Scott Schuman/TASCHEN

Archivar der Vielfalt: Scott Schumans fotografischer Blick auf Indien

Verbunden werden mit dem Begriff Vielfalt heute verschiedene Dimensionen wie Perspektive, Kultur, Erfahrungen, Alter, Geschlecht oder Sprache. In Unternehmen beschreibt „Diversity“ den Bestandteil einer modernen Unternehmensleitkultur, die die Verschiedenheit der betrieblichen Belegschaft nutzt und fördert. Die Megatrends Internationalisierung, Individualisierung und Demographie führen zu einem globalen tiefgreifenden Wandel. Vielfalt eröffnet neue Wege für die Gestaltung von Arbeit und Produkten. Dieses Potenzial wird mit Diversity Management aktiviert und damit die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen gesichert, denn Innovation, effiziente Zusammenarbeit und das Gespür für Zukunftsmärkte können nur dann entstehen, wenn vielfältige Kompetenzen und Talente im Unternehmen beschäftigt sind.

Ein Begriff wie Vielfalt bleibt allerdings leer, wenn das Große nicht mit dem Kleinen, das Globale nicht mit dem Lokalen, Mensch, Gesellschaft und die Welt mit all ihren Farben verbunden werden. Das zeigt das aktuelle Fotobuch von Scott Schuman, der im Bereich Fashion-Marketing und -Branding tätig war, als er Anfang der 2000er Jahre begann, auf den Straßen New Yorks beiläufig stylische Menschen zu fotografieren. Seine Bilder veröffentlichte er in seinem stilprägenden Blog namens „The Sartorialist“. Rasch fand er eine begeisterte Anhängerschaft und drehte anschließend Kampagnen für Gap, Verizon, Nespresso, DKNY Jeans, Absolut und Burberry. Der New Yorker gilt als einer der Pioniere der Streetstyle-Fotografie. Seine Arbeiten befinden sich in den ständigen Sammlungen des Victoria & Albert Museums und des Tokyo Metropolitan Museum of Photography. Der Fotograf und Blogger bereiste Indien zum ersten Mal 2008 anlässlich der Fashion Week in Neu-Delhi. Allerdings machte er die interessantesten modischen Entdeckungen abseits der Laufstege, weil Leben größtenteils draußen stattfindet. Indien erinnere ihn an seine Heimat (die USA).

Mit einem jährlichen Wirtschaftswachstum von fünf bis sieben Prozent gehört das das 1,3-Milliarden-Einwohner-Land zu den besonders schnell wachsenden Volkswirtschaften. Das Land verfügt über eine große Zahl an gut ausgebildeten Menschen und über eine wachsende Mittelschicht. Wissenschaft und Softwareindustrie haben Weltgeltung, allerdings ist fast jeder zweite Inder Analphabet. Die Infrastruktur zur Trinkwasser- und Stromversorgung wird wie das Wegenetz ausgebaut. Seit mehreren Jahren wird mit hohem Aufwand ein nationales Autobahnnetz aufgebaut und gleichzeitig das Eisenbahnnetz renoviert. Armut und Reichtum, Alt und Jung, Ruhe und Bewegung, Tradition und Fortschritt, Land und Stadt sind in diesen Bildreportagen miteinander verbunden. Sie zeigen en besonderen Stil des Landes auf Märkten, Musikfestivals, Straßen und Kricketplätzen, in Städten wie Delhi, Jaipur, Chennai und Mumbai. Besonders herausfordernd war für ihn, seinen Guides verständlich zu machen, was er suchte, denn er wollte dorthin, wo das Leben pulsierte: auf die Raves, die Farmen, in die Fabriken, in den Raum auf der Pferderennbahn, die Rückzugsorte der Jockeys nach dem Rennen. Klischees findet man bei ihm nicht. Seine Vielfalt ist schillernd, zuweilen aber auch unglamourös.

Sein Zugang zu Land und Menschen führt über das, was sie am Körper tragen. Fasziniert war er vor allem vom Mix aus Farben, Mustern und Texturen, die den besonderen Charakter dieses Kontinents spiegeln. „Ich wollte ein Indien einfangen, das man im Westen nicht so häufig sieht“, sagt der Fotograf. Seinen ästhetischen Code gilt es in besonderer Weise zu lesen. Scott Schuman konzentriert sich allerdings nicht auf Bollywood, Saris, Taj Mahal, heilige Kühe, Modeschöpfer und Mode-Label, sondern auf Proportionen, Farben und Schichtung der Kleidung seiner Sujets. Gewürdigt werden Menschen aller Altersgruppen und aus allen Lebensbereichen: von Ravern, Transsexuellen, Ringern, Surfern, Ziegenhirten, Gläubigen, Großvätern und Fashionistas bis hin zu Kindern, Verkäufern und Arbeitern.

Diese Bilder hat der TASCHEN VERLAG nun in seinem ersten Buch über Scott Schuman zusammengefasst: THE SARTORIALIST. INDIA. Gezeigt wird die vielfältige Buntheit mit dem Auge des dokumentierenden Fotojournalisten, aber auch, dass kleine Dinge den großen Unterschied machen. Der Band wird ergänzt durch eine Einführung von Bandana Tewari, die als Mode-Redakteurin arbeitete und heute Editor-at-large bei Vogue India ist. Sie war für zahlreiche Magazine, darunter Elle und Marie Claire tätig und schreibt eine Kolumne für The Business of Fashion. Der Herausgeber Reuel Golden war Chefredakteur des British Journal of Photography.

The Sartorialist. India / Scott Schuman, Bandana Tewari, Reuel Golden. Mehrsprachige Ausgabe: Deutsch, Englisch, Französisch. TASCHEN Verlag, Köln 2019.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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