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Zweigeteilte Dax-Welt: Gewinnprognosen der Konzerne ändern sich im Rekordtempo

Steigende Preise, knappe Energie, Konjunkturrisiken: Die Zahl der Gewinnwarnungen ist deutlich gestiegen. Gleichzeitig heben viele Unternehmen ihre Erwartungen sogar an.

Am Dienstag zeigte sich die Zweiteilung der deutschen Wirtschaft innerhalb weniger Minuten. Zuerst schraubte der Windturbinenhersteller Siemens Gamesa seine Umsatz- und Renditeziele herunter. Kurz darauf hob der Hersteller von Duft- und Geschmacksstoffen Symrise seine Umsatzprognose an.

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Die beiden Konzerne stehen damit exemplarisch für die zwei gegenläufigen Trends in der deutschen Wirtschaft. Einerseits zwingen steigende Preise und Zinsen, teure Energie, Rezessionssorgen oder die anhaltenden Lieferkettenprobleme immer mehr Unternehmen, ihre Jahresziele zu kappen.

26 Mal haben Unternehmen aus dem Dax, MDax und SDax im ersten Halbjahr ihre Aktionäre schon mit Gewinn- oder Umsatzwarnungen schockiert, darunter Adidas, Henkel, Fresenius und Covestro. Im ersten Halbjahr des Vorjahres waren es nach Berechnungen der Unternehmensberatung EY nur acht.

Auf der anderen Seite gab es trotz der vielen Risiken dreimal so viele Korrekturen nach oben: 74 Mal haben Unternehmen ihren Aktionären verkündet, dass sie ihre ursprünglichen Umsatz- oder Gewinnziele in diesem Jahr voraussichtlich übertreffen werden, zuletzt unter anderem Linde, RWE und Mercedes.

Noch besser war nur das Vorjahr. Damals trieben Nachholeffekte nach den pandemiebedingten Einbrüchen des ersten Coronajahres die Unternehmensgewinne nach oben. „Die aktuelle Situation ist gekennzeichnet von einer enormen Unsicherheit“, sagt EY-Partner Milan Knarse, „während gleichzeitig die Geschäfte vielfach noch gut bis sehr gut laufen.“

Zwischen Rekordgewinnen und drohender Rezession

Die Spannbreite der von Ökonomen und Unternehmen verbreiteten Szenarien ist wohl so groß wie noch nie. Die einen kalkulieren mit einer robusten Konjunkturentwicklung bei anhaltend hoher Nachfrage. Das beschert vielen Unternehmen wie etwa den Automobilkonzernen steigende Gewinne.

Doch angesichts der Sanktionen gegen Russland, unterbrochener Lieferketten und Produktionsausfällen wachsen bei den anderen gleichzeitig die Sorgen. Sie fürchten massive Engpässe bei der Versorgung der Industrie, insbesondere mit Gas, und gleichzeitig massive Einschränkungen für Privathaushalte. Inflation und steigende Zinsen verstärken den Pessimismus zusätzlich.

Diese sehr unterschiedlichen Erwartungen an das zweite Halbjahr spiegeln sich in den Firmenprognosen wider – mit einer nie da gewesenen Vielfalt an unterschiedlichen Einschätzungen.

So hat Europas größter Chemiehersteller BASF, dessen Aktie binnen sechs Monaten gut ein Drittel an Wert verloren hat, jüngst seine Jahresprognose für Umsatz und Betriebsgewinn angehoben. BASF gelingt es, steigende Preise weiterzureichen. Voraussetzung ist allerdings, so BASF, dass der Standort Ludwigshafen mit seinen fast 40.000 Mitarbeitern auch weiterhin ausreichend Gas bekommt.

Am Dienstag setzte der Windturbinenherstellerseine Umsatz- und Renditeziele herunter. Kurz darauf hob der Hersteller von Duft- und Geschmacksstoffen seine Umsatzprognose an.

Symrise und Siemens Gamesa

Am Dienstag setzte der Windturbinenherstellerseine Umsatz- und Renditeziele herunter. Kurz darauf hob der Hersteller von Duft- und Geschmacksstoffen seine Umsatzprognose an.

