Anne M. Schüller

Anne M. Schüller

für Touchpoint Management, Unternehmensführung, Kundenorientierung

Andersmachen 10/2020: Es ist die Zeit der Vorwärtsdenker und Street Smarts

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Um in der Post-Corona-Ökonomie zu bestehen, sind vor allem Ideen gefragt: andere Ideen, bessere Ideen, auch verrückte Ideen. Dringender als jemals zuvor werden dafür Menschen gebraucht, die mit frischen Gedanken und unkonventionellen Vorgehensweisen die Zeit des Umbruchs meistern. Hier kommen kluge Vorwärtsdenker und pfiffige „Street Smarts“ ins Spiel.

Die Corona-Pandemie hat auf brutale Weise gezeigt, wie fragil unsere weltweiten Ökosysteme längst sind. Gewissheiten gibt es für nichts und niemanden mehr. Unerwartete Ereignisse lauern an jeder Ecke. Wir wissen nicht, ob und wie und wann sie kommen, doch wenn, dann kommen sie schnell. Sie werden Chancen und Risiken ganz neu verteilen. Nur die wendigen, flinken, jederzeit anpassungsfähigen Marktplayer kommen da durch.

Die Krise hat den Führenden zudem gezeigt, wie schnell es notwendig werden kann, Pläne, übliche Verfahren und tradierte Vorgehensweisen über Bord zu werfen. Rasche, neue, quere Entscheidungen? Geht! Spontan, unkompliziert, unbürokratisch? Geht! Die Zeit eines überkommenen hierarchischen Topdown-Gehabes mit all ihren Geht-nicht-Sagern ist vorbei. Die Bewahrer des Alten haben keine Argumente mehr. Und die Blockierer des Neuen sind obsolet.

Alles Starre zerbricht schon beim kleinsten Ansturm

Immer dann, wenn Anforderungen, Entwicklungen, Umfelder, Auswirkungen und so weiter vielschichtig sind und sich ständig wandeln, machen strikte Vorgaben von oben keinen Sinn. Je unvorhersehbarer eine Situation ist, desto eher ist ein agiles Vorgehen gefragt. Agil ist der Gegenpol von schwerfällig, träge, unbeweglich - also wendig, biegsam, mobil, adaptiv. Weich und flexibel, das macht ein System bei Druck von außen robust. Alles Starre hingegen zerbricht schon beim kleinsten Ansturm.

Statt also Entscheidungen, wie in Linienorganisationen üblich, „nach oben“ zu verlagern und durch langatmige Genehmigungsschleifen zu schicken, werden diese besser autonom dort gefällt, wo sie anfallen. „Kompetenzen und Verantwortung zusammenführen“ nennt man dieses Prinzip. Die parallele Einführung agiler Arbeitsmethoden sorgt für eine hohe Flexibilisierung und beschleunigte Arbeitsweisen.

Die Führung gibt dabei nur noch die grobe Marschrichtung vor. Und sie definiert Grenzen, die wie die Umrandung eines Fußballplatzes den Rahmen des Zusammenspiels definieren. Das Schlechteste hingegen, was man bei steigendem Außendruck machen kann - doch zugleich leider üblich: Daumenschrauben anziehen und den hierarchischen Innendruck stramm erhöhen.

Die Suche nach der einen „starken Hand“ ist ein Trugschluss

Werden die Dinge um uns herum immer komplexer und können wir das aus eigener Kraft nicht mehr steuern, breitet sich eine zunehmende Verunsicherung aus, wenn nicht sogar Angst. Ratlos suchen wir nach Orientierung - und gern auch nach einer starken Hand. Viele sind in Phasen des Umbruchs anfällig für die Versprechen derer, die lauthals verkünden, zu wissen, wie man dem Schlamassel entkommt.

Davor kann ich nur warnen. Das gleiche gilt für lehrbuchbasierte Managementtools aus dem letzten Jahrhundert. Die wurden für eine Zeit konzipiert, als es eine hohe Plan- und Steuerbarkeit gab, weil Entwicklungen vorhersehbar waren. Strikte Vorgaben und geregelte Vorgehensweisen können in überschaubaren und repetitiven Kontexten durchaus sinnvoll sein. In einer komplexen Welt hingegen, in der Veränderungen sprunghaft und unerwartet kommen, geht man mit Standardlösungen unter.

Nicht die Einzelmeinung einer „starken Hand“ wird uns in Zukunft retten, sondern Meinungsvielfalt - und damit auch die Offenheit für eine Experimentierkultur, wie sie quer denkenden Street Smarts zu eigen ist. Hierbei müssen die Führenden zunächst akzeptieren, dass nicht ihre eigene Meinung das Maß aller Dinge ist, sondern dass es auch andere, sogar weitaus bessere Wege zu einem vorgesehenen Ziel geben kann.

