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Besser scheitern: Warum wir mit der Wahrheit des Schiffbrüchigseins verbunden sein sollten

Es ist etwas Unumgängliches. Wer einmal gescheitert ist, entwickelt sich weiter, indem er zu reflektieren beginnt, Bescheidenheit lernt und nicht aufgibt, sich zu verändern, sodass es beim nächsten Mal besser wird: „Try again. Fail again. Fail better.“ (Samuel Beckett) Die sprachhistorische Herkunft des Begriffs Scheitern unterstreicht die zusätzliche Symbolik, die von vielen Lebensgeschichten ausgeht: Zuerst waren es die zerbrochenen Holz-Scheite (althochdeutsch scît), Planken des Schiffsrumpfes, die in Brüche gingen und ein (Lebens-)Schiff zum „Scheitern“ brachten. Erst im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts wurde der Terminus im übertragenen Sinn allgemein gebräuchlich – als subjektiver Vorgang des autonomen Individuums scheitern nun auch dessen Pläne und Hoffnungen. Wer nicht mit der Wahrheit des Schiffbrüchigseins verbunden ist, zementiert sein Leben und fälscht es unbewusst, „weil Schmerz, Leid und Schiffbruch in unserer Kultur mit Schwachsein gleichgesetzt werden“, schreibt der Psychologe und Psychoanalytiker Arno Gruen. Wahre Stärke zeigt sich im Umgang mit Misserfolg. Scheitern kein Schlusspunkt, sondern eine Kehrtwende hin zu etwas Neuem (Ent-Schluss), in dem sich Betroffene gleichermaßen als selbstständig und selbstbestimmt erfahren. Leider ist es oft noch immer so, dass häufig als Versager gilt, wer in Deutschland als Unternehmer scheitert, obwohl hinlänglich bekannt ist, dass die besten Unternehmer etliche Niederlagen einstecken mussten und immer wieder aufgestanden sind.

Doch beide sind wie ein Hocker mit zwei Beinen: Eine Weile kann darauf balanciert werden, doch irgendwann kippt man um. Im Englischen heißt heißt to succeed weiterzugehen (wie das deutsche Wort „folgen“), im Hebräischen steht hazlacha („überqueren“) für Erfolg: Der Fluss, der zu überqueren ist, ist ein dynamisches Element, das allerdings nicht daran hindert, das eigentliche Ziel (ein anderes Ufer, Neuland) zu erreichen. Damit verbunden ist auch immer der Sprung ins Unbekannte, der immer auch mit Scheitern verbunden ist. Erfolgreich zu sein meint vor diesem Hintergrund etwas anstoßen, in Bewegung setzen, in dynamischer Bewegung zu ein, weiterzugehen - von einem festen Standpunkt aus. Der Körpersprache-Experte Samy Molcho vergleicht seine Bewegung mit der einer Spirale, die immer weiter hinaufwachsen will und nie ein Ende hat. Damit zusammen hängt auch Spiral Dynamics: Es ist ein sanfter, unaufdringlicher Ansatz, der einen Übergang innerhalb des normalen und natürlichen Flusses der Ereignisse stattfinden lässt. Die Prinzipien sind in gleicher Weise auf eine einzelne Person, ein Unternehmen oder eine ganze Gesellschaft anwendbar. Der Ansatz geht auf den amerikanischen Psychologieprofessor Clare W. Graves zurück, der ihn in den 1960er-Jahren entwickelt hat.

Wer sich Spiralbewegungen hingibt, akzeptiert die Fließrichtungen, die sowohl den vom Chaos diktierten Fahrplänen als auch den durch Ordnung bestimmten inhärent sind. Sie kennen nur sehr wenige Grenzen oder enge Gleise, die ihr Denken einschränken würden. Molchow betont allerdings, dass es wichtig ist, dieser Spiralbewegung Stationen geben: „Wenn du glaubst, nicht weitergehen zu können, bleib dran, und du wirst sehen, dass du es kannst.“ Es gibt äußeren, sichtbaren Erfolg und einen inneren, persönlichen Erfolg. Was äußerlich erfolgreich wirkt, muss sich innerlich noch nicht als Erfolg auswirken und umgekehrt. Der äußere Erfolg liegt maßgeblich in der Anerkennung der eigenen Arbeit begründet. Das persönliche Erfolgsgefühl dagegen beruht eher in der täglichen Arbeit, wiederum dem Verschieben der Grenzen in ihr, also im Schaffen und Umsetzen von Neuem. Erfolg besteht aus vielen (Rück-)Schritten, die erst einmal gegangen werden müssen, bevor die Erfolgsdynamik in Gang kommt.

  • Alexandra Hildebrandt: Scheitern in Deutschland und trotzdem erfolgreich

  • Don Edward Beck, Christopher C. Cowan: Spiral Dynamics. Leadership, Werte und Wandel. J. Kamphausen GmbH, Bielefeld 2014 (1. Aufl. 2007).

  • Arno Gruen: Dem Leben entfremdet. Warum wir wieder lernen müssen zu empfinden. Stuttgart 2013.

  • Samy Molcho. Körpersprache des Erfolgs. Ariston Verlag, München 2015.

  • Visionäre von heute – Gestalter von morgen. Inspirationen und Impulse für Unternehmer. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2018.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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