Das resiliente Unternehmen im Mittelstand: Interview mit Werner Neumüller
Der Unternehmer, Autor und Herausgeber Dipl.-Ing. (FH) Werner Neumüller spricht im Interview über den Zusammenhang von Resilienz, Nachhaltigkeit, Unternehmenskultur und -management.
Herr Neumüller, in Ihrem Beitrag, der im Buch „Zukunftsvision Deutschland“ erschienen ist, widmen Sie sich verschiedenen Zugängen zum Thema Resilienz und verbinden bestehende Konzepte und Managementansätze am Beispiel eines mittelständischen Familienunternehmens. Welche Fragen stehen hier im Fokus?
Im Mittelpunkt steht die Frage, welche Bedeutung das Leitkonzept Resilienz hat, und welche Rolle dabei Lernfähigkeit, Widerstandsfähigkeit und Gestaltungsfähigkeit spielen. Welche Veränderungsmöglichkeiten haben Unternehmen, um die Zukunftsvision Deutschland nicht aus dem Blick zu verlieren und robust gegenüber turbulenten Rahmenbedingungen zu sein? Auch die Nachhaltigkeitsbewegung und deren strategische Koordination ist dabei von zentraler Bedeutung. Aufbauend auf dem Stand der Forschung wird aus Unternehmenssicht argumentiert, dass Resilienz nach den Erfahrungen der Finanz- und Wirtschaftskrise eine immer wichtigere Rolle im Arbeits- und Unternehmenskontext spielt.
Inwiefern wurden auch die Neumüller Unternehmen berücksichtigt?
Neumüller ist Partner der Industrie im Umfeld der Personal- und Ingenieurdienstleistung und spezialisiert auf das Research und die Rekrutierung von anspruchsvollen Qualifikationen über den Weg der Personaldienstleistung und/oder Arbeitnehmerüberlassung. Am Beispiel der Neumüller Unternehmen wird hier dargestellt, dass Resilienz in Unternehmen ein werteorientiertes Management als Kernelement der Unternehmenskultur voraussetzt, und dass organisationale Strukturen heute so gestaltet werden müssen, dass sie flexibel auf zukünftige Probleme reagieren können.
Wie würden Sie die heutigen Arbeitswelten beschreiben?
Sie befinden sich in einer gewaltigen Transformation und werden beeinflusst durch immer schnellere Technologie- und Wettbewerbsvorsprünge, veränderte menschliche Bedürfnisse, fließende Übergänge von Arbeit und Leben in einer hybriden Welt sowie gesellschaftliche und technologische Innovationen.
Was haben Sie daraus als Unternehmer gelernt?
Wer hier entscheidet und Verantwortung übernimmt, muss sich bewusst sein, auch handlungsfähig zu sein und nicht zum Getriebenen zu werden. Zur Kernaufgabe von nachhaltiger Führung gehört für mich heute deshalb vor allem die Organisation von Zusammenarbeit im Unternehmen, das Sichern der Zukunftsfähigkeit der gesamten Organisation sowie aktiv entscheiden, agieren statt reagieren und Verantwortung übernehmen – für sich und für andere. Dazu braucht es Resilienz.
Was steckt hinter diesem Begriff?
Er wird in unterschiedlichen Kontexten gebraucht: „Resilient“ leitet sich vom lateinischen „resilire“ ab, was so viel bedeutet wie „zurückprallen, zurückschrumpfen“. Das Englische Wort resilience beinhaltet zusätzlich die Veränderungskompetenz. Der Begriff Resilienz wurde erstmalig in den 1970er-Jahren verwendet und hat seinen Ursprung in der Kinder- und Jugendpsychologie. Er wurde hier verwendet, um die Entwicklung einiger Kinder trotz desolater Familienverhältnisse zu beschreiben. Auch die technischen Wissenschaften setzten ihn früh ein, um die Belastbarkeit und Widerstandsfähigkeit bzw. Elastizität von Materialien zu erfassen. Sinngehalt und Verwendung des Begriffs differieren zwar, doch im Kern ist immer die Fähigkeit eines Systems gemeint, auf Krisen und Störungen zu reagieren, sich selbst zu erneuern ohne sich grundlegend zu verändern.
