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Wirecard-Skandal: Aufsicht findet Pflichtverletzungen bei EY-Mitarbeitern – jetzt drohen harte Strafen

Zwölf Wirtschaftsprüfer von EY sollen jahrelang ihre Berufspflichten verletzt haben. Um einer Strafe zu entgehen, erwägen Einzelne offenbar die Rückgabe ihrer Lizenz.

ärter könnte das Urteil wohl kaum ausfallen: Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY soll bei ihrer Arbeit für den einstigen Dax-Konzern Wirecard über vier Jahre hinweg Berufspflichten verletzt haben. Dieses Ergebnis zeichnet sich laut Informationen des Handelsblatts nach mehr als zwei Jahren Ermittlungen der Abschlussprüferaufsichtsstelle (Apas) ab.

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Die für die Wirtschaftsprüfer zuständige Aufsichtsbehörde führt seit Juni 2020 ein formelles Berufsverfahren gegen einzelne Prüfer sowie eines gegen das Unternehmen selbst durch. Im Oktober soll das Verfahren abgeschlossen werden. Nach Abschluss der Ermittlungen entscheidet eine Kammer der Apas über mögliche Strafen. Den einstigen Wirecard-Prüfern drohen teils harte finanzielle und berufsrechtliche Sanktionen.

Mit EY ist die Prüferaufsicht Apas laut Insiderkreisen in regelmäßigem Austausch. Obwohl das Aufsichtsverfahren offenbar kurz vor dem Abschluss steht, gibt es dem Vernehmen nach noch immer unterschiedliche inhaltliche Positionen. Auch um die die möglichen Sanktionen ringen beide Seiten bis zuletzt.

EY wollte sich aktuell nicht dazu äußern. „Wir bitten um Verständnis, dass wir laufende Verfahren – dazu zählt auch das berufsaufsichtsrechtliche Verfahren durch die Apas – nicht kommentieren“, teilte ein Unternehmenssprecher auf Anfrage mit. Man unterstütze das Apas-Verfahren vollumfänglich. „Das Ergebnis, zu dem die Apas nach Abschluss des Verfahrens kommt, werden wir sorgfältig prüfen.“

Wirecard war im Juni 2020 unter einem milliardenschweren Betrugsskandal zusammengebrochen und musste Insolvenz anmelden. Unmittelbar zuvor hatte EY das Testat für das Jahr 2019 verweigert. Zuvor hatte EY die Abschlüsse des Konzerns mehr als ein Jahrzehnt stets uneingeschränkt testiert. Das brachte die Prüfer in den Verdacht, nicht genau geprüft zu haben.

Prüfungen für vier Jahre fragwürdig

Zwölf Prüfer sind im Visier der Apas, darunter die hauptverantwortlichen Prüfer der Wirecard-Jahresabschlüsse, aber auch der ehemalige Deutschlandchef, unter dessen Ägide die mutmaßlichen Fehler bei EY geschahen.

Die Apas untersucht die Abschlüsse aus den Jahren 2015 bis 2018. In allen soll sie bereits vor dem endgültigen Abschluss ihrer Ermittlungen teils erhebliche Pflichtverletzungen festgestellt haben, heißt es in mit den Vorgängen vertrauten Kreisen. Die Apas wollte sich mit Verweis auf die Verschwiegenheitsverpflichtung auf Nachfrage nicht dazu äußern.

500.000 Euro Bußgeld kann die Aufsichtsbehörde maximal gegen einen einzelnen Wirtschaftsprüfer verhängen.

Einzelne Prüfer sollen bereits die Rückgabe ihrer Bestellung als Wirtschaftsprüfer konkret erwägen. Der Hintergrund: Mit dem Rückzug als Wirtschaftsprüfer würde auch eine Strafe hinfällig. Bis Anfang Oktober wollen die Apas-Kontrolleure ihre Prüfungen abschließen und ihre Ergebnisse der Beschlusskammer vorlegen. Diese Vorlage enthält „in der Regel auch – für die Beschlusskammer unverbindliche – Sanktionsvorschläge“, wie ein Apas-Sprecher mitteilte.

Die Apas strebe dann „eine Entscheidung der zuständigen Beschlusskammer in den Berufsaufsichtsverfahren in Sachen EY/Wirecard für Mitte Oktober 2022 an“, so der Sprecher. Allerdings könne es „aufgrund der derzeit noch nicht komplett abgeschlossenen Ermittlungsmaßnahmen“ noch zu Terminverschiebungen kommen. Anschließend dürften noch einmal einige Wochen vergehen, bis die Behörde die Bescheide verschickt.

