Change Hack 1/2021: Mit dem „Elefanten im Raum“ Innovationsbarrieren beiseite räumen
Fortschrittliche Unternehmen sorgen dafür, dass Bestehendes regelmäßig auf den Prüfstand kommt, um mit unserer Hochgeschwindigkeitszukunft Schritt halten zu können. Dies betrifft nicht nur Geschäftsmodelle und Strategien, sondern auch Machtstrukturen und die damit verbundenen Vorgehensweisen. Hierzu habe ich eine Reihe von Change Hacks vorbereitet, über die ich in den kommenden Beiträgen schreibe. Der erste heißt „Elephant in the Room“.
Natürlich weiß jeder im Management, dass sich ein Unternehmen verjüngen muss, um den Sprung in die Zukunft zu schaffen. Doch schaut man genauer hin, passiert das meiste nur punktuell. Zudem beschränkt sich das Vorgehen auf die Mitarbeiterseite, die Arbeitsplatzgestaltung und neue Arbeitstools. An den organisationalen Basisstrukturen aber ändert sich praktisch nichts.
Okay, der Vorstand fährt neuerdings Tesla, versteckt seine Krawatten im Schrank und lässt sich duzen. Ansonsten bleibt man hierarchisch aufgestellt und in Silos organisiert - wie eh und je. Will heißen: Man dreht zwar an kleinen Schräubchen, aber nicht am großen Rad. Wie das kommt? Wer den Wandel zwar fördern soll, aber persönliche Nachteile dadurch erleidet, der tut nur so als ob.
Verbale Aufgeschlossenheit bei anhaltender Verhaltensstarre
Damit am Ende Neues entsteht, muss Altes beiseitetreten. Etablierte sehen dabei vor allem das, was sie verlieren. Die „Jungen“ stecken nicht in diesem Dilemma. Sie haben nichts zu verlieren, keinen Firmenwagen, keine Senator Lounge, kein Eckbüro im obersten Stock und auch keine Statussymbole, die Krücken der Macht.
Sie haben keine Territorien zu verteidigen und nichts aus der Früher-war-alles-besser-Zeit zu betrauern. Sie können bei dem, was die Zukunft bringt, nur gewinnen. Sie sehen die Chancenlücken, weil ihr Blick nicht verstellt ist von Relikten aus längst vergangenen Zeiten.
Die Etablierten hingegen haben sich derart auf Effizienzfragen fixiert, dass sie das Gespür für wegweisende Innovationen längst verloren haben. Eingepfercht in einen hierarchiegebundenen Konformismus verengt sich unausbleiblich der Denkhorizont.
Man gerät in den hypergefährlichen Tunnelblickmodus. Zudem sehen die Etablierten das Neue durch den Filter ihrer eigenen Wahrnehmungen und Vorgehensweisen. Sie lachen über Nokia und merken nicht, dass sie selbst das nächste Nokia werden können.
Der Fluch der Etablierten und die Illusion der Unbesiegbarkeit
Der verklärte Rückblick auf Glanz und Gloria früherer Tage und die scheinbar „gefestigte“ Marktposition verleiten zu Selbstherrlichkeit und zur Illusion der Unbesiegbarkeit. So hält man am Alten fest, statt umfassend Neues zu wagen.
Die beiden Ökonomen Rajesh Chandy und Gerard Tellis nannten das schon im Jahr 2000 den „Incumbent‘s Curse“, den „Fluch der Etablierten“. Im Rahmen einer empirischen Studie stellten sie fest: Die Platzhirsche seien von ihren Erfolgen so angetan und/oder durch ihre Bürokratie so behindert, dass sie die nächste Generation von Produkten versäumen. Bestenfalls seien sie zu kleinen Veränderungen bereit, aber nicht zum großen Sprung nach vorn.
Klar, Besserweggekommene haben ein ursächliches Interesse an der Aufrechterhaltung ihres Status quo. Dementsprechend zetteln Herrschende keine Palastrevolution an. Privilegien, Status, Einfluss und Geltung, um all das haben amtierende Führungskräfte lange gekämpft. Das freiwillig wieder herzugeben, ist verdammt schwer.
