Analoge Fotografie: Rückkehr aus der Bedeutungslosigkeit?
Täglich werden über 100 Millionen Bilder und Videos auf Instagram geteilt - das sind über 1000 pro Sekunde (Quelle: Micro Fotos). Das fasziniert, aber überfordert auch. Mit dem Einzug der digitalen Fotografie Ende der 1990er-Jahre haben sich unsere Wahrnehmung und der Umgang mit Bildern grundlegend geändert. Viele Menschen wollen fast jeden Augenblick ihres Lebens festhalten und verlieren dabei den besonderen Moment aus den Augen. Auslöser dieser Entwicklung war der Start in die Digitalfotografie und das Absterben der analogen Fotografie. Beides stellte einen Wandel des Produktlebenszyklus auf Makroebene dar, weil sich die Produkt- und Marktmechanismen sowie Anbieter und Nachfragende verändert haben.
Unternehmen wie Kodak, die über 100 Jahre erfolgreich im Bereich der analogen Fotografie tätig waren, verloren innerhalb kürzester Zeit ihre Marktstellung bzw. verschwanden. Im Jahr 2005 musste das Unternehmen nach erodierenden Geschäftszahlen 25.000 seiner 55.000 Mitarbeiter entlassen, weil es nach eigenen Angaben die rapide Entwicklung der Digitalfotografie unterschätzt und keine vorbeugenden Strategien hatte.
Die Erosion setzte sich auf den nachgelagerten Vertriebsstufen fort: „Auf die Fotografie spezialisierte Handelsketten wie Photo Porst, Fotopoint oder Foto Quelle, die von den hohen Margen bei der Entwicklung und Vergrößerung von Filmen profitierten, verloren die Basis ihres Kerngeschäfts. Nur langsam kann der Verlust durch Fotobücher und andere Artikel kompensiert werden. Der Technologiewandel verlief so schnell und intensiv, dass angestammte Unternehmen, die sich nicht rechtzeitig umgestellt haben, ihm nichts entgegenzusetzen hatten.“ (Rainer Elste und Lars Binckebanck)
Sie gehört zwar der Vergangenheit an, wird aber auch im Zeitalter der Digitalisierung nicht ganz verschwinden – solange Menschen noch gern in alten Fotoalben mit ihrem knisternden Pergamentpapier blättern und Freude daran haben, Erinnerungen innerhalb weniger Augenblicke in Gang zu setzen, in sich etwas auszulösen, das sie mit der Vergangenheit verbindet. Die Alben, Ordner und Fotos verweisen auf das, was nachhaltig ist und zumindest fotografisch in Erinnerung behalten werden soll. Fotos sind wie eine Scheibe aus der langen Wurst, die „Zeit“ genannt wird. Wo Ausschnitte bewahrt werden, wird zugleich unser lückenhaftes Gedächtnis unterstützt, und es wirkt etwas in uns nach in einer nostalgischen Zeitreise. Nostalgie ist allerdings nicht nur Sehnsucht nach Vergangenheit, sondern sie bezeichnet auch eine zeitlose und existenzielle Empfindung. Heimat-, Freundschafts-, Retro- und Nostalgiethemen erleben derzeit einen Boom, weil sie mit persönlichen Bindungen zu tun haben, Orientierung geben und Identität stiften. Zugleich sind sie ein Zugeständnis an einen langsameren, natürlichen Rhythmus in einer viel zu schnellen technisierten Welt. Vielleicht ist Polaroid auch deshalb wieder aus der Bedeutungslosigkeit zurückgekehrt.
Im Nachhaltigkeitskontext zeigen sich ebenfalls interessante Entwicklungen: So setzen Öko-Anbieter nicht nur auf Fotoalben, sondern auch auf kleine Kunstwerke, welche die Zeit „zusammenfaltbar“ macht. Hinzu kommen ökologische Aspekte: So besteht der Einband eines Foto-Leporellos, das Platz für viele Bilder bietet, aus stabilem Recyclingkarton und ist mit leinengeprägtem "Elegance"-Papier kaschiert. Es lässt sich aufstellen, als Bildergalerie aufhängen oder wie ein Album durchblättern. Zum Verschließen dient ein schimmerndes Satinband, das auf die Farbe des Einbands abgestimmt ist (Quelle: memolife). Die Liebe zu solchen Details und zu analogen Bildern hat mit tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderungen zu tun. Mit zunehmender Komplexität und Instabilität wächst auch die Sehnsucht nach etwas, das sich (be)greifen lässt.
#ThePolaroidDiaries: Linda McCartney und die Nachhaltigkeit der Bilder
Rainer Elste und Lars Binckebanck: Wandel im Vertrieb durch Digitalisierung – worauf es morgen ankommt. Learnings aus der Digitalisierung und Anforderungen für den Vertrieb von morgen.
Alexandra Hildebrandt und Claudia Silber: Nachhaltigkeit begreifen: Was wir gegen die dummen Dinge im Zeitalter der Digitalisierung tun können.
Beide Buchbeiträge in: CSR und Digitalisierung. Der digitale Wandel als Chance und Herausforderung für Wirtschaft und Gesellschaft. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Landhäußer. SpringerGabler. 2. Auflage. Heidelberg und Berlin 2021.