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14 Tipps und 44 Beispiele für Fachkräfte-Reichtum. So machen Sie Ihr Recruiting einfacher, anziehender und kreativer

„15 Prozent mehr Stellenausschreibungen als vor Corona“, schreibt das Handelsblatt. Sogar 43,5 Prozent mehr Stellenanzeigen als vor einem Jahr misst index Internet und Mediaforschung GmbH mit Anzeigendaten.

Auch die Zahl der Fachkräfte ist stark gewachsen. „1997 waren in Deutschland 37,7 Millionen Personen erwerbstätig, 2019 waren es 45,3 Millionen – ein Rekordwert.“ Fachkräftemangel bedeutet also nicht, es gäbe keine Fachkräfte. Im Gegenteil: ein Rekordwert. Die entscheidende Frage: Arbeiten diese bei Ihnen oder woanders?

Natürlich haben Firmen einen Mangel an Fachkräften, wenn sie wachsen wollen und neue Stellen schaffen. Ich hatte in meinen Firmen 61-mal diesen Mangel, bis wir die Stelle besetzt hatten. Ein zeitlich begrenzter Mangel an Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist Firmen sogar zu wünschen, denn das bedeutet, dass es ihnen gut geht und sie wachsen. Eine hohe Fluktuation hingegen wäre kein gutes Zeichen und könnte auch ein Grund für fehlende Fachkräfte sein.

Es gibt darauf eine Antwort, die für alle Unternehmen weltweit zutrifft: „Immer die Mehrheit!“ Die Mehrheit vorhandener und potenziell passender Fachkräfte hat sich noch nie bei Ihnen beworben.

Der Ball liegt also immer beim Unternehmen, aktiver und gezielter zu suchen. Wenn man das macht, was alle machen, bekommt man das, was alle bekommen bzw. nicht bekommen. Was machen Sie anders, einfacher, auffälliger, überraschender, anziehender, gezielter?

**1.**Tischler Kapune hat alle seine Kunden aktiv nach Empfehlungen von Tischlerinnen, Tischlern und Azubis gefragt: „Liebe Kunden, Partner und Freunde. Wir freuen uns auf Ihre persönlichen Empfehlungen und Bewerbungen! Die Resonanz war groß, gerade bei den Stammkunden.“ Sein Team ist gewachsen, er konnte alle Stellen besetzen. Er beschäftigt auch bis zu 70 Praktikanten pro Jahr und findet so immer genug Azubis.

**2.**Eine Firma wollte 30 Elektriker einstellen innerhalb von 15 Tagen für ein großes Projekt. Die Frage „Wo trifft man alle Elektriker garantiert in 15 Tagen?“ führte zu der Idee. In Baumärkten. Also steckten sie in allen Baumärkten in Ingolstadt zwischen die Kabelbinder simple schwarz-weiß Kopien: „Suchen Sie eine Arbeit im Trockenen? Kommen Sie zu uns! Telefon. E-Mail-Adresse.“ Wer schweißgebadet oder nassgeregnet von der Baustelle kam, rief an. 30 Elektrikerstellen waren in zwei Wochen besetzt. Kosten: 2000 Kopien.

3. Wer sagt, dass Azubis jung sein müssen? Dass wir heute weniger 15-jährige haben, wissen wir seit 15 Jahren. Und dann kam Alexander Peter und wurde mit 39 Jahren der beste Dachdecker-Azubi. Das passt zum Trend: „1993 waren mehr als die Hälfte der Auszubildenden jünger als 18 Jahre; 2016 nur noch 26,8%. Seit 2014 haben Azubis ein Durchschnittsalter von 19,7 Jahren.“ Stellen Sie auch 27-, 39- oder 51-jährige Azubis ein?

