Dankbarkeit als Lebenshaltung
Dankbarkeit war für ihn die wichtigste Haltung des Menschen und Voraussetzung für die „concordia“ (lat. „Eintracht“). Wo sie fehlt, wird die „Humanitas“ (Menschlichkeit) bedroht. „Der Undank ist immer eine Art Schwäche. Ich habe nie gesehen, dass tüchtige Menschen wären undankbar gewesen", schrieb Goethe. Dankbare und anpackende Menschen nehmen ihre positiven Möglichkeiten wahr und gestalten ihr Umfeld entsprechend. Wenn Menschen Ruhe und Frieden in sich fühlen, dann spüren viele von ihnen auch ein Gefühl der Dankbarkeit und geben zu, dass ihnen Gott oder eine innere Kraft den richtigen Weg weist – vor allem dann, wenn sie denken, dass er oder sie es nicht tut. Damit zusammen hängt für sie auch Demut. Das Wort kommt von „diomuoti“ („dienende Gesinnung“) und drückt die Bereitschaft aus, andere als Hilfe und Korrektiv an sich arbeiten zu lassen. Gerade in schwierigen Zeiten brauchen wir Demut, Glauben, Dankbarkeit und das Vertrauen, dass unsere Wege die richtigen sein werden.
So teilten die Schimpansen ihr Fressen systematisch mit denen, die ihnen das Fell gepflegt haben. Mit Berührungen wurde Dankbarkeit gegenüber denen ausgedrückt, die Fressen tauschten. Das ermunterte die Gruppe zu weiteren Transaktionen. „Bei diesem Tausch ‚Fressen gegen Fellpflege‘ bilden die Schimpansen Allianzen, die starke Verbindungen zwischen Menschen ähneln“, schreibt der Psychologieprofessor der University of California, Dacher Keltner, in seinem Buch „Das Macht-Paradox", in dem er sich mit der Frage beschäftigt, wie wir Einfluss gewinnen - oder verlieren. Bleibende Macht hängt für ihn davon ab, einfache Dinge zu tun, die gut für die anderen sind: „Achten wir auf die Bedürfnisse der Machtlosen unter uns, können wir unsere Macht nutzen, um Gutes zu tun und der Gesellschaft auf nachhaltige Weise dienen." Er bricht damit das negative Bild auf, das häufig mit Macht in Verbindung gebracht wird (z.B. Machtmissbrauch und unethisches Verhalten).
Macht gedeiht für Keltner dort, wo Solidarität und Begeisterung spürbar sind, wo positive Einflussnahme durch Freundlichkeit, Gemeinsinn und Gerechtigkeit wächst. Sie ist das Ergebnis kleiner Handlungen und des persönlichen Engagements. Das Aufrechterhalten von Macht ist nach seiner Ansicht davon abhängig, wie wir die innere Erfahrung der Dankbarkeit nach außen umsetzen: „Das ist möglich, indem wir teilen, ermutigen, loben, wertschätzen“ und die guten Anlagen der anderen fördern. Dauerhafte Macht erwächst für Keltner aus Empathie, beruht auf Geben statt Nehmen sowie darauf, Dankbarkeit zu zeigen und Geschichten zu erzählen, die zusammenführen. Die Bedeutung der Empathie wird besonders hervorgehoben, weil sie zu mehr und besserer Zusammenarbeit führt und dazu beiträgt, dass die Beteiligten über bleibende Macht verfügen. Erwiesen ist, dass junge Menschen, die gerade ins Berufsleben eingestiegen sind, zufriedener waren mit ihren Jobs, wenn sie eine ausgeprägte Empathie hatten.
