Ausgebildete Gestaltungsmacht: Wie junge Menschen ihr selbst Leben in die Hand nehmen
Mit Funktionsmacht kann eine Gesellschaft nicht verändert werden
Wir brauchen heute vor allem Gestaltungsmacht, denn nur praktische Lebenshandwerker haben keine Angst vor Veränderungen und können eine Gesellschaft reparieren und neu machen. Handwerk muss wieder wertgeschätzt werden, denn es unterstützt uns darin, die Kontrolle über alltägliche Dinge in einer Zeit der Technisierung und Kommerzialisierung aller Lebensbereiche zurück zu holen. Es stiftet Sinn und macht auch das Denken beweglich. Wir brauchen es, um urteilsfähig zu sein und die richtigen Entscheidungen zu treffen. Leider spiegelt sich diese Wertschätzung nicht im Arbeitsmarkt wider. Viele Ausbildungsbetriebe stellen seit Jahren fest, dass bei ihnen weniger Bewerbungen eingehen und Stellen nicht besetzt werden können. Die meisten sehen die Akademisierung als Hauptgrund. Gewiss ist sie bei der steigenden Komplexität des digital-globalen Marktes heute dringlich und notwendig, dennoch dürfen die handfesten Ausbildungsberufe nicht ins Hintertreffen geraten. Schließlich halten sie eine Gesellschaft zusammen, müssen allerdings auch an aktuelle Gegebenheiten angepasst und stärker gefördert werden.
Vor allem geht es heute darum, Handwerk, Technik und Unternehmensorganisation mit dem schnelllebigen Markt und der damit zusammenhängenden neuen Arbeitswelt zu verbinden.
Dass dies funktionieren kann, zeigt sich am Beispiel Häcker Küchen in Rödinghausen. Längst entwickelte sich das 1898 gegründete Familienunternehmen zu einem Global Player auf den internationalen Märkten. Ausbildung ist hier ein nachhaltiger Erfolgsfaktor. Aktuell bildet das Unternehmen 58 Auszubildende in den Berufen Holzmechaniker/in, Industriekaufmann/-frau, Mechatroniker/in, Elektroniker/in, Fachinformatiker/in Systemintegration und Anwendungsentwicklung aus. In Rödinghausen wird bereits seit 1980 ausgebildet. Die erste Auszubildende zur Industriekauffrau ist dem Unternehmen auch nach über 30 Jahren noch treu und im Finanzcontrolling tätig. Das erste Lehrjahr absolvieren die gewerblichen Auszubildenden traditionell in der Lehrwerkstatt. Dabei werden unter anderem Kenntnisse in der Verarbeitung von Holz und Holzwerkstoffen vermittelt. Im zweiten Jahr lernen die Auszubildenden alle drei Wochen eine andere Fertigungslinie kennen, im dritten Jahr kehren sie noch einmal in die Lehrwerkstatt zurück. Die Abschlussarbeit ist ein Möbelstück oder eine Küche, die im eigenen Betrieb gefertigt wird.
Wie bereits schon in den Vorjahren erhielt Häcker Küchen auch 2020 das Gütesiegel „Ausgezeichneter Ausbildungsbetrieb“. In einer anonymen Befragung beantworteten die Auszubildenden rund 100 detaillierte Fragen zur Qualität ihrer Ausbildung hier. Themen waren beispielsweise die Ausbildungsinhalte, der Umgang mit den Auszubildenden im Betrieb oder die Zukunfts-chancen im Unternehmen. Für das Gütesiegel wurden zusätzlich mit den Personalverantwortlichen Kennzahlen erhoben, wie z. B. die Anzahl der übernommenen Auszubildenden und die Höhe der Abbrecherquote. „Durch die Kombination dieser Kennzahlen mit der Beurteilung der Azubis erhalten wir eine verlässliche Auskunft darüber, wie gut wir als Ausbildungsbetrieb tatsächlich sind“, sagt Sabine Hauch, Ausbildungsleiterin bei Häcker Küchen. Dabei gilt, nur Betriebe, die von ihren Azubis gute Noten erhalten und sich in der Ausbildung besonders engagieren, sind „Ausgezeichneter Ausbildungsbetrieb 2020“. Das Gütesiegel wird seit 2013 jährlich von der „ertragswerkstatt“ verliehen. Jährlich lassen mehr als 150 Unternehmen die Qualität ihrer Ausbildung umfassend untersuchen und bewerten. Die Initiative „Ausgezeichneter Ausbildungsbetrieb“ ist damit die größte unabhängige und neutrale Zertifizierung für Ausbildungsbetriebe in Deutschland.
Leider belegen aktuelle Entwicklungen, dass es heute kaum noch Ausbildungsbrücken gibt.
Häufig geht es darum, gleich zu führen und Funktionsmacht zu erhalten. Wenn Manager dann aber ihren Job verlieren und gefragt werden, was sie „können“, antworten sie: „Ich kann führen!“ Aber ohne Gesellenstufe mit ausgebildeter Gestaltungsmacht ist das in Krisenzeiten, wo Luftblasen schneller platzen, nichts wert.
Weiterführende Informationen:
Gisela Rehm, Markus Sander: Nachhaltigkeit und Digitalisierung in der Küchenbranche. Am Beispiel von Häcker Küchen. In: CSR und Digitalisierung. Der digitale Wandel als Chance und Herausforderung für Wirtschaft und Gesellschaft. 2. Auflage. SpringerGabler Verlag, Heidelberg, Berlin 2020.