Rückzugsräume mit Liegen oder Betten einrichten
- Klimaregulierung erleichtern (eventuell Mitarbeiterinnen mit Beschwerden zusammensetzen)
- Management-/Führungskräftetraining und eine designierte Ansprechperson, die bei Bedarf die Kommunikation mit Betriebsärzten, Expert·innen und HR anstoßen kann.
Weiterführende Infos:
Fee Reinoso ist Diversity Managerin mit Fokus weiblicher Zyklus in der Unternehmenswelt. Mit ihrem Startup Vision Period unterstützt sie Unternehmen dabei, zyklusfreundliche Arbeitsbedingungen zu schaffen.
Britta Wiebe ist die Gründerin von Vulvani, eine digitale Bildungsplattform rund um Menstruation, Zyklusgesundheit und Sexualität. Sie hilft dabei, den eigenen Zyklus besser kennzulernen, ihn zu nutzen und Wohlbefinden und Produktivität zu steigern.
Susanne Liedtke ist Gründerin von nobodytoldme. Als Beraterin entwickelt sie für Unternehmen Menopausen Policies und klärt auf. Ihre "Body Reset"-Online Kurse helfen dabei, den Hormonhaushalt besser kennenzulernen und positiv zu beeinflussen.
Biotech-Ingenieurin Rinat Sherzer erläutert in ihrem TEDxTalk den Einfluss von Hormonen auf Produktivität, Wettbewerb und Innovation.
Wie gut kennst Du Deinen Hormonhaushalt und hörst Du auch auf ihn? Teile Deine Erfahrungen in den Kommentaren.