Auf der anderen Seite hat Covestro, nach BASF der zweitgrößte deutsche Chemiehersteller, kurz vor dem Wochenende seine Prognose angesichts stark gestiegener Energiekosten und der Eintrübung der Konjunktur gesenkt. Der einst von Bayer ausgegliederte Kunststoffhersteller rechnet nur noch mit einem Gewinn vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen (Ebitda) zwischen 1,7 und 2,2 Milliarden Euro in diesem Jahr. Bis Mai lag die Prognose noch bei 2,5 bis drei Milliarden Euro.

In der Summe ist die Geschäftsentwicklung bei den meisten Unternehmen immer noch gut. Im ersten Quartal verdienten die deutschen börsennotierten Konzerne so viel wie noch nie in der Wirtschaftsgeschichte.

Allein die 40 Dax-Konzerne kamen auf einen Gewinn vor Steuern und Zinsen von 52,4 Milliarden Euro, das waren gut 20 Prozent mehr als im starken Vorjahr. Darüber hinaus lassen die bislang vorliegenden Daten für die Monate April bis Juni und die Geschäftsprognosen ebenfalls keine Einbrüche erkennen.

Dank eines hohen Auftragsbestands und einer immer noch starken Nachfrage gelingt es den meisten Firmen, die höheren Preise mehr als nur weiterzureichen – und rasant steigende Gewinne einzustreichen.

Gewinntreiber sind die steigenden Preise

So hat Mercedes trotz des chronischen Chipmangels, der wohl bis in das nächste Jahr hineinreichen wird, seine Prognose für das Gesamtjahr angehoben. Der Premiumhersteller verkauft zwar weniger Autos, verdient damit aber mehr und wirtschaftet profitabler, weil es die früher üblichen Rabatte nicht mehr gibt. „Wir leben seit drei Jahren mit gebremster Entwicklung auf dem Automarkt und sind zuversichtlich, dass die Nachfrage für 2022 robust sein wird“, sagte Finanzvorstand Harald Wilhelm.

Auch Linde passte die Erwartungen nach oben an. Der Industriegasespezialist profitiert von steigenden Marktpreisen, was die Umsätze und Gewinne treibt. Weltweit gibt es nur vier große Anbieter in dem Markt, also oligopolartige Strukturen. Das beschert den Unternehmen mit ihren Aktionären verlässliche Einnahmen.

Besonders stark profitieren Energiekonzerne von den steigenden Preisen. Anstelle eines bereinigten Ergebnisses vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen von 3,6 bis vier Milliarden Euro veranschlagt RWE nun fünf bis 5,5 Milliarden Euro in diesem Jahr.

Am stärksten hob Hapag-Lloyd die Prognose an. Die Hamburger Containerreederei rechnet angesichts stark gestiegener Frachtpreise in diesem Jahr mit einem Ergebnis vor Steuern und Zinsen (Ebit) zwischen 16,3 und 18,2 Milliarden Euro. Ende April hatte Hapag-Lloyd seine Prognose bereits auf eine Spanne zwischen 11,7 und 13,6 Milliarden Euro erhöht. Mit der neuen Prognose würde das Unternehmen in diesem Jahr zu den bestverdienenden Unternehmen Deutschlands gehören.

Hohe Energiepreise und drohende Gasknappheit belasten die Konjunktur. Deutschland steht an der Schwelle zur Rezession.
Ifo-Präsident Clemens Fuest.

Grund für die beispiellosen Gewinne in der Containerschifffahrt sind die Verwerfungen in den Logistikketten seit Beginn der Pandemie. Gestörte Lieferketten und knappe Kapazitäten lassen die Preise für Transporte auf See enorm steigen. Im ersten Halbjahr lag die durchschnittliche Frachtrate um rund 80 Prozent über dem Vorjahr.

Aussichten verschlechtern sich

Den verbesserten Prognosen aufgrund steigender Preise und guter Auftragslage stehen indes wachsende Sorgen gegenüber. So verdüstert sich der Ausblick für die Weltwirtschaft immer weiter, was im zweiten Halbjahr die vielen exportstarken deutschen Konzerne belasten dürfte.

Der Internationale Währungsfonds (IWF) korrigierte seine Prognosen für das globale Wirtschaftswachstum deutlich nach unten. Vor allem in den USA, das ist für die Dax- und MDax-Konzerne der wichtigste Auslandsmarkt, und in Deutschland haben sich die Aussichten laut IWF drastisch verschlechtert.

Nach Einschätzung des IWF-Chefökonomen Pierre-Olivier Gourinchas werde sich die Welt womöglich bald am Rande einer globalen Rezession bewegen, und das nur zwei Jahre nach der pandemiebedingten letzten Rezession.

