Barack Obamas Einladung, die Welt noch einmal zu erneuern
Die meisten Politiker machten auf den jungen Barack Obama - abgesehen von wenigen Ausnahmen - „einen eher halbseidenen Eindruck: die Föhnfrisuren, das schmierige Grinsen, die Plattitüden und das Eigenlob, wenn sie in einer Fernsehsendung saßen, während sie sich hinter verschlossener Tür bei großen Unternehmen und anderen betuchten Interessengruppen einzuschmeicheln versuchten.“ Im ersten Band seiner politischen Memoiren, die zeitgleich in 25 Sprachen erschien, artikuliert er sein frühes Unbehagen. Dass Politikern generell kaum geglaubt wird, liegt daran, dass Parteien vor Wahlen Dinge versprechen, die sie danach nicht erfüllen. Auch sind die meisten Politiker, die sich in den mit der Macht verbundenen Privilegien gemütlich eingerichtet haben, keine Charaktere, sondern nur Charakterspieler und Selbstdarsteller. Mit einem solch “abgekarteten Spiel“ wollte der junge Obama nichts zu tun haben. Was ihn innerlich mehr bewegte, war wirksamer, nachhaltiger und unkonventioneller: soziale Bewegungen, bei denen sich Menschen zusammentaten, um etwas zu verändern.
Bereits der Philosoph Epiktet machte deutlich, dass wir zwar nicht immer alles können „können“, aber dennoch in der Lage sind, mehr zu tun, als wir glauben.
Er forderte, dass wir uns frei von falschen Vorstellungen an die Ausgestaltung der uns gegebenen Möglichkeiten machen sollten, um darin einen Standpunkt zu finden und mit uns ins Reine kommen. Das hat viel mit Obama zu tun, der als Kind wie ein junger Tüftler war, der in der Garage seiner Eltern Kathodenstrahlröhren, lose Drähte und Schrauben zusammensuchte, aber nicht genau wusste, was er damit anfangen soll. Dennoch war er überzeugt, dass sie sich irgendwann als nützlich erweisen würden, sobald sich ihm seine „eigentliche Berufung“ offenbare. In der Highschool begann er dann, Fragen zu stellen: Warum lebte er an einem Ort, wo nur wenige Menschen so aussahen wie er, und warum hatte seine Mutter Ann Dunham feste Überzeugungen und traf bestimmte Entscheidungen? Schon als Kind rebellierte sie in der Highschool gegen die Konventionen. Ihre intellektuelle Freiheit bezahlte sie ständig mit finanziellen Problemen und einem chaotischen Privatleben.
Obama entwickelte ein Gespür für die Hierarchien zwischen seinen Klassenkameraden auf der Privatschule.
Sie richteten sich vor allem danach, wie viel Geld ihre Eltern hatten. Obama wollte deshalb so wenig wie möglich auffallen und flüchtete sich in Bücher. Die Liebe zu ihnen verdankte er seiner Mutter, die ihm riet, ein Buch zu lesen, wenn er Langeweile hatte oder kein Geld vorhanden war, um ihn in Indonesien auf die internationale Schule zu schicken. Als er 1983 den Abschluss an der Columbia University machte, hatte er zwar große Ideen, aber keine Vorstellung, wohin er damit sollte: „Es gab keine Bewegung, keinen selbstlosen Anführer, denen ich mich hätte anschließen können.“ Er war ernst, verbissen, humorlos und sehnte sich danach, die Welt zu verändern und Teil einer großen, idealistischen Sache zu werden. Heute würde er sich rückblickend selbst raten, „die Bücher für einen Augenblick zur Seite zu legen, das Fenster zu öffnen und frische Luft hereinzulassen“, das Leben mit anderen jungen Menschen zu genießen. Ihm war allerdings bewusst, dass sich mit dem richtigen Ziel vor Augen vielleicht eine starke Energie entfachen ließe - über die Grenzen aller Hautfarben hinweg. Bald keimte in ihm der Wunsch auf, sich irgendwann für ein öffentliches Amt zu bewerben. Er begriff allerdings bald, dass er sich - wenn er wirklich etwas verändern wollte - an das größtmögliche Publikum wenden und eine möglichst große Gemeinschaft vertreten muss:
„Bekannt sein. Gehör finden. In seiner einzigartigen Identität und in seiner Würde anerkannt werden. Das war ein universeller menschlicher Wunsch, der meines Erachtens für Nationen und Völker genauso galt wie für Individuen.“
Das würde ihm vor allem dann gelingen, wenn er sich für ein Amt bewarb. Bei seinem ersten Wahlkampf lernte er das Einmaleins der Politik und begriff die Notwendigkeit, „auf jedes noch so kleine Detail zu achten, und erlebte am eigenen Leibe die tägliche Schinderei, die am Ende zwischen Sieg und Niederlage entscheidet.“ Anfangs neigte er beispielsweise zu langatmigen Erklärungen. Wurde ihm eine Frage gestellt, holte er umständlich aus. Sein Verstand zerlegte jedes Thema instinktiv in viele Teilbestandteile. Er lernte, was entscheidend ist, um Menschen zu berühren und zu bewegen:
• Ausschlaggebend ist das, was ihm das Bauchgefühl sagt.
