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Bereicherungsökonomie: Was Museen, Kunst, Luxusgüter, Immobilien und Tourismus verbindet

… das ist die These der französischen Soziologen Luc Boltanski und Arnaud Esquerre in ihrem Buch „Bereicherung. Eine Kritik der Ware", das sich der Entstehung ökonomischer Wette widmet und für eine alternative Form der Wertschöpfung plädiert: die Anreicherung von Dingen mit Geschichten und Geschichte und deren Erweiterung als Identifikationsplattform. Daran beteiligt sind Marketingexperten, Gutachter und Sachverständige, die den vermuteten Wert eines Gegenstands ermitteln und damit kaufmännischen Mehrwert ermöglichen.

Der Wert von Waren sinkt normalerweise mit der Zeit - in der Anreicherungsökonomie, die nicht produziert, sondern Wert aus bereits vorhandenen Dingen schöpft, ist das allerdings umgekehrt: Er steigt. Die Ware wird dabei mit einer bestimmten Geschichte oder Tradition versehen, die sie anreichert.

Lange galten Uhren als feinmechanische Meisterwerke, aufwendig in der Herstellung und in der Wartung. Mit der Erfindung der Quarzuhr in den 1970er-Jahren wurde die Armbanduhr schließlich zu einem preisgünstigen Produkt, das massenhaft hergestellt wurde. In dieser Zeit erreichte die Industrieproduktion im Europa der Nachkriegszeit ihren Höhepunkt. Mit der Massenproduktion ließ sich nicht mehr genügend Rendite erzielen. Ein Ausweg bestand in Standortverlegungen.

Um den Produktivitätsrückgang auszugleichen, wurden Fabriken vor allem in Ländern errichtet, in denen die Löhne niedrig und die Arbeiter kaum organisiert waren. Das war für die Autoren der Beginn der Deindustrialisierung. Ermöglicht wurden die neuen komplexen Lieferketten, die sich um den Globus mit immensen Auswirkungen wie Arbeitsrechts- und Umweltschutzverletzungen spannen, durch die Globalisierung der Finanzströme.

Kenzo und Givenchy haben nach Polen ausgelagert, Louis Vuitton nach Rumänien, und Hermès zieht nigerianische und madagassische Subunternehmer hinzu. Bei den italienischen Luxusmarken ist es nicht anders: einen Teil seiner Lederwarenherstellung verlegte in die Türkei und Dolce & Gabbana einen Teil seiner Konfektionswarenherstellung nach Ägypten.

Mit dieser Entwicklung „war das absehbare Ende des großen sozialen Fortschritts eingeläutet, dessen Wohlstandsversprechen die Nachkriegszeit prägte.“ Auch die Armbanduhr musste vor diesem Hintergrund neu erfunden werden - als ein deutlich teureres Luxusobjekt. Öffentliche Museen und private Sammlungen, die Vorbilder abgeben für die neue „Akkumulation des Außergewöhnlichen“, Kunst, Luxusgüter, Immobilien und Tourismus sind für Boltanski und Esquerre zentrale Felder einer neuen Ökonomie der Anreicherung, die zunehmend unsere Gesellschaften prägt: „Tourismus ist ein wichtiger Wirtschaftszweig in Europa, und Touristen kaufen Luxusgüter, wenn sie Referenzen zu Kultur und Kunst aufweisen.“

Dabei werden Luxusartikel bzw. Markenprodukte häufig an Orten gekauft, die touristische Ziele sind oder als Mitbringsel auf Flughäfen. Die Kosten der Herstellung haben allerdings nur wenig mit den Preisen der Produkte zu tun. Ihre weitgehende Entkopplung von den Produktionskosten führen zu steigenden Renditen. Für die beiden Soziologen beginnt damit eine Umorientierung des Konsums am Kaufverhalten der Reichen. „Nicht mehr die Standardform der industriellen Produktion stellt das Ideal des Konsums dar, sondern das exklusive Einzelstück, das den Besitzer vor allen anderen auszeichnet.“

So sieht z.B. eine Studie der Roland Berger Strategy Consultants vom Januar 2010 den Luxusmarkt Deutschland als einen der Gewinner in der Krise. Eine Studie der Z_punkt GmbH "Die Zukunft der Luxusgüter" vom Dezember 2009 widmet sich ebenfalls den Facetten des Luxus, die auf "Entwicklungen wie den kontinuierlichen Wohlstandswachstum, die Auflösung traditioneller Familienstrukturen und die Pluralisierung der Lebensstile" basieren und sich als Demokratisierung und Nischen-Luxus sowie als Aufsteiger-, Connaisseur- und Überluxus äußern.

Das Buch von Luc Boltanski und Arnaud Esquerre wird vielleicht diejenigen enttäuschen, die sich mehr zu den Themen Nachhaltigkeit, Beschaffung, Lieferkette und internationaler Handel versprochen haben. Doch große Linien lassen sich nur in groben Strichen zeichnen. Es liegt an uns, die feinen Linien zu ergänzen und zu einem Big Picture der Nachhaltigkeit zu verbinden.

  • Luc Boltanski, Arnaud Esquerre: Bereicherung. Eine Kritik der Ware. Aus dem Französischen von Christine Pries. Suhrkamp Verlag, Berlin 2018.

  • Klimawandel in der Wirtschaft. Warum wir ein Bewusstsein für Dringlichkeit brauchen. Hg. von Alexandra Hildebrandt. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2020.

Weiterführende Informationen:

  • Miriam Schad: Über Luxus und Verzicht. Umweltaffinität und umweltrelevante Alltagshandlungen in prekären Lebenslagen. Oekom Verlag, München 2017.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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