Einmaliges Verfahren in der Apas-Historie

Das Verfahren ist das wohl umfangreichste in der Historie der Apas. Die Aufsichtsbehörde nahm schon im Oktober 2019 Vorermittlungen auf, nachdem schon zu diesem Zeitpunkt länger Zweifel an der Rechnungslegung von Wirecard bestanden. Im Mai 2020, also noch kurz vor dem Wirecard-Kollaps, wurde daraus ein förmliches Berufsaufsichtsverfahren.

Drei Monate nach der Wirecard-Insolvenz stellte die Apas im September 2020 schließlich Strafanzeige bei der Generalstaatsanwaltschaft Berlin. Begründung: In den Prüfungsberichten von EY „könnte unrichtig berichtet“, beziehungsweise es könnten „erhebliche Umstände verschwiegen worden sein“. Die Staatsanwaltschaft ermittelt seither aktiv gegen zwei Prüfer, formal als Beschuldigte eingetragen sind gar zwölf.

Auffälligkeiten gab es bei der Arbeit von EY für Wirecard reichlich. Mancher offensichtliche Verstoß wurde dabei bereits neben der Apas auch schon von anderer berufener Stelle adressiert. So stellte Martin Wambach, Vorstand des Instituts der Wirtschaftsprüfer (IDW), EY im April 2021 in einem 168 Seiten langen Sonderbericht ein verheerendes Arbeitszeugnis im Fall Wirecard aus. Das Handelsblatt hatte den geheimen Bericht veröffentlicht.

Der Report legt diverse Verstöße gegen Berufspflichten nahe. Wambach war vom Bundestags-Untersuchungsausschuss als Sonderprüfer eingesetzt worden. „Es zeigen sich Ansatzpunkte, dass der Abschlussprüfer die Vorgaben der Prüfungsstandards des IDW im Bereich der Prüfungsplanung und -durchführung nicht vollumfänglich umgesetzt hat“, hielt Wambach fest.

Mehrfach seien bei EY keine Handlungsprüfungen zu finden gewesen, obwohl nur lückenhafte Finanzinformationen von Wirecard vorlagen. Es herrschten Unklarheiten bei der Rechnungslegung und Zahlen in den Geschäftsbüchern passten nicht zueinander.

Teils habe es bei EY nicht einmal eine Diskussion darüber gegeben, befand die Kommission um Wambach. Sie monierte eine teils mangelnde kritische Grundhaltung gegenüber dem Mandanten, zu der Wirtschaftsprüfer gesetzlich verpflichtet sind. EY wies den Vorwurf des Fehlverhaltens zurück.

In diese Richtung dürften auch die Vorwürfe der Apas gegen EY und einzelne Abschlussprüfer gehen. Dass die Aufsichtsbehörde angesichts ihrer Ergebnisse Sanktionen aussprechen wird, gilt als sicher. EY teilte auf Anfrage mit, dass sich die Firma „an Spekulationen über mögliche Sanktionen nicht beteiligt“.

Maßnahmen bis zum Berufsausschluss

Mögliche Maßnahmen beginnen bei einzelnen Prüfern bei einer Rüge und reichen über eine Geldbuße von maximal 500.000 Euro bis zum befristeten Verbot, bestimmte Tätigkeiten auszuüben und enden bei einem Berufsausschluss.

2021 wurden laut Angaben der Apas 69 Berufsaufsichtsverfahren abgeschlossen, davon 19 mit einer Sanktion. Für die Prüfer endete es in den meisten Fällen glimpflich. Gerade einmal sieben Geldbußen wurden verhängt in Höhe von insgesamt 22.000 Euro. 2020 wurden neun sanktionierte Prüfer noch mit 119.000 Euro zu Kasse gebeten.

Ein Apas-Sprecher teilt auf Nachfrage mit, wie die Sanktionen zustande kommen: „Die Höhe einer Sanktion wird im jeweiligen Einzelfall unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände festgelegt. Hierzu gehören unter anderem die Art, die Schwere und Dauer der Pflichtverletzung, die jeweilige Verantwortung des Berufsangehörigen, das Vorliegen früherer Verstöße und die Finanzkraft des Berufsangehörigen.“

Wer seine Berufspflichten verletzt, kann eine Strafe allerdings leicht vermeiden: Gibt ein Prüfer seine Lizenz zurück, entfällt auch die Sanktion. „Der Wirtschaftsprüfer kann sich solchen Verfahren jederzeit durch einen Verzicht entziehen“, teilt die berufsständische Wirtschaftsprüferkammer mit.