• Abstraktes muss durch Konkretes ersetzt werden.
• Das Herz sollte sprechen und nicht der Verstand.
• Auf pathetische Rhetorik und altbekannte Wahrheiten sollte verzichtet werden.
In seinen Präsidentschaftserinnerungen erzählt er seine persönliche Geschichte, die junge Menschen auch dazu inspirieren soll, ein Berufsleben im Dienst der Allgemeinheit zu erwägen. Es ist eine Einladung, „die Welt noch einmal zu erneuern und durch harte Arbeit, Entschlossenheit und eine große Portion Fantasie ein Amerika zustande zu bringen, das endlich allem entspricht, was wir als Bestes in uns tragen.“ Er lässt die Leser an seinen Erinnerungen teilhaben - von seinem frühesten politischen Erwachen über den ausschlaggebenden Sieg in den Vorwahlen von Iowa hin zur entscheidenden Nacht des 4. Novembers 2008, seiner ersten G20-Konferenz, der Verabschiedung des Affordable Care Act, dem Krieg in Afghanistan, Analysen zu politischen Vorhaben, die er nicht realisieren konnte, aber auch zu Spaziergängen entlang der Promenade von der Residenz des Weißen Hauses zum West Wing, dem Rosengarten, dem Oval Office, von der Liebe zu seiner Frau und seinen Töchtern.
All diese Aspekte bündeln sich in diesem Bild, das er am Anfang des Buches beschreibt: „Meistens gehe ich langsam – es ist ein hawaiianisches Schlendern, wie Michelle sagt, gelegentlich mit einem Anflug von Ungeduld. Doch im Säulengang ging ich anders, weil ich mir der Geschichte bewusst war, die dort gemacht worden war, und meiner Amtsvorgänger. Meine Schritte wurden länger, forscher und fanden ein Echo in den Tritten der Personenschützer, die mir mit Abstand folgten.“ Zwölf Tage vor der Wahl unternahm er eine sechsunddreißigständige Reise nach Honolulu, um mich von seiner Großmutter zu verabschieden. Von ihr hatte er die Fähigkeit, in einer Krise Ruhe zu bewahren: „In schweren Zeiten neige ich dazu, den Geist meiner Großmutter heraufzubeschwören. Sie war damals fünfundachtzig Jahre alt, die letzte Überlebende des Trios, das mich großgezogen hatte. Ihr Gesundheitszustand verschlechterte sich zunehmend. Krebs hatte sich in ihrem Körper ausgebreitet, der bereits von Osteoporose und lebenslangen schlechten Gewohnheiten geschwächt war.“
Als er im Januar 2009 zum 44. Präsidenten der Vereinigten Staaten vereidigt wurde, schwärmte die Journalistin Margaret Kriz Hobson vom „grünsten Weißen Haus in der Geschichte“.
Die Wähler erteilten ihm ein robustes Mandat für den versprochenen „Wandel“, und beide Kammern des Kongresses lagen in demokratischer Hand. Politiker, die langfristig ausgerichtet sind, greifen Strömungen in Richtung Nachhaltigkeit auf und setzen sich dafür ein, dass sie in Gesetze und Verordnungen eingearbeitet werden. „Wenn ich den Ehrgeiz hatte, die freie Welt anzuführen, dann musste ich dem Kampf gegen den Klimawandel in meiner Wahlkampagne und meiner Präsidentschaft einen hohen Stellenwert einräumen“, schreibt Obama. Bald musste er jedoch erkennen, dass seine Bemühungen nicht auf Anhieb Früchte trugen. „Dafür sind die meisten Probleme, die auf dem Schreibtisch eines Präsidenten landen, zu weitreichend, die relevanten Faktoren zu vielfältig. Man lernt, schon kleinere Fortschritte als Erfolge zu verbuchen …“ So konnten sich das Repräsentantenhaus und der Senat auch nicht auf ein Klimaschutzgesetz einigen, dessen Herzstück ein landesweiter Emissionshandel war. Lediglich als Teil des Konjunkturprogramms 2009 wurden 40 Milliarden Dollar in die Entwicklung umweltfreundlicher Energieerzeugung investiert.
