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„Zinssenkungen machen 2024 zu einer größeren Herausforderung“

Die EZB-Wende brachte der ING in Deutschland einen Rekordgewinn. Nun gerät das Zinsergebnis unter Druck – und die Bank will unabhängiger von ihrem größten Geschäft werden.

Frankfurt. Mit dem Gewinn ist es abwärtsgegangen. Das belegen die Zahlen des abgelaufenen Halbjahres der niederländischen Direktbank ING. Andrew Bester, Vorstandsmitglied und zuständig für das Geschäft mit Firmenkunden (Wholesale Banking), sagt: „Wir wussten aber, dass Zinssenkungen das Jahr 2024 zu einer größeren Herausforderung machen würden.“

Knapp 1,5 Jahre hatte die ING zu den großen Profiteuren der Zinswende gezählt. Allein im vergangenen Jahr fuhr die Deutschlandtochter hierzulande ihr bestes Ergebnis in der Geschichte ein. Und auch der Mutterkonzern in Amsterdam konnte im gleichen Zeitraum sein Ergebnis zum Vorjahr fast verdoppeln.

„2023 war ein erfolgreiches Jahr für die ING“, zieht Bester im Handelsblatt-Doppelinterview mit Eddy Henning, Firmenkundenvorstand der ING Deutschland, Bilanz. Nun aber machten sich die erwarteten Zinssenkungen sowohl auf Gruppenebene als auch in Deutschland bemerkbar. Die Bank muss Alternativen entwickeln, um weniger abhängig vom Privatkundengeschäft zu sein.

Denn der Wandel ist spürbar: Konkret sank der Gewinn der ING in den ersten sechs Monaten dieses Jahres im Vergleich zum Vorjahr um zehn Prozent, bei der Deutschlandtochter brach der Vorsteuergewinn sogar um knapp 16 Prozent ein. Die Zinswende macht es der Bank somit schwerer, Geld zu verdienen.

Zurzeit liegen die Einlagenzinsen bei 3,25 Prozent. Diese Zinsen erhalten die Geschäftsbanken für ihre Einlagen bei der Europäischen Zentralbank (EZB). Bis Anfang Juni hatten sie noch vier Prozent betragen. Zuvor hatte die EZB den Einlagenzins zwischen Mitte 2022 und September 2023 zehnmal nacheinander angehoben.

Wie abhängig die Einnahmen der ING von den Zinsen sind, zeigen die Zahlen. Rund zwei Drittel ihres Gewinns verdankte die Direktbank im zweiten Quartal dieses Jahres ihrem Privatkundengeschäft.

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Alternativen zum Privatkundengeschäft

Wer die Gewinnentwicklung der Bank allein auf dem deutschen Markt betrachtet, stellt dort eine noch höhere Abhängigkeit vom Privatkundengeschäft fest: Denn die Einnahmen daraus bestimmten 86 Prozent des Vorsteuergewinns der Bank.

Um dem Abwärtstrend in der Gewinnentwicklung etwas entgegenzusetzen, bietet die Bank seit geraumer Zeit mehr Produkte jenseits des Privatkundengeschäfts an – etwa im Firmenkundengeschäft. Das wird bei der ING als Wholesale Banking bezeichnet.

Im Firmenkundengeschäft bietet die ING klassische Bankdienstleistungen an, aber etwa auch strukturierte Projektfinanzierungen. Zielgruppe sind große, international operierende Unternehmen ab einem Umsatz von 250 Millionen Euro im Jahr. In Deutschland fokussiert sich die Bank im Wholesale Banking primär auf Unternehmenskunden mit einem Jahresumsatz von mehr als einer Milliarde Euro.

„Wir sehen die ING als Partner, wenn globale Unternehmen nach Europa kommen wollen“, sagt Bester. Und fährt fort: „Ob große multinationale US-Konzerne oder asiatische Unternehmen: Wertschöpfungsketten verändern sich stetig, vor allem, was die Beschaffung angesichts der geopolitischen Situation angeht.“ Dabei wolle die Bank „eine wichtige Rolle in der Beratung“ spielen.

Andrew Bester: Das ING-Vorstandsmitglied ist zuständig für das Geschäft mit Firmenkunden. - Foto: ING
Andrew Bester: Das ING-Vorstandsmitglied ist zuständig für das Geschäft mit Firmenkunden. - Foto: ING

Zum Ende des vergangenen Jahres hatte die Bank etwa 650 Unternehmenskunden, wovon 265 auf Deutschland entfielen. Hierzulande sieht Firmenkundenvorstand Henning deshalb noch einiges an Wachstumspotenzial.

Neben dem Kreditgeschäft liegt das unter anderem in den Bereichen Zahlungsverkehr und Cash-Management. Die Deutschlandtochter hat nach eigenen Angaben aber auch ihr Engagement im Kapitalmarktgeschäft verstärkt. Dies beinhalte etwa strategische Beratungsdienstleistungen oder die Begleitung von Anleiheemissionen.

Fokus auf den großen Mittelstand

„Es besteht die Notwendigkeit, näher an die Kunden heranzukommen“, sagt Henning im Gespräch mit dem Handelsblatt. Ein intensivierter Austausch kann dann etwa dafür sorgen, Unterbrechungen bei den Lieferketten und daraus resultierende Probleme frühzeitig zu besprechen.

In Deutschland verfügt die ING neben dem Hauptsitz in Frankfurt aber nur über vier Niederlassungen in Düsseldorf, Hamburg, Stuttgart und München. Laut Henning sei das aber ausreichend, denn als Bank brauche man keine 20 Büros. „Das haben wir im Privatkundengeschäft als Direktbank und als mobile Bank bewiesen“, beruft er sich auf Erfahrungen.

Zudem konzentriere sich die ING Deutschland neben den multinationalen Unternehmen auch auf den großen Mittelstand. Daran soll sich vorerst auch nichts ändern. Um die Kunden bestmöglich betreuen zu können und weiter zu wachsen, werde die Bank hierzulande in den kommenden ein bis zwei Jahren etwa 15 Senior-Banker einstellen. Insgesamt beschäftigte die ING Deutschland Ende des vergangenen Jahres 394 Banker im Firmenkundengeschäft.

Das Umfeld für Unternehmenskunden ist derzeit schwierig. Bester kennt die Hauptthemen, die den Kunden derzeit Sorgen bereiten: Es sind die Zinsen und die Höhe der Inflation. „Dazu kommen Unsicherheiten durch die geopolitische Lage“, schildert der Banker.

Doch es gibt auch positive Entwicklungen. „Wenn ich in die Vorstandsetagen schaue, machen sich deutlich weniger Unternehmen Sorgen über ihre Lieferketten“, sagt er. Da habe sich einiges gewandelt. „Die Produktion findet deutlich näher an den Heimatmärkten statt“, beschreibt er die Entwicklung. Dadurch gebe es mehr Resilienz bei den Unternehmen.

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