Für Bewerber*innen immer stressig: das Bewerbungsgespräch, für Autist*innen aber eine noch größere Hürde. - GettyImages/J.A. Bracchi

7 Tipps, wie Unternehmen Autist*innen eine barrierefreie Bewerbung ermöglichen können

**Was bedeutet Barrierefreiheit für nicht sichtbare Behinderungen wie Austismus?**Raul Krauthausen mit praktischen Vorschlägen, wie Unternehmen sich öffnen können – und warum davon nicht nur Autist*innen profitieren.

Auf JOBinklusive.org habe ich einen spannende Artikel meiner Kollegin Magdalena Rümenap entdeckt, den ich euch nicht vorenthalten möchte. Darin geht es um das Thema Autismus auf dem Arbeitsmarkt - und warum dazu nach wie vor große Sprachlosigkeit herrscht.

Tatsächlich scheint eines der Grundprobleme das fehlende Wissen über die Bedingungen zu sein, die vorliegen müssen, damit autistische Menschen ihre Leistungsfähigkeit und Qualifikation gleichwertig präsentieren können. Weil Autismus sich so vielgestaltig zeigt, kann auch dieser Artikel nicht für alle Autist*innen geschrieben sein. Die Empfehlungen für barrierefreie Bewerbungsbedingungen entstammen der täglichen Praxis und gelten in der Summe für die meisten Autist*innen zwischen 17 und 25 Jahren auf der Suche nach Praktika- und Ausbildungsplätzen.

Auch nicht-autistische Bewerber*innen profitieren in vielen Fällen davon, wenn barrierefreie Bewerbungsbedingungen umgesetzt werden.

In dem Artikel finden sich hilfreiche Tipps, wie Unternehmen bereits am Anfang autistischen Bewerber*innen die Bewerbung leicht machen kann.

Die

Standardisierte Stellenanzeigen weisen bereits im Anzeigentext Anforderungen auf, die mit hoher Wahrscheinlichkeit für Autist*innen nicht oder nur teilweise erfüllbar sind: Neben Teamfähigkeit, Kundenorientierung, Flexibilität, Spontanität und Stressresistenz sind das noch viele weitere, wie hier nachzulesen ist.

Dabei sollten Personaler*innen sich fragen, ob die genannten Skills für den Job wirklich notwendig sind. Eine Stellenanzeige, die sachlich, faktisch und auf Inhalte bezogen formuliert ist, fällt auf – vor allem einem autistischen Menschen. Und das Unternehmen schafft bereits zu diesem Zeitpunkt Vertrauen in die Firmenkultur.

In dem Artikel gibt auch konkrete Tipps, ob du Kandidat*innen lieber in der Bewerbung Transparenz schaffen sollten oder doch lieber Stillschweigen bewahren sollten. Daher lohnt sich ein Blick in den Artikel hier.

Das Vorstellungsgespräch: Ein Buch mit mindestens sieben Siegeln

Das Vorstellungsgespräch ist für die meisten autistischen Bewerber*innen das größte Hindernis. Vielen gelingt es besser, sich schriftlich auszudrücken, so dass Bewerbungen oft erst einmal auf positive Resonanz stoßen. Folgt dann der Termin, an dem der autistische Mensch all das tun soll, was nicht oder nicht so gut gelingt: Etikette befolgen, Blickkontakt halten, Hierarchien und Höflichkeitsfloskeln kennen, aufmerksam dem Gespräch folgen, schlagfertige und zügige Antworten geben, Stärken hervorstellen, (...und vieles mehr, siehe hier auf JobInklusive.org) – kurzum: das Spiel mitspielen.

Es wird autistischen Bewerber*innen in einer solchen Situation höchstwahrscheinlich fast unmöglich sein, das zu präsentieren, was sie für den Job qualifiziert.

Dabei können Veränderungen ganz einfach umgesetzt werden. Der Artikel listet sieben konkrete Vorschläge auf.

7 konkrete Vorschläge für Unternehmen, die sich leicht umsetzen lassen

  1. Autistischen Bewerber*innen sollten vorab per Mail (zusätzlich zu Zeit- und Raumangaben) Angaben zu teilnehmenden Personen und gegebenenfalls auf sie zukommenden Fragen und/oder Aufgaben geschickt werden. Idealerweise enthält die Mail die Einladung, eine Vertrauensperson mitzubringen; diese kann im Gespräch als Übersetzerin dienen (Fragen präzisieren, Kontext herstellen) und ist potentiell für alle Seiten von erheblichem Vorteil.

  2. Auf Smalltalk sollte unbedingt verzichtet werden. In den Augen vieler autistischer Bewerber*innen ist das bestenfalls Zeitverschwendung und schlimmstenfalls stressig.