Book Smarts und ihre Methoden passen heute nicht mehr

Book Smarts, die High Potentials der Old Economy, werden im Zuge des Wandels von den Street Smarts abgelöst, wie der Bestseller-Autor Scott Berkun schon vor Jahren vorausgesagt hat. Book Smarts sind diejenigen, die Zusammenhänge theoretisch verstehen und ausgezeichnet analysieren. Sie setzen auf Wissen und Logik und malen sich vom Schreibtisch aus eine perfekte Landkarte einer gar nicht perfekten Welt.

Im Zahlengewusel der Dashboards bleibt ihr gesunder Menschenverstand oft auf der Strecke. Balken, Torten und Diagramme sind ihre Realität. Mit dem gleichen Management-Standardrepertoire, das alle von der Uni her kennen, wird die gesamte Unternehmenswelt unreflektiert überschwemmt. Denn ja, leider schicken die meisten Business-Schools und BWL-Fakultäten ihre Absolventen noch immer mit Methoden aus dem letzten Jahrhundert in eine sich dramatisch verändernde Ökonomie.

Natürlich ist Bücherwissen nicht grundsätzlich schlecht. Problematisch ist nur, wenn man abstrakte Kenntnisse wie eine Schablone benutzt, anstatt sich Gedanken darüber zu machen, wie man sein Vorgehen auf eine jeweilige Situation passgenau überträgt. Checklisten und Prozesse nach Plan geben Book Smarts jedoch das Gefühl, alles im Griff zu haben. „Gebrauchsanweisungssüchtig“ nennt man das auch.

Street Smarts: in unvorhersehbaren Zeiten besser geeignet

Street Smarts sind diejenigen, die sich auf dem Weg durch den „Dschungel“ nicht auf eine Landkarte verlassen. Sie wissen, dort hilft sie rein gar nichts. Sie leiten Lösungen aus bereits gemachten Erfahrungen ab oder konsultieren ihr Netzwerk, quasi das Wissen der Straße. Und dieses steht nicht im Wöhe, der Bibel der Betriebswirtschaftslehre. Mit Lehrbuchwissen kommt man heute nicht weit. Denn die Wirklichkeit ist immer anders.

Book Smarts, Stubenökonomen nennt man sie auch, agieren in einer abgeschotteten Welt. Sie analysieren und analysieren. Und das dauert und dauert. So verplempern sie wertvolle Zeit, die in Zukunft niemand mehr hat. „Paralyse durch Analyse“ ist in Managementkreisen ein geflügeltes Wort. Book Smarts hocken zudem auf Knowhow, das in Zukunft kaum noch was wert ist. Zu schnelllebig sind die benötigten Expertisen.

Niemand ist heute mehr „aus“gebildet. Wenn Wissen schneller veraltet als jemals zuvor, dann ist Vorratslernen nur noch marginal sinnvoll. Street Smarts wissen das ganz genau. Werden Informationen benötigt, um an ein neues Thema heranzugehen, dann warten sie nicht bis zum nächsten Lehrgang. Sie starten vielmehr flugs eine Online-Recherche. Sie sind einfallsreich, veränderungsinteressiert und komplexitätserfahren. Genau das ist es, was die fortschreitende Digitalökonomie heute und morgen braucht.

In „Die Orbit-Organisation“, übrigens Finalist beim International Book Award 2019, erkläre ich, wie mithilfe von Vorwärtsdenkern und Street Smarts eine zukunftsfähige Organisation entsteht.

Und für die, die sich echt an die Arbeit machen wollen: Die nächste Ausbildung zum zertifizierten Orbit-Organisationsentwickler findet vom 17. - 19. Feb. 2022 in München statt. Zu weiteren Infos und zur Anmeldung geht's hier.

Über die Autorin: Anne M. Schüller ist Managementdenker, Keynote-Speaker, mehrfach preisgekrönte Bestsellerautorin und Businesscoach. Die Diplom-Betriebswirtin gilt als führende Expertin für das Touchpoint Management und eine kundenfokussierte Unternehmensführung. Zu diesen Themen hält sie Impulsvorträge auf Veranstaltungen und Fachkongressen. 2015 wurde sie für ihr Lebenswerk in die Hall of Fame der German Speakers Association aufgenommen. Zudem wurde sie mit dem BestBusinessBook Award 2019 ausgezeichnet. www.anneschueller.de

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Anne M. Schüller

Keynote Speaker, Business Coach, Anne Schüller Management Consulting

für Touchpoint Management, Unternehmensführung, Kundenorientierung

Anne M. Schüller ist Managementdenker, Keynote-Speaker, mehrfach preisgekrönte Bestsellerautorin und Businesscoach. Die Diplom-Betriebswirtin gilt als führende Expertin für das Touchpoint Management und eine kundenfokussierte Unternehmensführung. Zu ihrem Kundenkreis zählt die Elite der Wirtschaft.
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