Der 39-jährige Dachdecker-Azubi links im Bild - © Hannoversche Allgemeine 18.05.2019
Der 39-jährige Dachdecker-Azubi links im Bild - © Hannoversche Allgemeine 18.05.2019

4. Die Auszeichnung "Bester der Dachdecker-Innung Aschaffenburg-Miltenberg" erhielt 2020 Ziya Rahimi, der 1999 im Süden Afghanistans geboren wurde. Geflüchtete sind oft Azubis im Handwerk. Der Hamburger Malermeister Hermann Maracke schwört auf sie und auch Hollenbach, ein Familienbetrieb seit 1869, spricht gezielt Geflüchtete an.

**5.**Ein Unternehmer schreibt seit über 10 Jahren in seine Stellenanzeigen: „Wir suchen auch Studienabbrecher.“ Steht das nicht drin, melden sich Studienabbrecher nicht bei Ihnen. Immer mehr Firmen stellen Studienabbrecher als Azubis ein, es gibt Hunderttausende. Sie sind älter, reifer und bleiben länger im Unternehmen, denn studieren wollen sie nach der Ausbildung nicht mehr. Halten Sie in Unis eine Gastvorlesung passend zu Ihrer Branche und laden Sie persönlich ein: „Kommen Sie zu uns mit und ohne Abschluss.“

6. Köche wechseln sehr häufig den Beruf. Sie suchen oft Jobs mit geregelten Arbeitszeiten. Wer bietet geregelte Arbeitszeiten? Einige Lebensmittel Einzelhändler sprechen gezielt Ex-Köche an als Fleischerei-Fachverkäufer. Ex-Köche gibt es wie Sand am Meer. Diese Einzelhändler haben keinen Fachkräftemangel. Köche kommen allerdings nicht von selbst darauf, sich im Einzelhandel zu bewerben. Der Clou: Die Händlerinnen und Händler, die das erfolgreich praktizieren, schreiben explizit: „Wir suchen Köchinnen und Köche“.

7. Wer könnte noch umsatteln? Ein Uhrenmacher fand keine Uhrenmacher. Er fragte sich: Wer hat dieselben Qualifikationen? Zahntechnikerinnen und Zahntechniker. Davon gibt es sehr viele. Zu 95 Prozent haben sie dieselben Fähigkeiten, Feingefühl und Präzision. Seitdem stellt dieser Uhrenmacher Zahntechniker*innen ein und bildet sie fort.

**8.**Stellen Sie sich vor, der Postbote klingelt. Er bringt Ihnen ein Päckchen. Es sieht gut aus und riecht fantastisch. Was Sie wundert, Sie kennen den Absender nicht. Doch weil es Sie anlacht und Sie neugierig sind, reißen Sie es auf. Darin liegt ein nagelneues Smartphone. Unter dem Smartphone klebt ein Post-it: „Rufen Sie uns an. Wir sind Ihr neuer Arbeitgeber.“ Das hat eine Firma 2014 gemacht. 20 Päckchen verschickt und fünf neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gewonnen. Die Bewerbung wurde umgedreht. Das Unternehmen bewirbt sich mit dem Päckchen. Die Überraschung bringt 100 Prozent Aufmerksamkeit! Was nicht überrascht, nehmen wir gar nicht wahr. Warum auch? Die umgedrehte Bewerbung setzt voraus, dass Sie wissen, wen Sie für sich gewinnen wollen. Auf wen können Sie aktiv zugehen?

9. Eine Firma in Bayern liest dazu Patente. Nicht die Entwicklungs-, sondern die Personalabteilung. Interessante Kandidatinnen und Kandidaten – meist Ingenieure - bekommen eine Einladung zum nächsten Sommerfest. Die umgedrehte Bewerbung. Etwa 50 Prozent der Eingeladenen kommen. Sie sind neugierig. Die positive Überraschung wirkt. Beim Sommerfest kommen sie locker ins Gespräch sowohl über Privates wie auch über spannende Projekte. Es wird viel gelacht – vielleicht gesungen und getanzt – und nach drei Monaten oder auch mal nach drei Jahren bewerben sich die Gäste, denen es gefallen hat. Kosten: Der Zeiteinsatz, Patente zu lesen und Einladungen zu verschicken.