Resilienz wird häufig mit dem Gegenbegriff „vulnerability“ in Verbindung gebracht …
Vulnerabilität (Verwundbarkeit) bedeutet, mit einer bedingten Anfälligkeit auf Belastungen in den Person-Umwelt-Beziehungen zu reagieren. Im Gegensatz zur Resilienz spricht man hier von einer herabgesetzten Widerstandsfähigkeit gegenüber Belastungen.
Was zeichnet resiliente Menschen aus?
Forscherteams ermittelten mehrere Charakteristika, beispielsweise hohe Erwartungen, Selbstdisziplin, eine positive, proaktive Sicht auf die Zukunft und das Leben, soziale Kompetenz, Problemlösungskompetenz, Improvisationsfähigkeit, kritisches Denken und Humor.
Was ist allen Resilienzkonzepten gemeinsam?
Die individuelle Mitgestaltung des Lebens sowie die bewusste (nachhaltige) Nutzung eigener Stärken und Ressourcen. Einer der wichtigsten Begriffe in diesem Kontext ist Selbstverantwortung. Er beinhaltet, dass wir zu dem, was wir tun oder unterlassen, stehen und auch die Konsequenzen dafür tragen.
Weshalb sind nachhaltige Entwicklung und Resilienz untrennbar miteinander verbunden?
Resilienz bezieht sich auf die Anpassung an immer neue Herausforderungen, unternehmerische Nachhaltigkeit vergrößert durch das eigene Handeln die Anzahl sich bietender Möglichkeiten für das Unternehmen. Nachhaltigkeit als Managementprinzip beruht darauf, dass Unternehmen ihre Verantwortung für die Auswirkungen ihrer Unternehmenstätigkeit auf die Gesellschaft und Umwelt kontinuierlich besser wahrnehmen.
Der Begriff Nachhaltigkeit stammt aus der Forstwirtschaft: Wer einen Wald bewirtschaftet, darf nur so viel Bäume fällen und verkaufen wie auch nachwachsen können. Bäume stehen aber auch für Resilienz, denn sie haben die Stärke und Widerstandsfähigkeit, sich unerwarteten Herausforderungen (Stürme, Feuer, Überschwemmungen, Dürre) anzupassen und lange Zeiträume zu überdauern.
Weshalb ist Nachhaltigkeit im Kerngeschäft von Unternehmen heute unabdingbar?
Sie kann Risiken verringern oder herausfordernde Situationen auch als Quelle von Wettbewerbsvorteilen nutzen, wenn die Systematisierung des Managements durch eine übergeordnete Instanz auf Unternehmensebene erfolgt. Für ein effektives Nachhaltigkeitsmanagement sowie für eine positive Bewertung der Nachhaltigkeitsperformance des Unternehmens ist eine Modifizierung und Adaption in den zentralen Bereichen des unternehmensweiten Nachhaltigkeitsmanagements vorzunehmen. Das Nachhaltigkeitsmanagement des Unternehmens sollte entsprechend dort ansetzen, wo die Werte im Sinne seiner Vision schrittweise im Geschäftsalltag umgesetzt werden.
Wie kann Resilienz Unternehmen konkret unterstützen?
Durch Resilienz fällt es ihnen leichter, Einschätzungen zu treffen, aber auch bei der Analyse ist sie wichtig: Bei einer Unternehmensbewertung oder einem möglichen Invest sollte die Größe der Resilienz als Faktor hinzugezogen werden. Beispielsweise bei Start-up Invests geht es oft nur um Wachstum, Zins oder Exit-Beteiligung – wer aber nachhaltig denkt und Invests auch über mehrere Jahrzehnte eingehen möchte, der sollte auch die Resilienz als Indikator heranziehen. Denn fast jedes Unternehmen muss in seiner Laufzeit kleinere oder größere Krisen bewältigen. Die Resilienz von Unternehmen und Mitarbeitern kann Aufschluss darüber geben, wie gut und gestärkt oder geschwächt ein Unternehmen aus einer Krise geht.
Warum sollte Resilienz nicht als statische Größe gesehen werden?
