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Begegnung mit der Echtzeit: Die Kunst, intuitiv zu denken

Wer sich dem kreativen Prozess intuitiv anvertraut, kommt auf Ideen oder einem „fallen Ideen ein“. Dazu braucht es einen Zustand absoluter Präsenz, die Michael Matthiass „Echtzeit“ nennt. Nur sie ermöglicht, dass Intuition als Herz und Motor des kreativen Prozesses in der stillen Zone wirken kann.

Echtzeit ist für ihn jener rätselhafte Augenblick, „in dem wir viel mehr wissen, als wir eigentlich wissen können.“ Der Autor ist davon überzeugt, dass Echtzeit helfen kann, den kreativen Prozess umfassender und tiefer zu verstehen. Alle Kreativen kennt diese innere Stimme, die nach Ansicht des Psychologen Gerd Gigerenzer eine Form von Intelligenz ist. „… nur wer sein Leben in Einklang mit der inneren Stimme lebt, kann von einer gelungenen Selbstführung im eigenen Leben sprechen“, sagt Jonathan Sierck, ein Vertreter der Generation Y. Ähnlich äußert sich Bert Martin Ohnemüller, der auf drei Jahrzehnte Erfahrungen im Bereich Marketing und Vertrieb zurückblicken kann: „Ich bin davon überzeugt, dass eine bessere Welt entstehen kann, wenn wir anfangen, noch stärker auf unser Herz zu hören und der Weisheit unserer inneren Stimme noch mehr zu vertrauen.“ Er plädiert dafür, die Zahlen-, Daten-, Faktenebene zu verlassen.

„Die Intuition gibt auch im betrieblichen Leben oft einen Impuls gibt, der dann die Richtung weist. Das gilt insbesondere immer dann, wenn wir es mit potentiellen Geschäftspartnern oder möglichen neuen Mitarbeiter zu tun haben. Hier sind die Grenzen der Rationalität schnell erreicht“, sagt der Unternehmer und Personalexperte Werner Neumüller, der mehr als 300 Mitarbeitende an fünf Standorten beschäftigt. Kerngeschäft ist die Rekrutierungsunterstützung über die Personaldienstleistung vor allem im akademischen Umfeld bezüglich Ingenieurqualifikationen und in Bezug auf Fachpflegepersonal. Neumüller führt noch einen weiteren Aspekt an: „Wenn wir es zulassen, dass eine zunehmend von Rationalität durchtränkte und immer weniger vom Bauchgefühl dominierte private Lebenswelt sich auf unsere Kinder überträgt, tragen wir unbewusst auch dazu bei, dass sich die Menschheit unweigerlich weiter in Richtung Transhumanismus entwickelt. Unsere Intuition ist das, was uns Menschen überhaupt noch von Computern unterscheidet. Wenn wir unser Bauchgefühl zu Gunsten der Rationalität aufgeben, geben wir auch ein Stückweit das Menschsein auf.“ Es sind vor allem Zeitdruck, Komplexität und Unsicherheit, die auch immer mehr Fußballtrainer dazu bewegen, „nicht nur auf ihren Kopf, sondern auch auf ihre innere Stimme zu hören. Und das ist gut so. Mit noch mehr Planung und noch mehr Kontrolle lässt sich Unvorhersehbarkeit nicht in den Griff bekommen“, bestätigen die Coaches Karin Helle und Claus-Peter Niem.

Sie kann und sollte von allen Mitarbeitenden ausgehen. Kreativität lässt sich allerdings nicht auf Knopfdruck abrufen oder erzwingen. Sie gedeiht dort am besten, wo Menschen Freiräume haben und ohne Angst vor Fehlschlägen experimentieren können. Für den Business-und Managementexperten Tim Leberecht ist das romantische Unternehmen „ein Anti-Amazon und schafft Raum für Intuition, Kreativität und Mehrdeutigkeit." Es erlaubt Mitarbeitenden und Führungskräften, Entscheidungen auch „gegen besseres Datenwissen" zu treffen - nur aus dem Bauch heraus. Die Herausforderung Karriere hat bei den Business-Romantikern mit der Suche nach neuen Perspektiven zu tun, den Wert unserer Intuition und Emotionen zu erkennen, „Konflikt und Reibung zu begrüßen und unsere eigene Menschlichkeit zu zelebrieren“. Schon Steve Jobs war davon überzeugt, dass dies gelingen kann, wenn wir anfangen, noch stärker auf unsere innere Stimme zu vertrauen: „Lassen Sie nicht zu, dass Ihre innere Stimme in den Stimmen anderer untergeht. Und was am wichtigsten ist: Haben Sie den Mut, Ihrem Herzen und Ihrer Intuition zu folgen." Diesen Rat gab er in einem Doktorandenseminar an der Stanford University, nachdem bei ihm Leberkrebs diagnostiziert worden war, an dem er einige Jahre später starb.

