Vanessa Weber

Vanessa Weber

for Unternehmertum, Marketing, Nachfolge, Führung

Abschied der Babyboomer: fünf Werte, die der Arbeitswelt fehlen werden

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Ein Selfie zum Abschied: Wie werden sich jüngere Generationen an die Babyboomer erinnern?

Wenn die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen, wird uns mehr als nur ihre Arbeitskraft fehlen. Abschiedsbrief an eine Generation, mit der vieles verloren geht.

Zur richtigen Zeit am richtigen Ort, und das schon seit eurer Geburt: Liebe Babyboomer, ihr hattet das große Glück, in den Frieden und die wachsende Wirtschaft Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg hineingeboren zu werden – und gerade noch rechtzeitig vor dem Siegeszug der Antibabypille.

Viele sind der Meinung, dass ihr, die geburtenstarken Jahrgänge der 50er und 60er, es leichter als viele andere Generationen hattet. Ihr konntet euch mehr leisten, mehr erlauben und mehr Träume erfüllen. Da mag was dran sein. Aber ich bin der Meinung: Leicht habt ihr es euch trotzdem nie gemacht.

Zwei unserer Mitarbeitenden bei Werkzeug-Weber nähern sich mit großen Schritten dem Renteneintrittsalter, drei haben es kürzlich erreicht. Alle drei haben angeboten, als „Flexi-Rentner“ auch weiterhin für unser familiengeführtes Unternehmen zur Verfügung zu stehen. Wir sind sehr froh, dass sie uns als Kolleginnen und Kollegen erhalten blieben. Doch in Deutschland sind es laut einer Studie des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung bis zu sieben Millionen Arbeitskräfte, die dem Arbeitsmarkt durch den demografischen Wandel verloren gehen könnten.

Ihr Boomer hinterlasst eine Lücke. Nicht nur eure Arbeitskraft wird uns anderen Generationen fehlen, sondern auch die Werte, für die ihr steht und eingestanden seid. Also erlaubt mir bitte, bevor ihr zu „Best Agern“ befördert werdet, einmal voller Wertschätzung loszuwerden, was ich vermissen werde.

1. Loyalität – auf euch konnte man zählen

Mehrere Jahrzehnte oder gar ein ganzes Arbeitsleben in einem einzigen Unternehmen – solche Lebensläufe waren bei euch keine Seltenheit. Eine aktuelle Studie von onlyfy zur Wechselbereitschaft der Deutschen zeigt: Fast die Hälfte der Gen Z, geboren zwischen 1997 bis 2012, ist aktuell bereit, den Job zu wechseln. Für die jüngere Generation scheint das Gras auf der anderen Seite schnell immer etwas grüner zu sein. Ihr hingegen wart stets bereit, weiterzuackern, bis Erfolge sichtbar wurden.

Auf euch konnte man zählen. Das wussten auch eure Kunden und Geschäftspartner zu schätzen. Zu ihnen hattet ihr immer einen sehr guten Draht – am liebsten am Telefon. (Bei der internen Kommunikation natürlich über Flurfunk.)

Mit der E-Mail-Flut seid ihr noch klargekommen, die Social-Media-Welle ist auf die meisten Boomer nicht mehr übergeschwappt. Aber der Kunde war für euch eben König – und kein Follower oder Fan. Riesige persönliche Netzwerke, die ihr über Jahrzehnte gesponnen habt, werden mit euch verloren gehen. Der Handschlag. Das Wort. Für euch hatte das Gewicht und Bedeutung.

Rückblick vor dem Ruhestand: Babyboomerin Marion Giegerich

2. Selbstbewusstsein – ihr habt es euch verdient

Eure Lehrjahre waren keine Herrenjahre. Aber ihr habt gelernt, zu lernen und zu arbeiten. Selbstbewusstsein war für euch nicht etwas, mit dem man ausgestattet war. Sondern etwas, das man sich erarbeitete. Hart. Geduldig. Wart ihr deswegen immer bescheiden? Nun ja, zumindest hattet ihr großen Respekt vor Erfahrung. Je mehr ihr selbst davon angehäuft habt, desto mehr habt ihr euch auch selbst zugetraut.

Sicher, auch euch hat nicht jede Entscheidung vom Chef geschmeckt. Aber trotzdem habt ihr fest darauf vertraut, dass Entscheidungen von oben nun einmal notwendig sind. Auch das „Du“ angeboten zu bekommen war für eure Generation ganz klar top down geregelt: Der Ältere bietet dem Jüngeren das Du an – und nie umgekehrt. Und auch das musstet ihr euch erarbeiten.

Was ich schön fand: Nach zehn Jahren in der Firma hat mir die Senior-Chefin das Du angeboten. Für mich war das ein Vertrauensbeweis.
Marion Giegerich, seit 27 Jahren im Verkauf bei Werkzeug-Weber

3. Arbeitsmoral – manchmal sogar zu hoch

Den Stift einfach fallen lassen kam für euch nicht in Frage. Ihr habt es als Pflicht betrachtet, eure Arbeit gut zu erledigen. Auch wenn das mal länger dauerte, als vertraglich vereinbart. Das hatte auch eine Kehrseite.

