Chefs: Digital Loser oder Digital Leader?
Ist auch Ihr Chef digital unterbelichtet und alles andere als ein Vorbild? Chef-Bashing boomt und erhält Applaus von Mitarbeitern, doch der Graben zwischen Chefs und ihren Teams wird so immer größer.
Ist Ihnen in den letzten Monaten auch aufgefallen, wie häufig über Chefs und ihre Unfähigkeit als Führungskräfte berichtet wird? Ob die Gallup-Studie, die alljährlich beweist, wie viele Angestellte nur noch Dienst nach Vorschrift machen und die Schuld hierfür einseitig den Chefs in die Schuhe schiebt oder die vielen Studien zu "Digital Leadership", die aufzeigen, welche Kompetenzen Führungskräften heute fehlen und die sie unbedingt sofort erwerben müssen, um für die Digitalisierung gerüstet zu sein - alles das rückt Chefs in ein Scheinwerferlicht als Digital Loser statt als Digital Leader.
Chefs, die Biggest Loser der Digitalisierung?
Ich habe hier für Sie einige Beiträge zusammengestellt und versucht, daraus ein (nicht mein!) Bild zur Stimmungslage zu zeichnen - und zugegeben auch etwas zu überzeichnen:
Die Digitalisierung klappt nur mit guten Chefs. Führungskräfte müssen zu Marken werden und für Werte stehen. Der Chef sollte netzübergreifend authentisch sein und sich mit Instant Messengern wie Slack, Skype oder Google Hangouts effizient und transparent austauschen. Doch viele Chefs sind von digitalen Tools und Technologien überfordert. Damit wird das mangelnde Wissen der Führungskräfte zum größten Hindernis bei der digitalen Transformation der deutschen Industrie. Und ganz nebenbei: Der Chef ist das größte Problem beim Datenschutz im Unternehmen. Die Frage ist: Sollten wir besser gleich alle Chefs nach Hause schicken? Schließlich haben Roboter als Chef durchaus Vorteile.
Und auch für viele Mitarbeiter steht fest: Hilfe, mein Chef ist eine Niete! Und weil die Chefs das Gejammere ihrer Mitarbeiter nicht mehr hören können, werden Menschen in erster Linie zum Kostenfaktor deklariert. Auch die Mitarbeiter sind nicht ausreichend für die neue Arbeitswelt aufgestellt, schließlich investieren Unternehmen zu wenig in Weiterbildung. Übrig bleiben Chefs, die ihre eigene Unfähigkeit kaschieren und denen zum Dank auch noch das letzte Heiligtum, ihr eigenes Büro weggenommen wird. Ja, ja, arme Chefs! - Ach was: arme Mitarbeiter! ;-)
Der Graben zwischen Chefs und Mitarbeitern wird größer
Öffentliches Chef-Bashing ist in den Medien ein Garant für hohen Traffic, denn es spielet der breiten Masse der frustrierten Angestellten und vermeintlichen Opfer ihrer bösen Chefs perfekt in die Karten. Denn sie erhalten die offizielle Bestätigung dafür, dass ihre Chefs unfähig und vom Wandel in der Arbeitswelt überfordert sind.
Doch die Gefahr ist groß, dass sich so eine arrogante und abschätzige Haltung dem eigenen Chef gegenüber entwickelt. Chefs werden nicht mehr ernst genommen, im Team werden Jammerer-Koalitionen gebildet und es entstehen Fronten. Eine Kultur, die Zusammenarbeit noch schwieriger macht und den Graben zwischen Führungskräften und ihren Mitarbeitern vergrößert. Für die im Scheinwerferlicht der Kritik stehenden Chefs wird es so immer schwieriger, den Kontakt zu ihrem Team zu halten, geschweige denn eine gute Bindung zu ihren Mitarbeitern auf- und auszubauen.
Viele Chefs stecken heute mehr denn je in der Sandwich-Position zwischen Top-Management und den eigenen Mitarbeitern. Mit einem immens hohen Handlungsdruck, der nahezu ungefiltert vom Top-Management in die Organisation nach unten weitergegeben wird. Mit zunehmender Erwartung von Kostensenkung und gleichzeitiger Effizienzsteigerung. Dem Wegfall von Hierarchieebenen und damit einhergehend einer Vergrößerung der eigenen Führungsspanne. Und mit der Erfahrung aus dem Tagesgeschäft, dass die bisher erfolgreichen Führungsmethoden immer häufiger versagen, weil sie nicht nur die heutigen Werte vor allem der jungen Generationen verletzen, sondern schlichtweg für die dynamische und komplexe Arbeitswelt zu unflexibel sind.