Dieser leisen Stimme, die Aufmerksamkeit und Vertrauen braucht, verschafft Michael Matthiass Gehör, weil sie in Teams und Brainstormings oft nicht zu Wort kommt und von Argumenten übertönt wird, die logisch sind, aber den Kreativprozess aber nicht weiterbringen. Er wurde 1965 in Hamburg geboren, begeistert sich für das Analysieren und Dirigieren von Bach-Werken und machte sein Diplom in Kirchenmusik. Beim anschließenden Studium Kulturmanagement entdeckte er seine besondere Fähigkeit, mit Sprache umzugehen und wechselte als Texter in die Werbung. Nach Stationen bei FCB, DDB und Jung von Matt machte er sich 2011 selbstständig und arbeitet seitdem als Dozent an verschiedenen Institutionen. In seiner Arbeit geht es immer darum, durch das Zusammenspiel von Analyse und Intuition wirksamere Kommunikation zu entwickeln. Immer häufiger erlebte er die kleinen, leisen Zeichen der Intuition, die zur Erkenntnis der Dinge führt, ohne dass man sich bewusst wird, wie sie erkannt werden.

In seinem Buch „Echtzeit“ stellt er einen Kreativprozess vor, der die Intuition gezielt und vor allem bewusst als das einsetzt, was sie ist: das zentrale Werkzeug unserer Arbeit – Herz und Motor der Ideen-Werkstatt. Unsere westliche Gesellschaft lehrt uns, viel auf unsere analytischen Fähigkeiten zu setzen und unterminiert das Vertrauen in die Intuition. Dabei brauchen gute Ideen beides: „einen Nährboden, den analytisches Denken vorbereitet, das Loslassen im richtigen Augenblick – und die kluge Bewertung, die nicht immer aus der Ecke des Spielfeldes kommt, wo wir sie erwarten.“ Choreografiert wird deshalb das Zusammenspiel des analytischen mit dem intuitiven Denkens. Gezeigt wird, dass Kopf und Bauch keine Gegner sind, sondern Kräfte, aus denen Kreation erst entsteht. Dabei kommt es nicht darauf an, dass einer gewinnt – vielmehr geht es um das „magische Spiel, das die Klarheit, Präzision, Brillianz des analytischen Geistes mit der träumerischen, lebendigen und spontanen Kreativität unseres intuitiven Geistes“ verbindet.

  • Michael Matthias: Echtzeit. Die Kunst, intuitiv zu denken. Verlag hermann schmidt, Mainz 2021.

  • Gerd Gigerenzer: Bauchentscheidungen: Die Intelligenz des Unbewussten und die Macht der Intuition. Goldmann Verlag, München 2008.

  • Karin Helle und Claus-Peter Niem: Sollten Fußballtrainer mehr Bauchentscheidungen treffen, anstatt sich zu sehr von Daten leiten lassen? In: Bauchgefühl im Management. Die Rolle der Intuition in Wirtschaft, Gesellschaft und Sport. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. SpringerGabler Verlag, Heidelberg-Berlin 2021.

  • Tim Leberecht: Business-Romantiker. Von der Sehnsucht nach einem anderen Wirtschaftsleben. Droemer Verlag München 2015.

  • Bert Martin Ohnemüller: LEAD SPEAK INSPIRE: Eine Inspirationsquelle für die vor uns liegende "Dekade der Menschlichkeit", die neue Sichtweisen auf Führung, Teams und Unternehmenserfolg fordert. Frankfurt a. M. 2016.

  • Bert Martin Ohnemüller: Warum wir in der Dekade der Menschlichkeit das Emotionale Positionierungs-System (EPS) brauchen. In: Bauchgefühl im Management. Die Rolle der Intuition in Wirtschaft, Gesellschaft und Sport. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. SpringerGabler Verlag, Heidelberg-Berlin 2021.

  • Werner Neumüller: Die Grenzen der Rationalität. In: Bauchgefühl im Management. Die Rolle der Intuition in Wirtschaft, Gesellschaft und Sport. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. SpringerGabler Verlag, Heidelberg-Berlin 2021.

  • Jonathan Sierck: Fü(h)r Dich Selbst: Mit dem richtigen Mindset zum Erfolg. Münster 2014 (Edition Octopus).

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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