Tinnitus, Rücken, Herzrasen – Warnsignale eures Körpers habt ihr gern in den Wind geschlagen. „Das bisschen Husten“ und andere „Wehwehchen“ konnten euch doch nicht umhauen – und schon gar nicht von der Arbeit fernhalten, bis die Tür vom Apothekerschränkchen sich schließlich nicht mehr schließen ließ. Rückblickend hätte es euch sicher gutgetan, euch auszukurieren, anstatt angeschlagen zur Arbeit zu schleppen und Überstunden zu kloppen. Heute ist auch euch klar: Mehr ist nicht immer mehr.

Trotzdem bewundere ich als Unternehmerin, die familiär mit der Firma verbunden ist, wie eure Generation auf die Arbeit blickte: als Quelle eurer Identität.

Geht es dem Kunden gut, dann geht es der Firma gut. Geht es der Firma gut, geht es dem Chef gut. Und geht es dem Chef gut, dann geht es mir gut.
Marion Giegerich über die Arbeitseinstellung, die sie geprägt hat

4. Verantwortungsbewusstsein – machen statt fragen

Ihr habt die Spülmaschine in der Firmenküche dann ein- und ausgeräumt, wenn es nötig war – und nicht erst, wenn euch jemand den Auftrag dazu erteilt hat. Ihr habt Arbeit gesehen und gesucht. „Nicht mein Zuständigkeitsbereich“, hat man von euch selten gehört. Wohl aber: „Ich hol mal einen Kollegen, der kennt sich besser aus.“ Denn euch ist kein Zacken aus der Krone gebrochen zuzugeben, dass ihr nicht alles wisst und könnt.

Alles, was ich weiß und kann, hat mir der Senior-Chef beigebracht.
Marion Giegerich über ihre berufliche Erfahrung

Wenn ihr Entscheidungen treffen musstet, habt ihr sie schnell getroffen – und im Sinne der Firma. Hadern, zaudern, zögern, das gab es bei euch nicht. Ihr seid eine Generation der Macherinnen und Macher. Klar, dass man da auch mal Fehler macht. Aber für die seid ihr immer geradegestanden.

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5. Nehmerqualitäten – ihr wart nie nachtragend

Im Einstecken wart ihr immer stark. Kritik musste für euch nicht in Watte gepackt und mit Schleifchen serviert werden. Sicher, harte verbale Dämpfer wie „Wofür habe ich dich eigentlich eingestellt?“ gingen auch an euch nicht spurlos vorbei. Wie man als Lehrling einmal heftig vom Chef gedeckelt wurde, ist fester Bestandteil jedes Boomer-Karriererückblicks. Heute erzählt ihr ihn stolz, könnt darüber lachen – weil ihr daran gewachsen und nicht gescheitert seid. Denn am nächsten Tag wurde weitergearbeitet, als wäre nichts gewesen. Um es in euren Worten zu sagen: Ihr habt euch nie ins Bockshorn jagen lassen.

Besonders euch Boomer-Frauen gilt meine Bewunderung. Viele von euch haben den Spagat zwischen Kindererziehung und Zuverlässigkeit im Job gemeistert. Vieles blieb euch dabei noch verwehrt. Doch ihr habt den Weg geebnet für Töchter, Nichten und Enkelinnen. Auch für mich als Nachfolgerin, die in jungen Jahren selbst noch vieles auf die harte Tour lernen musste.

Ein Mädel im Verkauf? Das gab es, als ich angefangen habe, noch gar nicht. Bei Schulungen stand ich zwischen 30 hochgewachsenen Herren, die mich nicht ernst genommen haben.
Marion Giegerich über ihre ersten Jahre im Verkauf

Auf Fortbildungen und Kongressen wart ihr oft allein zwischen den grauen Herren in Schwarz. Ihr habt eure Frau gestanden, gute Miene zum flapsigen Spruch gemacht und durch Leistung bewiesen, dass Frauen nicht weniger wert sind – auch wenn sie bis heute unter Wert bezahlt werden. Ihr habt die männerdominierte Berufswelt durcheinandergebracht. Darauf dürft ihr stolz sein.

Unter uns: Ich weiß, dass es manchen von euch Babyboomern schwerfällt, die Zügel weiterzureichen und darauf zu vertrauen, dass die junge Generation das schon wuppen wird. Aber die sind nicht schlechter als ihr, nur anders. Und die meisten davon besser, klüger, lernfähiger und stärker, als ihr denkt. Ich weiß, wovon ich rede: Auch ich wurde lange unterschätzt, als ich mit 18 das Unternehmen von meinem Vater übernommen habe.

Also nutzt die Gelegenheit, euren jungen Kolleginnen und Kollegen noch einmal etwas mit auf den Weg zu geben. Und selbst noch etwas von ihnen zu lernen.

Ihr werdet mir fehlen.

PS: Mir ist klar, dass man eine ganze Generation nicht über einen Kamm scheren kann. Weder die junge Generation noch die ältere. Was ich hier bewusst verallgemeinere, basiert auf persönlichen Erfahrungen und individuellen Begegnungen. Jeder blickt ein bisschen anders auf diese Generation.

Was schätzt du an der Generation der Babyboomer? Ich freue mich auf eine höfliche Diskussion in den Kommentaren.

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Geschäftsführerin, Werkzeug Weber GmbH & Co KG

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Vanessa Weber ist Geschäftsführerin und Unternehmerin aus Leidenschaft. Heute ist sie neben ihrer Tätigkeit für ihre Firma als Vortragsrednerin tätig und vermittelt ihr Fachwissen sowie ihren Erfahrungsschatz an andere Unternehmer. Sie ist eine Frau aus der Praxis für die Praxis.
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