Weil sie aus einem prozesshaften, dynamischen Kräftespiel des Schaffens und Bewahrens von kognitiven, emotionalen, strukturellen oder auf Beziehungen gerichteten Ressourcen besteht. Resilienz setzt das Vorhandensein latenter Ressourcen voraus, die im Falle von Herausforderungen aktiviert und kombiniert werden können. Sie müssen flexibel, anpassbar sowie dauerhaft verfügbar sein, sodass die Organisation nicht nur erfolgreich mit unerwarteten Ereignissen umgehen kann, sondern daraus auch im Hinblick auf zukünftige Unwägbarkeiten lernt.
Welche Rolle spielt dabei das kontinuierliche Lernen?
Es ermöglicht die Anpassung von Perspektiven und schafft neue Lösungswege. Es geht darum, ein Gefühl der Sicherheit zu vermitteln und ihre Instabilitätstoleranz zu erhöhen. Dadurch können die Richtung und Geschwindigkeit von Wandelprozessen beeinflusst werden. Die gezielte Umsetzung des Lernprozesses ist eine Aufgabe des Verantwortungsmanagements in der Organisation. Dazu ist es notwendig, die MitarbeiterInnen von Anfang an in den Wandelprozess zu integrieren und eine lösungsorientierte Kommunikation intern, aber auch mit den externen Stakeholdern zu etablieren.
Unternehmen stehen heute vor großen Herausforderungen (Wettbewerbsdruck, demografischer Wandel, Komplexitätszunahme etc.). Weshalb wird keine Organisation in einer solchen Arbeits- und Lebenswelt überlebensfähig sein, wenn sie nicht ein stabiles Wertegerüst hat?
Organisationale Strukturen müssen heute so gestaltet werden, dass sie flexibel auf zukünftige Probleme reagieren können. Altes Wissen kann sich bei aktuellen Problemen als falsch bzw. hinderlich erweisen und neue Lösungen blockieren. Werte konstituieren das Ethos (das Selbstverständnis), die gelebten Leitbilder von Unternehmern. Sie sind deshalb von entscheidender Bedeutung für ihre Verhaltensmuster. Werden Werte glaubhaft gelebt, sind sie nicht zuletzt eine wesentliche Grundlage für Vertrauen. Sie lassen sich in Unternehmen allerdings weder „installieren“ noch von oben herab bestimmen. Sie müssen von Führungskräften und Verantwortlichen, die zu ihrem Wort stehen, vorgelebt werden. Nur dann haben die Mitarbeiter Vertrauen zu ihrem Arbeitgeber. Ich habe gelernt, dass ich konsequent ehrlich sein, mit Fleiß und Ausdauer ausreichend Leistung erbringen kann, um mich so durch überdurchschnittliche Arbeitsleistung und Motivation vom Durchschnitt absetzen zu können. So habe ich Wertschätzung und Förderung erarbeitet. Uns so habe ich als Angestellter und später Unternehmer Karriere gemacht. „Ehrlich, fleißig, nachhaltig“ gehört heute zum Markenkern unserer Unternehmensgruppe.
Was macht Sie als Unternehmer aus?
Interesse an Gewinnmaximierung um jeden Preis hatte und habe ich als Unternehmer nie – vielmehr habe ich immer eine Balance zwischen wirtschaftlichem Erfolg, Zufriedenheit der Menschen sowie dem Schutz und Erhalt der Umwelt angestrebt. Jeder fleißige Mensch wird versuchen, die Umwelt mit den Menschen, mit denen er lebt, zu erhalten und chancengleich zu fördern. Es ist meine Aufgabe, als Unternehmer, die Zukunft der Arbeit so zu gestalten, dass sie gegenüber Störungen stabil ist und im Gleichgewicht bleibt. Ich habe mich in der Vergangenheit oft daran gestört, wie sorglos manchmal mit menschlichem Potenzial als Ressource umgegangen wurde und wird.
Weshalb ist gerade die Personaldienstleistung besonders gefordert, eine mitarbeiterorientierte Personalpolitik zu betreiben?
Weil sie im Wettbewerb mit Arbeitgebern steht, die in der Gesellschaft über ein vermeintlich höheres Ansehen verfügen. Handeln nach ethischen Werten und Normen ist hier von besonderer Bedeutung, um die erhöhte Zufriedenheit der Bewerber, Mitarbeiter und Kunden zu erreichen. Um dies zusätzlich zu manifestieren, traten wir 2012 „Ethics in Business“, der Werteallianz des Mittelstandes, bei. Die Mitgliedschaft in der Gilde wurde seit 2013 jährlich bestätigt. Grundlage für unsere Werteverständnis ist unsere gelebte Unternehmens-DNA („ehrlich, fleißig, nachhaltig“), die zudem besonders wichtig ist, weil hier um die Ingenieure mit den Top DAX-Firmen konkurriert wird.
