100 000 Klicks – bin ich jetzt besser, wertvoller, gefragter, erfolgreicher?
Influenzer sind das Thema der Stunde, wenn es um Marketing für KMU geht. Einerseits weil mittelständische Unternehmen nicht das Budget der Grosskonzerne haben, um sich bekannte Persönlichkeiten als Werbeträger zu leisten. Andererseits weil das populäre Storytelling mit herkömmlichen Werbeaktionen nicht in gewünschter Art und Weise umgesetzt werden kann. Influenzer, so wird immer wieder angenommen, können mit kleinem Aufwand die Kunden erreichen, denn «Fotos schiessen ist ja keine Hexerei».
Doch im Gespräch mit professionellen Influenzern wird sofort klar: Es steckt mehr dahinter als einfach jederzeit für einen Schnappschuss bereit zu sein. Wer sich auf dem Markt als Werbeträger erfolgreich etablieren will, muss zuerst die eigene Story ausarbeiten: Wofür stehe ich mit meinen Fotos? Was ist meine Geschichte? Welche Produkte passen zu meiner persönlichen Geschichte? Wenn es dann um die Fotos geht, so sollen diese wie «spontan geschossen» aussehen – allerdings müssen es qualitativ professionelle Bilder mit guter Beleuchtung, guter Auflösung und guter Positionierung sein. Das ist schon fast ein Kunsthandwerk, und wie bei jeder anderen Kunst gibt es neben den vielen, die sie beherrschen, auch solche, die scheitern und versagen.
Wer glaubt, Influenzer würden ohne Druck arbeiten, oder wer den spezifischen Stress dieser Berufsgruppe nicht ernst nimmt, kennt nicht die Bedeutung jener Zahlen nicht, auf die es in dieser öffentlichen Werbe-Kommunikation ankommt. Follower, Freunde, Kontakte – alles wird in Zahlen gemessen und vor allem bewertet. Dabei geht es längst nicht mehr um 2- oder 3-stellige Zahlen, sondern um Dimensionen, die wir uns noch vor ein paar Jahren nicht hätten vorstellen können. Diese Zahlen bewerten aber zuerst nicht das Produkt, das angepriesen wird, sondern es geht um die Influenzerin oder den Influenzer selbst. Es ist eine neue Berufsgruppe, die mit der Realität leben muss, dass kurzfristig viel Geld verdient werden kann, langfristig aber Alternativen ausgearbeitet werden müssen. Kurzfristig können Influenzer gefragt und hipp sein, von einem Tag auf den anderen jedoch die Bedeutung verlieren.
Wer sich mit dieser beruflichen Marketing-Kommunikation befasst, muss sich auch mit diesen Aspekten auseinandersetzen. Persönlich habe ich das in den letzten Tagen erlebt, denn als eine der XING Insider habe ich auf meinem Profil eine Statistik, die meine Artikel auswertet. Die Zahlen selbst sind für mich nicht ausschlaggebend, wenn ich einen Artikel schreibe. Wichtig war und ist für mich immer, ein Thema zu behandeln, von dem ich annehme, dass es meine Kontakte interessieren könnte.
Auf einmal steht die Zahl «100 000 Klicks» bei meinen Insider-Artikeln. Zum ersten Mal konnte ich mich in die Sicht der Influenzer hineinversetzen, die ihre Arbeit mit diesen Klicks messen. Welch tolles Gefühl zu wissen, dass so viele Menschen sich für das, was man publiziert, interessieren. Gleichzeitig entsteht der Druck, eine konstante Leistung zu bringen, wieder Themen zu finden, die andere interessieren.
Ich glaube, nur wer die Leichtigkeit in der Kommunikation behält, sich nicht von den Zahlen kontrollieren und beeinflussen lässt, schafft es zwischen öffentlicher Beurteilung und persönlicher Bewertung der eigenen Person zu differenzieren.
Es ist wichtig, dass wir uns mit der Herausforderung der Kommunikation via Influenzer auseinandersetzen. Denn immer mehr KMU glauben, dass die eigenen Mitarbeiter*innen die geeigneten und günstigsten Influenzer für ihr Unternehmen sind. Generell ist das ein guter Ansatz. Es erfordert jedoch, dass man vorher die Anforderungen an diese Kommunikationsstrategie berücksichtigt. Oft hingegen möchten Unternehmen bei dieser visuellen Storytelling-Kommunikation mitmachen, ohne sich wirklich mit Strategie, Zielgruppe, Content und Abläufen zu befassen.
Insbesondere wird unterschätzt, dass die Mitarbeiter*innen nicht nur die Informationen des Unternehmens nach aussen tragen, sondern auch dass das Unternehmen mit der Kommunikation der Angestellten im Netz in Verbindung gebracht wird. Wo soll ein Unternehmen die Grenze setzen, d.h., mit welchen Bildern, mit welchen Aussagen der Angestellten möchte es identifiziert werden?
Wichtig ist auch, dass Unternehmens-Influenzer nicht nur die positiven Seiten vermitteln. Ebenso sollten sie bei einer schwierigen Situation in Erscheinung treten, z.B. auch erste Anlaufstellen für unzufriedene Kunden sein.
Deshalb hier meine Anregung: Die virtuelle Kommunikation ermöglicht uns eine Reichweite, die noch vor wenigen Jahren unmöglich gewesen wäre. Doch wie bei jeder neuen Kommunikationsstrategie sollten Sie nicht nur den Schein des Erfolgs sehen, sondern sich intensiv mit den Chancen wie auch Herausforderungen befassen. Sobald Sie die Kommunikation aus der Hand geben, kann sie eine Eigendynamik entwickeln. Dessen sollten Sie und Ihre Mitarbeiter*innen sich bewusst sein.
Ihre Petra Rohner