10. Sammeln Sie Namen und Kontakte interessanter Menschen. Personalgewinnung ist Vertrieb. Wie finden Sie weitere interessante Menschen? Lesen Sie Blogs aus Ihrer Branche. Hören Sie Podcasts. Sowohl Autor*innen, Interviewte und die Patentinhaberinnen und Patentinhaber (Beispiel 9) sammeln Sie. Viele Schülerinnen und Schüler sind mit Schülerfirmen bereits tätig im Catering und in Event-Organisation. Namen und Kontakte sammeln Sie. Jugend forscht zeigt seit 54 Jahren jährlich tausende talentierte junge Menschen mit ihren Projektideen. Die Namen sind öffentlich. Sprechen Sie diese als Azubis an oder nach drei Jahren als Praktikant*innen oder nach 10 Jahren als Professionals. Seien Sie vorbereitet mit Ihrer Sammlung. Nichts anderes machen Headhunter.

11. Immer häufiger werden ganze Firmen gekauft, um eingespielte Team komplett zu gewinnen. Ich kenne Beispiele aus dem Handwerk und der Software-Entwicklung. Ein aktuelles Beispiel mit einem passenden Wortspiel „Twitter ‘acqui-hires’ the team from Brief“.

12. Wie gewinnt man die beste Buchhalterin oder den besten Buchhalter. Was muss diese Person können? Gut recherchieren und die Stellenanzeige finden? Nein. Überzeugend schreiben? Lebenslauf? Nein. Gut reden? Im Bewerbungsgespräch glänzen? Nein! Was erwarten Sie von Buchhaltern? Gründlichkeit und Ehrlichkeit? Das hat eine Firma mit drei Cent herausgefunden. Bei allen Überweisungen offener Rechnungen hat die Firma drei Cents zu viel überwiesen. Wer anrief, um den Fehler zu melden, bekam ein Jobangebot. Sie hatten bewiesen, dass sie gründlich und ehrlich sind. Einsatz: Wenige Euro.

**13.**Pop-up-Stores sind bekannt. Fürs Recruiting mixte die Schweizer Bahn daraus einen neuen Cocktail. Sie eröffnete im Zürcher Hauptbahnhof im September 2018 einen Pop-up-Store für Jobs. Im „Berufswelten-Café“ servierte die SBB Kaffee, stellte ihre 150 Berufe vor, nahm Lebensläufe entgegen und gab Tipps fürs Bewerben.

14. Wer kennt Freunde, die völlig begeistert aus einem Bewerbungsgespräch kommen? Meistens lief es 'ganz gut' oder 'eher schlecht', pure Begeisterung höre ich selten. Wie wäre es mit einer Job-Party? In meinen Workshops stelle ich diese Aufgabe: „Ladet zur Job-Party eurer Firma, Branche und Region ein. Was sieht man? Was hört man? Was passiert? Ihr habt 10 Minuten Zeit.“ Eine Tischlerei feierte ihre Job-Party in Baumhäusern. Eine Kfz-Werkstatt lud zum Carrera Wettrennen ein. Schon das Wort Party löst Begeisterung aus – anders als die Worte Bewerbungsverfahren oder Vorstellungsgespräch.

**15.**Ein Bewerber erzählte mir, dass er seinen Arbeitgeber ausgewählt hat nach dem besten Sportangebot in der Region. Seine Wahl fiel auf Osnabrück und die dortigen Sportvereine. Was bietet Ihre Region?

16. 70 Prozent aller Deutschen leben ländlich und kleinstädtisch. Nutzen Sie die Möglichkeiten Ihrer Region. Zum Beispiel mit Radtouren an der Saale, Elbe oder Mosel. Dann suchen Sie Menschen die gerne Radfahren und laden potenzielle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (interessante Kontakte sammeln, Beispiele 8-10) auf eine Radtour ein. Wer zu Ihnen passt, bekommt ein Job-Angebot.