Das gilt selbst dann noch, wenn die Strafmaßnahme verkündet wurde. In dem Fall müsse nach der Zustellung des Apas-Bescheids zunächst noch Rechtsmittel eingelegt und sodann auf die Bestellung als Wirtschaftsprüfer verzichtet worden sein. Die Lizenzrückgabe ist deshalb ein Weg, den Sanktionen zu entgehen.

Die Firma drohen Geldbußen

Neben einzelnen Abschlussprüfern können auch Prüfgesellschaften von berufsrechtlichen Maßnahmen betroffen sein. Mit einer Summe von maximal einer Million Euro würde eine Geldbuße EY dabei kaum treffen. Im äußersten Fall kann die Apas einer Prüfungsfirma aber auch für eine Zeit verbieten, Neugeschäft von Unternehmen von öffentlichem Interesse zu übernehmen.

Bei EY hat der Bilanzskandal von Wirecard nicht nur am Renommee gekratzt, sondern weiter darüber hinaus schon jetzt tiefe Spuren hinterlassen. Mehrere Kunden aus dem Finanzbereich wollen sich nicht von der Gesellschaft prüfen lassen, weil sie möglicherweise gegen sie klagen werden: etwa die Commerzbank, der Vermögensverwalter DWS und die Staatsbank KfW.

Dazu hat EY das Mandat bei der Deutschen Telekom verloren. Allein durch diese Fälle entgeht EY ein geplantes Honorar in Höhe von annähernd 40 Millionen Euro. Zwischenzeitlich musste EY gar den Verlust des Mandats der Deutschen Bank befürchten. Dies blieb der Gesellschaft letztlich aber erspart.

Schwerwiegender sind aber mögliche Schadensersatzzahlungen, die EY Deutschland an klagende Anleger, beteiligte Banken oder den Insolvenzverwalter von Wirecard bei Niederlagen vor Gericht zahlen müsste.

Milliardenbeträge stehen dabei im Raum. Bisher ist EY vor Gericht erfolgreich gewesen, da den Prüfern vor Landgerichten keine Schuld nachgewiesen werden konnte. Es stehen aber weitere Prozesse auch in höherer Instanz bevor.

Schadensersatzkläger auf der Lauer

Alle Kläger beobachten das Apas-Verfahren gegen EY genau, da dessen Ergebnis in die Klagebegründungen einfließen dürfte. Eine Klage des Wirecard-Insolvenzverwalters gegen EY sei noch nicht fertiggestellt. Sie werde aber wahrscheinlich kommen, berichten mit der Sache vertraute Personen.

Zuletzt hat das Landgericht München die Jahresabschlüsse der Jahre 2017 und 2018 für nichtig erklärt. Zudem hat das Gericht den Weg für ein Kapitalanleger-Musterverfahren frei gemacht. Damit soll eine Entscheidung stellvertretend für Tausende andere Klagen herbeigeführt werden.

Zuständig für das Verfahren ist das Bayerische Oberste Landesgericht. „Es ist derzeit nicht absehbar, wann der Senat entscheiden wird“, teilte eine Sprecherin mit. Es sei zunächst ein Musterkläger zu bestimmen. EY wollte sich zu diesem Komplex nicht äußern.

Auch für die einzelnen Prüfer steckt in den Zivilklagen das größte Risiko. Ein Verzichten auf die Bestellung als Wirtschaftsprüfer bringt hier nichts. Sollte sich gar herausstellen, dass sie mit Vorsatz gehandelt haben, würde auch keine Managerhaftpflichtversicherung einstehen und sie unbegrenzt haften.

Manch einer der Beteiligten geht unterdessen schon jetzt andere Wege. Ex-Deutschland-Chef Hubert Barth, der im Nachgang des Wirecard-Skandals seinen Posten im Frühjahr 2021 verlor, schied inzwischen gänzlich bei EY aus. Er sei stolz darauf, sagen zu können, „dass ich von den Besten gelernt habe“, teilte er über die Plattform Linkedin im Juli mit. Nun will er „einen neuen Typ eines professionellen Dienstleistungsunternehmens aufbauen: innovativ, neugierig, qualitätsorientiert.“

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