„Wir haben Gas, aber wir finden keine Tanker“ – Rückschlag für Europas neue Energiestrategie
Mit Flüssiggas will sich Europa aus der Abhängigkeit vom russischen Staatskonzern Gazprom befreien. Doch die wachsende Nachfrage führt zu Engpässen bei den Transportschiffen.
Athen. Es war Mai, als der griechische Reeder George Economou für seine Reederei TMS Cardiff Gas bei der koreanischen Werft Hyundai Heavy Industries zwei Flüssiggastanker mit je 174.000 Kubikmeter Fassungsvermögen orderte. Der Kaufpreis pro Schiff belief sich nach Informationen der Schiffsbewertungsplattform Vessels Value auf 231 Millionen Dollar. Kurz darauf bestellte Economou im Juni laut Vessels Value bei der Reederei zwei weitere baugleiche Schiffe. Da betrug der Stückpreis bereits 243,5 Millionen Dollar.
Denn Transportkapazitäten für verflüssigtes Erdgas, kurz LNG, sind ein rares Gut geworden. Seit dem Beginn des Ukrainekriegs ist auf dem globalen Energiemarkt und in der Tankschifffahrt nichts mehr, wie es war. Mittels Importen von LNG wollen sich die europäischen Staaten vom russischen Staatskonzern Gazprom lösen und für einen befürchteten Gasstopp gerüstet sein. Aber die Logistik stößt schon jetzt an ihre Grenzen, zur See ebenso wie an Land. „Wir haben Gas, aber wir finden keine Tanker“, sagt ein Schiffsbroker in Piräus.
Nach Angaben des Informationsdienstleisters Refinitiv sind die LNG-Einfuhren in Europa in den ersten fünf Monaten gegenüber dem Vorjahr um 60 Prozent gestiegen. Das spiegelt sich in den Charterraten. Sie liegen nach Angaben des Brokerhauses Clarksons Platou für eine Jahrescharter bei 120.000 Dollar pro Tag. Vor einem Jahr waren es noch 80.000 Dollar gewesen. Dies und die gestiegenen Rohstoffpreise treiben die Kosten für Neubauten.
Kostete ein LNG-Tanker in der Größenklasse von 175.000 Kubikmeter Fassungsvermögen vor einem Jahr noch etwa 195 Millionen Dollar, nähert sich der Preis jetzt der Schwelle von 250 Millionen.
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Griechische Reeder investieren seit Jahren in LNG-Tanker
Deutsche Reeder spielen in diesem boomenden Marktsegment keine Rolle. „In der deutschen Handelsflotte gibt es keine Gastanker, die LNG über Langstrecken transportieren können“, räumte der Hauptgeschäftsführer des Verbands deutscher Reeder, Martin Kröger, kürzlich in der „Bild“-Zeitung ein. Das Problem aber ist, dass die geplanten LNG-Terminals in Deutschland nur funktionstüchtig sein können, wenn Deutschland sich die LNG-Mengen auf dem Weltmarkt sichert – und gleichzeitig die Transportkapazitäten.
Die griechischen Reeder haben den Trend zu LNG früher erkannt als ihre meisten ausländischen Konkurrenten. Seit rund fünf Jahren haben sie massiv in LNG-Tanker investiert und kontrollieren heute über ein Fünftel der weltweiten Tonnage. Von 641 LNG-Tankern, die auf den Weltmeeren fahren, sind 135 im Besitz griechischer Reeder.
Die größte LNG-Flotte gehört Maran Gas von Maria Angelicoussis mit 45 Schiffen. Weitere elf Gastanker hat Maran bestellt. Auch bei den Neubestellungen dominieren die Griechen. Von 127 neuen LNG-Tankern, die Ende 2021 in den Auftragsbüchern der Werften standen, werden 57 auf Rechnung griechischer Reeder gebaut.
Nach Angaben von Clarksons Research Services wurden in den ersten vier Monaten dieses Jahres 43 neue LNG-Tanker bestellt. Die Nachfrage nach LNG-Transportkapazitäten wird sich nach Berechnungen von Marktbeobachtern bis 2040 verdoppeln.
