Agilität und Parteien: Wie sich die Parteispitzen immer weiter von ihren Mitgliedern entfernen
Kennen Sie die noch? „C wie Zukunft“, „Zukunft jetzt machen“, „Zukunft wird aus Mut gemacht“, „Die Zukunft braucht neue Ideen. Und einen, der sie durchsetzt“. Alles Wahlkampfslogans, mit denen sich die großen Parteien bei Wahlkämpfen zu profilieren versuchten – und die nur einen Schluss zu lassen: Wer sich als Politiker zeitgemäß, modern präsentieren will, kommt um ein Thema nicht herum: Zukunft. Und ja, genau darum geht es uns Wählern ja auch: Bildung, Einkommen, Rente Sicherheit – haben wir und unsere Kinder davon morgen noch genug?
Die Politik, da sind sich wohl alle einig, soll für eine bessere Zukunft sorgen. Doch genau das ist das Dilemma. Ein System, das konsequent jeglichen Veränderungen trotzt, kann nie und nimmer die Leitplanken für die Welt von morgen setzen. Und je schneller sich Gesellschaft und Wirtschaft auf der einen Seite verändern und auf der anderen Seite das Beharrungsvermögen der Politik bleibt, wird diese Kluft umso größer. Kein Wunder also, dass die Poltikverdrossenheit in die Höhe schnellt. Gestus, Kleidung, Statussymbole – was hat sich seit den 60er Jahren wirklich in der Politik verändert? Am deutlichsten wird das bei der Sprache: die Parteispitze – die Parteibasis. Mehr Pyramide ist nicht möglich und mehr Anachronismus eben auch nicht. Doch wenn Politik wirklich gestalten will, muss sie mit dem Tempo der globalen Wirtschaft mitgehen. Doch dafür müssen Parteien sich in ihrem innersten radikal ändern – sie müssen schneller, agiler und marktnäher werden. Also genau den Prozess durchlaufen, den die Wirtschaft gerade durchmacht.
Und das ist schmerzhaft, weil eben keiner seine Komfortzone gerne verlässt – erst recht nicht, wenn man die bis dahin noch selbst gestalten konnte. In den großen Firmen hört man in Führungskreisen deshalb ständig Sätze wie: „Das mittlere Management will sich nicht verändern, es sperrt sich gegen die Abbau von Hierarchie und neue Denk- und Arbeitsweisen.“ Auch herrscht ein tiefes Misstrauen zwischen den Führungskräften und den Mitarbeitern. Es wird übereinander, aber nicht miteinander kommuniziert. Man rennt KPIs und Zielen hinterher, die von Menschen festgesteckt werden, die möglicherweise noch nicht einmal am eigentlichen Prozess und Produkt beteiligt waren. Und in der Politik? Ich selbst bin kein Parteimitglied, habe nur ein Semester Politik studiert und dachte – naiverweise –, es ginge darum, unser aller Leben zu verbessern. Dass es vor allem, wie in der Wirtschaft, um Machterhalt ging, kam mir später.
Ich wendete mich also von der Politik ab und arbeitete auf einem Feld, auf dem ich etwas bewirken konnte: der agilen Management-Beratung. Doch die Erfahrung aus der Arbeit lässt sich eben auch für die Politik nutzen.
Mehr Transparenz statt Undurchsichtigkeit
Meiner Meinung nach sollten sich Politiker nämlich ein Beispiel an modernen wissensbasierten Firmen nehmen. Diese sind längst im Veränderungsprozess. Digitalisierung, Agilität und Globalisierung halten Einzug. Es zählt einzig das Ergebnis und das wir quartalsweise transparent gemacht. Sowohl in den Zahlen als auch in den Management Reports. Radical Transperancy ist das neue Schlagwort. Die Mitarbeiter arbeiten von überall collaborative und sie lösen Probleme durch den Einbezug von Komplexität, statt durch Ausschluss. Es werden iterative Prozesse etabliert, die zu ständigem Feedback führen. Alle im Unternehmen kennen die Ziele aller anderen Mitarbeiter und Führungskräfte. In den Unternehmen werden, ähnlich wie bei Videospielen, Kommunikationssysteme eingeführt, die es erlauben mit jedem Kollegen auf Knopfdruck eine Videokonferenz abzuhalten. Selbst in meiner kleinen Firma mit 50 Mitarbeitern kann ich das jederzeit machen und mit meinen in ganz Europa verstreuten Kollegen arbeiten.
So transparent wie wir Bürger dem Staat gegenüber sind, so transparent sollten deshalb auch die Politiker ihren Bürgern gegenüber sein. Wie steht es um die Versprechen, die sie im Wahlkampf gegeben haben? Was machen sie Woche für Woche konkret dafür, um diese umzusetzen? Was verdienen sie wirklich? Wir haben mit unserer Stimme einen Vorschuss an Vertrauen gegeben, mehr Offenheit können wir im Gegenzug dafür erwarten, finde ich. Das wäre zumindest mal ein erster Schritt und eine wesentliche mentale Voraussetzung für mehr Agilität.