  3. Eingangsfragen sollten präzise formuliert werden: „Möchten Sie Kaffee, Wasser oder nichts trinken?“, „Ist der Raum hell genug/zu hell?“ oder „Ist es hier leise genug?“

  4. Idealerweise wissen die Bewerber*innen schon, wem sie gegenüber sitzen werden. Sofern das nicht vorher feststand sollten Namensschilder getragen oder auf dem Tisch platziert werden.

  5. Die klassischen Aufforderungen „Erzählen Sie uns etwas über sich“ oder “Beschreiben Sie Ihren Werdegang” sollten durch konkret auf den Job bezogene Fragen ersetzt werden (persönliche Angaben wurden bereits im Lebenslauf gemacht; wenn dieser vorab von allen Beteiligten gelesen wurde, erübrigt sich aus Bewerbersicht das erneute Abfragen). Ideal sind Fragen wie: „Was macht Ihnen am meisten Spaß in diesem Beruf?“ oder „Warum arbeiten Sie gerne mit diesem oder jenem Material?“. Fragen nach Beispielen sind von Vorteil („Wie haben Sie diese oder jene Aufgabe in Ihrem vorherigen Job gelöst?“). Hypothetische Fragen („Was wäre, wenn..“) sowie Fragen, die Dritte involvieren (“Was glauben Sie, was unsere Kundschaft von Ihnen erwartet?”), sind zu vermeiden.

  6. Die Interviewer*innen sollten autistische Bewerber*innen durch das Gespräch führen. Zu lange oder abschweifende Antworten können freundlich unterbrochen werden (“Sie haben Ihren Punkt deutlich gemacht, wir wollen jetzt nochmal auf die Ausgangsfrage zurückkommen.”). Bei kurzen oder einsilbigen Antworten sollte gezielt nachgefragt werden (“Wie genau meinen Sie das? In welchem Bereich waren Sie tätig? Was genau haben Sie dort gemacht?”). Für Antworten sollte den Bewerber*innen genug Zeit gegeben werden. Dabei entstehende Gesprächspausen sollten einfach abgewartet werden, sie sind ganz normal.

  7. Das Ende des Gespräches sollte deutlich signalisiert (Aufstehen, den Stuhl zurückschieben, die Mappe zuklappen) sowie formuliert werden („Vielen Dank, das Gespräch ist jetzt zu Ende“). Es sollten konkrete Angaben dazu gemacht werden, wann eine (bevorzugt schriftliche) Rückmeldung erfolgt („Wir besprechen uns und melden uns am Freitag bis 12 Uhr per Mail bei Ihnen“).

Probearbeiten: Endlich zeigen was man kann

Eine Arbeitsprobe scheint in den allermeisten Fällen der beste Weg, autistische Bewerber*innen bezüglich der Job-Anforderungen zu überprüfen. Die Vorteile liegen auf der Hand: Bewerber*innen können ihre Stärken darstellen, die vielleicht noch nicht einmal etwas mit ihrer Behinderung zu tun haben. Oder sie haben gerade doch mit der Behinderung zu tun, dann wäre es ihnen nur schwerlich möglich, sie im Gespräch sichtbar zu machen. Die Bewertung einer Arbeitsprobe wäre fair im Vergleich zur Bewertung eines Vorstellungsgespräches, sozusagen ein Nachteilsausgleich gegenüber neurotypischen (also nicht-autistischen) Menschen.

Dabei kann eine Arbeitsprobe das Vorstellungsgespräch auch ersetzen und muss in der Organisation nicht aufwendiger sein.

Fazit

Aus den angestellten Überlegungen wird eines deutlich: Die Bedingungen, unter denen sich Autis*innen bestmöglich auf dem Arbeitsmarkt präsentieren können, hängen ganz entscheidend von der Bereitschaft der Unternehmen ab, sich auf Veränderungen standardisierter Abläufe einzulassen. Dann können die unzähligen Stärken autistischer Bewerber*innen im Sinne moderner, inklusiver Personalpolitik erfolgreich im eigenen Unternehmen eingesetzt werden.

Dieser Artikel ist in ähnlicher Form in Zusammenarbeit mit meiner Kollegin Magdalena Rümenap von JobInklusive.org entstanden**. JOBinklusive wird von der SKala Initiative gefördert.**

Raul Krauthausen schreibt über Inklusion, Barrierefreiheit

Ich engagiere mich bei www.sozialhelden.de und betreue dort Projekte wie die www.wheelmap.org und www.leidmedien.de. Seit 2015 moderiere ich mit „KRAUTHAUSEN – face to face“ (http://krauthausen.tv/) eine eigene Talksendung zu den Themen Kultur und Inklusion auf Sport1.

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