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Arbeit an sich selbst: Übung in Lebenskunst

Der britische Thronfolger Charles fragte vor einigen Jahren, „ob nicht tief in unserem menschlichen Geist die Fähigkeit schlummere, nachhaltig im Einklang mit der Natur zu leben.“ Um den vielfach inflationär verwendeten Begriff Nachhaltigkeit umfassend zu verstehen, braucht es vor allem kulturelle Ein-Sicht. Denn die Pflege des Geistes (cultura animi) und die Pflege der Landwirtschaft (cultura agri) gehören zusammen. Damit verbunden ist die Frage nach dem guten Leben, die schon die alten Griechen beschäftigte. Arianna Huffington greift sie in ihrem Buch „Die Neuerfindung des Erfolgs“ auf: Irgendwann haben wir sie aus den Augen verloren. Stattdessen haben wir uns darauf konzentriert, „wie man möglichst viel Geld macht, ein möglichst großes Haus kauft und möglichst hoch auf der Karriereleiter kommt“. Es ist ihr deshalb ein wichtiges Anliegen, Wege vorzustellen, die zeigen, „wie man sich um sich selbst kümmert und ein ausgewogenes zentriertes Leben führt, während man gleichzeitig positiv auf die eigene Umwelt einwirkt.“

Leider hat sich der Begriff Erfolg in unserer Gesellschaft im Laufe der Zeit auf Geld und Macht verengt.

Im Alltag ist es deshalb kaum mehr möglich zu erkennen, dass es neben äußerem Erfolg und der damit verbundenen negativen Form von Anstrengung etwas Wichtigeres gibt: das persönliche „Gedeihen“. Um es zuzulassen und anderes loszulassen, „erfordert es Übung und Entschlossenheit“, die wir selbst in der Hand haben. Der Weg dorthin ist mit Dankbarkeit verbunden: Grace und gratitude. Die englischen Ausdrücke für Leichtigkeit und Dankbarkeit haben dieselbe lateinische Wurzel gratus.

Viele Managementberater integrieren Grabreden in ihre Seminare und Publikationen.

Doch leider fehlt es den meisten an einer inneren Anschlussfähigkeit, weil ihre Kernaussagen dann doch wieder nur auf äußere Erfolgsfaktoren setzen. Wenn Huffington darauf verweist, ist das eine logische und sinnhafte Folge zu ihren anderen Aussagen. Es geht ihr um die Fragen, was wir anderen gegeben haben, wie wir mit ihnen im Leben umgegangen sind, oder was wir unserer Familie und unseren Freunden bedeutet haben. Warum, fragt sie zu Recht, „verwenden wir so viel von unserer begrenzten Lebenszeit auf all die Dinge, die in unserer Grabrede bestimmt nicht vorkommen werden?“ Die Eintragungen im tabellarischen Lebenslauf, auf die so viel Zeit und Mühe verwendet wird, verlieren angesichts des Todes wie jeder bewundernswerte Wikipedia-Eintrag ihre Bedeutung. Wessen „Leben für Leistung und Erfolg steht, wird in seiner Grabrede fast nur für das gelobt, was er getan hat, wenn er nicht gerade auf Leistung und Erfolg fixiert war“. Sie unterliegt nicht den Zwängen einer verzerrten Erfolgsdefinition.

Nach Erfolg streben und Ziele haben, uns messen und üben, um das Leben „athletisch“ zu meistern, ist nichts, was verurteilt werden sollte. Gemeint ist allerdings ein anderes Verständnis von Erfolg, das sich schon in der Bibel findet, in ihren Geschichten von Aufbrüchen und Veränderungen, die den Blick für die eigenen Möglichkeiten schärfen. Im berühmten Zitat des Apostels Paulus aus dem 1. Korintherbrief (9, 24-27) heißt es: „Ihr wisst doch, dass an einem Wettlauf viele Läufer teilnehmen; aber nur einer bekommt den Preis. Darum lauft so, dass ihr den Preis gewinnt. Jeder, der an einem Wettlauf teilnehmen will, nimmt harte Einschränkungen auf sich. Er tut es für einen Siegeskranz, der verwelkt. Aber auf uns wartet ein Siegeskranz, der niemals verwelkt. Darum laufe ich wie einer, der ein Ziel hat. Darum kämpfe ich wie einer, der nicht in die Luft schlägt.“

Nachhaltigkeit braucht keine Belehrungskultur

Doch wie können diese Themen im Kontext der Nachhaltigkeit heute so vermittelt werden, dass sie keinen Schulcharakter haben und möglichst viele Menschen angehen? Nachhaltigkeit wird häufig entweder nur im akademischen Kontext oder im werblichen vermittelt. Was fehlt, ist eine Brücke, um persönliche Zugänge zu schaffen, ohne auf kulturellen Tiefgang verzichten zu müssen. Die Philosophie als Lebenskunst kann hier ein wichtiger Wegweiser sein - und Senecas Erkenntnis: „Lang ist der Weg durch Lehren, kurz und erfolgreich durch Beispiele.“

Statt fertiger Antworten oder Verhaltens- und Handlungsanweisungen sollte auf die Kunst des Herausfindens gesetzt werden, unter welchen Bedingungen das Nachdenken über Nachhaltigkeit Funken schlägt, denn das Thema braucht den lebendigen Dialog und Verständlichkeit. Erst dann gewinnt es in der Lebenswirklichkeit des Einzelnen an Bedeutung und wird im Zusammenhang mit reflektierter Lebenskunst wahrgenommen. Es gibt wenig Begriffe, die auf das große Ganze einer Transformation zielen, die imstande sind, das Wesen unserer Industrie-Konsum-Zivilisation von Grund auf umzukrempeln. Das Wort Nachhaltigkeit „enthält alles, worauf es ankommt“ (Ulrich Grober).

Weiterführende Literatur:

Arianna Huffington: Die Neuerfindung des Erfolgs. Weisheit, Staunen, Großzügigkeit – Was uns wirklich weiterbringt. Aus dem Amerikanischen von Dagmar Mallett und Karin Schuler. Riemann Verlag, München 2014.

Visionäre von heute – Gestalter von morgen. Inspirationen und Impulse für Unternehmer. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2018.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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