17. Wie verbreitet sich eine Stellenanzeige wie ein Lauffeuer? Die ZEIT: „Stahlfirma lockt Bewerber mit Tickets für Heavy-Metal-Festival. Die Stahlbaufirma aus Krempe sucht dringend einen neuen Ingenieur. Bislang setzte das Unternehmen auf Headhunter, aber der Erfolg war mäßig.“, schreibt Tina Groll 2012. Tickets für das weltberühmte Festival auf Wacken sind schnell ausverkauft. Die Stahlbaufirma bot etwas, das käuflich nicht mehr zu erwerben war und viele Ingenieure interessiert. Freunde gaben ihnen diese Info sofort weiter. Die Personalabteilung der Stahlbaufirma hatte sich mit der Lieblingsmusik von Ingenieuren beschäftigt, und diese sind überproportional häufig beim Heavy-Metal-Festival. Wissen Sie, welche Musik Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hören und auf welche Festivals sie gehen? Die Firma bekam viele GUTE Bewerbungen.

**18.**Die Stadtverwaltung Hamm suchte Bauingenieure. Monatelang kamen über Stellenanzeigen Null (!) Bewerbungen. Ich erzählte den Personalverantwortlichen das Wacken-Beispiel und forderte sie heraus: „Werden Sie berühmt.“ Zehn Tage später riefen sie mich an: "Herr Gaedt, wir stehen heute in der BILD. Und RTL bringt ein Interview." Ihr Angebot: Die drei Kandidatinnen und Kandidaten, die in der Stadtverwaltung anfangen, bekommen eine Kreuzfahrt auf dem Heavy Metal-Schiff. Ergebnis: 14 Bewerbungen. Vorher Null.

Die Stadtverwaltung Hamm wird berühmt mit Heavy Metal und E-Gitarren - © Bild 07.12.2018
Die Stadtverwaltung Hamm wird berühmt mit Heavy Metal und E-Gitarren - © Bild 07.12.2018

19. Wenn das Software-Team in meiner Firma ein Software-Updates erwartet hat, das sie direkt abends implementieren wollten, haben wir in der Firma Poker-Abende veranstaltet. Alle Kolleginnen und Kollegen, die wollten, sind abends geblieben. Wir hatten viel Spaß, und das Engagement beim Software-Update wurde vom ganzen Team mitgetragen. Unternehmenskultur wirkt nach innen und nach außen.

**20.**Spieleabende nutzt eine Software-Firma in NRW zur Personalgewinnung. Das ganze Team kann Freunde zum Spiele-Abend einladen. Software-Entwickler*innen kennen andere Software-Entwickler*innen. Die Gäste lernen das Betriebsklima und die Unternehmenskultur kennen. Und wenn es ihnen gefällt, bewerben sie sich.

**21.**Die Caritas Düsseldorf startete im Sommer 2017 diese Kampagne: „Bei Anruf Ausbildung“. Alles andere wurde gestrichen. Kein Anschreiben. Kein Lebenslauf. Keine Prüfung. Kein Vorstellungsgespräch. „Bei Anruf Ausbildung. Die Caritasverbände in Geldern und Moers-Xanten haben damit weit mehr Ausbildungsplätze besetzen können als bislang. Nach dem ersten halben Jahr zeigt sich, dass die Abbrecherquote ohne Bewerbungsunterlagen und Auswahlverfahren gleich bleibt.“ Verfahren vereinfacht und mehr Bewerberinnen und Bewerber bekommen. Ziel erreicht.

22. Ist Ihr Bewerbungsverfahren schnell und transparent? Sonst streichen sie Anforderungen! „Bewerber haben Ansprüche wie beim Online-Shopping.“ Die besten Bewerberinnen und Bewerber brechen online am schnellsten ab, denn sie haben die größte Auswahl. Azubi-Report 2021: Firmen verlieren 50 Prozent potenzieller Azubis "bereits im Bewerbungsprozess – und zwar unbemerkt. Wenige Klicks sollten zum Erfolg führen.“

23. Arbeitszeit streichen. Die 5-Stunden-Tage haben in der Firma von Lasse Rheingans nicht nur die Produktivität gesteigert, sie bieten auch eine Alleinstellung im Personalmarketing. Gute Initiativ-Bewerbungen kommen ohne Stellenanzeigen. Wenn Menschen Zeit zum Kochen und für Hobbys haben, geht es den Menschen und damit auch der Firma gut. Erholte Menschen arbeiten kreativer und produktiver.