Offen gezeigte Dankbarkeit ist für Dacher Keltner ein Mittel, um andere anzuregen, mehr zusammenzuarbeiten und produktiver zu werden. Im Japanischen lässt sich Danke auf viele Arten sagen – je nach Anlass. Es gibt hier sogar einen Ausdruck, der nur als Dank nach einem guten Essen dient („gochisou sama desshita“). Statt Trinkgeld lassen Gäste als Zeichen der Anerkennung in japanischen Restaurants gern kleine, aus der Papierverpackung von Essstäbchen gefaltete Kunstwerke zurück. Hervorzuheben ist in diesem Kontext auch die Produktebene: Auf vielen Geschenkartikeln, besonders Schokolade, steht „Danke“. Auch Nachhaltigkeitsunternehmen wie Zotter in Österreich oder memo in Greußenheim berücksichtigen dies in unterschiedlichen Ausprägungen. Nachhaltigkeit bedeutet, an die folgenden Generationen das weiterzugeben, was man selbst von seinen Vorfahren dankbar empfangen und in seiner Zeit möglichst „nachhaltig“ genutzt hat, schonen und vermehren durfte. Deshalb ist der Kern von Nachhaltigkeit für den Publizisten Ulrich Grüber auch die Gabe. Das, was man zurückerhält, ist ein zeitlich versetztes dankbares Gedenken der Nachkommen. Deshalb sollte neben den üblichen Unternehmensbilanzen auch eine Menschlichkeitsbilanz stehen, die bereits im Kleinen beginnt – zum Beispiel im Erweisen von Dankbarkeit, das die Bindungen innerhalb sozialer Netze verstärkt.
Dass Wertschätzung, die Identifikation mit dem Unternehmen fördert und ganzheitlich auf den Menschen und aufs Unternehmen wirkt, ist allgemein bekannt. Zahlreiche Aussagen dazu finden sich in Geschäfts- und Nachhaltigkeitsberichten im Zusammenhang mit Unternehmenskultur. Konkret werden sie, wenn sie mit einem Thema in Beziehung gesetzt werden, das in vielen offiziellen Berichten fehlt: die Art der Anerkennung dieser gelebten Werte. Sie zeugt vom Wechselspiel von Geben und Nehmen und scheitert, wenn sie auf Dauer nur zum einseitigen Nutzen unterhalten wird. „Auch Mitarbeiterbefragungen können hilfreich sein. Wichtig ist, die Mitarbeitenden 100-prozentig hinter der Philosophie des Unternehmens stehen. Es geht um Offenheit, Wertschätzung und Authentizität“, sagt Michael Fuhlrott, der bei der Unternehmensgruppe KRIEGER + SCHRAMM für den Personalbereich zuständig ist und auf Rituale der Mitarbeiterwertschätzung verweist:
• Kategorie „Erwischt…“ (Kommunikation des besonderen Engagements von Einzelnen oder des Teams)
• Auszeichnungen und Prämierungen: Mitarbeiter des Jahres, Baustelle des Monats, Verkäufer des Quartals/Jahres
• „Magic Moments“: kleine Überraschungen zu Feiertagen, „Herzlich-Willkommen-Frühstück“ für neue Mitarbeiter, handgeschriebene Geburtstagkarten, Präsente und Anerkennung zu Jubiläen, kleines Gesundheitspäckchen bei Krankheit etc.
Die Rituale der Mitarbeiterwertschätzung werden dort jährlich im Qualitätszirkel Team reflektiert und angepasst. Eine nachhaltige Beziehung zwischen Mitarbeitenden bedeutet auch Arbeit, die mit der Bereitschaft verbunden ist, dafür Sorge zu tragen, dass das gemeinsame Fundament nicht ins Wanken gerät. Einander zu vertrauen heißt, narzisstische Gewohnheiten abzulegen und über sich selbst hinauszugehen - „Hin-Gabe" im besten Wortsinn.
Stephan Brockhoff, Klaus Panreck: Menschlichkeit rechnet sich. Warum Wertschätzung über den Erfolg von Unternehmen entscheidet. Campus Verlag, Frankfurt a.M. 2016.
Dacher Keltner: Das Macht-Paradox. Wie wir Einfluss gewinnen – oder verlieren. Campus Verlag, Frankfurt/New York 2016.
Visionäre von heute – Gestalter von morgen. Inspirationen und Impulse für Unternehmer. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2018.