Doch was macht es mit Chefs menschlich, wenn sie wie gewohnt von oben und neuerdings auch von unten vor Augen geführt bekommen, wie unfähig sie sind? Uns allen sollte klar sein, dass es nicht funktioniert, als Führungskraft mal eben ein paar Seminare zu besuchen und den Koffer an Methoden und Techniken auf einen aktuellen (digitalen?) Stand zu bringen, wie eine Maschine, auf der das Update installiert wird. Oder ist es etwa diese Denkweise, die wir benebelt vom lauten Digitalisierungs-Getöse längst unreflektiert verinnerlicht und auf Führung übertragen haben?
Führung ist verantwortungsvolles Miteinander
Viele der oben zitierten Beiträge vergessen, dass Führung Zusammenarbeit ist. Es ist zu einfach, als Mitarbeiter über den unfähigen Chef zu schimpfen, sich zurückzulehnen und auf Besserung zu hoffen. Es ist zu einfach, mit dem Finger auf andere zu zeigen, dabei jedoch zu vergessen, dass auch dieser Finger einem Menschen gehört, der Teil des Systems ist und Verantwortung trägt.
Führungskräfte sind nicht allein dafür verantwortlich, dass es ihren Mitarbeitern gut geht. Denn Mitarbeiter sind keine hilflosen, schutzbedürftigen Kleinkinder, sondern erwachsene Menschen.
Führung ist Übernahme von Verantwortung, jedoch im Umkehrschluss nicht Aufgabe von Selbstverantwortung als Geführter.
Veränderung von Führung und deren Anpassung an eine im Wandel befindliche Arbeitswelt erfordern eine Veränderung der eigenen Haltung als Führungskraft – und auch als Mitarbeiter. Eine Haltung als Mensch anderen Menschen gegenüber.
Auch im Zeitalter der Digitalisierung bleibt Führung das Management guter Beziehungen. Kein Schema-F, sondern individuell entsprechend der eigenen sowie der Werte und Ziele anderer Menschen. Ein fortlaufender Prozess der Selbstreflexion, des gegenseitigen Feedbacks und der Zeit sowie der Übung, die es braucht, um eine neue Haltung einzunehmen und professisonell gute Beziehungen zu pflegen.
Statt lautstarkem Chef-Bashing brauchen Führungskräfte die Unterstützung ihrer Mitarbeiter und ihrer eigenen Vorgesetzten.
- Sie müssen neu erkennen lernen, was den einzelnen Personen in ihren Teams wichtig ist und Delegation entsprechend anpassen.
- Sie müssen erfahren, was die Währung für ihre Arbeit ist, also woran ihre eigenen Chefs gute Ergebnisse und ihre Mitarbeiter im Team gute Führung messen.
- Sie benötigen das Wissen, wohin das Unternehmen und seine Kultur in den nächsten Jahren entwickelt werden soll.
- Sie müssen das eigene Bewusstsein wiedererlangen, was ihnen selbst als Mensch und in ihrer Rolle als Chef an der Seite ihrer Mitarbeiter wichtig ist.
Chefs zu Losern zu erklären ist ein Aufschrei, doch auf Dauer keine Lösung. Druck und Schuldzuweisungen sowie die Suche nach Sündenböcken und eine Kultur der Fronten aus „Die da oben – Wir hier unten“ werden nicht den notwendigen Rahmen für ein vertrauensvolles Miteinander schaffen, um Zusammenarbeit in Organisationen auf die nächste Entwicklungsstufe zu heben.
Ich bin der Meinung, Management, Führung und Mitarbeiter können in Zukunft neues Terrain nur Hand in Hand gemeinsam betreten. Alle Mitglieder einer Organisation oder eines Unternehmens sollten daran arbeiten, die vielen vorhandenen Kompetenzen, wertvollen Erfahrungen und individuellen Persönlichkeiten zu erkennen, sinnvoll (neu) miteinander zu verbinden und so den digitalen Wandel als gemeinsame Aufgabe und Chance zur Veränderung begreifen.
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