Eine Unternehmenskultur, die auf Wertschätzung basiert und Werte vermittelt, steigert die Leistung und legt das Fundament für nachhaltigen Erfolg, da sie die Loyalität hoch qualifizierter Arbeitskräfte, namhafter Investoren und langjähriger Kunden gegenüber dem Unternehmen festigt und diese somit an das Unternehmen bindet.
Weshalb sind Familienunternehmen in der Regel resilienter als andere Unternehmen?
Die wenigsten dieser Unternehmen geben auf in der Rezession. Sie geben sich nicht geschlagen aufgrund zunehmender Herausforderungen in der Verwaltung, Produktion oder Vertrieb. Sie akzeptieren die Situationen, befreien sich aus etwaigen Opferpositionen oder vermeiden diese präventiv, suchen lösungsorientiert nach zukünftiger Optimierung und nach neuen Chancen. Sehen ihre Aufgaben nicht als Problem, sondern als Gelegenheit. Sie sind trainiert, „ge-challenge-t“. Die meisten nachhaltig ausgerichteten Familienunternehmen vertreten auch in Zeiten der Globalisierung über Jahrzehnte hinweg gleich bleibende Werte: Hier besteht die Verantwortung gerade darin, aus innerer Überzeugung und Pflichtgefühl heraus für die Folgen seines Handelns einzustehen, das Unternehmen langfristig zu erhalten, indem es auf eine nachhaltig solide Grundlage gestellt wird. Resiliente Familienunternehmen sind zwar nicht immun gegen Krisen, doch sie lernen durch entsprechende Anpassungsprozesse, auf unerwartete Ereignisse schnell und richtig zu reagieren.
Weshalb darf Diskussion um Resilienz nicht ausblenden, dass auch die Resilienzfähigkeit unserer Kinder gestärkt werden sollte?
Auch Kinder müssen lernen, mit Veränderungen und Niederlagen umzugehen und sich den Herausforderungen zu stellen: in der Schule, in Sportvereinen, auf Turnieren und im Leben. Wenn im Sportverein ein Spiel verloren ist, gilt die Devise: Weiter geht es! Nächstes Spiel, neue Chance. Möglichst besser vorbereitet und/oder besser motiviert und/oder mit besserer Unterstützung. Da wird nicht resigniert, verzweifelt oder endgültig aufgegeben. Da wird trainiert, gekämpft und ausprobiert. Kinder sollten nicht unter übertriebenen Schutzschirmen der Eltern aufwachsen. Wir sollten ihnen mehr zutrauen. Sie schaffen das schon, sich nach einem Streit mit Gleichaltrigen wieder zu versöhnen oder in die Gemeinschaft zurück zu finden. Eine Intervention der Eltern ist bei der Versöhnung oder der Akzeptanz der Kinder in ihrer Gruppe nicht sehr hilfreich. Fehler gehören zum Leben – es kommt jedoch darauf an, Lehren daraus zu ziehen. Auch möchte ich für die Vermittlung der Grundlagen allgemeiner Psychologie und Rhetorik an unseren Schulen werben. Dadurch werden unser Zusammenleben und unser berufliches Fortkommen genauso wie unser Privates und Familienleben positiv beeinflusst: durch mehr Verständnis und Toleranz, durch mehr gegenseitige Empathie und eine besser gegenseitige Verständigung im Allgemeinen.
Weiterführende Literatur:
Werner Neumüller: Das resiliente Unternehmen im Mittelstand. Am Beispiel der Neumüller Unternehmensgruppe. In: Zukunftsvision Deutschland. Innovation für Fortschritt und Wohlstand. Hg. Marion A. Weissenberger-Eibl. SpringerGabler Verlag, Berlin Heidelberg 2019.
Werner Neumüller: Ehrlich weiter: Auf der Suche nach den Menschen. In: Visionäre von heute – Gestalter von morgen. Inspirationen und Impulse für Unternehmer. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2018.