24. Der Handwerksmeister Marcus Gaßner hat er die 4-Tage Woche bei vollem Lohn eingeführt. Nun findet er leichter neue Mitarbeiter und Azubis. Seine Partnerin freut sich auch über mehr Freizeit: „Wir sind auch Menschen und haben nur dieses eine Leben.“

25. Glaser Sterz steigert seine Bekanntheit regelmäßig mit Videos auf Facebook. Einfach mit dem Smartphone. Sein größter Hit auf Facebook brachte ihm Artikel im Spiegel, Stern, Zeit, Welt, SZ und FAZ. Er konnte unter vielen Bewerbungen seine drei Azubis auswählen, und stilsicher hat er sich mit einem weiteren Video für die große Unterstützung bedankt.

Glaser Sterz wird bekannt durch ein Video auf Facebook - © Spiegel Online 02.04.2018
Glaser Sterz wird bekannt durch ein Video auf Facebook - © Spiegel Online 02.04.2018

**26.**Steigern Sie die Begeisterung für Ihr Unternehmen. Geben Sie allen Bewerberinnen und Bewerbern ein Geschenk mit. Aus Ihrer eigenen Produktion oder Leckeres aus der Region. Nutzen Sie den Moment, in dem Menschen sofort ihre Familien und Freunde anrufen und WhatsApp und Signal heiß laufen. Wurden die Bewerberinnen und Bewerbern positiv überrascht, erzählen sie von Ihnen.

27. Laden Sie Bewerberinnen und Bewerber aktiv ein, über das Bewerbungs-Erlebnis auf kununu zu berichten. Firmen, die im Bewerbungsverlauf glänzen und aktiv auf kununu hinweisen, können ihren Kununu-Score steigern, was wiederum andere Menschen sehen, bevor sie sich bei Ihnen bewerben – oder dagegen entscheiden.

28. Steigern Sie die Wertschätzung für die Menschen, die sich bei Ihnen bewerben. Reagieren Sie schnell und persönlich. Ein Hotel in Coburg antwortet allen Bewerbern innerhalb von 24 Stunden persönlich. Damit meine ich nicht die Standardantwort aus dem Bewerber-Management-System. So hässlich wie dieses Wort klingt, sind meistens auch die automatischen Antworten. Kommt hingegen ein persönlicher Dank, sind Bewerber*innen positiv überrascht, und sie fühlen sich ernst genommen. Dieses Hotel hatte nach 18 Monaten mit schnellen, persönlichen Reaktion keinen Fachkräftemangel mehr. Wertschätzung wirkt und spricht sich herum.

**29.**Ein Unternehmer bietet seit Jahrzehnten Schülerjobs am Samstag an. Jedes Jahr findet er so seine Azubis. Ein Jahr lang beschnuppern sich alle Beteiligten. Danach wissen sie, worauf sie sich einlassen. Kein Frust. Keine Abbrüche.

30. Mit dem Malerbetrieb Hürttle erlebten sechs Schülerinnen und Schüler einer neunten Klasse drei Tage lang das Malerhandwerk und die Firma. Ein Raum in der Schule bekam einen neuen Anstrich mit einer Kreuztechnik für den 3D-Effekt. Jeder der 40.000 Malereibetriebe könnte eine Schule unterstützen und dabei potenziell neue Azubis beim Umsetzen erleben.

31. Zu Vorträgen und Workshops fahre ich immer mit der Bahn. Häufig steige ich in Frankfurt Main am Hauptbahnhof um. Ein einziges Mal wurde ich dort elektrisiert von einer Azubi-Werbung. Während der Bauarbeiten hatte eine Firma ein Plakat an den gesamten Bauzaun gehängt: „Wir bieten… Wir suchen… Wir bilden aus…“ Hunderttausende Menschen liefen während der wochenlangen Bauarbeiten daran vorbei. Einfache und wirksame Personalwerbung. Den Raum und die Menschen nutzen, die schon da sind.