9000 vom Forschungsinstitut Ifo befragte Unternehmen bestätigten zuletzt diese Skepsis, denn sie beurteilten ihre Stimmung und Perspektiven im Durchschnitt so schlecht wie zuletzt im Juli 2020, wenige Monate nach Ausbruch der Coronapandemie. „Hohe Energiepreise und drohende Gasknappheit belasten die Konjunktur“, sagte Ifo-Präsident Clemens Fuest. „Deutschland steht an der Schwelle zur Rezession.“

Vor allem die steigenden Gaspreise und eine drohende Knappheit werden zum Problem. Zwar versuchen die Unternehmen, die gestiegenen Preise an ihre Kunden weiterzureichen. Doch dies ist nur zeitversetzt und bei ausreichend Preismacht möglich.

Hoch globalisierte Weltkonzerne wie BASF haben dabei den Vorteil, dass sie nicht nur teures europäisches Gas nutzen, sondern auch Gas aus den USA, das zwar auch im Preis gestiegen ist, aber sich auf einem viel niedrigeren Niveau befindet.

Aber die Auswirkungen bleiben vor allem im produzierenden Gewerbe groß. Nach Berechnungen von Markus Wallner von der Commerzbank sinkt bei energieintensiven Unternehmen wie Evonik der operative Ertrag um knapp fünf Prozent, wenn der Gaspreis nur um zehn Prozent steigt.

Auslandsstarke Konzerne leiden unter schwächerer Weltkonjunktur

Stark von steigenden Gaspreisen betroffen sind nach seiner Kenntnis auch der Spezialverpackungshersteller Gerresheimer, der Düngemittelproduzent K+S, der Stahlhersteller Thyssen-Krupp und Heidelberg Cement.

Unter der schwächeren Weltkonjunktur leiden zunehmend die auslandsstarken börsennotierten Konzerne. Fresenius und die ebenfalls im Dax notierende Tochter Fresenius Medical Care (FMC) senkten ihre Geschäftsprognosen für das laufende Jahr und auch die mittelfristigen Pläne.

Das liegt vor allem an Amerika. Dort leidet die Dialysesparte unter einem Mangel an Arbeitskräften und damit verbunden stark gestiegenen Personalkosten. Generell habe sich das gesamtwirtschaftliche Umfeld weiter verschlechtert und die inflationsbedingten Kostensteigerungen hätten zugenommen, teilte der Konzern mit.

Zusätzlich belasten die hohe Inflation und die damit einhergehende schlechtere Verbraucherstimmung viele Unternehmen. Nach einem schwachen dritten Geschäftsquartal senkte der Elektronikhändler Ceconomy mit seinen Ketten Media-Markt und Saturn die Jahresprognose. Das Ergebnis vor Steuern und Zinsen werde von 237 Millionen auf 150 Millionen bis 210 Millionen Euro fallen. Zuvor war den Aktionären noch eine „sehr deutliche“ Steigerung gegenüber dem Vorjahr in Aussicht gestellt worden.

Selbst diese drastisch gesenkte Vorhersage stellte Ceconomy unter dem Vorbehalt, dass sich die Auswirkungen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine nicht wesentlich verschärfen werden und der Einzelhandel nicht wegen potenzieller Versorgungsengpässe bei Energielieferungen oder der Pandemie erneut eingeschränkt wird.

Wie eng höhere und niedrigere Prognosen beieinanderliegen, zeigten zuletzt die zwei großen in Herzogenaurach beheimateten Sportartikel-Konkurrenten. Während Puma angesichts weltweit starker Nachfrage – mit Ausnahme von China – die Umsatzerwartungen anhob, musste Adidas sie senken.

Dem größeren Konkurrenten machen die harten Lockdown-Beschränkungen in Fernost zu schaffen. China steht für rund ein Fünftel des globalen Konzernumsatzes. Die Einnahmen in dem Land werden das restliche Jahr demnach nun sogar zweistellig sinken.

Puma beklagt zwar ebenfalls empfindliche Ausfälle in China, hält die übrigen Märkte aber für stark genug, um seine Prognose anzuheben. Die kommenden Monate werden zeigen, was schwerer wiegt: Ausfälle aufgrund von Corona und Sanktionen oder eine immer noch robuste Nachfrage.

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