Die zunehmende Polarisierung der amerikanischen Politik äußerte sich im Wahlerfolg der Republikaner bei den Zwischenwahlen im Herbst 2010, als sie die Mehrheit im Repräsentantenhaus gewannen. Die Verabschiedung eines Klimaschutzgesetzes war damit endgültig vom Tisch. Nach seiner Wiederwahl zum Präsidenten der Vereinigten Staaten setzen Umweltschützer erneut Hoffnungen auf eine robuste Klimaschutzgesetzgebung. In den USA drohte weiterhin eine Blockadehaltung des Kongresses gegenüber Klimaschutzmaßnahmen. Im Wahlkampf 2012 spielte der Klimawandel nur eine marginale Rolle. Stattdessen dominierten wirtschafts-, außen- und energiepolitische Themen die Agenda. Nur vereinzelt warb Obama für effektiven Klimaschutz. In seiner Amtseinführungsrede im Januar 2013 drückte Obama die Hoffnung aus, im Bereich Klimaschutz Geschichte zu schreiben.
Aufgrund der Blockadehaltung der Legislative der letzten Jahre setzte er klimapolitische Ziele mittels Verordnungen durch, da diese auf Grundlage des Clean Air Acts von 1970 keiner Zustimmung des Kongresses bedürfen (dies wurde im Jahr 2007 vom Obersten Gerichtshof bestätigt). So etablierte die Umweltbehörde Environmental Protection Agency (EPA) zuletzt im Frühjahr 2012 strengere Emissionsgrenzen für neue Kohlekraftwerke und erhöhte die Effizienzvorgaben für Kraftfahrzeuge. In seiner Rede zu Lage der Nation am 12. Februar 2013 rief Obama den Kongress zum Handeln auf, machte aber auch deutlich, dass er bereit sei, den Verordnungsweg nochmals zu beschreiten – und wurde dabei seitens der Republikaner mit Schweigen bedacht.
In seiner Eigenschaft als Präsident wollte er für das Land „eine Vision artikulieren und eine Richtung vorgeben, eine gesunde Organisationskultur fördern, klare Strukturen für Verantwortung und Zuständigkeit schaffen können.“ Dafür brauchte er kompetente Mitstreiter mit Erfahrung, denn Obama neigte zu Zerstreutheit und schenkte Details kaum Beachtung. Er war sogar unfähig, ein geordnetes Ablagesystem aufrechtzuerhalten, was zur Folge hatte, dass er Memos, Kugelschreiber und Smartphones verlegte.
Besonders sein Interesse an der Gesundheitsversorgung ging weit über die Politik hinaus.
Es war eine persönliche Angelegenheit, genau wie für Teddy Kennedy, bei dem ein bösartiger Gehirntumor diagnostiziert worden war. Auch bei seinem Sohn Teddy Jr. Wurde im Alter von zwölf Jahren Knochenkrebs diagnostiziert (was eine Beinamputation nach sich zog). Im Krankenhaus lernte Teddy andere Eltern kennen, deren Kinder ebenfalls krank waren. Niemand wusste, wie die steigenden Krankenhausrechnungen bezahlt werden sollten. Er hatte sich deshalb vorgenommen, aktiv etwas zu ändern. Obama dachte vor allem an seine Mutter, die schwer an Gebärmutterkrebs erkrankt war. Sieben Monate nach der Diagnose wurde es sehr ernst. Michelle und er flogen nach New York und begleiteten seine Schwester Maya und seine Mutter zu einem Spezialisten des Krebszentrums Memorial Sloan Kettering. Nach mehreren Chemotherapien hatte sich seine Mutter stark verändert. Der Krebs war so weit fortgeschritten, dass nur noch wenige Therapiemöglichkeiten infrage kamen.
Nach der Trauerfeier fuhren Maya und er zum Aussichtspunkt bei Koko Head und streuten die Asche der Mutter ins Meer: „Ich musste daran denken, dass meine Mutter und meine Schwester im Krankenhaus allein gewesen waren. Ich war nicht bei ihnen gewesen, weil ich zu sehr damit beschäftigt gewesen war, meine großartigen Ziele zu verfolgen. Dieser Moment war für immer für mich verloren. Der Verlust meiner Mutter machte mich nicht nur traurig, ich spürte auch tiefe Scham.“ Ein Gesetzesvorschlag zur Gesundheitsreform würde sie zwar nicht zurückbringen und die Schuldgefühle nicht besänftigen, dennoch war es ihm ein Anliegen, grundlegende Prinzipien der sozialen Gerechtigkeit fest zu verankern. Wenn die Zeiten besonders schwer waren als Präsident sagte er sich: „Steh es durch, sagte ich mir. Binde deine Schnürsenkel fester. Teil dir deine Rationen ein. Und dann geh weiter.“
Das Buch
Barack Obama: Ein verheißenes Land. Aus dem Amerikanischen von Sylvia Bieker, Harriet Fricke, Stephan Gebauer, Stephan Kleiner, Elke Link, Thorsten Schmidt, Henriette Zeltner-Shane. Penguin Verlag, München 2020.