**32.**Gesundheit ist entscheidend für die Leistungsfähigkeit von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Doch welche Rolle spielt Gesundheit im Arbeitsalltag? Wir haben mit einer Mitarbeiterin den Versuch gestartet, dass ihre Gesundheit konsequent die erste Priorität ist. Hier unser Bericht dazu. Eine gesunde Unternehmenskultur fördert das Arbeitsklima und spricht sich herum.

33. Wer braucht dringend als erste Priorität Gesundheit? Pflegekräfte! „Bei Pflegekräften in Bayern wurden 21 Krankheitstage registriert.“ Das ist deutlich mehr als im Durchschnitt. Eine hohe Arbeitsdichte, ständiges spontanes Einspringen für kranke Kolleg*innen und die Überlastung in der Pandemie sind Ursachen. In Schweden wurde schon vor vielen Jahren eine „3:3 Regel“ eingeführt. Drei Tage Arbeiten, drei Tage garantierte Freizeit zur Erholung. Die Pflegekräfte arbeiten weniger und bekommen den vollen Lohn. Finanziert wird das Modell durch weniger Krankheitstage. Erholte Menschen sind gesünder.

34. Mehr Schlaf im eigenen Rhythmus ist entscheidend für die Gesundheit. Mein Artikel zu mehr Schlaf in der Pandemie löste eine spannende Debatte aus. Das 'Good News Magazin' machte dazu eine Umfrage. 54 Prozent der 8.857 Antworten sagen: „JA! Wir konnten in der Pandemie mehr schlafen.“ Auch Stromanbieter haben diese Erkenntnis, die stärkste Stromnutzung am Morgen wurde eine Stunde später als vor der Pandemie gemessen. Weniger Arbeitswege und Dienstreisen haben dazu beigetragen. „Schlaf ist für den menschlichen Organismus die beste Medizin und so wichtig wie Essen und Trinken.“ Werben Sie aktiv damit, wenn Sie gesunden Schlaf fördern.

**35.**Nach meinem Vortrag klagte ein Unternehmer, dass viele seiner Azubis am ersten Arbeitstag nicht kommen würden, was er tun könne? Die Antwort gab ein anderer Unternehmer, der aktuell rund 40 Azubis ausbildete. Bei ihm kamen immer 100% der Azubis. Was macht er anders? Ab dem Tag der Vertragsunterschrift, also lange vor dem ersten offiziellen Arbeitstag, werden die Neuen aktiv eingebunden. Sie lernen alle Azubis im 1. bis 3. Lehrjahr kennen, machen ein Teamtraining und an einem Tag bekommen die Eltern, Geschwister und Großeltern eine Betriebsführung. Diese Bindung sorgt dafür, dass am ersten Arbeitstag alle Azubis kommen. Der Unternehmer, der gefragt hatte, hatte sich nach der Vertragsunterschrift nie bei den Azubis gemeldet.

36. Ein Headhunter hatte für eine Firma den passenden Kandidaten, einen Software-Entwickler, in Kroatien gefunden. Der Unternehmer lud postwendend die ganze Familie aus Kroatien ein und holte die Familie persönlich vom Flughafen an. Der kroatische Software-Entwickler unterschrieb, denn auch seine Familie war begeistert und freute sich auf den Umzug.

37. Die meisten Unternehmen in der DACH-Region setzen Deutsch-Kenntnisse bei Software-Entwicklerinnen und Entwicklern voraus. Doch wie viele Software-Entwickler weltweit sprechen Deutsch? Diese Hürde führt zu einer sehr begrenzten Auswahl. Wir haben selbst Software-Entwickler aus Deutschland, Nepal, Serbien und Moldawien beschäftigt. In Berlin ist die Hälfte aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Startups nicht muttersprachlich Deutsch. Öffnen Sie den Radius, dann gibt es Millionen hervorragende Software-Entwickler*innen.

