Zahl der freien Stellen in Dax-Konzernen auf Rekordniveau – doch in drei Bereichen trübt sich der Markt ein
Post, Fresenius und BMW haben die meisten Vakanzen. Unsicherheiten schwächen den Aufwärtstrend aber leicht ab. Der Rückgang der Nachfrage ist insbesondere in einer Gruppe überraschend.
Die gute Nachricht ist mit Vorsicht zu genießen: Die Stellenausschreibungen in den 40 Dax-Unternehmen haben erneut ein Rekordhoch erreicht. 29.082 Jobs waren im August auf den firmeneigenen Portalen ausgeschrieben. Im Vergleich zum Juli (28.418) ist das ein Anstieg von 2,3 Prozent.
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Das geht aus Daten der Jobplattform Indeed hervor, die jeden Monat die Stellenanzeigen bei Deutschlands wichtigsten börsennotierten Unternehmen auswertet. Seit Januar ist ein steter Aufwärtstrend zu erkennen. Der Fachkräftemangel macht sich stark in den Personalabteilungen bemerkbar – und bietet Bewerberinnen und Bewerbern viele Chancen.
Die hohe Nachfrage nach Mitarbeitenden lässt sich aber unter anderem auf die besonders vielen Ausbildungs- und Praktikumsstellen zurückführen (7475). Hinzu kommen saisonale Effekte, beispielsweise dass die Deutsche Post in Vorbereitung auf die geschäftige Weihnachtssaison viele neue Paketzustellerinnen und Postboten sucht.
Drei wichtige Berufsfelder haben jedoch eingebüßt. Da sind zunächst weniger Arbeitsplätze in der IT-Branche, in der eigentlich schon seit Monaten stärker denn je gesucht wird, weil viele Firmen dringend Expertinnen für die Digitalisierung, Architekten für IT-Systeme und Webentwickler brauchen.
Weniger IT-Experten gesucht – Dax-Konzerne sind zurückhaltender
Zwar waren in allen 40 Firmen immer noch über 3200 Stellen in der IT ausgeschrieben – nach Berufsgruppen aufgeteilt war das aber der größte Knick: Elf Prozent weniger Vakanzen als im Juli gab es hier.
„Der leichte Rückgang der Nachfrage nach IT-Experten ist bemerkenswert“, sagt Annina Hering, Arbeitsmarktökonomin bei Indeed. „Ein Grund könnte sein, dass die Fachkräfte aus diesen Bereichen zwar wichtige Bausteine für nachhaltiges Wachstum sind, aber gerade in Zeiten großer Unsicherheit nicht unbedingt in digitale Infrastruktur investiert wird.“
Auch in den Bereichen Human Resources und Ingenieurwesen sind leichte Rückgänge zu verzeichnen: Fast neun Prozent weniger Gesuche nach Personalern sind hier im Vergleich zum Juli zu verzeichnen. Zwar wurden etwa sieben Prozent weniger Ingenieure gesucht, aber immer noch fast 2400 Experten.
In Anbetracht der allgemeinen wirtschaftlichen Unsicherheit würden diese Rückgänge überschaubar ausfallen, sagt Hering. „Ob dieser Trend nachhaltig ist oder gar Vorbote für eine generelle Einstellungszurückhaltung, wird sich erst in den nächsten Monaten erweisen.“
Oliver Stettes, Arbeitsmarktexperte am Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Köln, ist da etwas deutlicher und sieht bereits erste Anzeichen für ein leichtes Abflachen des Trends: „Wir liegen mit den offenen Stellen immer noch deutlich über dem Coronaniveau aus dem Jahr 2020, sehen aber eine leichte Abschwächung.“ Stettes vermutet: „Das mögen Vorboten dafür sein, dass die Unternehmen ein bisschen zurückhaltender werden vor dem Hintergrund des Kriegs in der Ukraine, der Gas- und Energiekrise.“
Fachkräftemangel: Probleme bei Einstellung in immer mehr Branchen
Insgesamt sieht Stettes nicht mehr nur einen Fachkräftemangel, sondern einen generellen Arbeitskräftemangel. Als Bezugsgröße nimmt er nicht nur Gesuche bei Dax-Unternehmen, sondern die Stellen bei der Bundesagentur für Arbeit (BA).
Beim Fachkräftemangel wurde lange darauf geschaut, welche Branchen betroffen sind. Zunächst waren es Ingenieure, dann IT-Experten. Der Blick weitete sich auf akademische Berufe. Danach fiel auf, dass auch Ausbildungsberufe beispielsweise im Gesundheitswesen betroffen waren.
Der Markt entwickelt sich also in Richtung Arbeitskräftemangel allgemein. Dahinter stecke ein Trend, sagt Stettes, „dass der demografische Wandel langsam richtig zuschlägt“.
Noch stellen aber vor allem die großen deutschen Unternehmen kräftig ein, im August am meisten die Deutsche Post mit knapp 6000 offenen Anzeigen. Bei Fresenius und Fresenius Medical wurden mehr als 4700 neue Mitarbeitende gesucht und bei BMW über 1800.
BMW, Mercedes, Telekom: Gute Chancen für Auszubildende und Praktikanten
BMW ist auch das Unternehmen, das im August am meisten Nachwuchs suchte: Allein 1123 Stellen in den Bereichen Ausbildung, Praktikum und Werkstudierende waren ausgeschrieben – das macht fast zwei Drittel der insgesamt offenen Jobs aus.
Vor Kurzem habe der Konzern mit dem Recruiting der Auszubildenden für 2023 begonnen, teilte das Unternehmen mit. In den Bereichen Batterieforschung, automatisiertes Fahren, Softwareentwicklung und IT haben Nachwuchskräfte bei BMW derzeit gute Chancen.
Die Telekom suchte mit 812 Plätzen am zweitmeisten junge Auszubildende und Praktikanten. Bei Mercedes-Benz waren es laut Indeed gut 700 Vakanzen in diesem Bereich. Auch beim Autobauer aus Stuttgart hat der Bewerbungsprozess für das nächste Ausbildungsjahr 2023 begonnen.
Der Konzern bietet über 20 verschiedene Ausbildungsberufe und 16 unterschiedliche Studienrichtungen für ein duales Studium an. Bewerberinnen und Bewerber könnten speziell mit Kompetenzen im Bereich Digitales und IT sowie mit Erfahrungen in der E-Mobilität punkten, heißt es aus der Unternehmenszentrale.
„Unternehmen müssen sich genau überlegen, wie sie Mitarbeiter finden und halten können“, empfiehlt Oliver Stettes vom IW Köln. „Wie sie beispielsweise Arbeitszeiten organisieren, wird künftig entscheidend sein.“