Niemand demontiert sich freiwillig selbst und macht sich entbehrlich. Durch einen Verwaltungsapparat, der letztlich vom Kunden bezahlt werden muss, und eine aufgeblähte Mess- und Steuerungsbürokratie sorgen die einzelnen Bereiche ja überhaupt erst für ihre Daseinsberechtigung. Ein sehr kostspieliger Irrweg.
Wer fürs Scheitern bestraft wird, hat keinen Bock auf Experimente
Im Management fehlt es vor allem an Mut. Mut manifestiert sich in dem Moment, in dem wir uns aktiv entscheiden, die Sicherheit des Altvertrauten hinter uns zu lassen und eine Schwelle zu überschreiten, um das noch Unbekannte schöpferisch zu erkunden und beherzt in Angriff zu nehmen. Dies bedeutet immer auch Risiko. Denn im Neuland gibt es keine Erfolgsgarantie.
In etablierten Organisationen ist es jedoch die bessere Wahl, solche Risiken nicht einzugehen. Quer denken? Muster brechen? Echt innovieren? „Kann ich mir nicht erlauben, habe zwei Kinder, die bald auf die Uni gehen, und gerade ein Häuschen gebaut. Schön dumm wäre ich, mich groß aus dem Fenster zu lehnen“, raunt mir ein Manager zu.
Wer sein ganzes Leben um seine Karriere herumgebaut hat, hat keinen Bock auf Experimente. Sie bergen das Wagnis des Scheiterns. Eine größere Fehlentscheidung, Budget in den Sand gesetzt, Zielzahlen nicht geschafft, und man ist Geschichte. Folgt man hingegen den Regeln und einem vorgegebenen Plan, hat man nichts zu befürchten.
Die hehre Aufgabe eines jeden Managers sollte es sein, sein Unternehmen couragiert in die Zukunft zu führen und dessen Fortbestand dort zu sichern. Stattdessen macht man ihn zum Spielball eines überholten pyramidalen Systems, in dem man sich besser konform verhält. Von daher müssen die Veränderungen bei den organisationalen Strukturen beginnen.
Elefant im Raum: Eine Methode, um den Zukunftsweg freizuräumen
Eine gute Methode, um „heilige Kühe“ und interne Tabuthemen beherzt in Angriff zu nehmen, heißt „Elephant in the room“. Warum Elefant? Weil es um etwas wirklich Großes geht: ein offensichtliches Problem, das zwar im Raum steht, aber dennoch nicht offen angesprochen wird. So kann mithilfe des "Elefanten im Raum" eine längst überfällige Diskussion angestoßen werden.
Berufen Sie dazu ein Meeting ein und stellen Sie den Anwesenden folgende Frage:
„Wenn es um unsere unternehmerische Zukunft geht, was sind die wahren Blockaden, über die zwar offiziell niemand spricht, worüber wir aber unbedingt reden sollten?“
Arbeiten Sie bei diesem Anlass unbedingt mit einem Moderator. Zunächst ist es klug, eine „Sicherheitsfrage“ zu stellen. Zeichnen Sie dazu auf eine Pinnwand eine Elfer-Skala. Dann kommt folgende Frage: „Auf dieser Skala von null bis zehn: Wie frei denkt Ihr/denken Sie, in dieser Runde sprechen zu können?“
Die Pinnwand mit der Skala wird umgedreht, so dass die Teilnehmer ihre Bewertung anonym geben können. Jeder legt seine Punktzahl fest, bevor er hinter die Pinnwand tritt. Liegen viele der Punkte unter acht, wird das zunächst thematisiert und diskutiert. Danach ist das Feld frei für den eigentlichen „Elefanten im Raum“.
Es gibt viele heikle Themen, die man auf diese Weise angehen kann. Mehr dazu in meinem neuen Buch "Querdenker verzweifelt gesucht. Warum die Zukunft der Unternehmen in den Händen unkonventioneller Ideengeber liegt" und auch in meinem International Book Award Finalisten "Die Orbit-Organisation. In 9 Schritten zum Unternehmensmodell für die digitale Zukunft".