**38.**Auf Schienenjobs bündeln diverse Bahnunternehmen ihre offenen Stellen, Bahn-Berufsbilder, Unternehmensprofile und einen Bewerberpool. Durch die Kooperation profitieren alle, die Bahn-Jobs und Betriebe werden insgesamt sichtbarer.

39. Auch Schäfer, Schäferinnen, Praktikanten und Auszubildende in der Schäferei haben einen gemeinsamen kooperativen Online-Stellenmarkt.

40. Auf paritätjob bündeln soziale Unternehmen des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes aus Berlin, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern ihre offenen Stellen.

**41.**Das Regio-Camp bietet Schülerinnen und Schülern von Koblenz bis zum Hunsrück in den Sommerferien ein buntes Programm mit Zelten und Lagerfeuer. Es gibt Ausflüge zu Unternehmen der Region, außerdem wird mit TV-Köchen gekocht und Solarboote werden gebaut. Ohne die konkreten Einblicke wissen junge Menschen oft gar nicht, welche tollen Unternehmen die Region bietet.

42. Bei der Initiative für Ausbildung haben sich Betriebe zusammengetan. Wer die 12 Qualitäts-Kriterien erfüllt, bekommt das gemeinsame Siegel „Top-Ausbildungsbetrieb“. Wer dabei ist, erhält überdurchschnittlich viele und gute Bewerbungen. Qualität spricht sich herum.

**43.**Brillux betreibt für die Kunden, also Malerbetriebe, deine-zukunft-ist-bunt mit vielfältigen Berufs-Infos. Mit der Spiele-App „Buntes Battle“ wird erlebt, was Maler*innen und Stuckateur*innen machen. Mit dem Portal Simpleclub werden Lernvideos für Azubis produziert. Brillux engagiert sich auch mit einer Personal-Akademie für Maler und Lackierer. Einer für alle Kunden.

44. Macht die Arbeit bei Ihnen Spaß? Dann sagen Sie es bitte so direkt wie die Bäckerei Huth: „Wir garantieren, dass Du Spaß an Deiner Arbeit haben wirst.“ Behandeln Sie Bewerberinnen einfach wie Kundinnenen und Bewerber wie Kunden.

Es gibt zu wenig Kunden. Normal. Unternehmen machen dann Marketing und Vertrieb.

Es gibt zu wenig Fachkräfte. Unternehmen und Verbände beklagen den „Fachkräftemangel“.

„Kundenmangel“ öffentlich zu sagen, das wäre peinlich.

„Fachkräftemangel“ steht hingegen seit 1984 täglich in allen Medien.

Ich möchte, dass „Fachkräftemangel“ so peinlich wird wie „Kundenmangel“.

Platz schaffen

Was verbindet alle 44 Beispiele: Es liegt weder an der Region noch der Branche noch am Geld. Viele Beispiele wie die 2.000 Kopien oder drei Cent sind günstiger als Stellenanzeigen. Schaffen Sie Unterscheidung und Überraschung. Ohne Aufmerksamkeit können sich Bewerberinnen und Bewerber gar nicht bewerben.

Wer Neues machen will, muss Platz schaffen. Wenn das Neue auf dem Stapel des Alten landet, wird es sofort aussortiert. Neues braucht Raum, Mut und Zeit. Viel Erfolg beim Umdrehen, Kombinieren, Vereinfachen, Infragestellen, Steigern und Streichen.

Kennen Sie Beispiele für attraktive Personalgewinnung? Schreiben Sie gerne mir direkt oder im Kommentar.

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Martin Gaedt schreibt über Provotainment, Leben und Arbeit, cleveres Recruiting, Wirtschaft & Management

Martin Gaedt ist Autor von "4 TAGE WOCHE", "Rock Your Work", "Rock Your Idea" und "Mythos Fachkräftemangel". Er ist Provotainer und hat seit 2014 in 650 Keynotes mehr als 100.000 Gäste begeistert, provoziert und entertaint. Seit 1999 gründet er Unternehmen und stellt 44 Fragen, der Anfang des Neuen.

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