Nur wenige Werften bauen die Spezialschiffe
Weltweit gibt es aber nur wenige Werften, die diese Spezialschiffe bauen. Die drei größten sind in Korea: Hyundai Heavy Industries, Daewoo Shipbuilding & Marine Engineering und Samsung Heavy Industries. 87 Prozent des aktuellen Auftragsvolumens entfallen auf koreanische Werften. Der Rest kommt von Schiffbaubetrieben in China und Japan. Die Werften sind auf Jahre hinaus mit Aufträgen ausgelastet.
Freie Lieferpositionen gibt es erst in der zweiten Jahreshälfte 2026, heißt es aus Schifffahrtskreisen in Piräus. Es sei denn, man zahlt Premiumpreise. Die Alpha Gas der griechischen Reederin Anna Angelicoussis sicherte sich jetzt bei der Korea Shipbuilding & Offshore Engineering (KSOE) drei LNG-Tanker, die bereits zwischen August 2023 und August 2024 ausgeliefert werden sollen.
In Auftrag gegeben hatte die Schiffe ursprünglich die russische Staatsreederei Sovcomflot. Sie verkauft gegenwärtig wegen der Sanktionen des Westens einen Teil ihrer Flotte. Sovcomflot hatte die drei Tanker vor einem Jahr zum Stückpreis von 185 Millionen Dollar bestellt. Anna Angelicoussis bot für die Schiffe einen Stückpreis von 242 Millionen Dollar – und stach damit mehrere Konkurrenten aus.
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Engpässe gibt es nicht nur bei den Transportkapazitäten, sondern vor allem auch bei den Regasifizierungsanlagen, die das LNG aus den Tankern pumpen, wieder in gasförmigen Zustand überführen und ins Leitungsnetz einspeisen.
Deutschland hat bisher kein einziges LNG-Terminal. Voraussichtlich im kommenden Winter sollen in Wilhelmshaven und Brunsbüttel vier schwimmende Speicher- und Wiederverdampfungseinheiten (FSRU) in Betrieb genommen werden. Zwei dieser Spezialschiffe hat die Bundesregierung von der Reederei Dynagas des Griechen George Prokopiou gechartert, zwei weitere von der norwegischen Reederei Höegh LNG. Bei den FSRU sind die Engpässe noch größer als bei den Tankern.
Allein in Europa sind 16 FSRU-Projekte in der Planung. Weltweit gibt es aber nur 45 dieser Spezialschiffe, fünf weitere sind im Bau. Die meisten dieser Hybridschiffe sind als Tanker oder Terminals langfristig verchartert. Der Bau einer FSRU kostet aktuell etwa 400 Millionen Dollar. Wer heute bestellt, kann erst in fünf Jahren mit Lieferung rechnen.
200.000 Dollar Tagesmiete für LNG-Terminals
Entsprechend teuer sind die Mieten. Die genauen Charterbedingungen für die vier FSRU in Norddeutschland sind zwar unbekannt. Aber Mitte April hatte Bundesfinanzminister Christian Lindner drei Milliarden Euro über zehn Jahre für die Anmietung der schwimmenden Terminals freigegeben. Das entspräche einer Tagesmiete von etwas mehr als 200.000 Dollar pro Schiff. Marktbeobachter halten den Preis angesichts der großen Nachfrage nach diesen Schiffen und des knappen Angebots für plausibel. Zum Vergleich: 2018 lag die Charterrate für eine FSRU noch bei 80.000 bis 120.000 Dollar pro Tag.
Bis die Anlandestellen in Wilhelmshaven und Brunsbüttel in Betrieb gehen, bezieht Deutschland LNG über Terminals in Rotterdam in den Niederlanden, im belgischen Zeebrügge und im französischen Dünkirchen. Die dortigen Regasifizierungsanlagen arbeiten aber am Rand ihrer Kapazitäten. Die Überlastung der Terminals führt dazu, dass die Tanker mitunter wochenlang auf die Entladung warten. Die Staus an den LNG-Anlandestellen verknappen die Transportkapazitäten zusätzlich, weil die Tanker viel länger unterwegs sind.
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